MARIE
Immer noch, höre ich Tobias`s Worte in meinem Kopf: Der Gott, der die Hölle erschaffen hat. Wie soll ich damit klarkommen? Wie bin ich mit dem klar gekommen, was bis jetzt passiert ist? Dass meine Tochter nicht menschlich ist? Komme ich denn eigentlich klar, oder hoffe ich noch immer darauf, endlich aufzuwachen und in mein normales Leben zurückkehren zu können?
„Marie. Du musst dich beeilen. Er wartet nicht auf uns.“
Tobias tiefe Stimme reißt mich aus meinen Gedanken und lässt mich meine Füße schneller bewegen. Wir sind schon seit Stunden unterwegs. Gleich nachdem wir der Hölle entkommen sind, sind wir auf das Motorrad gestiegen und Tobias ist wie ein Verrückter die Straßen entlang gerast. Ich weiß nicht wie lange oder in welche Richtung er gefahren ist. Ich weiß nur, dass ich gerade versuche, seinen schnellen Schritten standhalten zu können. Denn, nach den Stunden am Motorrad haben wir endlich angehalten. Und nun versuche ich mit meinem geschwächtem Körper hinter ihm, durch leere Hallen zu laufen. Wäre er nicht dabei, dann würde ich wirklich Angst bekommen, denn die Hallen sind leer, riesig und dunkel, obwohl draußen bereits die Dämmerung eingesetzt hat. Überall liegt Dreck und knirscht unter den Sohlen unserer Schuhe. Auch, wenn ich Tobias gefragt habe, was wir hier machen und er geantwortet hat, dass wir nach Wisconsin müssen, bin ich mir nicht sicher, was wir wirklich hier machen.
Doch nach einer weiteren großen Stahltür höre ich plötzlich ein lautes Brummen und erstarre, als ich auf ein Flugzeug blicke, das durch das Licht der Dämmerung beleuchtet wird. Mein Mund steht offen und meine Gedanken kreisen um das, was hier gerade vor geht. Langsam aber doch wird mir klar, dass wir mit großer Wahrscheinlichkeit in dieses, älter-wirkende Flugzeug steigen werden. Irgendetwas in mir sträubt sich dagegen. Ich habe Angst. Doch eine tiefe Stimme und eine sanfte Berührung an meinem Handgelenk reißen mich aus meiner Starre.
„Keine Angst. Jhonny ist der Beste.“
Ich folge zwar seinen Worten und auch ihm, doch die Angst ist noch immer da.
Kurz, bevor wir bei der Maschine angelangt ist, ruft eine Männerstimme Tobias`s Namen. Seine Stimme hallt an den Wänden zu uns retour und übertönt sogar das laute Brummen.
„Hey Tobias. Gerade noch rechtzeitig. Beeilt euch.“
Ein älterer Mann mit langen schwarzen Haaren und kräftig gebauter Statur winkt uns zu sich und dann zu einer offenen Tür seitlich an der Maschine. Eine kleine schmächtige Treppe führt nach oben und er bedeutet uns rauf zu gehen. Meine Schritte sind zögerlich und die Angst, die ich davor habe, in dieses Flugzeug zu steigen, lässt mich an der vorletzten Stufe innehalten. Und, auch wenn das Brummen des Flugzeuges sehr laut ist, höre ich dennoch seine tiefe Stimme, als er hinter mir anhält und mich mit einem Lächeln ansieht.
„Hey Schätzchen. Ich mein es ernst. Ihr müsst euch echt beeilen, ansonsten schaffen wir es nicht ohne Probleme. Vertrau mir, ich bin der Beste.“
Nun zwinkert er mir zu und legt seine Hand auf meinen Rücken, um mich sanft nach oben zu schieben. Nach einer weiteren Sekunde tue ich, was er von mir verlangt hat und folge Tobias ins Innere des Flugzeuges, das nur spärlich mit ein paar abgenutzten Sitzen eingerichtet ist. Tobias setzt sich auf einen der abgewetzten, alten Ledersitze und dieser Jhonny schließt die Klappe, durch die wir gekommen sind. Er verschwindet durch eine kleine Tür, die in das Cockpit führt, wo so viele Instrumente und Anzeigen hervorblitzen, dass mir ganz schwindelig wird. Ich stehe hingegen noch immer herum und weiß nicht was ich machen soll.
