Es war ein warmer, fast spätsommerlicher Tag im September des Jahres 1515, wenige Wochen nach meinem dreizehnten Geburtstag. Langsam ging ich den schmalen Feldweg entlang. Die Sonne brannte noch einmal unbarmherzig vom Himmel herab und ich setzte mich in den Schatten eines Baumes am Wegrand. Mir gegenüber wogte ein Meer aus goldenen Halmen. Sie erinnerten mich an die Felder Zuhause, im Tal der Monde. Nach den zwei Monden unserer Welt benannt, thronte es an der Küste zwischen zwei Bergen, die es im Norden und Süden einschlossen. Ich war die Hitze nicht gewohnt, da wir dort außer im Hochsommer, wenn die Sonne am höchsten Punkt selbst über der Südspitze stand, geschützt waren und sogar dann immer ein frischer Wind vom Meer durch das Dorf fuhr.
Bei dieser Erinnerung an Zuhause seufzte ich leise. Vor etwa einer Woche war ich aufgebrochen und hatte mein Ziel, die Akademie, mein neues Zuhause für die nächsten mindestens zwei Jahre, schon fast erreicht. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, dass ich Lumina nun auch verließ. Sie hatte mich aufgezogen und jetzt... verschwand ich genauso wie Zeo damals. Er war wie ich ein Waisenkind, das von Lumina aufgezogen wurde und war vor sechs Jahren einfach ohne ein Wort weggegangen. 'Immerhin weiß sie, wo ich bin...', versuchte ich mich innerlich ein wenig zu trösten. Dann seufzte ich erneut und stand wieder auf.
Es ließ sich nicht ändern. Ich würde gut aufpassen und wenn ich irgendwann wieder nach Hause kommen würde, wollte ich eine kleine Schule errichten. In unserem Dorf konnte es sich niemand leisten die Kinder zum Unterricht in die Stadt zu schicken. Deshalb war es für mich eine unglaubliche Ehre in die Akademie aufgenommen zu werden. Normale Kinder wie ich hatten eigentlich keine Chance je Lesen und Schreiben zu lernen, das war den Reichen in ihren Großstädten vorbehalten. Die Akademie jedoch war ein Ort, an dem jeder dieselbe Chance hatte.
Mir wurde wieder einmal bewusst, wie unglaublich es war, dass ausgerechnet ich diese Chance bekommen hatte. Obwohl natürlich besonders Wert darauf gelegt wurde auch Kinder aus ärmeren Regionen aufzunehmen, war es eigentlich unmöglich ohne Verbindungen oder die Einladung durch einen der sogenannten 'Späher' aufgenommen zu werden. Die 'Späher' reisten durch die Welt und suchten nach potenziellen Schülern, doch es hatte sich noch keiner von ihnen in unser Tal verirrt. Andererseits wusste ich aber auch nichts von irgendwelchen Leuten, die eine Empfehlung für mich hätten aussprechen können...
Aber es war sinnlos sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Ich hatte diese Chance bekommen, jetzt musste ich sie nutzen! Das besondere an der Akademie war, dass man nicht nur lesen, schreiben und rechnen lernte, sondern auch das Kämpfen. Für die meisten war das wichtigste dabei sicher das Erlernen von Selbstverteidigungstechniken, doch eine besondere Leistung war es zu den 32 besten Schülern zu gehören, welche dann den dritten Jahrgang bilden durften. Ich hatte kein besonderes Interesse daran, da es mir ja hauptsächlich darum ging Lesen, Schreiben und Rechnen zu lernen, aber es klang schon sehr aufregend.
Langsam färbte die untergehende Sonne alles in ein goldenes Licht. Schon seit etwa einer Stunde konnte ich beobachten wie die Akademie immer näher rückte. Sie war von einer dicken, alten Steinmauer umgeben, welche noch aus Kriegszeiten stammen musste. Doch Kriege gab es seit 1515 Jahren nicht mehr. In der Mitte erhob sich das Haupthaus, in welchem die wenigen Lehrer mit ihren Familien lebten, zwei Stockwerke über die Mauer. Langsam holte mich die Nervosität wieder ein, ich war vielleicht noch 200 Meter vom Tor entfernt.
Die Schüler, die im gemähten Gras vor der Mauer in der Sonne faulenzten warfen mir mehr oder weniger neugierige Blicke zu, als ich in meiner schlichten Kleidung mit meinem riesigen Rucksack vorbeiging. Ich hatte schließlich alles mitnehmen müssen, was ich für den Weg brauchte. Eine dicke alte Wolldecke für die Nächte, die ich im Freien verbrachte und Proviant für die vielen Tage. In unserem Dorf gab es kein Geld; wir versorgten uns selbst mit dem Nötigsten und teilten untereinander. Deshalb hatte ich keines mitnehmen können, um nachts in den Städten ein Zimmer zu bezahlen.
Das Tor stand offen, dahinter lag ein großer Hof und dahinter das Haupthaus. Eine junge Frau trat mir entgegen, als ich das Tor passieren wollte. „Und wer bist du, wenn ich fragen darf?“, meinte sie mit einem amüsierten Lächeln.
