MARIE
Ich denke, dass mein Mund noch immer offen steht, während ich einen Blick auf den wahrhaftigen Luzifer werfe. Noch immer, kann ich nicht glauben, dass das hier wirklich passiert. Das ich mich in der Unterwelt befinde. In der Hölle. Nur die tiefe und dennoch angenehme Stimme von Luzifer reißt mich aus meiner Starre. Mit einem Lächeln, dass ich nicht definieren kann, kommt er auf mich zu und legt seinen Finger unter mein Kinn. Die Berührung löst etwas aus in mir, dass ich ebenso wenig beschreiben kann. Ein Gefühl von Angst gepaart mit Zuneigung. So, als würde ich ihn kennen. Als würde ich schon einmal in diese Augen geblickt habe. Er mustert mein Gesicht. Sein Lächeln wird breiter. Wissender. Ich habe das Gefühl, ich bin ihm völlig ausgeliefert, während er mich zu lesen versucht.
„Willkommen zurück.“
Dann zwinkert er mir zu. Vollkommen überfordert und mit der Frage, wieso er dieses Wort „Zurück“ verwendete hat, verharre ich auf der Stelle, während Luzifer sich nun Tobias zuwendet. Jetzt wird meine Frage beantwortet. Er hat Tobias damit angesprochen, obwohl er mir dabei zu gezwinkert hat. Meine Verwirrung scheint mir ins Gesicht geschrieben zu sein, den nun lächelt er mich erneut an. In diesem Moment wird die Frage in meinem Kopf immer lauter: Sind wir in Gefahr? Er ist das personifizierte Böse. Sein Name bedeutet Verrat. Sünde. Dunkelheit. Also warum fühle ich es nicht. Warum fühle ich nicht diese derartig verschlingende Angst, die mich einnimmt? Wieso fühle ich mich, als hätte ich ihn schon einmal gesehen? Als würde ich ihn kennen.
„Seth. Lange nicht mehr gesehen.“
Nun wendet er sich endgültig Tobias zu und dieser zuckt bei dem Namen Seth zusammen. So als würde er einen Schlag abbekommen haben. Dann bringt er durch zusammengepressten Lippen seinen richtigen Namen hervor. „Tobias.“
Wieder lächelt Luzifer. Wieder scheint er sich über uns zu amüsieren, bevor seine tiefe Stimme erneut von den Wänden widerhallt.
„Tobias, Seth? Macht es wirklich einen Unterschied?“
Ein leises „Ja“ kommt über seine Lippen, bevor Luzifer ihn traurig ansieht und dieses Mal wirkliches Mitgefühl zeigt, obwohl ich mir nicht sicher bin, ob dahinter nicht seine Schauspielkünste stecken.
„Okay. Dann eben Tobias. Doch früher oder später wirst du er sein und er du. Wenn du nicht so stur wärst, dann würde das Ganze schneller voran schreiten.“
„Woher weißt du es? Woher weißt du davon, dass ich nicht wirklich Seth bin?“
Nun scheint Luzifer die Freude nicht mehr verstecken zu können. Er wirkt hibbelig. Fast schon, als wäre er wirklich aufgeregt uns diese Information zu geben. Oder aber, er freut sich einfach nur, dass wir auf seine Information angewiesen sind.
„Tja...nichts entgeht mir. Einst waren wir Verbündete. Wir waren Freunde, Seth. Wir waren die Guten. Bevor ich diesem idiotischem System meines Vaters entkommen bin. Ich würde ja sagen Gott sei Dank...klingt aber irgendwie wirklich abgehoben. Irgendwann hast du ebenfalls begonnen, dich für die andere Möglichkeit zu interessieren. Du hast begonnen alles infrage zu stellen und dann hat dein Vater begonnen, dich zu jagen. Er wollte dich in Stücke reißen. Er nannte dich immer wieder einen gottverdammten Bastard. Also hat deine Mutter einen Pakt mit mir geschlossen. Ihr Leben, gegen das deine.“
Mein Mund klappt auf und auch an Tobias Blick erkenne ich Überraschung, doch schnell verschwindet diese wieder und wird von diesem undurchdringlichen Ausdruck abgelöst.
