Ich wusste, dass ich nie genug war. Ich wusste es einfach. Jetzt hatte ich den Beweis dafür gefunden.
Es ist unglaublich, dass Männer in der Lage sind, dich in absoluter Sicherheit zu wiegen, dich glauben zu lassen, es gäbe auf der Welt keine schönere Frau als dich, dir zu sagen "Nein, Liebling, sieh dich an, Du bist nicht dick, Du bist wunderschön," während sie hinter deinem Rücken anderen Mädchen nachschauen, sabbernd vor Bildschirmen hängen und sie nicht zuletzt auf ihrem privaten Tumblr posten. Unglaublich ist allerdings auch, dass ich immer wieder darauf hereingefallen bin. Ana hat es mir einfach schon immer gesagt, Annie ebenso. Ich war so dumm, so unendlich dumm, zu denken, dass er es ernst meinen könnte. Es hätte mir beim ersten Wort klar sein müssen. Aber nein, ich habe mich vom Hauch seiner Lügen einwickeln und betören lassen.
Ich fühle mich gerade ziemlich enttäuscht, verärgert und verletzt. Annie kam genau in dem Moment um die Ecke, in dem ich den Blog gefunden und mir meine Augen an nackten, fremden Frauen verbrannt habe. Sie wusste genau, was ich dachte, und bestärkte mich darin. Er würde nicht bei mir bleiben, denn ich war nicht genug. Ich würde nie so aussehen wie all die anderen hübschen Mädchen, die er augenscheinlich Tag für Tag über seinen Bildschirm laufen ließ. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis er genug von meinem ausgemergelten Körper hatte, vor Fett triefend wie ein Stück Butter. Warum auch sollte er sich mit einem vernarbten, durch Dehnungsstreifen und Cellulite entstellten Wesen abgeben, wenn er die schönsten haben konnte? Wenn er offenbar genau nach denen suchte, die ihren schlanken Körper mit wohlgeformtem Busen und Po in aufreizende Wäsche packten und keck in die Kamera lächeln?
Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ana sagt, ich solle mich auf das Übliche konzentrieren und versuchen, genauso dünn zu werden wie die anderen Mädchen. Annie meint, ich sollte ihn gleich verlassen, bevor er es tut. Vielleicht sollte ich ihm tatsächlich die Schmach ersparen. In mich hineinfressen würde ich es ohnehin. Ich hoffe nur, dass es Deb nicht anlockt, sie hatte ich vor ein paar Wochen erfolgreich aus meinem Haus verbannt. Doch wenn mein Innerstes bröckelt, findet sie meist ein Schlupfloch, einzudringen und meine Gedanken zu vergiften, wobei sie meist auch Sue im Schlepptau hat.
Es ist erstaunlich, dass er es so lang mit mir ausgehalten hat, dass ihn seine Lügen nicht längst stranguliert haben, wie es die Wahrheit nun mit mir tut. Ich wünschte, ich wäre nicht darauf hereingefallen. Ich war sein Spielzeug, seine Puppe. Und Puppen wirft man weg, sobald man eine schönere findet.
Es ist nur noch eine Frage der Zeit.