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MARIE
Seine Küsse sind fordernd, wenn nicht sogar verzweifelt. Seine Hände umfassen mich, als würde er mich brauchen um nicht den Halt zu verlieren. Seine Zunge gleitet über mein Schlüsselbein zu meinen Brüsten, von denen er eine mit seiner Hand umklammert. Sein heißer Atem trifft auf meine Haut und auch, wenn ich vorhin enttäuscht darüber war, dass er mich ausgeschlossen hat, so kann ich jetzt nicht Nein sagen. Vor allem, da ich seinen Namen bereits lustvoll über meine Lippen gestöhnt habe. Er zieht mein Shirt über meinen Kopf und legt daraufhin seine Lippen auf meine. Erforscht mit seiner Zunge die meine. Unser beider Atem beschleunigt sich und unsere Bewegungen werden hektischer. Ich weiß, dass das was wir hier tun eine Flucht ist. Eine Flucht in die Vergangenheit, wo das, was immer es ist, sich nicht zwischen uns gedrängt hat. Wo wir einfach nur Marie und Tobias waren.
Doch, auch wenn es vielleicht nicht richtig ist, so brauche ich es ebenso wie er. Also gebe ich mich dem vollkommen hin. Gebe mich ihm hin.
Seine Fingerkuppen streichen meine Seite entlang und seine Lippen küssen eine Spur über meine Halsbeuge weiter hinab zwischen meinen Brüsten entlang. Fordernd hebe ich ihm mein Becken entgegen, als er seine Finger in den Bund meiner Shorts einhakt. Langsam zieht er sie über meine Beine und lässt sie dann zu Boden fallen. Seine Finger umgreifen meine Knöchel und mit einem Ruck zieht er mich näher an sich, sodass ich mit meinem Hintern auf der Bettkante sitze. Seine Augen halten mich gefangen, als er sich vor mir aufrichtet. Der einzige Moment wo sich unser Blick nicht berührt, ist der, als er sein Shirt über seinen Kopf zieht.
Seine Augen brennen sich in die meinen. Lassen keine Sekunde mehr von mir ab. Auch nicht, als er seine Hose von den Hüften streift und auf mich zukommt. Er küsst mich erneut. Legt seine Handflächen an meine Hüfte und schiebt mich wieder auf dem Bett zurück. Dann spüre ich sein Gewicht auf mir und wie er in mich eindringt. Zuerst sanft und dann immer leidenschaftlicher. Härter. So als wolle er mit aller Macht, diese Ungewissheit vertreiben.
Unsere Körper bewegen sich im Einklang und ein Schweißfilm zieht sich über seine Haut, die ich mit meinen Fingerkuppen auf seinem Rücken spüre. Die Atemzüge von uns beiden vereinen sich. Werden immer lauter, je näher wir uns unseren Höhepunkt nähern, bevor wir gemeinsam darin versinken. Uns für einen Moment ein Gefühl von Glück gönnen.
Erst als dieses Gefühl abflaut, lässt er sich neben mich auf die Matratze sinken und zieht mich mit seinen Armen näher. Mein Kopf liegt auf seiner Brust. Seine Fingerspitzen streichen über meinen nackten Rücken und ich kann seinen kräftigen Herzschlag in seinem Brustkorb hören. Er drückt einen Kuss auf meinen Scheitel und Minuten vergehen, in denen keiner von uns ein Wort spricht. Als hätten wir Angst, dass wir damit noch mehr zerstören. Und dann, nach einem weiteren Moment höre ich die leisen, regelmäßigen Atemzüge von ihm, die mir bedeuten, dass er endlich Schlaf gefunden hat.
****
Als ich am Morgen aufwache, spüre ich die Leere neben mir. Verschlafen öffne ich meine Lider und versuche Tobias ausfindig zu machen. Doch ich sehe ihn nirgends. Auch als ich nach ihn rufe, ist er nicht da. Panisch springe ich vom Bett und laufe durch die Wohnung, um ihn zu suchen. Was, wenn er wieder schlaf gewandelt ist? Was wenn ihm dabei etwas passiert ist? Angst gemischt mit Verzweiflung legt sich über mich. Schnell laufe ich zurück ins Schlafzimmer, um mir etwas anzuziehen. Erst da, bemerke ich den Zettel auf dem Kopfkissen.