„Arisa Yurasa aus dem Tal der Monde...“, antwortete ich zögernd.
„Hast du einen Brief bekommen?“, fragte sie, als sie meine Verunsicherung erkannte. Ich hatte tatsächlich einen bekommen, meine Aufnahmebescheinigung, zusammen mit der Karte, die ich benutzt hatte, um hierher zu finden. Ich hätte beides beinahe vergessen, hätte Lumina mich nicht daran erinnert. Schnell nickte ich und zog den Brief aus einer versteckten Tasche in meinem Oberteil. Lumina hatte gesagt, dass ich gut darauf acht geben müsste, damit niemand ihn stehlen könnte. Jetzt wusste ich auch warum.
Die junge Frau, nun eigentlich war sie ein Mädchen, nur wenige Jahre älter als ich, lächelte und sagte: „Na dann, willkommen an der Akademie. Komm, ich bring dich zum Leiter. Darja, du kommst solange ohne mich klar oder?“, rief sie.
Wir standen genau im Torbogen, auf beiden Seiten befanden sich zwei alte Holztüren. Das Mädchen vor mir war aus der von mir aus rechten gekommen. Jetzt schwang die Linke auf und jemand, vermutlich Darja, streckte eine Hand mit hochgehaltenem Daumen hinaus. „So gesprächig wie immer...“, grinste das andere Mädchen.
Plötzlich schlug sie die Hand vor den Mund und sagte: „Ich hab mich noch gar nicht vorgestellt, oder? Tut mir leid, ich bin Mikija.“ Ich nickte und lächelte, unsicher, wie ich darauf reagieren sollte. Sie wusste ja schon wie ich hieß...
Sie führte mich daraufhin über den Hof auf das Haupthaus zu. Die weiße, mit grünen Reben bewachsene Fassade blitze dort, wo das Sonnenlicht sie traf, golden zwischen Streben aus dunklem Holz hervor. Zu beiden Seiten des Hofes erstreckten sich weitere im selben Stil gehaltene Gebäude.
„Das links ist euer Wohngebäude, rechts sind die Klassenräume und die Unterkunft des dritten Jahrgangs, also meine“, da dämmerte es mir langsam, dass Mikija wirklich erst wenige Jahre älter war als ich, aber trotzdem schon im dritten Jahrgang. Ich schaute mit großen Augen zu ihr hoch, woraufhin sie lächelte.
„Keine Sorge, hier ist eigentlich alles ziemlich übersichtlich“, zwinkerte sie mir zu. Sie hatte meinen ehrfürchtigen Blick wohl missverstanden. Wir erreichten die Tür und bevor ich noch etwas sagen konnte, verabschiedete sie sich schon von mir.
Allein trat ich durch die Tür und fand mich in einem Flur wieder. Ich verzog das Gesicht. Seit ich hier angekommen war, war ich nur auf Situationen getroffen, die mich verunsicherten. Da öffnete sich jedoch eine Tür und ein Mädchen mit dunkelblonden Haaren und freundlichen braunen Augen, die vergnügt aufblitzten, als sie mich sah, kam heraus.
„Herr Leiter, sie ist schon hier! Komm schnell her, du wirst schon sehnlichst erwartet!“, grinste sie mir zu. Ich beeilte mich und betrat das kleine Arbeitszimmer. Da standen zwei Stühle vor einem großen Schreibtisch hinter welchem ein freundlich lächelnder Mann mit kurzen schwarzen Haaren und dunkelvioletten Augen saß. Sein Gesicht zeigte erste Falten, was ihn etwas älter als Lumina wirken ließ.
„Bitte, setz dich doch“, sagte er ruhig und deutete auf die Stühle. Von links fiel Licht durch ein Fenster, an der rechten Wand stand ein Regal, das mit Ordnern gefüllt war. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich so etwas wie Ordner noch nie gesehen, weshalb ich fasziniert darauf starrte.
„Also Arisa, willkommen an der Akademie. Ich bin der Leiter, Waro Granik. Ich denke du weißt, was dich erwartet?“, sagte er halb feststellend, halb fragend. Ich nickte zögerlich. Ich wusste, dass ich hier Lesen, Schreiben, Rechnen und Kämpfen lernen würde; dass ich (mindestens) zwei Jahre bleiben würde und... naja, das war's... Meine Sorgen erledigten sich als der sogenannte Leiter schnell weitersprach.
„Gut. Wenn du Fragen hast, kannst du sie jetzt stellen“, bot er an.
Da mir auf der Stelle nichts einfiel, das nicht total dämlich rüberkam, schaffte ich es zu sagen: „Soweit habe ich keine...“, woraufhin er lächelte.
„Keine Angst. Wenn doch noch Fragen auftauchen sollten, frag Zora oder einen der Lehrer. Wo wir dabei sind, Zora, wie wäre es, wenn du dich vorstellst?“, freundlich wandte er sich dem anderen Mädchen zu.
