Während Nerre in Richtung große Ulme lief, wo heute das „Fest des Neuem“ geschehen sollte, ließ er seine Gedanken abschweifend. Er dachte darüber nach, was wohl hinter dem großen Wald in dem er hauste liegen würde. In seinen 56 Jahren hatte er es sich so oft gewünscht über die weiten des Waldes hinaus zu laufen, getan hat er es aber noch nicht. „Irgendwann später tu ich es!“ prahlte er immer vor seinen Freunden. Er versuchte sich selber damit aufzuheitern, denn er wusste, dass Balasiken seit dem großen Angriff vor 75 Jahren durch den Eisdrachen Samula niemals den Wald verließen, nur für den Handel mit den Behes, der am Aufblühen war, da sich die Behes in zwei Stämme getrennt hatten und näher zum Walde gezogen sind. Zuerst waren die Balasiken sehr skeptisch und vorsichtig, wollten sich in die Streitigkeiten der beiden Stämme nicht einmischen, doch mit der Zeit entwickelte sich eine Freundschaft zwischen den Wald nahen Behes, die direkt auf dem Berg in der Nähe hausten.
Plötzlich Berührte eine Hand Nerre an der Schulter und ein freudiges „Hallo!“ dröhnte ihn ins Ohr und riss ihn aus seinen Gedanken. Er erschrak und drehte sich reflexartig um. „Ach du“ murmelte Nerre. „Hab dich wohl mal wieder beim Tagträumen erwischt. Auch auf den Weg zum Fest?“ fragte Geisal, der beste Freund von Nerre. Sie beide sahen sich sehr ähnlich, beide hatten langes braunes Haar, bis hin zum Po, welches sie durch eine kleine schwarze Spange, die sie sich gegenseitig mal schenkten, zurück klemmten, aber nur das obere Haar, das untere ließen sie locker nach unten hängen. Gleisals Augen waren so braun wie sein Haar, während die von Nerre blau wie das Meer waren. Von der Statur her waren sie beide gleich groß, was wenn man die Völker vergleicht, doch sehr klein ist. Die Balasiken sind das kleinste Volk, was sie aber nicht störte, denn Weisheit und Geschickt misst sich nicht in Größe, so sagten es zumindest immer wieder die Alten. Tatsächlich wissen die Balasiken, zumindest die Jüngeren, nur wenig von den anderen Völkern, da seit Samula die Balasiken sich versteckt hielten. So kannten die Jüngeren die anderen Völker nur durch Wanderer, die sich in den Wald verirrten, oder durch Bücher die sie lasen. Der größte Unterschied der beiden lag wohl im Interessen Bereich der Kräuterkunde. Während Nerre die Heilkräuter liebte, so liebte Geisal die Giftkräuter über alles. Sie ergänzten sich perfekt in ihrem Wissen und waren daher ein sehr gutes Duo in der Schule gewesen, die man bis zu seinem 30sten Lebensjahr besucht. Danach, mit 33, wurde man Erwachsen. Nun waren die beiden schon lange in der Schule und während Nerre selber Lehrer wurde für Kräuterkunde, hatte sich Geisal dazu entschieden Händler zu werden.