>Bin laufen. Mach dir keine Sorgen.<
Erleichtert lasse ich den Zettel auf das Bett zurückfallen und atme laut aus. Eine Träne bahnt sich dennoch den Weg aus meinem Augenwinkel. Die Angst davor, dass etwas mit ihm passiert, ist so groß, dass ich kaum atmen konnte.
Nach dem ersten Schock, versuche ich mich ein wenig abzulenken, während er noch unterwegs ist. Auch wenn er sich dafür bereit fühlt, so habe ich dennoch meine Zweifel, ob seine Idee, laufen zu gehen, wirklich gut ist. Er war bis vor wenigen Tagen noch im Krankenhaus und hatte Verletzungen, die kein anderer überleben würde. Und jetzt geht er laufen? Noch immer kann ich nicht verstehen, was mit ihm passiert. Schon alleine seine Heilung. Ein normaler Mensch würde noch Wochen brauchen um wieder auf die Beine zu kommen.
Ich beginne damit unser Bett zu machen und mache mich danach daran, dass Frühstück vorzubereiten. Doch ein Klingeln lässt mich hochschrecken. Vielleicht ist es Tobias, der seinen Schlüssel vergessen hat? Also mache ich mich auf den Weg zur Tür und öffne sie, ohne dass ich darüber nachdenke, dass es Jemand anderes sein könnte.
Erst als es zu spät ist, denke ich daran zurück, dass ich vielleicht vorher durch den Spion blicken hätte sollen. Doch jetzt kann ich nicht einfach die Tür vor den Gesichtern der zwei Männer, die in ihrem Anzug vor mir stehen, zuwerfen. Einer der beiden hat ein freundliches Lächeln auf seine Lippen gelegt und der andere lässt seinen Blick hinter mich, in unsere Wohnung schweifen.
„Hallo Miss Benson. Es tut mir leid, dass wir sie stören. Ich bin Officer Holton und mein Kollege hier ist Officer Frey Wir möchten gerne mit Mister Lloyd über den Unfall sprechen.“
Der Freundliche der beiden öffnet zuerst seinen Mund. Ich schätze ihn etwa so um die dreißig. Der andere. Der, der unverschämt seinen Blick über unsere Wohnung schweifen lässt, bringt nicht einmal ein Hallo über seine Lippen. Als würde er nicht einmal bemerken, dass ich hier vor ihnen stehe.
„Er ist nicht da.“
Etwas zu kühl bringe ich die Worte über meine Lippen. Aber ich kann nicht anders. Denn die Anwesenheit der beiden macht mich nervös. Was wollen sie von Tobias?
„Wir müssen wirklich dringend mit ihm sprechen.“
„Die Polizei hat ihn doch schon im Krankenhaus befragt.“
„Das wissen wir. Aber es sind noch einige Fragen aufgekommen, die wir gerne überprüfen wollen. Dazu hätten wir Mister Lloyd gerne befragt. Er könnte uns vielleicht bei dieser Sache weiterhelfen.“
„Tja. Es tut mir leid. Aber es ändert nichts an der Tatsache, dass er gerade nicht da ist.“
Jetzt scheint auch der andere seinen Blick auf mich zu richten. Seine trüben blauen Augen betrachten mich, als wäre ich nur ein kleines Insekt, dass er jeden Moment mit seiner Handfläche zerdrücken könnte. Bei diesem Blick legt sich eine Kälte über meinen Körper und ich beginne zu frösteln.
„Es tut mir leid für die Störung Miss Benson. Wenn, sie bitte so nett wären und ihm diese Karte geben könnten. Er soll mich einfach anrufen und dann werden wir uns einen Termin vereinbaren.“
Ein freundliches Lächeln legt sich auf seine Züge und seine braunen Augen betrachten mich, für meinen Geschmack, einen Moment zu lange. Ich greife nach dem Kärtchen, dass er mir entgegenhält, bevor ich die Tür wieder schließen will. Doch der mit den trüben blauen Augen hält seine Handfläche dagegen. Sodass ich der Höflichkeit wegen, nochmals öffne.