Zora kam dieser Aufforderung mit einem breiten Grinsen im Gesicht nach. „Ich bin Zora Angrai. Du wirst dir mit mir und zwei anderen Mädchen ein Zimmer teilen. Freut mich dich kennenzulernen.“
Sie war vor mich getreten und streckte mir die Hand entgegen, ich schlug ein und stellte mich ebenfalls vor. „Ich bin Arisa Yurasa. Geht mir genauso“, lächelte ich befreit. Zora schien schon einmal nett zu sein.
„Nun, wenn du keine weiteren Fragen hast, könnt ihr schon gehen. Zora wird dir alles zeigen“, meinte Herr Granik noch, ehe Zora mich mit einem „In Ordnung“, aus der Tür zog.
Wir verließen das Haupthaus und betraten wieder den Hof. Auf dem Hinweg war ich zu nervös gewesen, um richtig zu bemerken, wie groß der Hof der Akademie eigentlich war. Es waren bestimmt mehr als hundert Meter von einem Ende zum anderen. Im Westen verdeckte die Mauer die untergehende Sonne und ragte imposant, bestimmt dreimal so hoch wie ich in den Himmel. Am Rand, an den Nord-, Ost- und Südseiten der Mauer befanden sich drei unterschiedlich hohe Gebäude. Zora zog mich nach rechts, auf das zweithöchste zu. Ich erinnerte mich, dass Mikija es als das Wohngebäude bezeichnet hatte. Jetzt folgte ich Zora durch eine der zwei riesigen Türen und plötzlich umgab uns eine angenehme Kühle. Wir hatten eine große Halle betreten, in welcher mehrere lange Tischreihen standen. Auf der gegenüberliegenden Seite gab es einen abgetrennten Bereich hinter dem die Küche lag.
„Das ist die Cafeteria bzw. der Aufenthaltsraum“, klärte Zora mich mit einer weiten Armbewegung auf. Die Halle war bis auf wenige Leute leer. Ich sah ein Mädchen, welches unter einem Fenster las und ein paar andere, die in einer Ecke ein Kartenspiel spielten.
„Da drüben“, Zora deutete nach links, „ist der Eingang zum Jungsbereich. Wir müssen jetzt hier nach rechts.“ Schon ging es wieder weiter, durch eine ziemlich große Tür in einen Zwischenbereich mit jeweils einer kleineren Tür auf jeder Seite.
„Rechts sind die Toiletten, links die Duschen.“ Ich hatte keine Ahnung, was 'Duschen' waren, aber bevor ich fragen konnte, traten wir durch eine weitere Tür in einen breiten und hohen Flur.
„Und hier sind unsere Schlafzimmer. Unten sind acht, die die Nummern von 1 bis 4 besitzen, dabei jeweils -a und -b, unser Zimmer ist Nummer 2-b“, erklärte Zora und strebte die zweite Tür auf der rechten Seite an. Ich folgte ihr, nicht ohne mich verwundert umzusehen.
„Es gibt vier Vierer- und vier Sechserzimmer. Wir sind nur vier“, fügte sie noch lächelnd hinzu und kam dann endlich zum Stillstand. Ein Stück von der Wand entfernt führte eine Leiter nach oben. Auch hatte man hier eine Decke eingezogen.
„Zora...“, versuchte ich zu fragen, doch sie hatte schon begriffen, worum es ging. „Es gab Probleme dabei, hier ein wenig mehr Licht reinzubringen. Da man sowieso damals alles umbauen musste, hat man hier die Decke des Flures zum Teil geöffnet, damit Licht von dem Fenster dort oben auch hier hinein scheint. Unten gibt es kein Fenster, da die Mauer im Weg ist“, sie trat zurück auf den Flur und deutete auf das Fenster am Ende des oberen Flurs. „Da oben sind nochmal acht Zimmer für den zweiten Jahrgang. Diese Leiter hier führt in den Flur nach oben.“
„Hey, Zora, ist die Vierte endlich da?“, rief eine Stimme von oben herab. Einen Moment später landete jemand mit einem lauten Poltern vor mir.
Sofort ging unsere Tür auf und jemand rief: „Nytra! Ich hab dir schon hundertmal gesagt, dass du nicht immer so laut sein sollst!“
Zora schaute etwas verlegen und meinte: „Na dann, Arisa, willkommen in Zimmer 2-b...“
Die polternde Nare mit Namen Nytra entpuppte sich als ein Mädchen meiner Größe mit langen braunen Haaren und leuchtend grünen Augen, das die Wütende frech angrinste.
„23 Mal“, korrigierte sie. Das andere Mädchen schaute Nytra jetzt, falls das überhaupt möglich war, noch genervter an als vorher.
„Du hast mitgezählt?“, fragte sie ungläubig. Sie war einige Zentimeter größer als wir drei und hatte halblange hellblonde Haare und blaue Augen.
„Tanya, reg dich ab... Sie will dich doch nur provozieren...“, versuchte Zora jetzt dazwischen zu gehen.
