NYTRA
Müde streckte ich mich auf dem Bett aus. Wir hatten eine weitere Woche hinter uns. Und ein neues Jahr vor uns. Das erste Jahr, das ich vollständig an der Akademie verbringen würde. Es schien zwar ein wenig seltsam, wenn man so darüber nachdachte, doch ich war froh. Das hier war mir ein schöneres und besseres Zuhause geworden, als ich zuvor je gehabt hatte.
Doch ich kam auch ins Grübeln. Es war ein neues Jahr, verbunden mir unendlichen neuen Möglichkeiten und Herausforderungen. Und damit kam auch die Frage, was wollte ich in diesem Jahr erreichen? Was wollte ich ändern? Im letzten Jahr war die Antwort einfach gewesen, ich hatte meine Bescheinigung für die Akademie gehabt und wollte dorthin. Doch jetzt, wo ich hier war, hatten sich meine Ambitionen irgendwie erledigt...
Nein, das war Unsinn. Das nächste Ziel war der Dritte Jahrgang. Und um sicher in diesen reinzukommen, musste ich noch stärker werden. Musste ich noch mehr laufen, noch mehr üben. Und im nächsten Jahr gut aufpassen. Bis jetzt lernten wir immer noch Grundlagen, die mir bekannt waren, doch im nächsten Jahr würde sich alles ändern.
„Tanya?“, fragte ich in den Raum, während ich weiter an die Decke starrte.
„Ja?“, kam es verwundert von unten. Ich hörte, wie sie umblätterte, scheinbar las sie schon wieder.
„Lass uns ab morgen nicht nur Ausdauertraining machen, sondern auch Kampftraining.“
„Wie kommst du jetzt darauf?“, fragte sie verwundert. „Neujahrsvorsätze oder was?“, fiel ihr dann belustigt auf.
„In der Art. Es kann nicht schaden“, antwortete ich.
„Nein, es ist sogar eine sehr gute Idee. Sukira wird es bestimmt auch helfen.“
Sukira, stimmt. Die gab es ja auch noch. Ich fand es momentan schwierig, in ihrer Nähe zu sein. Mich machte die Situation vom Wintertraining immer noch ein bisschen wütend, doch sie schien einfach so tun zu wollen, als sei nie etwas passiert. Bei der Nachtwache in der letzten Woche hatten sich alle aus ihrem Zimmer normal verhalten.
„Bestimmt“, antwortete ich ein bisschen spät.
„Machst du dir immer noch Gedanken?“, fragte Tanya mitfühlend. „Es scheint doch jetzt alles wieder gut zu sein. Klar, ich wäre auch dafür gewesen, dass die anderen von der Akademie verwiesen werden, aber der Leiter wird sich schon etwas dabei gedacht haben. Wir können uns nur damit arrangieren. Und solange es Sukira gut geht, ist es für mich in Ordnung.“
„Du hast sie nicht gesehen, wie ich sie gesehen habe...“, sagte ich leise. „Es sah aus, als dachte sie, sie hätte das verdient.“
Einen Moment schwieg Tanya und schien zu überlegen. „Erinnerst du dich noch an unser erstes Extratraining? Danach haben wir uns gestritten bis sie dazwischen ging. Damals sagte sie, sie könnte sich gut selbst verteidigen“, wandte sie ein.
„Wir haben doch wohl beide mitbekommen, dass das nicht immer stimmt“, hielt ich dagegen.
„Das stimmt, aber was willst du tun? Du kannst nicht die ganze Zeit bei ihr sein und sie beschützen. Das muss sie selbst lernen. Und sie hat damals gezeigt, dass sie ich durchaus durchsetzen kann. Wir müssen sie nur dazu bekommen, dass sie es auch tut. Dabei können Kampfübungen vielleicht eine Hilfe sein. Wenn sie erst einmal sicherer wird, was ihre Fähigkeiten angeht, wird sie vielleicht auch sicherer im Umgang mit den anderen Mädchen.“
„Ja, vielleicht hast du recht...“, murmelte ich noch leise. Erst als sie laut anfing zu lachen, merkte ich, was ich da gerade gesagt hatte.
„Ich hätte nie gedacht, dass ich diese Worte je aus deinem Mund hören würde. Sukira muss wohl echt deine Schwachstelle sein...“
„Freunde sind nie eine Schwachstelle“, hielt ich beleidigt dagegen.
„Ist sie denn nur eine Freundin?“, in Tanyas Stimme mischte sich ein Unterton, den ich bei ihr noch nie gehört hatte.
Verwundert setzte ich mich auf und schaute zu ihr herunter. „Wie meinst du das?“
Sie schaute zu mir hoch und klappte ihr Buch zu. „Naja, Zora und ich hatten darüber geredet und uns beiden war aufgefallen, dass du dich doch sehr um sie gesorgt hast. Also hatten wir überlegt, ob da nicht vielleicht mehr hinter steckt. Du weißt schon, was ich meine...“
Perplex starrte ich sie an. Dann war es an mir, laut loszulachen. Kichernd rollte ich auf dem Bett herum und konnte mich kaum wieder einkriegen. „Ach, dachtet ihr also-“, ein weiterer Lachanfall unterbrach meinen Satz. „Ihr dachtet, ich mag Sukira? Also auf besondere Weise?“
Ich musste tief Luft holen. Dann beugte ich mich wieder zu Tanya herunter, die mit hochrotem Kopf auf ihrem Bett saß. „Klar, ich mag Sukira. Ich hab sie sogar echt lieb. Aber für mich ist sie wenn dann so etwas wie eine kleine Schwester, die ich nie hatte. Sie hat einfach so etwas an sich, das mir das Gefühl gibt, dass ich sie beschützen will. Ich will sie glücklich sehen. Aber ich will sie nicht küssen oder sowas...“, erklärte ich.
„Das ist überraschend süß von dir“, lächelte sie mir dreist ins Gesicht.