„Schätzchen. Setz dich, sonst wirds ungemütlich für dich.“
Er blickt mich durch die Öffnung ins Cockpit an und zwinkert mir zu. Er hat sich eine Zigarre angesteckt und ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist. Doch bevor ich noch weiter darüber nachgrüble, zieht mich Tobias neben sich. Er zieht den Gurt um meine Taille und dabei streift sein Atem den meinen und lässt mich erschaudern, als sein Duft nach Wald und kühler Luft in meine Nase dringt. Einen stillen Moment lang, blickt er in meine Augen, bevor er diese Verbindung unterbricht und es sich in dem Stuhl bequem macht und aus dem Fenster blickt. Gerne würde ich mit ihm reden. Gerne würde ich die Stille unterbrechen. Doch als das Flugzeug sich zu bewegen beginnt, erstarre ich. Ich bin noch nie geflogen. Oder doch? Wie bin ich nach Rom gekommen? Was hat er gemacht? Ich behalte die Frage in meinem Kopf, denn ich hoffe, dass er mir diese beantworten kann, wenn wir erst wieder in Sicherheit sind. Doch jetzt gerade versuche ich mich darauf zu konzentrieren, nicht vor Angst, das Atmen zu vergessen.
Das Flugzeug rollt nach draußen, wo bereits die Dämmerung alles in ein warmes Licht taucht und dann wird es immer schneller und mir immer übler. Alles in diesem Flugzeug wirkt alt und ich hoffe so sehr, dass wir wieder heil landen. Es beginnt zu rumpeln. Die anderen Sitze und die Gurte, die teilweise von der Decke hängen, machen dabei Geräusche, die sich alles andere als entspannend anhören. Angstschweiß bildet sich auf meiner Stirn. Und dann heben wir ab. Mein Magen verlässt die gewohnte Stelle in meinem Körper und hebt sich. Nur mit höchster Konzentration kann ich die Übelkeit besiegen und schließe dazu meine Augen. Doch dann spüre ich eine warme Hand auf meiner. Finger, die sich zwischen die meinen schieben. Und eine tiefe Stimme, die in mein Ohr flüstert. „Alles okay. Es ist alles okay.“
Die Berührung. Die Stimme. Seine Nähe. Alles beruhigt mich, obwohl ich es so gerne abstreiten möchte. Doch die Wirkung, die er auf mich hat, ist noch immer die, wie am ersten Tag, an dem ich ihm begegnet bin. Er rettet mich. Er zieht mich aus der Tiefe. Er fängt mich, wen ich falle. Wie sehr habe ich ihn vermisst. Habe mir bei Alina`s ersten Schritten vorgestellt er wäre da. Habe in meinem Herzen gehofft, dass es ihm gut geht. Und jetzt sitze ich hier. Neben ihm. Seine Hand in meiner. Doch sein Herz gehört nicht mir. Seine Liebe gehört nicht mir. Nur der Schmerz, ihn nicht mehr zu haben, der ist mein. Für immer. Eingebrannt in meine Seele.
Tränen bahnen sich erneut an. Ich versuche sie zu unterdrücken. Doch Eine dürfte sich aus meinem Augenwinkel befreit haben, denn ich spüre einen Finger von Tobias, der die geflohene Träne einfängt und verschwinden lässt. Dann höre ich erneut seine tiefe Stimme.
„Sieh mich an.“
Auch, wenn in seiner Stimme Sanftheit mitschwingt, so ist es ebenso ein Befehl. Ohne zu zögern tue ich, was er gesagt hat. Ich öffne meine Augen. Ich blicke in grün- graue Augen, die mich ansehen, als würden sie mir gehören. Als würde ich ihnen gehören. Doch ich tue es nicht. Er tut es nicht.