Nytras Aufmerksamkeit hatte sich mittlerweile auf mich übertragen und sie schaute mich neugierig an. „Du bist also die Neue? Ich bin Nytra. Cooler Rucksack“, lächelte sie aufrichtig. Im Gegensatz zu Zora nickte sie mir als Begrüßung nur zu ohne mir die Hand zu schütteln.
Jetzt wandte sich auch das andere Mädchen mir zu. „Verzeih die Unruhe und die Unhöflichkeit gewisser Personen hier. Ich bin Tanya“, sagte sie ernst und streckte mir wie Zora die Hand hin.
Ich ergriff sie und sagte: „Ich bin Arisa. Freut mich euch kennenzulernen...“ Leicht verlegen schlug ich die Augen nieder.
„Komm doch erst mal rein“, half Tanya mir freundlich weiter, ließ Zora und mich rein, schlug Nytra jedoch die Tür vor der Nase zu.
Im Zimmer standen zwei Stockbetten je eins an der rechten und eins an der linken Wand. Davor und dahinter befand sich jeweils ein Schrank. Am Ende des Zimmers gab es zwei Fenster, durch die frische Luft hinein strömte. Davor standen vier Schreibtische und rechts von der Zimmertür befand sich ein Waschbecken. Nachdem Nytra sich selbst eingelassen hatte, kletterte sie auf das obere Bett auf der linken Seite, auf welchem schon allerlei Sachen verteilt lagen.
„Es ist jetzt nur noch das Bett rechts oben frei. Zora schläft rechts unten und ich links unten“, klärte Tanya mich auf und deutete auf das unberührte Bett. In diesem Moment flog ihr von hinten ein Kissen an den Kopf.
„Sie kann auch unter mir schlafen. Geh du ruhig weg“, meinte Nytra demonstrativ desinteressiert. Tanya warf ihr nur einen weiteren genervten Blick zu.
„Du bist sowas von unreif.“
„Und du bist sooo erwachsen. Du kannst gar nicht oben schlafen, weil du Höhenangst-“, Nytra hatte sich für diese Worte über das Geländer ihres Bettes gelehnt und bekam nun ihr Kissen zurück ins Gesicht.
„Und wenn schon“, meinte Tanya nur und setzte sich auf ihr Bett, um weiteren Kissenangriffen zu entkommen.
„Also, wenn du auch auf keinen Fall oben schlafen kannst, dann können wir auch tauschen“, bot Zora freundlich an.
„Nein, nein!“, wehrte ich schnell ab. „Das ist überhaupt kein Problem, ich kann überall schlafen.“ Das waren also meine Zimmergenossinnen...
Während ich meinen Rucksack auspackte und die Sachen fand, die für jeden Schüler bereit-gestellt wurden, lag Zora auf ihrem Bett und schaute zu, wie Nytra versuchte, Tanya mit diversen Kleidungsstücken zu bewerfen (die Kissen waren ihr ausgegangen), Tanya jedoch nicht im geringsten darauf reagierte, sondern einfach am hinteren Ende des Bettes hockte und las.
„Tanya, darf ich dich etwas fragen?“, fragte ich zögerlich.
„Klar“, kam die kurze Antwort.
„Ist lesen schwer?“
Jetzt schaute sie mich an und machte in etwa so große Augen wie ich selbst. Dann lächelte sie zum ersten Mal seit ich angekommen war. „Am Anfang ja, aber dann ist es eigentlich ganz einfach. Du lernst das sicher schnell“, grinste sie.
„Meinst du?“, fragte ich zweifelnd. Ich hatte schließlich gar keine Vorstellung davon.
„Klar. Im Gegensatz zu einigen anderen Personen wirkst du intelligent genug“, sie warf dabei einen Blick nach oben und gleich kam ein Oberteil geflogen.
„Ich weiß, dass du auf mich anspielst ohne dich sehen zu müssen. Soviel zu unintelligent“, tönte es aus Nytras Bett.
„Wer sich angesprochen fühlt...“, war Tanyas einziger Kommentar, woraufhin Nytra sich eingeschnappt aufsetzte und anfing aus dem Fenster zu starren. Plötzlich klingelte es.
„Essen!“, erwachte Nytra aus ihrer kurzen Schmollstarre und sprang vom Bett. Auch die anderen standen auf und Zora bedeutete mir mit einem Lächeln mitzukommen. Auf dem Flur war es immer noch relativ leer, die meisten Mädchen hatten den Nachmittag draußen verbracht oder waren noch nicht da.
„Sag mal, Zora, welchen Tag haben wir heute?“ Ich wusste es nicht mehr; nach den ganzen Tagen unterwegs hatte ich den Faden verloren.
„Hm.... heute ist...“, meinte sie nachdenklich.
„Der 25. September, Freitag“, half Tanya ihr. „Ab Montag fängt der Unterricht an.“
Wir betraten die Cafeteria und setzten uns an einen freien Tisch unter den Fenstern. Nytra und ich saßen auf der einen Seite und Zora und Tanya auf der anderen, damit Nytra Tanya nicht noch beim Essen nervte.
