Durch das zuvor blendend helle Licht und die plötzliche Finsternis blind geworden, brauchten die Vampire und auch ihre Mitstreiter einen Moment, um wieder sehen zu können.
»Was ist passiert?«, drang die Stimme von Megan durch die Dunkelheit, die sich nur langsam lichtete. Ihrer aller Augen mussten sich erst wieder an das diffuse Licht des Magmasees gewöhnen, nachdem sie einen Moment lang alle das Gefühl gehabt hatten, in die Sonne zu sehen.
»Arian?« Sich hektisch über das Gesicht reibend sahen sich die beiden Vampire um. Noch immer flimmerte die Gestalt ihres erwachsenen Sohnes vor ihrer Netzhaut wie eine Vision aus der Zukunft. Doch wo war er hin?
Sie keuchten erleichtert auf, als sie das vertraute Wimmern und Jammern Aris hörten, der vor ihnen auf dem steinigen Boden saß, Schmutz im Gesicht hatte und heulte wie eine Feuerwehrsirene. Phobos und Riley fielen auf die Knie und zogen das Kind an sich, umarmten einander und spürten die Tränen der Erleichterung über ihre Gesichter laufen.
Es war überstanden. Der Reaper war vernichtet und Arian in Sicherheit. Belletristica war in Sicherheit.
»Wo ist der blöde Alptraummann hin, Papa?«, murmelte der kleine Junge nach einer Weile, die die beiden Vampire ihn nur gehalten hatten.
Riley und Phobos sahen einander an. Arian schien sich nicht an das zu erinnern, was er getan hatte. Und dabei wollten sie es belassen. Er würde es vermutlich ohnehin nicht verstehen. Sie selbst taten es ja auch nicht.
»Verschwunden, Krümel. Der kann uns nie wieder was antun.«
»Toll. Können wir nach Hause gehen? Ari hat so großen Hunger.«
»Ja. Lasst uns nach Hause gehen.«
Die beiden Unsterblichen wandten sich zu den anderen herum, die ihnen mit einer Mischung aus Erleichterung und Misstrauen entgegen sahen.
»Interessiert euch nicht, was das eben war? Wie hat er das gemacht? Was ist er?« Benjamin hatte die Finger fest um den Griff seines Schwertes geklammert, was Phobos mit einem grimmigen Blick registrierte.
»Unser Sohn! Das ist alles, was für uns zählt. Hast du ein Problem damit, Admin?«
»So war das nicht gemeint ... ich bin ... nur neugierig.«
»Gut. Denn wenn du dein Schwert gegen unser Kind erhebst, werde ich einen Weg finden, einen Gott zu vernichten. Nur ein kleiner Hinweis.« Der Unsterbliche zwinkerte und Riley nickte zustimmend.
»Wenn ich eine Vermutung äußern dürfte ...?«, Ischariot, der noch ganz verwirrt zu sein schien darüber, dass der Zauber des Reapers ihn hatte bannen können, bewegte sich mit langsamen Schritten auf die Personen zu, die wachsam zu ihm aufblickten. Der Drache machte nicht den Eindruck, ihnen schaden zu wollen, doch Vorsicht war besser als Nachsicht.
Die Vampire sahen in das Gesicht der Riesenechse und anschließend in das ihres vollkommen erschöpften Sohnes, der dringend ein Bad, eine große Flasche Milch mit Blut und vermutlich auch eine neue Windel brauchte und auf Phobos’ Arm schon beinahe eingeschlafen war. Sie blickten zu ihren Kampfgefährten Benjamin, Megan und Sylfaen, die mit Khaeli und Belle auf ihren Schultern zu ihnen gestoßen war, nachdem Malucius wie eine Sternschnuppe verglüht war und sahen schlussendlich einander an, bevor sie mit dem Kopf schüttelten.