„Ja, ich gehe auch.“ Murrte Nerre, der eigentlich keine Lust hatte das Fest zu besuchen. Es wurde für Golar abgehalten um zu feiern, dass Samula damals besiegt wurde, und der goldene Krieger ihnen neuen Mut, Hoffnung und mehr Schutz durch den Wald schenkte. „Essen, Trinken und gute Musik, was will man mehr!“ lachte Geisal. „Reisen. Aber das weißt du ja. Wie läuft das Geschäft?“ fragte Nerre neugierig. Geisal hatte immer die spannendsten Geschichten zu erzählen, während sein Beruf nicht sehr viele Dinge aufbot. „Hm, wie immer. Neulich habe ich einen komischen Kunden gesehen! Du glaubst es kaum, er sah aus wie ein Behe, aber er wirkte nicht so!“ „Kurios.“ Merkte Nerre an, während er über einen Ast stieg, der vor Jahren mal auf den Weg gefallen war, aber Niemanden zu stören schien. „Ja“ fuhr Geisal mit aufgeregter Stimme fort: „Er fragte nach allerhand Dingen, auch wollte er uns besuchen. Er stellte sich als Nadied vor und ein paar ältere Balasiken waren ganz aufgeregt und luden ihn auf das Fest ein, ich bin gespannt ob er da ist!“ „Mh, ja, ich würde ihn auch gerne sehen! Was ist denn ein Nadied, weißt du das?“ „Ich bin mir nicht sicher.“ Geisal schaute dabei angestrengt Nerre entgegen und wäre fast über einen Stein gestolpert, weil er sich auf die Frage und nicht auf den Weg konzentrierte. Doch Nerre hielt ihn vom hinfallen ab, auch wenn ihm das witzig vorgekommen wäre, so war aber die Antwort doch interessanter. Nach kurzem zusammenfassen der Gedanken sagte Geisal: „Ich meine, er wäre ein Zauberer. Zumindest so was in der Art? Ich hörte einen der Alten munkeln, dass er einer sei. Was er hier will, weiß ich aber nicht.“ Nerre schaute angestrengt auf den Bode. Er dachte über den Nadied nach und bemerkte nicht, wie weit sie schon gelaufen waren. „Schau wir sind da, lass uns das genießen.“ Lachte Geisal und stupste Nerre an, der nun überrascht aufschaute und nickte. Geisal liebte fast so sehr wie seine Giftkräuter und schaute sich erstaunt um und versuchte einen guten Platz zum Niederlassen zu erwischen. Doch Nerre dachte nur noch über dein Nadied nach und verbrachte den Abend damit, sich umzusehen.
Die Balasiken hatten ihre Häuser hoch in den Kronen der Bäume, so dass Niemand sie entdecken konnte. Verbunden waren die Häuser durch kleine Hängebrücken, alles gezimmert aus Holz, welches aus Bäumen stammte, die bald gestorben wären und wo die Baumgeister ihnen versicherten, es sei in Ordnung, sie zu fällen. Die Balasiken liebten die Bäume und waren immer besorgt um sie, pflegten sie und fällten nur kranke oder sterbende Bäume. Und für jeden gefällten Baum, pflanzen sie zwei neue. Sie machten so gut wie alles aus Holz, Häuser, Brücken, Möbel, Bücher und vieles mehr. Auch verwenden sie viele Pflanzen, wie Schlingpflanzen und ähnliches. Sie versuchten der Natur treu zu bleiben, ohne sie arg zu schädigen, denn sie Liebten sie und ehrten alles, was sie abgaben. Sie blieben, wenn sie konnte, immer auf den Kronen nur zu besonderen Festen oder Anlässen kamen sie herab oder wenn der Beruf es verlangte. So kam es, dass das Fest nun auf einer Lichtung, einen kleinen Fußmarsch Weg vom letzten Haus, stattfand. Es gab Zelte, so hoch, dass auch Behes, die vereinzelt erschienen waren, Platz fanden. Überall standen Bänke und Tische und schon viele Tanzen zur Musik, aßen oder tranken Speisen und unterhielten sich prächtig. Geschmückt waren die Zelte mit den schönsten Blumen die sie fanden und auch Golar selber, tauchte auf. Doch war er zu groß um zu feiern, also flog er über die Zelte hinweg während alle ihm zujubelten. Er liebte seine Balasiken und tauchte jedes Jahr auf um seine liebe seinen Balasiken zu zeigen. Auch gefiel es ihm, die Dankbarkeit zu spüren. Die anderen Harpen ließen sich nie bei ihrem Volke blicken und nur wegen dem Angriff viele Jahre zu vor, erlaubte sie Golar diesen einen Tag. Danach verschwand er wieder und das Fest nahm weiter seinen Lauf.
Nerre saß neben Geisal und ein paar anderen Freunden aus alter Zeit. Während diese sich freudig über das letzte Jahr unterhielten, schweifte Nerre mit seinen Gedanken ab und musterte das Zeltgelände. Zwischen vielen Betrunkenen und freudig tanzenden sah er Niemanden der einen Nadied ähnlich sah. Nerre wusste zwar nicht, wie er aussehen sollte, er hatte vergessen Geisal zu fragen, aber wie sollte man Jemanden, der ganz anders war als man selbst, übersehen.