Er scheint meine Gedanken anhand meines Ausdrucks lesen zu können und drückt meine Hand noch einmal sanft, bevor er sich zurück auf seinen Sitz fallen lässt und aus dem Fenster blickt. Seine Finger jedoch umschließen noch immer meine. Halten mich und geben mir Ruhe. Einen Augenblick später folge ich seinem Blick aus dem Fenster und sehe ein Bild, das mein Herz berührt. Das so wunderschön ist. Die ersten Sonnenstrahlen kämpfen sich einen Weg in die Dunkelheit. Die Sonne taucht aus dem Nebelgehülltem Land auf, wie eine Göttin die emporsteigt und sich ihrer Wirkung vollkommen bewusst ist. Das Licht besiegt die Dunkelheit. Tag für Tag. Dieses Bild ist etwas, dass mich lächeln lässt. Das warme Orange und das helle Gelb, gemischt mit den Nebelschwaden ist so atemberaubend, dass ich meine Angst und meine Sorgen für eine Sekunde vergessen kann. Und so verharre ich die nächsten Stunden. Händchenhaltend mit dem Vater meiner Tochter und dennoch mit einem Fremden.
***
Irgendwann muss ich wohl so entspannt gewesen sein, dass ich tatsächlich eingeschlafen bin. Erst als mich Tobias weckt, indem er seine Fingerkuppen über meine Wange wandern lässt, öffne ich wieder meine Augen. Seine Stimme klingt müde.
„Wir landen gleich.“
„Wo?“
Zuerst schüttelt er seinen Kopf und ich glaube schon, dass er mir erneut die Antwort verheimlichen will. Doch dann beginnt er zu sprechen.
„Armenien.“
Vollkommen verwundert und überfordert starre ich ihn nur an und warte auf eine weitere Erklärung. Doch da kommt kein Wort über seine Lippen. Also, versuche ich wenigstens die eine brennende Frage zu stellen, auf deren Antwort ich schon so lange warte.
„Wie hast du mich nach Rom gebracht?“
Wieder macht er den Eindruck, dass er mir nicht antworten will. Aber irgendetwas scheint in seinem Kopf jetzt anders zu sein. Denn er antwortet mir.
„Durch ein Portal. Das Selbe, durch das wir jetzt gehen werden.“
„Wie?“
„Überall auf der Erde gibt es sogenannte Energiepunkte. Plätze, wo so viel Energie zusammenfließt, dass es sich entladen muss. An diesen Plätzen haben unsere Vorfahren Portale erschaffen. Sie verbinden all diese Energiepunkte miteinander. Gehst du in dieses Portal, kommst du an der anderen Seite, an einem anderen Platz auf der Erde wieder heraus. Alle Portale sind verbunden und du alleine mit deinen Gedanken entscheidest, wohin du gehst.“
Mit geöffnetem Mund starre ich ihn an und kann nicht anders, als meinen Kopf zu schütteln, weil ich es noch immer nicht wirklich glauben kann.
„Aber wie bin ich durch dieses Portal gekommen?“
Für einen kurzen Moment zucken seine Mundwinkel, bevor er wieder diese undurchdringbare Miene aufsetzt und weiterspricht.
„Ich habe dich schlafen lassen.“
„Wie?“
„Du hast ganz schön viele Fragen. Ich kann mit meinen Gedanken manche Dinge kontrollieren. Auch deinen Körper. Manches Mal.“
Jetzt ist es definitiv ein Lächeln, das auf seinen Lippen liegt, als er mich unverhohlen anstarrt. Fast schon muss ich auch lächeln, wäre da nicht dieser Gedanke, dass er mich mit einem einfachen Fingerschnippen in den Schlaf befördern kann.
„Hast du mich jetzt auch schlafen lassen? Warst das du?“
Belustigt schüttelt er seinen Kopf.
