Ich traue mich nicht ins Badezimmer, denn da drin liegt eine Leiche.
Ich möchte sie nicht in diesem Zustand sehen. All das Blut...
Lieber sitze ich hier am Küchentisch und warte.
Meine Eltern haben vorhin das Bad betreten, aber ich fürchte sie sind am Anblick zerbrochen. Mum weint nur noch. Ich wünschte ich könnte sie in den Arm nehmen, oder etwas sagen um sie zu trösten. Vater telefoniert mit der Polizei. Seine Stimme wirkt ruhig, doch sein Blick ist leer. Er hat die Augen eines Mannes der alles verloren hat.
Ein klopfen an der Haustür, leise aber bestimmt. Ich stehe auf und wanke benommen zur Tür, um sie zu öffnen.
"Darf ich reinkommen?", fragt die Besucherin höflich. Eine junge Frau in hellgrauem Kapuzenpullover, ganz blass im Gesicht und mit pechschwarzem Haar. Meine älteste Freundin.
Ich bitte sie herein, und sie umarmt mich herzlich.
"Tut mir leid.", flüstert sie, als sie mich drückt, "Ich habe wirklich auf ein besseres Ende gehofft."
Ich frage sie, ob ich ihr etwas anbieten kann. Sie wünscht sich einen Tee.
Wortlos sieht sie mir zu, als ich uns zwei Tassen aufbrühe, und erst als wir gemeinsam zu Tisch sitzen, beginnt sie damit ihren Job zu machen.
"Du hast es wieder nicht geschafft", sagt sie, seufzend.
"Ich weiß", antworte ich beschämt.
"Du weißt, dass ich dich nicht weiterlassen kann, wenn du es nicht durchziehst."
"Ja, ich weiß."
"Und es wird gewiss nicht einfacher. Bei jedem Mal, wird es noch schwerer, bis du es endlich zu Ende bringst."
Ich schaue schuldbewusst zu Boden.
Sie nimmt einen Schluck Tee. "Es tut Tut mir leid. Das tut es wirklich. Du weißt, ich mache die Regeln nicht. Ich will wirklich nur das beste für dich!"
"Nächstes mal pack ich's bestimmt", höre ich mich sagen. Allerdings zweifle ich selbst dran. Ich hab's mir doch schon tausendmal vorgenommen, aber ich vergesse meine Vorsätze ja jedes Mal auf's Neue. Daran erinnern tu ich immer mich immer erst in dem Augenblick, wenn ich wieder mal gescheitert bin.
Wir trinken aus. Dann kommt der Moment, den ich eigentlich vermeiden wollte.
Doch sie besteht drauf, so wie jedes Mal.
"Noch ein letzter Blick ins Badezimmer", sagt sie ruhig, und geht den Weg mit mir, gemeinsam, Hand in Hand. Drinnen liege ich, mal wieder. Ein abscheulicher Anblick.
"Auf wiedersehen, Körper" hauche ich.
Ein paar Momente verweilen wir noch. Dann ist es an der Zeit zu gehen.
In der Ferne höre ich schon die Sirenen der Rettungskräfte. Zu spät, wie immer.
"Bye Mum. Bye Dad. Hab euch lieb!", rufe ich noch in den Raum.
Keine Antwort. Nur Schuldgefühle.
Sie legt ihren Arm um mich, als wir durch die Haustüre gehen, auf dem Weg in mein neues Leben.
"Irgendwann", sagt sie, und lächelt mir aufmunternd zu, "irgendwann ziehst du's bis zum Ende durch. Und dann siehst du mich mal nicht in der grauen, sondern in der schwarzen Robe."