„Wo ist meine Mutter? Wieso hat sie diesen beschissenen Pakt abgeschlossen?“
Luzifer räuspert sich und scheint übertrieben zu überlegen, als er sich auf den steinernen thronartigen Sessel zubewegt und darauf Platz nimmt. Er streckt seine Füße aus und legt seine Hände auf die breiten Armlehnen, dann blickt er mich und Tobias abwechselnd an, bevor er weiterspricht.
„Entweder ist sie tot der wieder zurück auf der Erde. Sie konnte dich nur auf diese Weise beschützen. Sie hat ihre...und deine Kräfte in mit ihrer Seele gebündelt, so dass deine Kräfte dich nicht verraten können. Adam hätte dich aufgespürt. Er hätte dich immer und überall gefunden. Es wundert mich, dass er dich noch nicht gefunden hat...aber ich schätze mal, er hat ebenso, wie alle anderen geglaubt du wärst in der Dunkelheit, von uns gegangen...hättest ins Gras gebissen, bist unter der Erde, hast das zeitliche gesegnet, bla...bla...bla....“
Irgendwie kommt mir Luzifer ganz schön verwirrt und eigenartig vor und ich kann nicht anders, als bei seiner Art zu Reden und sich zu bewegen an diesen Jack Sparrow zu denken, der mir plötzlich in den Sinn kommt. Bei diesem Gedanken kann ich einen meiner Mundwinkel nicht mehr unter Kontrolle halten und ernte dafür ein wissendes Grinsen von Luzifer und einen verärgerten Blick von Tobias, der zwischen mir und Luzifer hin- und herblickt, als würde er nach etwas suchen. Er hat sich jedoch wieder schnell gefangen und blickt wieder auf Luzifer, jedoch nicht, ohne, dass er sich mit seinem breiten Rücken vor mich stellt. Als würde er mir verbieten Luzifer anzusehen. Verärgert mache ich einen Schritt zur Seite und nehme nun all meinen Mut zusammen, um eine Frage über meine Lippen zu bringen, die ich schon lange Zeit in meinen Kopf habe.
„Wie kann er sich mit Seth vereinen? Wie kann er sich erinnern?“
„Zwei Fragen, und doch kann ich darauf nur eine Antwort geben...der Pakt gehört gebrochen. Die Vereinbarung zerstört.“
Luzifer's Blick hat sich nun verändert. Dunkelheit ist in seinen Augen zu erkennen. Verschwunden ist diese lockere Art. Verschwunden sein Lächeln. Nur noch Dunkelheit herrscht in seinen Augen, bevor Tobias mit tiefer Stimme ein „Wie?“ über seine Lippen bringt.
Luzifer wendet seinen Blick ab. Blickt auf eine der Steinsäulen, die sich um uns herum befinden, bevor er sich von dem Stuhl erhebt und auf eine der Säulen zugeht. Erst nach gefühlten Minuten des Schweigens spricht er wieder. Dieses Mal tiefer. Dunkler. Gereizter.
„Ich bin Luzifer und ich habe noch niemals einen Pakt wieder rückgängig gemacht. Noch nie habe ich eine Vereinbarung gelöst. Diese Vereinbarungen sind für immer. Beständig. Endgültig.“
Verärgert schüttelt er seinen Kopf und ich kann nicht anders, als meine Muskeln vor Angst anzuspannen und meinen Atem flach zu halten. Doch dann, nicht einmal eine Sekunde später wirkt er wie ausgewechselt. Als würde er wieder eine Rolle spielen. Langsam aber doch, glaube ich, dass er der Böse ist, der überall beschrieben wird. Der gefallene Engel, der nicht ohne Grund gefallen ist.
„Aber...ich denke, diese Situation ist eine Ausnahmesituation. Etwas, dass nicht noch einmal passieren sollte. Deswegen werde ich euch, dir, helfen. Ich werde dir helfen die Vereinbarung zu lösen.“
Tobias scheint ebenfalls die Anspannung gespürt zu haben, denn nun lässt er seine Schultern wieder sinken und scheint sich wieder etwas zu entspannen und ein erneutes „Wie?“ kommt aus seinem Mund.