Ich verengte die Augen, ich hasste dieses Wort. „Du weißt noch, was ich dir bei unserem ersten Extratraining gedroht habe? Ich könnte dir jetzt auch wieder eine reinhauen“, drohte ich.
„Und ich würde dich abblocken. Aber spar dir das lieber für morgen auf. Dann darfst du es gerne versuchen“, grinste sie.
„Verlass dich drauf“, antwortete ich und grinste ebenfalls.
Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass wir noch etwa eine Stunde bis zur Nachruhe hatten und da ich jetzt hellwach war, kletterte ich vom Bett herunter und ging zur Tür.
„Wo willst du hin?“, fragte Tanya verwundert.
„Gucken, was die anderen so machen. Vielleicht kann ich irgendwen noch ein bisschen ärgern. Kannst ja mitkommen, Naro freut sich bestimmt“, stichelte ich und grinste ihr über die Schulter zu.
„Nein, danke. Ich glaube ich bleibe lieber hier“, murmelte sie etwas abwesend. Vielleicht hatte sie jetzt Heimweh... Für die meisten war Neujahr ja ein Familienfest.
„Dann nicht.“ Ich zuckte die Schultern und ging. Ich hatte keine Familie, die ich vermissen könnte. Die einzigen, die mir etwas bedeuteten, waren hier. Ein schöner Gedanke.
Im Speisesaal hatten sich hauptsächlich zwei große Gruppen gebildet, die aus den zwei unterschiedlichen Jahrgängen bestanden. Bis auf einige Ausnahmen wie bei uns blieben die Altersgruppen getrennt, schließlich hatten wir meist nicht viel miteinander zu tun. Ich suchte in dem chaotischen Getümmel nach meinen Freunden und wurde dank Zeos lautem Lachen auch schnell fündig.
Arisa schaute zwar etwas sauer, wie eigentlich nur noch, wenn Zeo auch nur den Raum betrat, aber der Rest schien ganz ausgelassen. Selbst Sukira, die wie ganz natürlich in der Mitte ihrer neuen Leibwächter saß. Das war für mich etwas problematisch, da es bedeutete, dass Aki mich wieder nerven würde. Ich hatte mich logischerweise für seinen Einsatz für Sukira bedankt, doch das schien ihn nur ermutigt zu haben, sich offensichtlicher an mich ranzumachen.
So sehr, dass selbst ich das irgendwann nicht mehr übersehen konnte. Und da wurde es unangenehm. Ich hatte keinerlei Interesse an ihm. Ja, ich war ihm für diese eine Sache dankbar, aber er war jünger und kleiner als ich. Und meine Mutter hatte mir von klein auf die Ohren vollgeheult, wie schlimm sie rote Haare fand... Das wäre mir noch egal, nein, das wäre noch ein guter Grund gewesen, drauf zu scheißen, aber... die beiden ersten Punkte ruinierten seine Chancen halt vollständig. Außerdem war er viel zu nett und bemüht. Das wurde schon fast wieder eklig. Wie konnte man nur jemanden wie mich gut finden? Allein das war doch Beweis genug, dass mit ihm irgendwas nicht stimmte.
Mit meinem besten falschen Grinsen, suchte ich mir einen Pfad durch die Leute bis ich bei meinen Freunden stand. „Na, habt ihr mich schon vermisst? Muss ja furchtbar langweilig gewesen sein ohne mich.“
„Nö, wir haben uns eigentlich ganz gut amüsiert“, grinste Arisa als Antwort und rutschte ein Stück zur Seite, damit ich mich neben sie setzen konnte.
„Kann gar nicht sein“, erklärte ich und streckte ihr die Zunge raus. Mir fiel auf, dass bis auf Keiro keiner aus dem zweiten Jahrgang dabei war. „Wo sind denn Naro und die anderen?“
„Die müssen sich heute mit ihrer eigenen Stufe vergnügen. Naro ist ja schließlich immer noch deren Jahrgangssprecher, da kommt es nicht so gut, wenn der immer nur mit uns abhängt“, erklärte Inaga. „Und da Tanya eh nicht da ist, fiel ihm das glaube ich auch nicht ganz so schwer.“
Ich lachte. „Das ist also mittlerweile ein offenes Geheimnis, hm?“
„Allerdings“, grinsten die anderen zurück.
Dann zog jedoch jemand anderes alle Aufmerksamkeit auf sich. Luca schob sich zwischen den anderen Gruppen hindurch und kam direkt zu uns herüber.
„Was will der denn hier?“, fragte ich feindselig. Ich wusste, dass viele der Mädchen auf ihn standen und dass er zuerst gemeinsame Sache mit Sukiras Zimmernachbarinnen gemacht hatte. Bevor ihm seine Zeit wichtiger war... was für ein egoistisches Arschloch.
„Nytra... Ist schon in Ordnung“, flüsterte Sukira mir leise zu. „Er hat mir zum Schluss auch geholfen. Er ist gar nicht so schlimm.“
„Das glaubst du ja wohl selbst nicht! Als ob der jemandem helfen würde“, schnaubte ich und schaute wütend zu ihm herüber. Er bemerkte meinen Blick und erwiderte ihn kalt.
„Nein, Sukira, Nytra hat recht. Er hätte dich genau wie die anderen damals erfrieren lassen. Er weiß wahrscheinlich immer noch nicht, wie du heißt und zu Tanya war er auch von Anfang an gemein“, erklärte Aki und blitzte Luca mindestens so hasserfüllt an, wie ich selbst.
„Ich weiß mittlerweile wie ihr heißt, ihr Volldeppen. Und eure kleine Prinzessin heißt Sukira“, erklärte Luca knapp. Sein Blick wanderte zu mir. „Und der Schatten der Prinzessin hört auf den Namen Nytra. Zusammen mit der lahmen Tanya bilden sie das Versagertrio.“
„Wenn du nur hier bist, um uns zu beleidigen-“, entfuhr es mir aufgebracht, doch er unterbrach mich und hob die Hände, in einer beruhigenden Geste.