„Nein. Du warst einfach müde. Außerdem kostet es mich Kraft, wenn ich jemanden kontrolliere. Aber hätte ich dich nicht schlafen geschickt, dann wärst du bei irgendeinem Portal herausgekommen, nur nicht dort, wo ich hinwollte. Denn jeder kontrolliert seinen Weg selbst. Nur ein menschlicher Verstand könnte sich nicht exat auf einen Ort konzentrieren. Darum musste ich dich schlafen legen.“
Schon will ich darauf antworten, da reißt uns ein lauter Schrei aus dem Cockpit aus unserem Gespräch.
„Scheiße, Tobias. Ich kann nicht landen. Sie haben uns.“
Es ist Jhonny, der mir gerade mit seinen Worten Angst macht. Tobias springt von seinem Sitz und schiebt sich an mir vorbei, um ins Cockpit zu gehen. Für eine Weile bleibt er dort stehen und hält sich an dem Rahmen fest, der zum Cockpit führt. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit kehrt er mit ernstem Gesichtsausdruck zu mir zurück. Er hält mir seine Hand entgegen und bringt mich dazu, aufzustehen und seine Hand zu ergreifen. Ein panisches „Was ist los?“ kommt über meine Lippen, bevor er mich an sich zieht und ich nur wenige Zentimeter von seiner Brust enfernt bin.
„Sie haben uns am Radar. Wir können auf keinen Fall landen und Jhonny muss versuchen, so schnell wie möglich aus ihrem Luftraum zu verschwinden. Er lässt uns in der Nähe des Portals abspringen.“
Ein erschrockenes „Was?“ kommt über meine Lippen, bevor er mich zu beruhigen versucht.
„Keine Sorge. Wir schaffen das.“
Panisch beginne ich mich umzublicken.
„Bist du schon einmal mit dem Fallschirm aus einem Flugzeug gesprungen?“
Er belächelt meine Frage und das macht mich noch ängstlicher.
„Wer hat etwas von einem Fallschirm gesagt? Ich kenne jemanden den Flügel hat und dieser Jemand muss uns jetzt aus der Scheiße helfen.“
Bevor ich auch nur reagieren kann, ändert sich seine Augenfarbe und dieses dunkle, silber schimmernde kehrt zurück. Die Adern an seinem Hals treten hervor, so wie die an seinen Armen. Er lässt meine Hand los und seine Finger ballen sich zu Fäusten. Und dann ertönt diese tiefe Stimme, die meinen Körper vibrieren lässt.
„Marie. Lange nicht mehr gesehen.“
„Seth.“
Sein Lächeln verschwindet für einen Augenblick und er blickt sich um, als müsste er sich erst an die Umgebung gewöhnen. Was eine Frage in meinem Kopf aufwirft, ob er eigentlich alles, was Tobias wiederfährt ebenfalls mitbekommt, oder ob er in der Zeit, wo Tobias herrscht, vollkommen von der Bildfläche verschwunden ist.
„Es ist verschieden. Nicht immer bekomme ich alles mit.“
Er beginnt zu lächeln und ich realisiere es zu langsam. Fuck. Scheiße. Hat er eben auf meine Gedanken geanwortet?
„Ja, habe ich. Und was sind das für Wörter, die du da in den Mund nimmst?“
Ein verschmitztes Lächeln legt sich auf seine Züger, bevor er wieder zu mir blickt und ich ihn mit offenem Mund anstarre. Was wenn ich etwas Ffalsches denke? Er kann meine Gedanken lesen. Doch bevor ich mich noch weiter damit beschäftigen kann, unterbricht uns Jhonny vom Cockpit mit den Worten: „Leute. Es ist soweit. Ich bin jetzt soweit unten wie ich kann.“
Plötlich setzt sich etwas in Bewegung und mit einem lauten Knarren öffnet sich die Klappe neben uns. Luft dringt in den Raum ein und lässt alles wie in einem Wirbelsturm wirken. Die Gurte klirren, als sie immer wieder an der Wand des Flugzeuges anschlagen.