„Wie lange seid ihr schon da, wenn ich fragen darf?“, fragte ich schüchtern.
Zora grinste: „Ich bin auch erst vorgestern angekommen.“
„Und dann weißt du schon so viel über die Schule und alles?“, staunte ich verdutzt.
„Das mit der Architektur interessierte mich und das andere hat Tanya mir eingebläut bevor ich dich abgeholt habe...“, meinte sie leicht verlegen.
„Ich bin seit einer Woche hier“, sagte Tanya nur und schaute dann Nytra an.
„Ich bin am längsten hier, ich weiß“, meinte diese und wich unseren Blicken aus.
„Aber wie lange genau?“, hakte ausgerechnet Tanya nach. Nytra schaute sie nur böse an und zuckte die Schultern.
„Zora, was bedeutet 'Architektur'?“, fragte ich, um das Thema zu wechseln. Ich hatte das Wort noch nie gehört.
„Ach, also.... das bezog sich halt darauf wie die Gebäude hier gebaut wurden, weißt du? Die Art und Weise davon... Das mit dem Fenster und dem Flur zum Beispiel“, erklärte sie etwas unsicher.
„Danke fürs Erklären...“, meinte ich jetzt etwas verlegen über meine Unwissenheit.
„Arisa, du brauchst dir hier keine Sorgen zu machen. Auch wir wissen nicht alles und es gibt sicher auch Dinge, die du weißt, die wir nicht wissen“, meinte Tanya lächelnd.
Ich fand es sehr nett, dass sie versuchte, mich zu trösten, doch ich musste noch eine ziemlich peinliche Frage stellen. „Das ist sehr nett... Dürfte ich dann noch etwas fragen?“, brachte ich zögerlich hervor.
„Na klar“, grinste Nytra und trank einen Schluck Wasser.
Obwohl ich eher sagen sollte, versuchte einen Schluck Wasser zu trinken, denn als ich mit der Frage, was 'Duschen' seien herausplatzte, bekam sie einen Lachanfall und verteilte das Wasser beinahe auf dem gesamten Tisch. Tanya warf ihr dafür einen wütenden Blick zu und Zora wirkte etwas verwirrt angesichts meiner Frage.
„Weißt du, da kann man sich waschen. Was das ist, weißt du aber, oder?“, fragte sie und zog eine Augenbraue hoch. Ich wurde schlagartig rot und starrte sie erschreckt an.
„Nein, nein! Das dürft ihr nicht falsch verstehen! Natürlich weiß ich, dass man sich wäscht! Ich hab sogar auf dem Weg hierher darauf geachtet, jeden zweiten Tag zu baden...“, versuchte ich verzweifelt mich zu rechtfertigen.
„Ist schon gut!“, meinte Tanya und lachte. „Nicht jedes Dorf hat denselben Standard. Du hast dich wahrscheinlich in Flüssen oder Wannen gewaschen, nicht wahr?“
Schnell nickte ich.
„Bei Duschen ist es so, dass fließendes Wasser direkt von oben kommt. Wie ein künstlicher Wasserfall... oder eher ein Regenschauer.“
„Ach, so ist das!“, rief ich erstaunt aus. Wir hatten im Tal auch fließendes Wasser, allerdings nur für das Bad, welches nur aus dem Waschbecken und einer Toilette bestand. Gewaschen hatten wir uns wirklich entweder im Fluss oder in einer Wanne, die wir mit Wasser aus der Quelle in der Nähe des Hauses gefüllt hatten. Im Winter kochte Lumina das Wasser auf, damit es warm war.
Gerade als ich drohte mit den Gedanken abzudriften, riss Nytra, die sich inzwischen beruhigt hatte, mich in die Wirklichkeit zurück.
„Also so langsam krieg ich echt Hunger...“ Als wollte er zustimmen, knurrte ihr Magen auf einmal laut, was uns erneut zum Lachen brachte. Wir holten uns etwas zu essen und redeten über uns und unsere Familien. Nur Nytra hielt sich zurück, doch wir ließen sie in Ruhe. Wenn sie nicht über sich sprechen wollte, wollten wir sie auch nicht dazu zwingen.
Zora hatte noch zwei kleine Schwestern und kam aus einer kleineren Stadt etwa vier Tage von hier. Ihr Vater war Handwerker und half beim Bau von Häusern, daher kam auch ihr Interesse für Architektur und ihre Mutter handelte mit Blumen und Kräutern.
Tanya kam aus einer reicheren Familie, die in einer der großen Städte lebte. Sie war mit der Kutsche in drei Tagen hierher gekommen. Dank ihrer Familie konnte sie auch schon lesen. Ihre Mutter selbst war eine sehr intelligente Frau, die sich um die Bildung ihrer Kinder kümmerte und ihr Vater ein Händler wie sein Vater und dessen Vater. Zu dritt hatten sie über einen langen Zeitraum das jetzige Vermögen angehäuft. Sie hatte einen älteren Bruder, der eines Tages alles übernehmen sollte, eine ältere Schwester und noch vier jüngere Geschwister.