„'Tschuldigung, ich vergaß, dass der Name nicht mehr ganz so aktuell ist. Und wie kurz deine Zündschnur ist. Ich bin eigentlich hier, um einen Waffenstillstand zu schließen. Nachdem die anderen beim Wintertraining so kläglich versagt haben, scheint es ja so, als ob sie euch doch in den dritten Jahrgang lassen müssten. Da dachte ich mir, zum neuen Jahr sollten wir unsere vorherigen Streitigkeiten hinter uns lassen und uns etwas zusammenraufen“, erklärte er überheblich.
Das brachte das Fass zum überlaufen. Ich schnellte hoch und holte aus, doch meine Faust traf nicht, wie sie sollte. Stattdessen hielt er sie fest und drückte meine Finger bis es ein bisschen weh tat. Dann zog Arisa mich zurück auf die Bank und hielt mich dort fest.
„Arisa-“, wollte ich schon auf sie losgehen und sie zur Rede stellen, doch sie schaute mich scharf an.
„Hör erst mal zu. Mir gefällt das auch nicht, nach der ganzen Scheiße, die er sich geleistet hat, aber er hat zuletzt Sukira geholfen. Und wenn wir wirklich zusammen in den dritten Jahrgang kommen, dann wäre es besser, sich zumindest ein bisschen zu verstehen“, erklärte sie ernst.
„Seit wann willst du denn überhaupt in den dritten Jahrgang?“, fragte ich, um ihr irgendwie noch widersprechen zu können.
„Wenn ich die Chance habe, warum nicht? Sicher bin ich nicht, aber ich würde nicht ablehnen“, erklärte sie einfach so nebenbei und schaute dann Luca an, der gewartet hatte, bis die Aufmerksamkeit der Gruppe zu ihm zurückkehrte.
„Vergesst es. Ich werde mich nicht mit dem verstehen. Niemals“, erklärte Aki. Ich zog es vor, zu schweigen, nickte aber zustimmend.
„Letztes Jahr war er gar nicht so übel und kämpferisch hat er was drauf“, meinte Zeo schulterzuckend und schaute mich entschuldigend an.
„Dem würde ich mich anschließen“, erklärte Inaga und schaute mich an wie Zeo zuvor.
„Wir sollten alle miteinander auskommen. Wenn er das jetzt endlich verstanden hat, sollte er eine Chance bekommen, das zu beweisen“, erklärte Zora mit Unterstützung von Dorina, Klaris und Keiro.
„Wir müssen im Zimmer eh miteinander auskommen...“, murmelte Fan und Bari nickte. Doch den beiden schien die ganze Sache auch nicht so zu gefallen.
„Also, ich schätze, mein Vorschlag-“
„Vergesst es. Bevor du mir nicht bewiesen hast, dass du eine Chance verdienst, will ich mit dir nichts zu tun haben“, erklärte ich laut und wütend.
„Nytra-“, versuchte Sukira noch, zu protestieren.
„Nein. Es ist mir egal, ob er dir zum Schluss geholfen hat. Am Anfang hätte er dich genauso sterben lassen wie die dummen Zicken aus deinem Zimmer. Das ist alles, was für mich zählt.“
„Was ist denn hier los? Gibt es Probleme?“, fragte Elin da, der wie aus dem Nichts plötzlich bei uns stand.
„Nein“, sagte ich nur, dann drehte ich mich um und ging.
SUKIRA
„Lass sie. Nytra ist nicht so offen für andere...“, murmelte ich und schaute meiner Freundin besorgt hinterher. „Die anderen wollen Luca eine Chance geben, aber sie hat wohl Probleme damit“, erklärte ich, was gerade passiert war. Ich merkte, wie Arisa mich von der Seite angrinste, doch ich beschloss es erst mal zu ignorieren.
„Ziemlich große Probleme, wenn ich das so sagen darf, aber das ist ja nichts neues“, meinte Luca und zuckte die Schultern. „Was ich eigentlich sagen wollte, war, dass mein Vorschlag ja wohl mehrheitlich angenommen wurde.“
„Jap. Also kannst du dich jetzt wieder verziehen. Ein Waffenstillstand bedeutet noch lange nicht, dass wir jetzt auf einmal Freunde sind“, erklärte Inaga dann.
Überrascht schaute Luca sie an. „Du warst doch gerade noch auf meiner Seite?“
„Ich war auf keiner Seite. Ich sagte, dass du kämpferisch was drauf hast und bin der Meinung, dass wir miteinander auskommen sollten, falls wir alle den dritten Jahrgang erreichen. Nicht mehr, nicht weniger.“ Eiskalt und ein wenig genervt hielt sie Lucas Blick stand. Der schien jedoch endgültig genug von uns zu haben, zuckte nur noch die Schultern und ging dann weg.
Erleichtert und erschöpft seufzte ich auf. Ich war froh, dass die Situation so glimpflich ausgegangen war. Es war naiv von mir, zu hoffen, die anderen würden sich einfach so mit Luca versöhnen. Ich meine, sie hatten ja recht, er hatte sich die meiste Zeit wirklich wie ein Idiot verhalten. Ich hatte das nur leider aufgrund seiner einen guten Tat schon wieder vollkommen vergessen... Kein Wunder, dass meine Familie enttäuscht von mir war. Ich war einfach zu dumm.
„Sukira, was ich dich eigentlich fragen wollte...“, sprach Elin mich da an und ich schaute zu ihm, um zu signalisieren, dass ich zuhörte. „Ist denn jetzt alles gut gelaufen, bei euch im Zimmer? Letzte Woche bei der Nachtwache sah ja alles ganz gut aus.“ Er lächelte ein wenig verlegen und ich merkte, dass ich auch ein bisschen rot wurde.
„Ja, es ist jetzt alles in Ordnung... Freundinnen werden wir wohl nie, aber wir kommen miteinander aus...“, antwortete ich ehrlich. „Danke, dass du dir solche Gedanken machst.“ Bei diesen Worten wurde er noch röter und ich musste lächeln.