So wartete er Stunden über Stunden, denn die Neugierde, einen echten Nadied zu sehen wuchs so groß, dass er beinah darüber nachdachte, los zu laufen und die Leute zu fragen, doch das schien ihm dann zu Neugierig, er hatte Angst das die anderen Balasiken schlecht über ihn denken würde und das würden sie ganz sicher, das taten sie schon jetzt. Nerre gilt als „komisch“ und manchmal wenn er sich umdrehte, machten die Anderen hinter seinem Rücken krumme Bemerkungen, denn er hat sich schon immer anders verhalten. Nicht zu Letzt, weil seine Eltern sehr früh starben, an den Nachfolgen von Samula, so wie viele. Denn auch wenn man nicht verletzt wurde, so ging eine Krankheit, nicht natürlichen Weges umher und nahm viele mit sich. Nur Geisal und seine Eltern mochten ihn so, wie er war. Nerre konnte seine Dankbarkeit dafür nie in Worte fassen, doch er war es, aus tiefsten Herzen.
So also, als das Fest sich dem Ende neigte und kein Nadied ihm begegnet war, stand er auf und wollte los trotten. Er verabschiedete sich von Geisal mit einem leichten klopfen auf den Rücken und wanderte in die Richtung seines Hauses hoch in den Kronen.
Während er gerade die Treppe hinauf in die Baumkrone nahm, kam ihn eine Gestalt entgegen. Unter seiner weißen Kapuze blitzen blaue Augen hervor und als sich ihre Blicke trafen spürte Nerre ein stechen an seinem Hals, schmerzhaft und an einer Stelle, direkt hinterm Ohr, die noch nie schmerzte. Nerre fasste sich aus Reflex an die Stelle und ließ ein leises zischen los. Die weiße Gestalt blieb stehen. Auch Nerre blieb stehen, ließ die Hand langsam sinken und bemerkte wie Angst ihn umflog. Der weiße Mann musterte ihn ausführlich, lächelte dann und zog die Kapuze hinunter. Nerre trat einen Schritt zurück, das alles wirkte ihn nicht vertraut und er bekam es mit der Angst zu tun, dennoch wollte er wissen, wer diese geheimnisvolle Person ist. „Entschuldigen Sie“ stammelte Nerre: „Wer sind sie?“ „Oh!“ Der weiße Mann lachte auf und lächelte so freundlich, dass die Angst die Nerre umgab verschwand. „Ein Freund deiner. Man nennt mich Thoran, der weiße Nadied.“ Seine Stimme klang freundlich, weich und dunkel. Und das was Nerre hörte, erfüllte sein Herz mit Freude. „Ein Nadied? Wow! Geisal, ein Händler erzählte von euch und-“ „Ruhig junger Mann, wir werden sicher noch mal miteinander reden, aber nicht mehr Heute, ich muss weiter ziehen, nach Glatal.“ „Glatal?“ Nerre schaute fragend drein. Noch nie hatte er von Glatal gehört. „Die Stadt der Behes, die hier in der Nähe auf dem Berg wohnen, du solltest sie mal besuchen! Dein Herz ruft nach Abenteuer und Reisen, warum gehst du dem nicht nach?“ fragte Thoran mit seiner beruhigenden Stimme. „Balasiken, gerade die aus Neugost hier, gehen nicht auf Reisen.“ Nerre klang traurig und erschüttert, so oft war es doch sein Wunsch. „Dann solltest du beginnen.“ Mit diesen Worten verabschiedete sich Thoran, nickte und legte seine Kapuze wieder an. Dann trottete er davon. Nerre stand wie erstarrt da. Er konnte es nicht fassen was der Nadied sagte. Nachdem mindestens zehn Minuten vergangen waren, ging er weiter die Stufen hoch und schwor sich, morgen wäre sein letzter Tag vor seiner Abreise. Er würde den Nadied in Glatal wiedertreffen.