„Dieser Pakt...diese Vereinbarung war eine der aufwendigsten Sachen, die ich jemals gemacht habe. Sie bedurfte mehreren Faktoren... Zutaten. Es war schwierig die geeigneten zu finden. Sehr schwierig sogar. Nur im letzten Moment hat mein Vorgänger diese letzte Zutat zur Verfügung gestellt und mir gleichzeitig damit einen Gefallen getan.“
Ein boshaftes Grinsen legt sich auf Luzifers Züge, bevor er weiterspricht.
„Ich werde dafür sorgen, dass die Vereinbarung rückgängig gemacht wird, doch dafür muss mein Vorgänger nun endgültig mit seinem Leben bezahlen. Er hat sein Blut und seine Kräfte für dein Leben geopfert, obwohl er es nicht wusste. Er hat es einfach getan, dieser Idiot. Und nur du kannst ihn töten. Du kannst sein Leben auslöschen und dafür deine Erinnerungen und deine Kräfte zurückerhalten. Mit seinem Tod stirbt die Vereinbarung.“
Für einen Augenblick herrscht erneut Stille, bevor ich von Tobias einen lauten Atemzug wahrnehme und er daraufhin mit tiefer Stimme spricht.
„Wo ist er und wie kann ich ihn töten?“
Ein siegessicheres Grinsen legt sich auf Luzifers Züge und schon scheint seine volle Aufmerksamkeit auf Tobias gerichtet zu sein.
„Also, ich könnte, wenn ich möchte, versuchen dich dorthin zu teleportierten. Doch deine einzigartige Begleiterin würde bei mir bleiben müssen.“ Nun zwinkert er mir zu und Tobias scheint diese Geste auf keinen Fall angenehm zu sein, denn er beginnt seinen Kopf zu schütteln und ein aufgebrachtes, wirklich ernstes „Sie bleibt bei mir“ über seine Lippen zu bringen.
„Dann, müsst ihr euch wohl oder übel selbst auf den Weg dorthin machen. Ich werde dir den Ort zeigen.“
Dann macht Luzifer einen Schritt auf Tobias zu und legt einen seiner Finger auf seine Schläfe. Tobias will zurückweichen, doch es ist zu spät, denn was auch immer Luzifer mit ihm macht, lässt ihn für einen Moment verkrampfen. Seine Finger schließen sich zu einer Faust und die Sehnen an seinen Unterarmen treten hervor. Ich will ihm zu Hilfe eilen, doch schon ist diese bizarre Situation schon wieder vorbei und Tobias's Finger öffnen sich und die Sehnen unter seiner Haut verschwinden langsam wieder. Dann dreht er sich zu mir und sein Blick trifft mich mitten ins Herz. Etwas verbirgt sich hinter seinen Augen. Etwas, dass ich nicht deuten kann. Zuneigung oder doch Hass? Dann kommt er auf mich zu und will nach meiner Hand greifen, doch Luzifer legt eine Hand an seine Schulter und hält ihn damit zurück.
