TOBIAS
Wieder einer dieser Träume, die mich aus dem Schlaf reißen. Jedes Mal fühlt es sich an, als wären sie mehr als nur Träume. Als wären sie tatsächlich passiert. Als wären es Erinnerungen, die sich den Weg zu meinem Verstand zurück bahnen. Sich langsam aber sicher in meinem Kopf einnisten und mich gleichzeitig zur Verzweiflung treiben.
Dieses Mal waren es Bilder von einem alten Ägypten. Von Leuten mit weißen Gewändern, die um mich herumgeschlichen sind, wie Schlangen, die sich gleich auf ihre Beute stürzen wollen. Doch ich habe sie einfach mit einer Handbewegung von mir gescheucht. Besser gesagt sind sie in ihre Einzelteile zerfallen. Dieser Anblick hat mich wohl auch schweißnass aufwachen lassen.
Ich werfe einen Blick zu Marie, die noch immer tief und fest schläft. Ich bin froh darüber ihr jetzt nicht in die Augen blicken zu müssen. Denn, auch eine Frau hat eine Rolle gespielt in meinen Träumen. Nicht irgendeine Frau. Es war Savannah. Unsere Körper umschlungen und vereint. Auch, wenn ich mich dermaßen schlecht dabei fühle, kann ich meinem Schwanz nicht befehlen, sich zu beruhigen, bei diesen Erinnerungen. Wieso? Diese Frage stelle ich mir immer wieder. Wieso ich?
Noch immer verwirrt bewege ich mich langsam aus dem Bett und kann nicht anders, als ihre Nummer zu wählen. Savannah. Ich habe sie gestern bei diesem Krater gefunden und sie hat mich angestarrt, als würden wir uns kennen. Ich tat so, als würde ich mich verlaufen haben. Doch sie hat mich aufgehalten. Gesagt, dass sie wüsste was mit mir passiert. Das ich ihr vertrauen kann. Und auch wenn ich mir immer wieder in meinem Kopf einrede, dass ich ihr nicht vertrauen kann, so ist da diese Anziehung. Etwas, dass ich nicht erklären kann. Bei dem ich ein schlechtes Gewissen gegenüber Marie bekomme. Aber ich kann es nicht ändern.
Ich konnte es auch nicht ändern, dass ich wütend auf Marie war, als sie mich und Savannah bei unserem Gespräch unterbrochen hat. Gerade wollte sie mir sagen, was ich so dringend wissen wollte. Dann habe ich Marie`s Blick gesehen und habe das Erste Mal kein Mitgefühl für sie übrig gehabt. Und jetzt? Jetzt wähle ich gerade die Nummer von Savannah, die sie mir zugesteckt hat. Sie sagte, ich solle mich melden, wenn ich mehr erfahren will.
Nach nur einmal läuten höre ich ein leises „Hi“. Ich kann dabei nicht anders, als mir ihre Lippen vorzustellen, wie sie sich um meinen Schwanz geschlossen haben. Fuck. Tobias reiß dich zusammen. Du bist nicht so. Ich verfluche mich dafür, dass ich etwas bei ihrem Anblick fühle, dass ich nicht fühlen sollte. Ich sollte es einzig und alleine für Marie fühlen. Doch nun höre ich ihre Stimme und kann nicht anders, als Marie zu verdrängen.
„Hi. Ich weiß es ist mitten in der Nacht. Aber ich habe so viele Fragen und ich brauche dringend eine Antwort.“
„Ich bin in einer halben Stunde dort, wo wir uns gestern getroffen haben.“
„Okay.“
Irgend ein kranker Teil von mir freut sich darauf sie zu sehen. Also mache ich mich fertig. Ich überlege, ob ich Marie eine Nachricht schreiben soll, aber sie schläft so gut und wird sicherlich nicht aufwachen. Und so mache ich mich, ohne etwas zu hinterlassen auf dem Weg zu der Stelle, wo der Krater war.