„Oh, ähm, na dann. Klingt ja gut“, stammelte er und schaute zur Seite. „Ähm, kein Problem. Als Jahrgangssprecher ist es ja meine Aufgabe, mich zu sorgen...“
„Ich finde es trotzdem sehr lieb von dir“, lächelte ich weiter. „Geht es dir denn gut? Ist mit deinem Zimmer alles in Ordnung?“ Vielleicht würde es ihm helfen über etwas anderes zu sprechen, er schien ja sehr verlegen zu sein.
„Mein Zimmer? Ja, da ist alles in Ordnung“, lächelte er erleichtert. „Milan ist zwar manchmal etwas nervig, aber die anderen sind in Ordnung. Auch wenn wir auch nicht viel miteinander zu tun haben. Ich hab da eher was mit Milan und Riley zu tun. Und ansonsten bin ich meistens mit dem ganzen Jahrgang und dem Lernen beschäftigt. Und... ich rede viel zu viel, oder?“, er schaute mich erschreckt an und wurde wieder rot.
Ich konnte ein kleines Lachen nicht unterdrücken. „Das macht doch nichts. Ich finde es schön, wie du das erzählst. Und ich bin froh, dass es dir scheinbar so gut geht.“
„Das ist... zu lieb von dir“, lächelte er etwas gequält und trat dann einen Schritt zurück. „Da hier ja alles in Ordnung zu sein scheint, gehe ich mal ein bisschen weiter. Jahrgangssprecheraufgaben und so...“ Beinahe fluchtartig verschwand er zwischen den anderen Schülern, während ich ihm verwundert nachsah.
Dann ertönte um mich herum lautes Gelächter. Erst jetzt merkte ich, dass alle Augen auf mich gerichtet waren.
„Den hast du ja ganz schön ins Schwitzen gebracht“, lachte Zeo und fiel fast von seinem Stuhl. Arisa nickte und wischte sich eine Lachträne aus dem Augenwinkel. Für einen Moment waren ihre Differenzen vergessen.
„Sie weiß eben gar nicht, was sie für eine Wirkung hat“, lachte Inaga und zwinkerte mir zu.
„Ich weiß gar nicht, was so lustig sein soll“, erklärte ich verwundert.
„Was für eine Tragödie!“, grinste Zora und warf theatralisch die Arme in die Luft. „Sie merkt es nicht und er ist zu verlegen, um was zu sagen.“
„Ein Glück, dass wir nicht so sind“, meinte Keiro und drückte sie an sich.
„Vielleicht solltet ihr es ihr doch erklären?“, fragte Dorina, unterdrückte ihr Lachen und schaute mich beinahe mitleidig an.
„Was? Worüber? Hab ich was falsches gesagt? Hab ich was im Gesicht?“, fragte ich, ich wurde immer nervöser. Irgendetwas musste ja gewesen sein, wenn sie alle so ein Theater machten.
„Nein, nein. Alles gut“, meinte Inaga, stand auf und kam zu mir herüber. „Du hast nichts falsch gemacht. Bleib einfach immer so, wie du jetzt bist“, grinste sie und streichelte mir über den Kopf, als sei ich ein kleines Kind.
Genervt schaute ich zu ihr hoch. „Ihr seid doof. Behandel mich nicht wie ein Kind.“ Notfalls würde ich es mir einfach von Nytra erklären lassen.
„Tut mir ja leid, dass ich die Feier kaputt machen muss, vor allem, da ihr gerade alle so viel Spaß habt, aber es ist leider Zeit für die Nachtruhe“, ertönte da eine laute Stimme.
Zeo seufzte. „Das ist Yago. Dann müssen Sukiras Fragen wohl leider unbeantwortet bleiben“, erklärte er mit einer hilflosen Geste, grinste aber schadenfroh.
„Ich erkläre es dir morgen wohl“, meinte Arisa mit einem Blick auf Zeo und ging dann zum Mädchentrakt.
„Oh, nein, das wirst du nicht! Bitte, Arisa!“, rief Zora ihr noch flehend hinterher. Ihr fiel es schwer, sich von Keiro zu trennen.
Ich stöhnte genervt. Doch dann musste auch ich ein bisschen lächeln. Es war zwar frustrierend, nicht zu wissen, was so lustig gewesen war, aber es war auch schön, dass die anderen mich jetzt genauso ärgerten wie sie das schon immer untereinander gemacht hatten. Am Anfang war es nur Nytra gewesen, die das gemacht hatte. Ich machte mir nur Sorgen um die Sache mit ihr und Luca...
ARISA
Ich war schon fast bei unserer Tür angekommen, als ich eine vertraute Stimme hinter mir hörte. Eine Stimme, die ich jetzt echt nicht hören wollte. „Arisa? Warte bitte einen Moment.“
Wütend fuhr ich herum. Doch Zeos bittender Blick ließ mich stocken. „Arisa... hör mir bitte erst mal zu“, bat er aufrichtig.
„Wirst du mir irgendwas erklären?“, fragte ich lauernd. Ich wollte eine Erklärung, vorher würde ich mich nicht mit ihm vertragen.
„Das kann ich nicht. Noch nicht. Und das tut mir wirklich leid, aber... Ich wollte dich um etwas bitten.“
Ich zog die Augenbrauen zusammen. Eigentlich wollte ich wirklich nicht darauf eingehen, aber ich war neugierig, was er sich überlegt hatte. Und es fiel mir grundsätzlich schwer, anderen eine Bitte abzuschlagen. „Um was?“
„Es ist ein neues Jahr. Das Fest des ersten Mondes, du weißt schon... Man lässt alles aus dem letzten Jahr hinter sich und geht das neue an.“ Er bezog sich auf das Fest, das wir im Tal an Neujahr feierten. Dann seufzte er und holte tief Luft. „Ich wollte dich, ganz ernsthaft, fragen, ob du mir noch eine Chance gibst. Nicht, was die blöden Scherze und all das andere angeht. Gibst du mir eine Chance, noch einmal dein Vertrauen zu gewinnen? Dass wir wenigstens Freunde sein können?“
Er schaute mir hoffnungsvoll in die Augen und ich war wirklich gerührt über seine Worte. In mir tobte ein Kampf zwischen dem Wunsch, ihm nachzugeben und der Angst, dass ich ihm mit all seinen Geheimnissen nicht vertrauen konnte. Aber es war ein neues Jahr und jeder hatte eine zweite Chance verdient. So hatte ich es gelernt.
