„Jetzt schreib doch endlich!“, murmelte ich vor mich hin. Ich war gereizt und genervt, sowie immer eigentlich, seit ich Wes vor drei Tagen kennengelernt und ihm beim Verabschieden meine Nummer gegeben hatte. Seitdem saß ich zu Hause auf meinem Bett und wartete, dass er mich anschrieb. Blöd wie ich war, hatte ich nicht daran gedacht, ihn auch nach seiner Nummer zu fragen. Beziehungsweise hatte ich natürlich permanent daran gedacht, während wir uns verabschiedeten, mich aber wie immer eigentlich mal wieder nicht getraut, ihn auch tatsächlich danach zu fragen. Und ihm auf Facebook eine Freundschaftseinladung zu schicken traute ich mich auch nicht. Schließlich schickte er mir ja auch keine. Er hatte es wohl doch nicht so ernst gemeint, wie es mir vorgekommen war. Warum sollte er auch? Wahrscheinlich hielt er mich für verrückt. Ich spielte doch gar nicht in seiner Liga. Schon zum dritten Mal an diesem Tag kamen mir die Tränen, doch zum Glück schaffte ich es dieses Mal sie zu unterdrücken, da meine Mutter genau in diesem Moment mein Zimmer betrat und mich dazu aufforderte mich fertig zu machen, da ich ja heute Abend auf Lindas Geburtstagsfeier eingeladen war.
„Emily, in einer halben Stunde musst du bei Linda sein! Warum hängst du denn schon wieder über deinem Handy? Ich habe dir doch gesagt, das ist nicht gut für deine Augen. Wenn du eine Nachricht bekommst, wirst du das auch merken, wenn das Handy neben dir liegt. Dein Vater und ich fahren jetzt. Und vergiss nicht deine Schlüssel, du weißt, wir sind das ganze Wochenende über nicht zu Hause.“ Genervt verdrehte ich meine Augen. Das war typisch für meine Mutter. Hundert Ansagen auf einmal. Wie sollte man sich das denn alles merken? Ich entschied mich für die einfache und streitfreie Variante einer Antwort, damit sie mich in Ruhe ließ.
„Ja Mama, ich hab dich lieb“, sagte ich, legte mein Handy zur Seite und gab ihr einen Abschiedskuss. Wes würde ja doch nicht schreiben egal, wie lange ich das Teil anstarrte. Die Aussichten auf dieses Wochenende waren auch eher trübselig. Ich würde die ganze Zeit über alleine im Haus hocken. In solchen Augenblicken wünschte ich mir immer, meine Schwester wäre nicht schon 25 und würde noch bei uns wohnen. Aber leider war sie neun Jahre älter als ich, weshalb wir nie wirklich viel miteinander zu tun gehabt hatten. Denn als sie noch zu Hause lebte, war ich zu klein um etwas mit ihr unternehmen zu können. Und jetzt wo ich sechzehn und alt genug war um mit ihr feiern zu gehen, wohnte sie in München. Also mehr oder weniger am anderen Ende der Welt. Nachdem ich noch ein letztes Mal voller Hoffnung auf mein Handy geguckt und mich danach dafür verflucht hatte, es getan zu haben, steckte ich es ein und verließ das Haus. Linda wohnte nur ein paar Straßen weiter, sodass ich locker zu Fuß gehen und mein Fahrrad stehen lassen konnte. Als ich dort ankam, drang laute Partymusik aus dem Haus und ich war mir jetzt schon sicher, dass dies kein guter Abend für mich werden konnte. Linda war eine der Freundinnen, die nur oberflächlich mit mir befreundet waren, mich eigentlich aber für eine langweilige Streberin hielten. Sie hatte mich nur eingeladen, um den guten Draht zu mir nicht zu verlieren. Wahrscheinlich hatte sie Angst, ich würde sie sonst nicht mehr abschreiben lassen oder so. Dementsprechend erwartete ich nicht, dass sich irgendjemand auf dieser Party für mich interessieren würde. Ich würde wie immer alleine in irgendeiner Ecke sitzen und den anderen beim Tanzen zusehen.
„Hey Emily, Süße, schön, dass du da bist. Oh nein du hast ja ein Geschenk! Das wäre aber nicht nötig gewesen!!! Komm doch erst mal rein“. Und schwubs hatte Linda mir das Päckchen, das ich mitgebracht hatte, aus der Hand gerissen und mich am Arm gepackt um mich ins Getümmel zu ziehen. Sie wechselte noch ein zwei obligatorische Sätze mit mir, beschrieb mir den Weg zum Bierfass und verabschiedete sich mit dem Vorwand, es hätte schon wieder geklingelt, sie müsse die Tür aufmachen. Als ich ihr jedoch hinterher sah, ging sie noch nicht einmal annähernd in die Richtung der Tür, sondern zielgerichtet auf einen schon ziemlich angetrunken wirkenden blonden Typen zu, der mindestens zwanzig sein musste. Suchend sah ich mich nach einem stilleren Ort um, an den ich mich zurückziehen und wie üblich abwarten konnte, bis die Party vorbei war. Da ich dabei den Kopf hob und versuchte über die Partygäste hinwegzuschauen, bemerkte ich den braun gelockten Typen, der direkt auf mich zusteuerte, erst als er vor mir stand und mich mit meinem Namen begrüßte. Meinem Namen? Wer auf dieser Party kannte denn meinen Namen? Da musste ich jetzt aber doch noch einmal genauer hinschauen. Ich hätte fast aufgeschrien, als ich erkannte, wen ich da vor mir hatte. Es war Wes. Der, auf dessen Nachricht ich seit drei Tagen wartete. Der, der mich erst nach meiner Nummer gefragt und dann eiskalt geghostet hatte. Und jetzt stand er vor mir und grinste schon wieder dieses unverschämte Grinsen.