Ich lasse meinen Blick durch den großen Raum schweifen. Er ist leer. Seufzend drehe ich mich um und entdecke, wonach ich suche. Er steht draußen, mit dem Rücken zu mir. Ich muss lächeln. Gleichzeitig überlege ich fieberhaft, was ich sagen könnte, wenn ich gleich durch diese Glastür schreite und mich neben ihn setze. Das Problem nach einem Thema ist nicht unbedingt das größte, es findet sich immer eins. Doch schnürt es mir, wann immer ich mich mit ihm unterhalte, andauernd die Kehle zu, oder ich bringe nur unsinnige Antworten heraus, die ihn wohl denken lassen, ich wäre komplett verrückt. Vielleicht hätte er damit aber sogar recht...
Ich öffne die Tür einen Spalt und schlängle mich geschmeidig da durch. Meine Bewegungen überlege ich mir in seiner Gegenwart oft mehr als nur einmal. Ich bin kein Trampel, sondern eine Frau, und deswegen darf es mir an Haltung und Eleganz nicht fehlen. Was jedoch auch nicht heißen soll, dass ich meine Weiblichkeit allzu sehr zur Schau stelle. Denn mittlerweile kenne ich ihn auch gut genug, um zu wissen, dass er Schauspielerei schnell durchschaut und sie nicht unbedingt schätzt.
Erfreut stelle ich fest, dass ich anscheinend genau zum richtigen Zeitpunkt auftauche, denn er steckt sein Handy wieder in die Hosentasche, mit dem er eben noch telefoniert hatte. Er lässt sich neben mich auf die Stufe vor der Tür nieder.
Nun weiß ich, was kommt und frage mich immer wieder, wo das nur enden soll. Aus dem Augenwinkel sehe ich etwas schwach aufblitzen.
Klick.
Klick.
Ich schaue in den grauen Himmel, in den kurz darauf Rauch aufsteigt.
„Na?“ Er lächelt mich an. „Na?“, grinse ich zurück und weiß nach einigen Sekunden nicht, wohin mit meinem Blick. Also starre ich auf den grauen Asphalt und meine Turnschuhe, die ich mal wieder putzen könnte, wie mir im selben Moment auffällt.
„Rauchen ist ungesund“, sage ich mit tadelnder Stimme und lächle, doch ich weiß ganz genau seine Antwort darauf. Alles eine Sache des Blickwinkels. Es gebe Menschen, die rauchen nicht und sterben dennoch früh; dann gibt es jene, die Kettenraucher sind und neunzig Jahre alt werden.
'Und du musst es darauf ankommen lassen, Mann?'
Ich presse die Lippen aufeinander, um das nicht laut zu sagen. Es ist seine Sache, sage ich mir, er ist ein erwachsener Mann und weiß, was er tut.
Ich seufze. Wenigstens ist er so rücksichtsvoll und qualmt mich nicht zu. Langsam lehne ich mich mit dem Rücken gegen die Glaswand und starre dabei eine Weile auf seinen Rücken und seine dunklen Locken, die ihm bis vor einem Jahr noch locker zwischen die Schulterblätter reichten, nun aber gerade einmal seinen Nacken bedecken. Er ist groß, schlank und attraktiv, das kann ich nicht leugnen. Und doch ist es etwas anderes, das mich so an ihm fasziniert. Diese ruhige Art, als wäre ihm scheinbar alles gleich, die Fähigkeit, aus dem Schlimmsten das Beste zu machen und die aufmunternden Worte, die ihm scheinbar so spielend von den Lippen gehen. Dieses Lächeln, welches so ansteckend ist, es schon immer war.
Er hat auf alles einen Rat, einen Spruch, ein aufbauendes Wort. Das ist es, was ich am allermeisten an ihm schätze.
Er lehnt sich ebenfalls zurück und lässt seinen rechten Arm mit der Zigarette in der Hand auf seinem Knie Ruhen.
Er seufzt ebenfalls und ich weiß, dass er müde ist. Ich bin es auch. Und wenn er wüsste, wie viele schlaflose Nächte er mir beschert hat... ach, wenn er doch wüsste.
Ich starre noch immer auf die Straße und reibe meine Handflächen an meinen Oberschenkeln.
Bin ich doch sonst immer darum bemüht, seine Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen, sind mir seine Blicke momentan herzlich egal. Dieser Anblick dürfte für ihn ohnehin nicht neu sein.
„Alles okay bei dir?“
Ich hebe meinen Blick und bringe nicht viel mehr als ein überraschtes „Hm?“ heraus. Zugegeben, es war eine schlechte Reaktion auf diese Frage. Ich hätte auch einfach ja sagen können. Aber in seiner Gegenwart versagen einfach alle meine Kompetenzen. Anschließend nicke ich nur leicht, ohne meinen Blick von ihm zu nehmen.
Die Temperaturen sind niedrig, aber noch ohne Jacke auszuhalten. Dennoch verstecke ich mein Gesicht unter meinem dicken, schwarzen Schal, den ich hauptsächlich trage, wenn ich das Gefühl habe, mein Dekolleté zieht mehr Blicke auf sich als mein Gesicht. Ich trage, was mir gefällt, aber gerade deswegen möchte ich auch keine falschen Eindrücke aufkommen lassen.
„Du grinst so, was ist los mit dir?“, reißt er mich aus meinen Gedanken. Sein Strahlen steckt mich sogleich an.
„Warum, wäre es dir lieber, wenn ich weine?“, necke ich ihn.
„Nein.“ Er schüttelt den Kopf und klopft die Asche von seiner Zigarette. „Hast du denn einen Grund?“
„Es gibt so viele Gründe.“ Dabei beziehe ich mich eigentlich auf die allgemeine Umwelt, aber auch auf mein verwirrtes Inneres.
„Schau mal“, er beugt sich vor. „Wenn du weinst, dann zeigst du jedem nur, wie schlecht es dir geht.“
Ich beobachte aufmerksam jede seiner Gesten.
„Aber mit einem Lachen gewinnst du jeden für dich. Vor allem als hübsches Mädchen.“
Bei dieser Stimme könnte ich schmelzen. Und er sagt das mit eben jener Ruhe, die ich so bewundere.
Wir verziehen beide das Gesicht, als ein Krankenwagen mit Blaulicht und Sirene an uns vorbeifährt.
„Oder als Mann...“, nuschle ich in meinen Schal und muss mich deswegen wiederholen. „Menschen allgemein wirken lachend einfach viel sympathischer.“
Nun spielt er nachdenklich mit dem Telefon herum und lässt es zwischen Daumen und Zeigefinger schwingen. „Eben. Und darum solltest du nie dein Lachen verlieren. Es ist das wertvollste, was du besitzt und dennoch kostenlos. Und wenn du dir selbst ein Lächeln schenkst, macht es dich stärker, als wenn du Tränen über dein Gesicht laufen siehst.“ Er drückt die Zigarette aus und steht auf.
„Ich muss wieder rein“, entschuldigt er sich und ich sehe, wie er auf der anderen Seite der Glastür auf den Kunden im Laden zugeht und ihn bedient.
Und dann lasse ich mir seine Worte noch einmal durch den Kopf gehen.
In dem Moment beschließe ich, heute noch jemandem ein Geschenk zu machen.