„Bevor ihr wieder verschwindet, möchte ich mich gerne noch von diesen Augen verabschieden.“
Widerwillig scheint Tobias anzuhalten und wendet dann dennoch seinen Blick von mir ab, während Luzifer auf mich zukommt und seine Hand plötzlich an meine Wange wandert. Seine Augen blicken in die meinen und ich bin wie erstarrt, obwohl ich doch eigentlich zurückweichen will. Als er dann noch näher kommt, kann ich meine Panik nicht mehr zurückhalten und dennoch kann ich mich nicht bewegen. Sein Atem streift die Haut an meiner Wange und auch wenn ich gedacht hätte, dass er mich jetzt auf meine Wange küsst, legt er seine Lippen an mein Ohr und flüstert ein „Sollte er dabei draufgehen, dann rufe mich. Ich werde dich beschützen und dafür sorgen, dass du meinen Namen über deine Lippen stöhnst, als wäre es dein Ende, obwohl es unser Anfang ist.“ Vollkommen perplex lässt er von mir ab und presst seine Lippen auf meinen Mund. Noch immer kann ich mich nicht bewegen. Es ist, als hätte er die volle Kontrolle über meinen Körper. Als würde er dafür sorgen, dass ich ihm gehorche. Ich will mich von seinen Lippen befreiten. Von seiner Berührung. Doch ich habe wohl nicht damit gerechnet, dass es jemand anderen ebenfalls nicht passen könnte, dass Luzifer seine Hände an mich legt. Denn ohne es geahnt zu haben, wird Luzifer von mir geschleudert. Als wäre er ein Nichts. Mit einem Krachen wird er an eine der Säulen geschleudert. Tobias nimmt meine Hand und zieht mich an sich. Erbarmungslos und mit einem harten Schlag stoße ich an seine Brust, als er mich noch enger an sich zieht. Seine Stimme ist so tief. So angsteinflößend.
„Wir gehen und es ist mir scheißegal, ob du Luzifer, Gott oder sonst jemand bist, du fasst sie nie wieder an. Hast du mich verstanden?“
Sein Blick wirkt so dunkel und die silbernen Sprenkel darin haben sich ausgebreitet. Selbst ich habe Angst bei diesem Blick. Doch Luzifer beginnt lautstark zu lachen. So als würde hier gerade etwas wirklich Witziges passiert sein. Dann steht er auf und klopft sich etwas Staub von seiner dunklen Kleidung.
„Wusste ich es doch.“ Sein Lächeln verstummt und er hebt seine Hand in die Luft, seine Finger so als würde er schnipsen wollen, bevor er noch ein „Viel Glück euch zwei“ über seine Lippen bringt und er dann doch endgültig seine Finger schnipsen lässt und ich das plötzliche Gefühl habe zu ersticken. Ich presse meine Lider fest aufeinander und versuche diese Panik zu verdrängen, doch als ich sie wieder öffne, blicke ich nicht mehr auf Luzifer. Ich blicke auf eine Säule. Die Säule, die uns vorhin an diesen Ort gebracht hat.
Wir sind wieder zurück. Zurück in Rom. Zurück in Sicherheit. Die plötzliche Erkenntnis darüber, dass wir wirklich gerade in der Hölle waren und ich tatsächlich Luzifer getroffen habe, bringt mich ins Schwanken. Doch Tobias's Hände halten mich. Noch immer bin ich an seine breite Brust gepresst. Spüre seinen Herzschlag unter meinen Fingern. Für einen Moment spüre ich Ruhe. Frieden. Doch dann spüre ich Schmerz. Sehnsucht. Eine kleine Träne bahnt sich den Weg aus meinem Augenwinkel und ich beginne zu heulen. Denn meine Gedanken sind plötzlich bei Alina. Ich vermisse sie. Ich muss wissen, wie es ihr geht. Dann spüre ich Tobias's Finger, wie sie über meinen Kopf streicheln und er in mein Ohr flüstert, das alles wieder in Ordnung ist. Doch es ist nicht alles in Ordnung und so bringe ich ein gequältes „Ich muss Alina sehen.“ über meine Lippen.
„Ich weiß, dass es ihr gut geht. Ich verspreche dir, sobald wir diesen Baal ausfindig gemacht haben, wirst du sie wieder sehen. Ich werde Kontakt zu Rema aufnehmen.“
Ich nicke und presse mein Gesicht noch fester an seine Brust. Schließe meine Arme um seine Hüfte und nehme mir von seinem Trost, den er in diesem Augenblick bereit ist zu spenden. Denn, ich weiß nicht wie lange er es zulässt, bevor die Dunkelheit sich wieder über ihn legt. Irgendwann, als ich mich wieder etwas beruhigt habe und versuche, daran zu glauben, dass es Alina gut geht, bringe ich ein „Wer ist Baal?“ über meine Lippen.
„Er ist der Gott, der die Hölle erschaffen hat.“