Zwanzig Minuten später bin ich dort. Ich bin gelaufen. Es hat mir gutgetan zu laufen. Es macht meinen Kopf frei und das ist in den letzten Tagen wirklich ein Wunder. Savannah ist noch nicht da. Also setze ich mich vor einen Baum, lehne meinen Rücken daran und schließe meine Augen für einen Moment. Bis ich ein „Hi“ höre und in Savannah`s strahlend blaue Augen blicke, die mich so sehr faszinieren. Ein Lächeln legt sich auf ihre Lippen und mein Blick bleibt für einige Sekunden zu lange darauf hängen. Sie scheint es zu bemerken und ihre Wangen erröten sich. Wieder höre ich die Stimme in meinem Kopf, dass ich nicht so denken darf. Das Marie zu Hause auf mich wartet. Doch diese Stimme wird in Savannah`s Gegenwart stetig leiser und verstummt nach wenigen Sekunden nun vollkommen, als sie sich neben mich setzt. Ihr Oberschenkel streift den meinen und ihre Finger am kalten Waldboden berühren flüchtig die meinen. Dabei taucht plötzlich ein Bild vor meinen Augen auf. Sie vor mir. Nackt. Ihre straffen Brüste vor meinen Augen, deren Nippel mich erwarten zu scheinen. Meine Hände auf ihren Hüften und ihre blauen Augen, die in meine blicken, als hätte sie die volle Kontrolle über mich und meinen Körper. Was sie wohl auch hat. Denn als meine Gedanken wieder zum hier und jetzt zurückfinden, kann ich meinen Schwanz kaum noch unter Kontrolle halten. Ein verlegenes Räuspern kommt über meine Lippen, um nicht doch noch über sie herzufallen. Schnell bewege ich meine Finger von ihren weg und auch meinen Oberschenkel. Da ich befürchte, ihre Berührungen würden mich zu etwas treiben, dass ich Marie nicht antun kann.
„Bitte sag, dass du dich erinnerst?“
Vollkommen perplex blicke ich in ihre Augen und erkenne darin etwas Silbernes. Ein Teil von ihnen schimmert genauso silbern wie die meinen, wenn ich mich nicht unter Kontrolle habe.
„Was bist du? Was bin ich?“
Ein verlegenes Lächeln legt sich auf ihre vollen Lippen und ihre langen blonden Haare lassen sie aussehen, als würde sie von einem Licht umgeben sein.
„Wir sind auf eine gewisse Art und Weise gleich. Wir sind die Kinder von Dämonen oder Engeln.“
„Willst du mich verarschen? Du kannst mir vieles erzählen. Aber das würde ich dir nicht einmal abkaufen, wenn ich zwei Flaschen Wodka intus hätte.“
Ein trauriger Ausdruck legt sich auf ihre Züge bevor sie mir ruhig und mit fester Stimme antwortet.
„Du könntest in deinem Zustand hunderte Wodkaflaschen intus haben und würdest keine Veränderung spüren. Ich zeige es dir.“
Ihre Finger umgreifen mein Handgelenk. Sie bewegt meine Hand so, dass meine Handfläche nach oben zeigt. Ich habe keine Ahnung was sie vorhat, aber ich lasse es über mich ergehen. Versuche mich darauf einzulassen. Auch, wenn ich eigentlich keinem vertrauen sollte.
Sie greift nach einem der Steine, die neben uns am Boden verteilt liegen.
„Bitte erschreck dich nicht. Ich will dir nur etwas zeigen.“
Etwas verunsichert nicke ich und lasse sie den Stein in meine Handfläche drücken. Zuerst glaube ich, Schmerzen zu spüren. Doch ich spüre nichts. Vielleicht weil sie ihn nicht weit genug in mein Fleisch gedrückt hat? Doch ich spüre die Kraft, die sich gegen meine Haut drückt. Als sich dann doch Blut in meiner Handfläche sammelt, nimmt sie den Stein weg und lässt ihn wieder zu Boden fallen. Verwirrt blicke ich auf meine Handfläche. Ihre weichen Fingerkuppen verteilen mein Blut auf meiner Hand. Noch immer spüre ich keinen Schmerz. Es ist, als wäre es einfach nur die Flüssigkeit und keine Wunde. Und plötzlich sehe ich etwas, dass mich erstarren lässt. Es wirkt so unwirklich, dass ich für einen Augenblick meine Lider schließe, um mich erneut darauf konzentrieren zu können. Doch, auch wenn ich gehofft habe, dass sich etwas ändert, so habe ich falsch gehofft. Denn die kleine Wunde, aus der mein Blut gekommen ist, hat sich wieder verschlossen. Sie ist einfach verheilt und würde nichts von der roten Flüssigkeit auf meiner Handfläche verteilt sein, würde ich glauben, dass sie mich ausgetrickst hat. Doch ich habe es gesehen. Habe gesehen, wie sich meine Haut innerhalb von Sekunden wieder verschlossen hat.