Seth stellt sich schützend vor mich und scheint nicht zu wissen, was hier vorgeht. In meinem Kopf herrscht nur der Gedanke, dass wir jetzt springen müssen und ich solche Angst davor habe. Und Seth scheint meine Gedanken hören zu können, denn er legt ein Lächeln auf seine Lippen und sucht mit seinen Augen meinen Blick. Er hält mir seine Hand entgegen. Ich zögere. Habe Angst. Doch er ergreift meine Hand und zieht mich an seine Brust. Dann höre ich erneut Jhonny`s Stimme. „Jetzt. Springt.“
Und dann geht alles so schnell. Seth lässt sich mit mir im Arm nach hinten fallen. Ins Nichts. Der Moment, indem ich den Boden unter meinen Füßen verliere und darauf ein Gefühl von Schwerelosigkeit spüre, lässt mich meinen Atem anhalten und meine Augen schließen. Wir werden sterben. Das schlimmste an diesem Gefühl ist, zu wissen, das ich jetzt noch ein paar Sekunden habe, in denen ich mir klar bin, dass ich am Ende dieser Sekunden sterben werde.
Ein starker Luftzug umhüllt meinen Körper. Lässt meine Haare im Wind flattern. Meine Füße heben sich. Unsere Körper drehen und winden sich. Meine Hände sind so fest um Seth`s Taille geschlungen, dass uns nicht einmal der harte Aufprall auseinanderreißen wird. Er und seine Hände, die mich ebenfalls umschließen, sind das Einzige Konstante.
Und dann. Dann plötzlich höre ich ein lautes Geräusch, so als wären wir bereits am Boden aufgekommen. Doch dann fühlt es sich plötzlich so an, als würden wir wieder nach oben fliegen. Als würde der Sturm um mich herum weniger werden. Als würde ich in Sicherheit sein. Also öffne ich vorsichtig meine Augen, in der Hoffnung, dass ich entweder einen schnellen Tod hatte oder wir bereits wieder Boden unter unseren Füßen haben. Obwohl es sich nicht so anfühlt.
Doch als ich meine Augen öffne, brauche ich einen Moment um zu realisieren, dass Seth`s riesige onyxfarbenen Flügel, dieses Geräusch verursachen. Geschmeidig und mit einer Leichtigkeit bewegen sie sich hinter seinem Körper. Schlagen stetig auf und ab. Dann blicke ich in Seth`s Augen, die mich belustigt und dennoch besorgt betrachten. Und dann mache ich den größten Fehler, den ich machen konnte. Ich blicke nach unten. Meine Hände krallen sich in Seth`s Rücken. Meine Beine schlingen sich um seine. Wir haben noch nicht einmal annähernd den Boden unter unseren Füßen erreicht. Wir schweben noch immer viele Meter über der Erde und panisch versuche ich meinen Blick wieder auf Seth`s Augen zu richten, die es trotz allem irgendwie schaffen, mich zu beruhigen.
„Keine Angst. Gleich hast du wieder diesen geliebten Boden unter deinen Füßen.“
Er lächelt und nur Sekunden später, spüre ich endlich, wie seine Flügel aufhören zu schlagen und wir mit einem sanften Ruck auf den Steinen unter uns ankommen. Doch ich halte mich noch immer an Seth fest, als würde mein Leben davon abhängen. Er hingegen kann sich wohl die Belustigung nicht länger zurückhalten.
„Es gefällt mir, wenn du so nahe bist.“
Er zwinkert mir zu und schon finde ich wieder in die Realität zurück. Schnell löse ich meine Umklammerung und berühre mit meinen Beinen den harten Steinboden unter mir. Der Untergrund ist uneben und ich komme bei einem Schritte zurück ins schwanken. Ich spüre bereits, wie ich den Boden erneut unter den Füßen verliere und beginne mit meinen Armen zu rudern, um irgendwie wieder das Gleichgewicht zu erlangen. Doch schon umschließen mich erneut kräftige Arme. Sie halten mich davon ab, zu fallen. Sein Atem streift meine Lippen und für einen Augenblick vergesse ich meinen Verstand. Ich verliere mich in der Dunkelheit seiner Augen. Verliere meinen Verstand. Mein Kopf wandert automatisch näher an seinen. Doch dann unterbricht er mich.