Nytra lebte etwa vier Wochen entfernt am Rande eines kleinen Dorfes. Sie hatte einen älteren Bruder, ihre Mutter war Hausfrau und ihr Vater arbeitete in einer nahegelegenen größeren Stadt und war deshalb selten Zuhause.
Ich erzählte den anderen von Lumina und dem Tal. Ich werde nie vergessen wie verdutzt die anderen geguckt hatten, als ich erzählte, dass wir kein Geld besaßen und uns in der Dorfgemeinschaft komplett selbst versorgten. Später erzählte ich auch von Zeo, was Nytra nach dem vorherigen Thema wieder ein Grinsen aufs Gesicht zauberte.
„Könntest du ihn bitte noch mal beschreiben?“, fragte sie lauernd.
Verwirrt schaute ich sie an. „Er hatte schwarze Haare und rotviolette Augen... Mehr kann ich nicht wirklich sagen, weil es schon so lange her ist... doch! Er hatte eine kleine Narbe an der linken Schläfe!“, fiel mir im letzten Moment wieder ein. Er hatte mit ein paar anderen Jungs auf der Bergflanke gespielt und war unglücklich gestürzt. Lumina war damals ziemlich sauer auf ihn.
Jetzt wurde ich jedoch wieder in die Realität zurückgeholt, da Nytra aufsprang und an das andere Ende des Speisesaals lief. „Wo will sie hin?“, fragte ich die anderen, doch Tanya lächelte nur, zuckte die Schultern und hielt Zora den Mund zu. Diese versuchte verzweifelt sich zu befreien, musste jedoch schnell aufgeben.
Nytra kam niedergeschlagen schauend zurück und schüttelte nur den Kopf. Dafür erntete sie zwei verständnislose Blicke von den anderen und einen verwirrten von mir.
„Na dann, wollen wir unsere Tabletts wegbringen? Wir können am besten direkt hier bleiben und was spielen... Außer Tanya kann ja noch keiner lesen..“, sagte sie dann und wechselte so das Thema.
„Warum sollen wir denn hier bleiben?“, fragte ich verwirrt.
Tanya seufzte. „Weil ausgerechnet unser armes Zimmer die erste Nachtwache erwischt hat“, erklärte sie dann.
„In den Ferien?“ Das verwunderte mich.
„Ja, die Zeit ist zwar um eine halbe Stunde hoch gesetzt, aber es gibt trotzdem eine Nachtruhe. Ab dem letzten Ferienwochenende wird diese wieder von den Schülern übernommen, vorher machen es die verbliebenen Lehrer oder sogar der Leiter höchstpersönlich“, erklärte Tanya.
„Die meisten Schüler verbringen die Ferien ja eh Zuhause, ob nun um produktiv zu sein und bei der Ernte zu helfen wie du oder eben, um einfach zu faulenzen und sich von den stolzen Eltern umsorgen zu lassen“, fügte Nytra hinzu. Wir hatten nur einmal große Ferien, die sich dafür über drei Monate hinzogen, da hier von Juli bis September die Haupterntezeit lag.
„Ach, Nytra, da wir eh nichts zu tun haben, können wir uns auch Schreibsachen holen und schon einmal anfangen zu üben“, stichelte Tanya dann. Zora und ich waren von der Idee begeistert, so würde man wenigstens am ersten Schultag nicht als kompletter Anfänger dastehen. Nytra hatte sich jedoch scheinbar seit Tanyas Ankunft dagegen gewehrt und wirkte auch jetzt eher genervt.
Letztendlich holten wir doch die Sachen und Tanya malte uns die Buchstaben auf und erklärte uns dann für welche Laute sie standen. Nytra faulenzte gelangweilt in einer Ecke und beobachtete die anderen Schüler, die noch hier waren. Tanya ließ uns selbst die Buchstaben nachmalen und brachte uns dann einige Wörter bei. Da das meiste zum Glück geschrieben wurde, wie man es sprach, war es relativ einfach. Sie brachte uns bei unsere Namen zu schreiben und noch ein paar andere wichtige Wörter. Zuletzt schrieb sie einen Satz auf, den wir vorlesen sollten.
Während Zora und ich noch herumrätselten meinte Nytra gelangweilt: „Da steht: Ich hoffe, wir werden gute Freundinnen. Ist dir wirklich nichts besseres eingefallen?“
Tanya schaute sie nur genervt an. „Sag doch einfach, dass du lesen kannst!“, fuhr sie Nytra an.