Ich schaute ihm fest in die Augen und erklärte: „Ich will dir eine zweite Chance geben, aber ich kann dir nicht versprechen, dass es wirklich möglich ist. Ich kann nicht einfach vergessen, was passiert ist. Ich werde immer wieder daran denken müssen und ich weiß nicht, ob ich dir trotzdem vertrauen kann.“
Sofort leuchtete seine Miene ehrlich auf. „Das macht nichts. Solange du bereit bist, mir eine Chance zu geben, bin ich glücklich“, lächelte er strahlend und seit langem erinnerte er mich mal wieder an den Jungen aus dem Tal aus meiner Erinnerung.
Ich musste ebenfalls lächeln und musste mich beherrschen, um ihn nicht zu umarmen. Da war wieder dieses alte, vertraute Gefühl von Nähe, das ich ihm gegenüber immer gehabt hatte. Doch so einfach konnte ich es ihm nicht machen. Ich musste immer daran denken, dass er mir noch immer nichts erklärt hatte und dass er jeden Moment wieder verschwinden oder mich wegstoßen konnte.
„Aber denk dran, eine dritte Chance wird es nicht geben“, warnte ich ihn, nachdem meine letzten Gedanken mich wieder wachsam gemacht hatten.
Er schaute mir ernst in die Augen, das Lächeln erlosch. „Ich weiß.“
Einen Moment standen wir einfach so da und schauten einander an. Dann lächelte ich vorsichtig. „Dann ist ja gut.“
Er lächelte zurück. Dann öffnete ich schlagartig die Tür zu unserem Zimmer und es ertönte ein dumpfes Poltern, als sie auf Widerstand traf. Nytra hockte auf dem Boden und rieb sich die Stirn, der Schlag der Tür hatte sie aus dem Gleichgewicht gebracht. Ich hatte damit gerechnet, schadenfroh grinste ich.
„Ich hab dir gesagt, das ist eine blöde Idee“, sagte Tanya ein bisschen schadenfroh von ihrem Bett aus.
„Du bist sowas von doof“, erklärte ich ein wenig rot und verlegen. Pikiert stieg ich über die Lauscherin hinweg und schloss die Tür hinter mir. Dann konnte ich jedoch ein kleines Lächeln nicht mehr unterdrücken. Ich hatte meine Freundinnen so lieb. Jede war auf ihre Weise speziell und sie konnten mir manchmal echt auf den Geist gehen, aber es war auch immer unfassbar lustig. Ich hätte mir keine besseren Zimmernachbarinnen wünschen können. Aber das würde ich ihnen nie einfach so sagen. Schon gar nicht jetzt.
„Ich dachte, du schläfst schon, Tanya?“, fragte ich, um abzulenken.
„Hab ich auch“, gähnte Tanya und warf Nytra einen bösen Blick zu.
„Ich hab sie geweckt, als ich reinkam“, erklärte Nytra beinahe stolz.
Ich musste Lachen, das war so typisch.
„Diesmal verzeih ich dir das noch, wegen der Sache gerade, aber mach das bloß nie wieder“, drohte Tanya noch, dann kuschelte sie sich in ihre Decke und blieb still.
„Ja, ja...“, meinte Nytra, zuckte die Schultern und streckte Tanya grinsend die Zunge raus. Zum Glück sah diese das nicht mehr, sonst hätte es noch wieder Ärger gegeben.
Da ging die Tür auf und Zora kam rein. Sie war mal wieder knallrot, aber das war nichts neues mehr. Jeder wusste, dass sie und Keiro praktisch zusammen waren. Doch jetzt gerade schien sie außergewöhnlich aufgewühlt und strahlend zugleich.
„Oh?“, grinste Nytra natürlich sofort. „Da ist aber mal wieder was vorgefallen. Das letzte Mal, dass du so rot warst, war bei der Hochzeit...“
Zora schaute zwar etwas beschämt zu Boden, konnte aber ihr breites Grinsen nicht verbergen. Dann schaute sie dramatisch hoch und flüsterte: „Wir haben uns geküsst...“
Nytra lachte natürlich sofort laut auf, was Tanya wieder aufweckte, während ich sofort zu Zora ging und sie in den Arm nahm. „Das ist doch schön“, lächelte ich glücklich. Es freute mich von ganzem Herzen, dass sie jemanden gefunden hatte, der ihr hier etwas bedeutete.
„Was ist denn jetzt schon wieder los?“, murmelte Tanya verschlafen. Ich hätte nicht erwartet, dass sie so schnell wirklich wieder eingeschlafen war.
„Im Gegensatz zu dir, die überhaupt nicht vorankommt in ihrem Liebesleben, haben Zora und ihr Freund sich geküsst“, benutzte Nytra das Ganze natürlich wieder, um zu sticheln.
„Glückwunsch Zora. Aber weckt mich nie wieder für sowas. Ich hab schon nur noch sechseinhalb Stunden zu schlafen...“, meinte sie mit einem tiefen Seufzen, nur um sich sofort wieder hinzulegen.
„Sie muss echt furchtbar müde sein...“, flüsterte ich lächelnd.
„Warte mal, ich dachte, ihr hättet euch schon bei der Hochzeit geküsst?!“, fiel Nytra dann auf einmal ein.