Ungläubig blicke ich in ihre blauen Augen, die mich nun betrachten, als würde sie mich wirklich kennen. Als wüsste sie über mich Bescheid. Sie versteht mich. In diesem Moment vergesse ich alles um mich herum. Es existiert nur noch sie für mich. Nur noch ihre Augen mit den silbernen Sprenkel darin. Ihre vollen, rosa Lippen.
Doch gerade als ich schwach werde und mich ihren Lippen nähere, höre ich ein Räuspern. Es ist aus Savannah`s Mund gekommen. Verlegen wendet sie den Blick von mir ab. Ich kann das Schuldgefühl, dass sich jetzt plötzlich in mir breit macht, mit voller Wucht spüren. Fast hätte ich Marie mit einer Fremden betrogen. Fast hätte ich vergessen, dass es Marie noch gibt. Fuck. Ich habe es vergessen.
„Wir sind die Töchter und Söhne von Dämonen oder Engel. Sie haben sich mit Menschen eingelassen und daraus sind wir entstanden. Halbdämonen oder Halbengel. Wobei die Ersteren nichts Gutes in sich haben. Halbdämonen wenden sich immer dem Bösen zu. Früher oder später werden sie von der Dunkelheit angezogen.“
Auch wenn es zu abgefuckt klingt, um es zu glauben, so lausche ich ihren Worten. Denn es weckt mein Interesse. Obwohl, ich mich noch immer dagegen wehren möchte. Doch ich kann mich auch nicht dagegen wehren, dass ich jetzt etwas in mir trage, dass mit menschlichem Verstand nicht zu erklären ist.
„Und, was bin ich?“
„Du bist der Sohn der ersten Frau. Du bist der Sohn von Eva.“
Ein hysterisches Lachen kommt über meine Lippen und ich kann meinen Sarkasmus bei den folgenden Worten nicht unterdrücken.
„Ach, dann ist mein Vater Adam. Oder ein Engel? Oder ein Dämon?“
Ein Teil von mir fühlt sich von ihr verarscht. Wie kann man sich nur so einen Scheiß ausdenken? Sie versteift sich bei meinen Worten und sofort tut es mir leid, obwohl es mir nicht leidtun sollte. Denn sie muss mich belügen. Wütend stehe ich auf und will mich auf den Weg nach Hause machen. Was sollte das hier noch bringen, wenn sie mir hier Lügen auftischt? Ich glaube ihr nicht. Ich kann ihr nicht glauben.
Doch als ich ihr den Rücken zukehre, höre ich diesen einen Namen aus ihrem Mund.
„Seth.“
Obwohl ich mich nicht angesprochen fühlen sollte, so erstarre ich bei diesem Namen, der über ihre Lippen kommt. So hat mich auch die Frau aus meinen Träumen genannt. Savannah habe ich nichts davon erzählt. Ich habe es bis jetzt für einen vollkommen verrückten Traum gehalten. Für ein Hirngespinst. Doch nun spricht sie diesen Namen voller Ehrfurcht aus. Ihre Lippen zittern und ihre Augen glänzen, als würde sie bei diesem Namen etwas empfinden.
Sie scheint meinen fragenden Blick lesen zu können und wiederholt diesen Namen, der wie ein sanfter Windhauch über ihre Lippen kommt. „Seth. Du bist Seth.“
Ich schüttle meinen Kopf und will damit verdrängen, dass ich bei diesem Namen etwas fühle. Das mir dieser Name ein angenehmes Gefühl bereitet.
„Wieso sollte ich Seth sein?“
„Weil du es bist. Du bist er. Du bist der dritte Sohn von Adam und Eva. Du bist der Bruder von Kain und Abel. Du bist einer der ersten Söhne.“
Wieder versuche ich diese Worte nicht ernst zu nehmen, doch irgendetwas daran interessiert mich. Irgendetwas daran, lässt mich umkehren. Vor Savannah halte ich an und blicke in ihre blauen Augen, die jetzt mit Trauer gefüllt zu sein scheinen.
„Erzähl mir, was deiner Meinung nach mit mir passiert ist. Erzähl mir alles, was du weißt und danach werde ich entscheiden, ob ich dir glaube oder nicht.“
Sie nickt und setzt sich wieder auf den Boden. Ich folge ihr und setze mich ihr gegenüber. Ich will ihr dabei in die Augen sehen. Will wissen, ob ich darin die Wahrheit erkennen kann.