Diese grinste nur. „War so viel witziger.“ Sie zuckte mit den Schultern und fragte dann: „Wollen wir dann noch Karten spielen? Es ist schon fast halb elf.“
So spielten wir noch ein paar Runden Karten, ehe Tanya sagte: „So, drei Minuten noch. Ich würde sagen-“, da fiel Nytra ihr ins Wort und meinte: „Ihr macht die Mädchen, wir die Jungs okay? Gestern habt ihr das schließlich gemacht.“ Nach einem kurzen Augenblick der Verwirrung, nickten die beiden anderen und lächelten wissend. Das ganze war mir nicht ganz geheuer und ich hatte da so ein Gefühl, dass irgendetwas blödes passieren würde. Und so kam es dann auch...
Wie abgesprochen durchschritten Nytra und ich später die Tür zum Jungsbereich und traten auf einen Flur, der genauso aussah wie unserer.
„So, ich geh nach oben zu den größeren, die können schon mal nervig sein. Die in unserem Alter sind hauptsächlich auch Neulinge, also wird das wohl gehen.“ Ich hatte keine Zeit mehr zu fragen, was sie mit hauptsächlich meinte so schnell kletterte sie die Leiter in den nächsten Stock hinauf. Ich zuckte die Schultern und klopfte dann an die Tür von 1-a.
„'Tschuldigung“, sagte ich und öffnete. In dem Zimmer saß ein einziger Junge auf einem unteren Bett. Er hatte kurze braune Haare und warme braune Augen.
„Ist schon Nachtruhe?“, fragte er verwundert und lächelte dann. „Danke fürs Bescheid sagen.“
„Schlaf später gut“, meinte er nach einer kleinen Pause und wurde leicht verlegen. Ich wünschte ihm auch eine gute Nacht und ging dann ebenfalls verlegen weiter.
In 1-b erwarteten mich drei, die sofort grinsend die Köpfe zur Tür wandten.
„Oh? Du bist nicht Nytra!“, meinte der eine und schaute mich mit großen Augen an.
„Aki, das ist unhöflich“, rügte ihn einer, der mir den Rücken zudrehte und scheinbar in ein Buch vertieft war.
Der dritte meinte dann: „Du bist selber nicht gerade höflich, Bari....“
„Fan hat Recht!“, mischte der erste gleich mit.
„Leute? Ich sollte nur sagen, dass jetzt Nachtruhe ist...“, versuchte ich dazwischen zu kommen, doch das Gespräch war mittlerweile so ausgeartet, dass sie mich ignorierten. Lumina hatte mir schon früh beigebracht, wie man in einer solchen Situation reagieren musste, weshalb ich mich gerade aufrichtete und so laut ich konnte rief: „NACHTRUHE!“
Das ganze war mir trotz allem etwas unangenehm, weshalb ich sofort wieder in mich zusammenfiel und den dreien unsicher entgegen sah.
„Woah, das kannst du fast noch besser als Nytra!“, grinste Aki.
Verlegen beeilte ich mich zu sagen: „Auf jeden Fall ist jetzt Ruhe und das Licht müsst ihr auch aus machen.“ Danach verschwand ich relativ schnell und hoffte, dass mich nicht noch weitere komische Begegnungen erwarteten. Nur um meine Hoffnung schon im nächsten Zimmer zerstört zu sehen. Genau genommen vor diesem Zimmer.
Wie zuvor klopfte ich, doch diesmal öffnete mir jemand die Tür. Erleichtert seufzte ich schon auf und ratterte mit gesenktem Kopf meinen Text runter: „Es ist jetzt Nachtruhe, also macht das Licht aus und seid leise.“
„Alles klar, Süße.“ Angesichts dieser Bezeichnung hob ich gereizt den Kopf und wurde rot. Der Idiot war auch noch halb nackt... Schnell schaute ich ihm ins Gesicht und dann realisierte ich.
„DU!“, rief ich erschrocken.
„Hi, Arisa, freut mich auch dich zu sehen“, wagte er es einfach daher zu grinsen.
„Bist du eigentlich bescheuert?! Warum bist du einfach verschwunden? Wo warst du? Und warum bist du halb nackt?!“, schrie ich ihn an. Hinter mir erklang lautes Gelächter und einige Türen öffneten sich angesichts des Krachs. Wütend fuhr ich herum. Nytra hing halb über dem Geländer und hielt sich vor Lachen schon den Bauch.
„DU! Du hast das geplant!“, rief ich. Da sie nicht in der Lage war zu antworten, hob sie nur einen Daumen.
Sauer drehte ich mich wieder um. „Was machst du überhaupt hier? Du bist zwei Jahre älter als ich, solltest du nicht in der dritten sein?“, motzte ich dann.
„Ich bin von 1500, ausnahmsweise haben die mich letztes Jahr noch aufgenommen“, begann er zu erklären, als jemand von hinten rief: „Und dann ist er auch noch sitzen geblieben!“
Ich wandte den Kopf und hörte nur wie Zeo rief: „Naro! Du bist auch letztes Jahr erst ausnahmsweise aufgenommen worden!“
„Ja, aber dafür bin ich auch nicht sitzen geblieben!“, rief ein Junge mit tiefroten Haaren und blaugrünen Augen von oben. Er lehnte neben Nytra und klopfte ihr jetzt auf die Schulter. „Das war wirklich ein rührendes Wiedersehen. Geniale Idee, Nytra“, grinste er dann. „Wie heißt deine Freundin?“
„Arisa“, antwortete ich für Nytra, ich stand schließlich in Hörweite.