„Ich wünsche ihnen einen schönen Tag, Miss Benson.“
Die Kälte und Hinterlistigkeit in seiner Stimme sind kaum zu überhören. Er will mir Angst einjagen und das hat er definitiv geschafft. Ich bin mir sicher, dass die beiden nichts über den Unfall im generellen wissen wollen. Ich habe das komische Gefühl, dass mehr hinter ihrem Besuch steckt.
„Danke. Auf Wiedersehen.“
Endlich fällt die Tür ins Schloss. Sofort verschließe ich sie nochmals. Zu groß ist gerade die Panik, dass die beiden etwas im Schilde führen.
Panisch laufe ich zu meinem Telefon und wähle Tobias’s Nummer. Ich versuche es mehrmals. Doch er geht nicht ran. Die Panik und die Angst, dass ihm etwas zugestoßen sein könnte, schnürt mir erneut die Luft zum Atmen ab.
Gerade als ich meine Schuhe anziehen will, um nach ihm zu suchen, höre ich draußen erneut Stimmen. Panisch öffne ich die Tür. Nur um daraufhin Tobias in seinem verschwitzen Shirt, mit einer fremden jungen Frau sprechen zu sehen. Er lächelt, als er mit ihr spricht. Bis er mich bemerkt und sein Blick sich in eine Art Schockstarre verwandelt.
Dieser Blick ist es auch, der mich ein Gefühl von Eifersucht spüren lässt. Er fühlt sich schuldig? Was habe ich verpasst? Ich kenne diese Frau nicht. Alles was ich von ihr sehen kann, als sie mich ebenso freundlich anlächelt, ist, dass sie wunderschön ist. Was mir nochmals einen Stich in mein Herz versetzt. Ihre langen blonden Haare und die strahlend blauen Augen lassen sie aussehen, als wäre sie aus einem Modemagazin entsprungen.
Tobias hat nun wieder zurückgefunden zu einem Lächeln, als er sich bei ihr verabschiedet und auf mich zukommt. Ich versuche wirklich meine Eifersucht zu verstecken. Aber es scheint nicht zu funktionieren. Denn sein Blick wirkt verärgert, als er auf mich zukommt. Fast so, als würde ich etwas falsch gemacht haben. Was mich auf eine Art und Weise wütend macht.
„Wer war das?“
Die Frage kommt einfach über meine Lippen. Ich weiß, dass es nicht noch eifersüchtiger klingen hätte können, aber ich konnte nicht anders. Meine Neugier ist einfach zu groß. Doch bevor er mir antwortet, umgreifen seine Finger mein Handgelenk. Er zieht mich ins Haus und lässt die Tür hinter uns ins Schloss fallen.
„Ich habe sie gerade getroffen. Dort, wo wir gestern Nacht waren. Ich musste nochmals dorthin. Doch heute war alles weg. Der Krater. Das Ding in der Mitte. Alles ist weg. Als wäre dort nie etwas gewesen. Und dann habe ich sie gesehen. Sie weiß etwas über diese Sache. Sie weiß, was mit mir passiert. Sie kann mir weiterhelfen. Sie hat mir ihre Hilfe angeboten.“
„Du kannst nicht einfach irgendeiner Fremden vertrauen. Was denkst du dir nur dabei?“
Wut macht sich in meinem Körper breit. Ich balle meine Hände zu Fäusten. Wie konnte er nur dorthin zurück, ohne mir ein Wort zu sagen?
„Ich vertraue ihr nicht. Aber ich will wissen was mit mir passiert und sie ist die einzige Chance, die ich habe.“
„Und du bist dir sicher, dass sie dir nur helfen will? Was ist, wenn sie etwas im Schilde führt?“
„Ich brauche Hilfe und du wirst mir in dieser Sache nicht helfen können.“
Verdammt. Das hat gesessen. Ein brennender Schmerz in meinem Herz beweist es. Dies war das Gefühl, dass ich hatte. Dass, es diese Sache schaffen könnte uns zu entzweien. Tränen laufen über meine Wange und Tobias scheint nun zu bemerken, dass er mit diesen Worten genau ins Schwarze getroffen hat. Ich kann ihm nicht helfen. Das Schlimme daran ist, dass ich es selbst weiß. Ich verstehe nichts von dem, was mit ihm passiert. Jetzt tanzt auch noch eine Fremde auf und drängt sich zwischen uns. Als hätten wir nicht schon genug durchgemacht.