„Sie kommen. Wir müssen uns beeilen.“
Er packt mich an meinem Handgelenk und ich folge ihm perplex und vollkommen verwirrt. Was hätte ich da gerade gemacht? Ich hätte fast Seth geküsst. Dieses Mal wusste ich, dass er es ist. Seine Finger sind fest um mein Handgelenk geschloßen und erst jetzt nehme ich die Umgebung richtig wahr, während ich ihm schnellen Schrittes über die großen Gesteinsbrocken folge. Die Umgebung ist karg. Trocken. Überall Sand und große Felsen. Die kleinen Steinchen knirschen unter unseren Schuhen und ich schaffe es nur mit großer Mühe, Seth`s großen Schritten und Sprüngen zu folgen. Irgendwann, als ich vollkommen außer Atem und verschwitzt anhalte, weil ich es nicht länger schaffe, bringe ich keuchend ein „Wer kommt?“ über meine Lippen.
„Die Wächter. Sie beschützen die Portale. Doch manche sind bereits Sklaven der Gefallenen.“
Er blickt um sich und versucht sich auf etwas zu konzentrieren. Dann blickt er mich erneut an und beginnt wieder zu laufen. Ich hingegen schaffe es kaum noch, also hält er nochmals an und blickt auf mich herab.
„Wir sind gleich da. Du musst durchhalten.“
Sein Blick wirkt bittend aber auch drängend und ich weiß, ich muss jetzt meine Zähne zusammenbeissen und durchhalten. Also beginne ich erneut meine bereits müden Beine zu bewegen. Als ich dann ein grollendes Geräusch hinter mir höre, werde ich trotz der Schmerzen schneller. Ich habe das Gefühl, dass uns etwas verfolgt. Irgendetwas ist hinter uns und bei Seth`s panischen Blicken über seine Schulter, weiß ich, das mein Gefühl mich nicht täuscht, denn auch er beginnt schneller zu werden. Mittlerweile zieht er mich nur noch nach sich, bis wir plötzlich Halt machen und er sofort seine Arme um mich schließt. Mein Blick wandert zur Seite und dann erblicke ich es. Riesige Reißzähne. Violette Augen, die leuchten. Speichel, der von den Spitzen seiner Zähne tropft. Überall an seinem Körper sind Stacheln. Sein Körper ist von etwas schwarz glänzenden überzogen. So, als hätte sich dieses Ding in Pech gewälzt. Seine Pranken sind riesig und es sind mehr als vier. Es sind Sieben. Es ist so bizarr. Dann noch dieses laute Knurren, das mich erneut zusammenzucken lässt. Erschrocken blicke ich zu Seth, dessen Blick mir ebenfalls nichts Gutes sagt. Er wirkt tatsächlich so, als hätte er Respekt vor diesem Wesen. Und dann geschieht alles wieder so schnell. Das Wesen beginnt mit lautem Knurren auf uns zuzulaufen. Bei jedem seiner Schritte, erbebt die Erde unter unseren Füßen. Ich will zurückweichen, doch erst jetzt blicke ich hinter uns, in einen Abgrund. Tief. Dunkel. Leer. Ich habe Angst. Wir können nicht fliehen. Es ist vorbei. Wir werden sterben. Jetzt. Hier.
Doch dann. Bevor die Pranken mit den langen Krallen uns erreichen können presst Seth seine Lippen auf meine und wir fallen. Wir fallen wirklich. Doch ich kann mich nur auf diesen Kuss konzentrieren. Seine Lippen sind weich. Er nimmt mich ein. Besitzt in dieser Sekunde alles von mir. Es existiert nichts anderes als dieser Kuss. Denn auch, wenn wir fallen. So falle ich mit ihm.