Zora schüttelte den Kopf und lächelte. „Nein, damals war es nur auf die Wange. Diesmal richtig...“
„Aaah“, Nytra grinste breit. „Davon wirst du mir morgen ausführlich erzählen. Jetzt sollten wir wohl besser schlafen. Wenn wir Tanyachen nochmal wecken, wird bestimmt echt ungemütlich.“
„Das wäre wohl besser“, stimmte Zora zu. „Aber, ob ich dir irgendwas ausführlich erzähle, das weiß ich noch nicht.“ Sie streckte Nytra die Zunge raus, die daraufhin so tat als sei sie beleidigt und sich zur Wand drehte.
„Mach doch, was du willst“, in ihrer Stimme hörte man, dass sie das Ganze eher lustig fand.
TANYA
Am nächsten Morgen war es im Zimmer eiskalt. Bibbernd zog ich an Nytras Bettdecke. „Komm schon, wer gestern noch so lange wach bleiben konnte, kann jetzt auch trainieren“, flüsterte ich, als von ihr nur ein widerwilliges Grummeln kam.
Wir machten uns, nachdem ich Nytra endlich aus dem Bett bekommen hatte, schnell fertig und kletterten wie immer nach draußen. Die Drittklässler würdigten uns mittlerweile kaum mehr eines Blickes, als wir zu Sukiras Fenster hinüber gingen. Sie erwartete uns dort schon und schweigend begannen wir, unsere Runden zu laufen.
Ich merkte, dass es mir bereits viel leichter fiel als am Anfang, aber ich konnte immer noch nicht sonderlich lange oder weit laufen. Nach etwa eineinhalb Runden, musste ich erst mal ein Stück gehen. Den anderen schien es jedoch genauso zu gehen, was mich etwas beruhigte. Ich hatte zwar schon Glück damit gehabt, dass wir das Wintertraining bestanden hatten, aber wenn ich keine guten Noten in der Ausdauer bekam, würde Raiga mich sicher trotzdem nicht in den dritten Jahrgang lassen. Aber es dauerte nun einmal, bis man wirklich gut wurde. Das passierte nicht von einem Tag auf den anderen.
Sukira schien es da etwa so zu gehen wie mir. Ihr schien das Laufen auch schon leichter zu fallen, auch wenn ihre Ausdauer trotz des Trainings etwas unter meiner blieb. Wer mir allerdings Sorgen machte, war wie immer Nytra. Dieses Mädchen hatte immer noch nicht kapiert, dass sie sich nie verbessern würde, solange sie so verkrampft war. Wenn sie die Luft anhielt, bekam sie immer noch sehr schnell Seitenstiche, aber es war wenigstens schon ein bisschen besser geworden.
Hoffentlich machte sie bei den Kampfübungen nicht auch so einen Mist. Das erschien mir noch als das nächste Problem. Es war zwar eine gute Idee von Nytra, aber im Gegensatz zum Ausdauertraining, konnten wir die Kampfübungen nicht so einfach ohne weiteres selbst machen. Dabei kam es vor allem darauf an, die Bewegungen richtig auszuführen und ohne jemanden mit Ahnung, der einen korrigierte, würden wir uns wahrscheinlich nicht sonderlich verbessern. Trotzdem mussten wir es erst einmal versuchen.
Nachdem wir unsere Runden gelaufen waren, machten wir eine kurze Pause, in der Sukira schon gehen wollte. Nytra hatte ihr wohl nicht mehr gesagt, dass wir ab heute auch Kampftraining machen wollten. Typisch von ihr, so etwas zu vergessen... Sie schaffte es doch immer wieder mich aufzuregen.
„Warum hast du ihr das nicht gesagt? Ich denke, du bist so stolz auf dein Gedächtnis“, fragte ich ärgerlich.
„Du kannst mich mal!“, kam prompt die genervte Antwort. „Als ich gerade reingekommen war, kam schon dieser Wichser von Luca und hat alles kaputt gemacht.“
„Nytra!“, fuhr Sukira sie an, noch bevor ich etwas sagen konnte. „Erstens sollst du nicht so reden und zweitens ist er nicht so schlimm, wie ihr alle denkt. Er hat zumindest eine Chance verdient und um nichts anderes hat er gestern Abend gebeten. Du warst doch auch vom Motto der Akademie überzeugt, oder? Dass hier alle gleich sind und dieselbe Chance haben, sich zu beweisen.“
„Der hat seine Chance bei mir schon verspielt!“, gab sie beleidigt zurück, sie merkte wohl selbst, dass Sukira Recht hatte. Auch wenn ich mich mit dem Gedanken auch nicht wirklich anfreunden konnte. Luca hatte sich in den bisherigen drei Monaten als ziemlich armselig und gemein bewiesen. Dass er sich jetzt ändern würde, konnte ich mir kaum vorstellen.
„Na, wie auch immer. Es kann nicht schaden, wenn wir auch die Kampfübungen trainieren. Sich verteidigen können ist für jeden wichtig, ob man jetzt in den dritten Jahrgang will oder nicht“, wechselte ich dann das Thema.
„Klingt ja schön und gut... aber wie wollt ihr das machen? Die Übungen kennen wir zwar mittlerweile, aber wie wollt ihr überprüfen, ob wir es richtig machen?“, wandte Sukira unsicher ein.
„Jeder achtet erst mal auf sich selbst. Einfache Schläge oder Blöcke werden wir schon hinbekommen...“, schlug Nytra vor. Ich nickte zustimmend und so stellten wir uns auf und fingen erst einmal mit den Grundlagen an. Mehr hatten wir sowieso noch nicht gelernt.
Eine ganze Zeit lang blieb es still, das einzige Geräusch auf dem Schulhof war unser Atem und gelegentlich ein wenig Getuschel von den Drittklässlern auf den Dächern. Doch dann durchschnitt ein leiser, eisiger Hauch die Stille. Nur beinahe lautlos landete eine dunkel gekleidete Figur vor uns. Das erste Sonnenlicht ließ die hellblonden Haare erstrahlen, die blauen Augen funkelten, als sie berechnend auf uns herabschaute.