„Marie. Es tut mir leid. Okay. So war das nicht gemeint.“
Er will nach meinem Arm greifen, als ich mich umdrehe. Doch ich lasse ihn nicht. Ich kann jetzt nicht.
„Während du mit deiner Freundin weg warst, waren zwei Typen bei uns und haben sich als Officers vorgestellt. Sie wollten dringend mit dir sprechen. Hier.“
Ich werfe ihm die Karte vor seine Füße und mache mich auf den Weg in die Küche, wo noch immer die angefangenen Sachen herumstehen. Da mir jetzt der Appetit vergangen ist, räume ich alles wieder zurück in die Küchenschränke. Nach wenigen Minuten folgt er mir in die Küche und stellt sich vor mich, als ich die Milch in den Kühlschrank zurückstellen will. Ich hasse es, wenn er so etwas macht. Wenn ich auf ihn böse sein will und er es einfach schafft, mich aus der Reserve zu locken. So wie er es jetzt gerade macht. Er bleibt einfach stehen und lässt mich nicht vorbei. Sein Blick ruht auf meinem Gesicht. Ich weiß, was er macht. Er versucht mich dazu zu bringen, ihn anzusehen. Denn jedes Mal, wenn ich in seine Augen blicke, vergesse ich, weswegen ich eigentlich auf ihn wütend bin. Doch ich versuche dieses Mal hart zu bleiben. Seine Worte haben geschmerzt. Sie haben mir einen Stich verpasst, denn ich nicht einfach so wegstecken kann.
„Es tut mir wirklich leid Marie. Ich habe es nicht so gemeint. Ich weiß, dass du mir helfen kannst und mir helfen wirst. Aber sie kann mir etwas über dieses andere Zeug sagen. Sie weiß etwas darüber. Du hast keine Ahnung, wie es ist, wenn du jedes Mal Angst haben musst, dass du jemanden verletzt. Mit etwas, über dass du keine Kontrolle hast. Ich habe Angst, dass ich dir etwas antun könnte. Es macht mir eine scheiß Angst.“
Na toll. Jetzt hat er es doch geschafft, dass ich in seine Augen blicke. Sofort verschwindet die Wut. Sie löst sich auf, als wäre sie nie dagewesen.
„Nicht nur dir. Ich habe auch Angst. Ich will dich nicht verlieren.“
„Also haben wir beide Angst. Das heißt wir müssen zusammenhalten. Wir sind die Angst-Gang.“
Jetzt hat er mich endgültig. Ein Lächeln stiehlt sich auf meine Lippen und er zieht mich mit seinen Armen, an seine Brust. Erleichtert schließe ich meine Augen und genieße diesen Moment. Denn es ist einer dieser Momente, an die man zurückdenken kann, wenn etwas Schlimmes uns wieder aus der Bahn zu werfen droht.
Nach einigen Sekunden flüstert er in mein Ohr.
„Marie. Du weißt doch, dass das vorhin keine echten Officers waren? Sie wissen etwas. Savannah hat gesagt, dass sie kommen würden und ich mich vor ihnen in Acht nehmen sollte.“
Dieser Name zerstört diesen Moment. Ich löse mich von ihm und blicke enttäuscht in seine Augen. Ich nicke, bevor ich ihm antworte.
„Ich hatte schon eine Vermutung. Was hat diese Savannah denn noch alles erzählt?“
Ich kann meine Abscheu bei diesem Namen nicht wirklich verbergen.
„Ich weiß, dass du nicht einverstanden bist und denkst, ich sollte ihr nicht vertrauen. Was ich auch nicht tue. Aber sie ist meine einzige Chance zu erfahren, was mit mir los ist. Also versuch einfach mir zu vertrauen. Ich werde dich niemals im Stich lassen. Das verspreche ich