„Gut. Da hier sowieso jetzt alle Türen aus Interesse aufgegangen sind, eine Nachricht an euch alle. Es herrscht jetzt Nachtruhe, also tut der lieben Arisa hier einen Gefallen, macht das Licht aus und geht schlafen.“ Seine laute und bereits relativ tiefe Stimme hallte durch die beiden Stockwerke und nach und nach gingen die Türen (nicht ohne vereinzelte Pfiffe und lautes Gelächter) zu.
„Bitteschön, liebste Arisa. Verzeih meinem ehemaligen Zimmergenossen sein Verhalten, aber ich schätze du kennst dich damit aus“, sagte er dann entschuldigend, jedoch mit einem Zwinkern.
'Du bist mindestens genauso schlimm', dachte ich mir, zuckte die Schultern, drehte mich um und ging. Ich hörte wie Nytra hinter mir mal wieder einfach aus dem zweiten Stock runtersprang, reagierte aber nicht darauf. Auch nicht auf die Fragen, die sie stellte, als sie mich eingeholt hatte. Ich durchquerte die Cafeteria und betrat den Mädchenbereich.
Tanya schaute verwundert von oben herunter und fragte: „Wart ihr so schnell?“ Nytra zuckte mit den Schultern, ich reagierte auch darauf nicht. Ich betrat unser Zimmer, kletterte auf mein Bett und drehte mich zur Wand.
„Arisa? Arisa! Hey, tut mir leid ja? Bitte sei nicht sauer. Es war ja nicht böse gemeint...“, versuchte Nytra vergeblich sich zu entschuldigen. Aber ich war gar nicht sauer auf sie. Eigentlich war ich nur sauer auf Zeo und auch das nicht mal wegen gerade, sondern weil er damals einfach verschwunden war.
„Nytra, ist gut. Ich bin nicht sauer auf dich...“, meinte ich nach einigen Momenten der Überwindung.
„Wirklich?“, fragte sie noch einmal nach.
„Ja, ich bin nur sauer auf Zeo...“, erklärte ich und dann fragte sie nicht weiter. Wir zogen uns um und als Tanya und Zora später kamen, lagen wir schon im Bett.
„Hey, Leute. Warum wart ihr so schnell?“, griff Zora Tanyas Frage wieder auf. Neugierig schauten die beiden uns entgegen.
„Wir hatten Hilfe von Naro. Nachdem die Türen angesichts des rührenden Wiedersehens alle geöffnet waren, hat er eben für uns eine Ansage gemacht“, grinste Nytra.
„Was für ein rührendes Wiedersehen?“, fragte Tanya verwirrt.
„Na, Arisa und Zeo, du Intelligenzbestie“, murmelte Nytra schläfrig, woraufhin Tanya genervt schaute. Keine Ahnung, ob sie jetzt sauer auf Nytra war oder sich nur ärgerte, dass sie nicht selbst drauf gekommen war...
„Achso. Das war aber nett von Naro...“, meinte Zora und Tanya nickte.
Wieder an die Wand gedreht lauschte ich den Bewegungen der anderen beiden, während sie sich umzogen. Rücksichtsvoll versuchten sie extra leise zu sein, doch Nytras tiefen Atemzügen nach zu urteilen, war sie eh schon eingeschlafen und zeigte auch keine Anzeichen, wieder aufzuwachen. Ich lag da und versuchte mich zu beruhigen, doch meine Gedanken kehrten immer wieder zum selben Thema zurück.
'Was war das für ein Zufall, dass ich Zeo ausgerechnet hier wieder traf? Wo war er nur gewesen? Wie kam er dazu, einfach so zu tun, als wäre nie etwas gewesen?' Während mir all diese Fragen im Kopf rumschwirrten, kamen mir unwillkürlich die Tränen. Ich musste wieder an den Tag denken, an dem er einfach ohne ein Wort verschwunden war. Das ganze Dorf hatte nach ihm gesucht. Doch es gab keine Spur. Gar nichts. Er hatte niemandem etwas gesagt, niemand hatte ihn gesehen. Wir wussten nicht mal, ob er noch am Leben oder tot war. Ich hatte zwar letzteres nie geglaubt, aber...
Ich schniefte leise und wischte mir die Tränen ab. Ich fühlte mich auf einmal unendlich müde. Der Gedanke, dass es ihm scheinbar gut ergangen war, war zwar tröstend, aber es blieben so viele Fragen offen... Und vor allem die quälendste: warum? Ich seufzte und drehte mich auf den Rücken. Ich schloss die Augen und konzentrierte mich auf den leisen Atem der anderen drei, was etwas sehr beruhigendes hatte. Langsam aber sicher wurde ich müde und sank letztendlich in einen tiefen Schlaf. Und so endete mein erster Tag an der Akademie.