„So wird das nichts. Kleine, du bist zu zögerlich in deinen Bewegungen. Blondie hat 'ne gute Technik, ist aber zu angespannt und das kleine Monster ist zu wild und ungezügelt“, lautete ihr Fazit, was ihr böse Blicke von Nytra und mir, sowie einen vollkommen erschreckten von Sukira bescherte.
„Na, was schaut ihr jetzt so? Ich werde dich schon nicht fressen, Kleine“, sie grinste bedrohlich. „Ihr anderen beiden, habt ihr ein Problem mit meiner Einschätzung?“
Darauf wusste ich erst nicht, was ich antworten sollte. Sie war älter als wir, also definitiv eine Lehrerin. Vom dritten Jahrgang, da sie mir nicht sonderlich bekannt vorkam. Ihr zu widersprechen wäre absoluter Unsinn gewesen, trotzdem störte ihre abfällige Art mich. Vor allem diese blöden Spitznamen, was glaubte die, wer sie war?
Ich rechnete damit, dass Nytra ihr entgegen aller Logik widersprechen würde, doch das tat sie nicht. Stattdessen schüttelte sie nur stumm den Kopf und entspannte sich, beinahe etwas niedergeschlagen. Überrascht schaute ich sie an.
„Oh? Scheint als ob eine von euch wenigstens wüsste, wer ich bin. Ein schlaues kleines Monster, wie ich sehe. Euch beiden muss ich mich wohl nochmal vorstellen. Mein Name ist Finja Poll, derzeit Lehrerin der 3-3. Schülerschreck seit 1503 und die beste Kampflehrerin, die ihr euch nur wünschen könnt“, verkündete sie stolz.
Ob dieser Stolz gerechtfertigt war, wusste ich nicht. Aber ihr überhebliches Gehabe ging mir auf die Nerven. „Schön für Sie, 'Schülerschreck'. Sie erscheinen mir bisher mehr als überheblich, aber wenigstens machen sie mit den dummen Spitznamen nicht mal vor sich selbst Halt.“
Sie zog amüsiert die Augenbrauen in die Höhe. „Ach, gefällt dir mein Spitzname nicht, Blondie? Ich kann auch den von deinem Jahrgang übernehmen, aber ich weiß nicht, ob der soviel besser ist...“
„Ich habe einen Namen. Tanya Akiraka. Und so will ich angesprochen werden.“
„Die Welt gibt einen Scheiß auf das, was du willst. Außerdem dachte ich, du wolltest was ganz anderes?“, gab Finja kalt zurück. Verwirrt schaute ich sie an.
„Ach, den Wunsch schon wieder vergessen? Ich dachte, du wolltest in den dritten Jahrgang?“, hakte sie nach. Sie hatte sichtlichen Spaß an dieser Unterhaltung.
„Ich habe nie gesagt, ich wolle in den dritten Jahrgang. Ich habe gesagt, ich werde ihn erreichen“, hielt ich dagegen.
Anerkennend zog sie die Brauen in die Höhe. „Gut. Aber so wird das nichts werden. Ausdauertraining bekommt ihr alleine hin, aber für die Kampfübungen braucht ihr noch Anleitung. Allerdings könnte ich das, zumindest an den Morgen, an denen meine Gruppe Wache hat, übernehmen. Wenn ihr nicht zu viel Angst habt“, erklärte sie dann und schaute zu Sukira, die einen Schritt zurückgetreten war und immer noch verängstigt schaute.
„Sukira, reiß dich zusammen. Das ist das beste, was uns passieren kann“, zischte Nytra jetzt. Ich war zwar nicht ganz so überzeugt, dass es 'das beste' war, aber schaden würde es auf keinen Fall. Sukira hingegen schien anders zu denken.
„Nur dass du's weißt. Angsthasen haben hier nichts zu suchen“, sagte Finja jetzt und wirkte etwas enttäuscht. „Aber Angsthasen überstehen auch normalerweise das Wintertraining nicht.“
„Das war nicht mein Verdienst. Das war die Güte der anderen...“, murmelte Sukira und wich ihrem Blick aus.
„Ist das so? Warum brichst du dann nicht gleich ab? Wofür bist du dann überhaupt hergekommen? Um zu Lesen, Schreiben und Rechnen zu lernen? Kein Problem, aber dann ist es auch sinnlos deine Ausdauer zu trainieren. Die Güte anderer wird dich nämlich nicht ewig mitschleppen.“
„Halt sofort die Fresse!“, mischte sich da natürlich Nytra ein. Ich hatte nur darauf gewartet. Wenn es um Sukira ging, verlor sie natürlich selbst vor Finja jeglichen Respekt.
„Ruhe, kleines Monster, du bist noch nicht dran. Ich will wissen, ob deine kleine Freundin das in sich hat, was man hier braucht oder nicht“, erwiderte Finja mit einem eisigen Blick.
„Nytra, du brauchst mich nicht zu beschützen, das hab ich dir schon öfter gesagt!“, Sukiras Stimme hatte überraschenderweise wieder an Kraft gewonnen.
„Wieso wendest du dich jetzt gegen sie? Eben sagtest du noch, dass du dich auf die Güte anderer verlässt. Ist es nicht gütig von ihr, dich zu verteidigen, wenn du es selbst nicht tust?“ Damit hatte Finja jetzt ins Schwarze getroffen und ich war neugierig, wie Sukira jetzt reagieren würde. Doch das tat sie erst einmal gar nicht. Als die Stille unangenehm wurde, hakte Finja nach: „Was ist jetzt, hast du die Kraft, dich selbst zu verteidigen oder lässt du das andere machen?“
Nach einem weiteren kurzen Zögern, schaute Sukira ihr fest in die Augen und sagte: „Ich habe noch nicht genug Kraft, mich selbst zu verteidigen. Aber ich will- nein, ich werde sie bekommen. Wenn Sie uns helfen.“
Auch das schien eine Antwort zu sein, die Finja gefiel. „Geht doch“, ein zufriedenes Lächeln breitete sich einen Moment auf ihrem Gesicht aus. Doch dann wandte sie sich an Nytra und der Blick wurde wieder berechnend. „Dann müssen wir nur noch sehen, ob das Monster auch wirklich Verstand hat.“
„Nennst du mich dumm?!“, antwortete Nytra mit einer lauernden Gegenfrage. Ich merkte, dass sie sich bereit machte, zuzuschlagen, doch ausnahmsweise würde ich nicht eingreifen müssen. Finja sollte dazu in der Lage sein, das selbst abzuwenden.