„Adam und Eva waren die ersten Geschöpfe auf der Seite des Lichts, die von Gott erschaffen worden sind. Sie waren seine ersten Kinder. Doch sie waren nicht wie geglaubt Menschen. Sie waren Gottheiten. Sie waren die machtvollsten Engel. Du wurdest als ihr dritter Sohn geboren. Du hast lange unter den Menschen gelebt. Menschen, die Gott selbst erschaffen hat. Sie haben auch dich als Gottheit angebetet. Haben Opfer für dich gebracht. Du warst der Mächtigste von euch drei Brüder. Kain war so eifersüchtig auf dich. Er war immer schon aufbrausend. Doch in dieser Nacht war es zu viel. Du hast dich mit ihm gestritten. Er war so wütend. Die Blitze schlugen überall ein. Die Gewitterwolken donnerten über unseren Köpfen. Ich hatte solche Angst um dich. Ihr hättet euch gegenseitig umgebracht. Doch Abel ging dazwischen. Er wollte euch auseinanderbringen. Er war immer der Freundliche. Der Ruhige. Doch diese gute Tat war seine letzte. Kain hat ihn getötet. Du bist so schnell bei Abel gewesen, doch du konntest ihm nicht mehr helfen. Er tat in deinen Armen den letzten Atemzug. Du warst bei ihm und das ist dir zum Verhängnis geworden. Denn Adam ist aufgetaucht. Er hat dich gesehen. Hat ein Bild gesehen von einem verwüsteten Ort und dich mitten darin mit deinem toten Bruder auf den Armen. Du wolltest es ihm erklären. Wolltest Adam sagen, dass es ein Unfall war. Du hast mit keinem Wort Kain erwähnt. Du wolltest ihn nicht verraten und Adam wollte nichts anders glauben. Er wollte dich tot sehen. Schon in der Sekunde an dem er dieses Bild erblickte, hatte er sein Urteil gefällt. Er hat dich gejagt. Hat alles dafür getan, dich dorthin zu schicken, wo nun auch Abel war. Deine Mutter hingegen wollte nicht glauben, dass du Schuld an Abel`s Tod bist. Sie hat sich zwischen dich und Adam gestellt und für dich, ihr Leben hier auf dieser Erde aufgegeben. Nur so konntest du für Adam unsichtbar bleiben. Der Preis dafür war, dass du deine Erinnerungen an dieses Leben ebenso zurücklassen musstest wie deine Kräfte. Du wurdest immer wieder in ein menschliches Leben geboren. Tausende von Jahren hast du ein anderes Leben auf dieser Erde gelebt, ohne zu wissen, wer du wirklich bist. Doch ich weiß noch genau wer du bist.“
Ihre Augen blicken in die meinen und für einen Moment versuche ich diese Geschichte zu glauben. Versuche mich darauf einzulassen. Doch dann werde ich von diesen silbernen Sprenkel in ihren Augen fasziniert. Sie ziehen mich in einen Bann und wieder tauchen Bilder in meinen Kopf auf. Sie in meinen Armen. Sie an meiner Seite, als ich dem Tod ins Auge blickte. Sie war immer an meiner Seite. Immer.
Also tue ich das, was ich jetzt tue ohne zu Zögern. Ohne auch nur einen Gedanken an etwas anders zu verschwenden, als an Savannah. Sie ist es, die immer an meiner Seite war. Ich beuge mich vor und lasse meine Hand in ihren Nacken wandern. Ich ziehe sie an mich. Presse meine Lippen fest auf ihre. Ein Gefühl von Glück und Übermut legt sich über mich. Ihre Lippen zu spüren fühlt sich an, als würde ich von der besten Droge der Welt kosten.
Nicht einmal das Geräusch habe ich wahrgenommen, dass jetzt so plötzlich näher kommt und Savannah aus unserem Kuss hochschrecken lässt.
Und dann blicke ich in diese braunen Augen, die mich betrachten, als wäre ich die Enttäuschung in Person. Als hätte ich gerade mit diesem Augenblick ihr Leben zerstört.
Nur Sekunden darauf bricht es über mich herein. Zerstört mich im Inneren. Was habe ich nur getan? In diesem Moment zerbricht Marie`s Herz in tausende Stücke und es ist alleine meine Schuld. Ich habe ihr das angetan.