„Dumm bist du wahrscheinlich nicht, aber ungestüm. Du denkst nicht nach und lässt dich von deinen Emotionen leiten. Aber damit wirst du nicht weit kommen. Ungestüme Leute wie du, sind die ersten, die sterben.“
„Was weißt du schon“, flüsterte Nytra leise und holte aus. Finja bedachte sie mit einem ruhigen, überlegten Blick, blockte ihren Angriff mit links und holte dann mit rechts so aus, als ob sie Nytra schlagen wollte. Der Schlag würde sie ungebremst ins Gesicht treffen, was auch Nytra in dem Moment bemerkte, doch der Schwung ihres Schlages machte es unmöglich für sie, noch auszuweichen. Ich machte mich darauf gefasst, dass sie getroffen zu Boden gehen würde, doch Finjas Faust stoppte nur Millimeter von Nytras Gesicht entfernt.
„Das hier weiß ich. Unkontrollierte Kraft bringt einen manchmal weiter, kann sich aber blitzschnell gegen einen wenden. Kontrolliert und überlegt eingesetzte Kraft, bringt einen immer weiter. Jedoch ist es schwer, Kontrolle zu lernen. Meinst du, du kannst das schaffen, kleines Monster?“, fragte Finja mit einem kalten Lächeln, die Faust schwebte immer noch vor Nytras Gesicht.
„Du kannst mich mal“, Nytra richtete sich auf und holte zum nächsten Schlag aus. Diesmal seufzte Finja etwas genervt, wich mit einem einfachen Schritt zur Seite aus und brachte Nytra mit einem leichten Schubs in den Nacken so aus dem Gleichgewicht, dass sie mit dem Gesicht voraus auf den Boden knallte.
„Hey, so geht das aber nicht!“, protestierte ich. So etwas war hier noch nie passiert, hin und wieder fiel jemand aus eigener Schuld, aber jemand anderen zu Fall zu bringen, das war nicht in Ordnung.
„Hm? Was denn? Das Monsterchen will kämpfen. In einem Kampf kann man auch verletzt werden, vergiss das nicht. Auch dafür lernt ihr hier. Du weißt ja wohl, dass ihr ab dem zweiten Jahr scharfe Waffen haben werdet. Da werdet ihr euch mehr als ein paar Schrammen einfangen“, erinnerte sie mich gelangweilt, während sie einem weiteren sinnlosen Angriff Nytras auswich, die sich mittlerweile wieder aufgerafft hatte.
Das ging etwa zwei Minuten so weiter, bis Nytra nach einem weiteren Sturz endlich liegen blieb. „Bist du fertig damit, mit dem Kopf vor die Wand zu laufen oder willst du damit weiter machen? In deiner jetzigen Verfassung wirst du mich nie treffen, also gib lieber auf“, erklärte Finja und schaute auf sie herab.
Nytra, die wohl die Erschöpfung des Trainings eingeholt hatte, hob nur noch den Kopf. Mit einem tödlichen Blick starrte sie Finja hasserfüllt an. „Ich werde nie aufgeben.“
Finja zog eine Augenbraue hoch. „Lobenswerte Einstellung. Aber das allein reicht nicht aus. Wenn du nicht bereit bist, Kontrolle zu lernen, kann ich dir nichts beibringen. Deine Technik wäre ruhig ausgeführt so gut wie die der lahmen Tanya hier. Also überleg' es dir.“
„Leck mich am Arsch! Ich brauch mir von niemandem sagen zu lassen, ich sei zu ungestüm. Ich kann auch alleine besser werden, dazu brauch ich keine Hilfe. Und irgendwann kriegst da für das hier eine in die Fresse“, verkündete Nytra, rappelte sich auf und schleppte sich dann in Richtung des Schülergebäudes.
„Ich werde nochmal mit ihr reden... Vielleicht können wir sie noch umstimmen...“, schlug Sukira vor. Ich nickte und schaute ihr besorgt nach. Das Ganze war ihre Idee gewesen, es ohne sie durchzuziehen, erschien mir wie Verrat.
„Das braucht ihr nicht. Solange sie ihren Fehler nicht einsieht, kann sie nicht besser werden und so lange werde ich ihr auch nicht helfen. Ihr beiden habt jedoch bewiesen, dass ihr zumindest den Willen habt, zu lernen. Auch wenn es schwierig werden wird, dir beizubringen, sich im richtigen Moment zu entspannen...“, sagte Finja noch mit einem Blick auf mich. Dann sprang sie ansatzlos auf das Dach der Schule und verschwand zu ihrem Jahrgang.
Etwas müde und emotional erschöpft nach diesem Aufeinandertreffen, schauten Sukira und ich uns an. Dann zuckte ich die Schultern und sagte: „Lass uns für heute Schluss machen. Ich könnte jetzt gerade echt noch ein wenig Schlaf gebrauchen...“
Sukira nickte bloß, sie machte sich wahrscheinlich noch sehr viel größere Sorgen als ich. Mir konnte Nytras Leben schließlich eigentlich egal sein. Wir verstanden uns immer noch nicht wirklich gut und Finja hatte meiner Meinung nach recht. Aber vielleicht konnte sie ja trotzdem mit uns zusammen üben. Wenn auch ohne Anleitung von Finja. Alles andere erschien mir ungerecht.