»Nein. Denn es ist unerheblich. Nichts, was du sagen könntest, würde unsere Meinung über Arian ändern. Er ist unser Kind, unser Fleisch und daran wird sich nie etwas ändern.«
Ischariot senkte huldvoll sein Haupt und es sah aus, als würde er lächeln, während die Kampfgefährten wegen ihrer unbefriedigten Neugier enttäuscht waren.
»Können wir Isa mit nach Hause nehmen?«, murmelte Ari müde und hob die Hand dem Drachen entgegen, der seinen Vorderlauf anhob und die winzigen Fingerchen die Spitze eine seiner Krallen umschlossen.
»Ich fürchte, für einen Drachen haben wir keinen Platz.«
»Es ist gut, Menschenkind. Ich werde hier sein, nun, da diese Insel wieder mir gehört.« Die goldenen Schlangenaugen wanderten über die Kämpfer, die schließlich nickten. Keinem von ihnen war nach der Schlacht gegen den Reaper nach einem neuen Kampf gegen einen Drachen zumute und niemanden interessierte es wirklich, was sich in den Tiefen der Höhle verbarg. Sie akzeptierten, dass es Ischariots Besitz war. Gold und Reichtümer waren das Sterben nicht wert.
Arian verzog enttäuscht das Gesicht, war aber viel zu müde, um deswegen Theater zu machen.
»Wir danken dir«, richtete Phobos das Wort an den Drachen. »Du hast unseren Sohn vor einem schlimmen Schicksal bewahrt.«
»Ich bezweifle das«, lächelte die Riesenechse brummig, »wo doch er euch gerettet hat. Doch ich habe es gern getan. Ihr solltet nun aufbrechen, ihr habt einen langen Weg vor euch und ich bin müde.«
Die Vampire nickten und lächelten einander an.
»Ja. Lasst uns von hier verschwinden. Ich habe genug von Vulkanen, Magma und diesem Geruch nach Schwefel.«
Zwar von ihren Verletzungen geheilt, doch noch immer erschöpft von den Strapazen des Kampfes, machten sich die Gefährten an den Abstieg, um sich weiter unten in einer der Ebenen einen gemütlicheren Platz für eine Rast zu suchen, während Ischariot ihnen nachsah.
»Nun denn, kleines Menschenkind. Die Gabe, Leben zu geben, wiegt schwer. Mögest du, anders als der andere Reaper, nicht der falschen Seite der Macht verfallen ...«
Am Horizont, weit im Osten, hinter der Nebelwand, die die Dracheninsel einhüllte, färbte sich der Himmel rosa.
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Es kam den Unsterblichen wie eine Ewigkeit vor, seit sie ihren Sohn das letzte Mal gemeinsam gebadet hatten. Sie konnten kaum die Finger von ihm nehmen und herzten und drückten und küssten ihn wieder und wieder, so erleichtert waren sie, dass es kein Traum war und sie ihren kleinen Arian wiederhatten.
Dieser belastete sich nicht mehr mit dem, was ihm geschehen war, auch wenn er seinen Vätern in seiner kindlichen Art und Weise alles erzählte, was ihm in den knapp zwei Wochen seiner Gefangenschaft passiert war.
»Ischariot ist mit dir durch den Lavasee getaucht? Toll«, bestärkten Phobos und Riley Ari, obwohl sich ihnen innerlich alles zusammenzog. Für den kleinen Jungen war das nun, wo er wieder in der Sicherheit seines Zuhauses war, alles ein Abenteuer gewesen und die Vampire wollten nicht, dass er realisierte, wie knapp er einem viel schlimmeren Ende entgangen war. Auch wenn der Drache recht hatte und es Arian gewesen war, der ihnen allen den Hintern gerettet hatte, hätte auch alles ganz anders kommen können.
Irgendeine mystische Verbindung war entstanden, als Malucius versucht hatte, Ari die Energie zu entziehen und nur das hatte verhindert, dass er gestorben war und dafür gesorgt, dass der Reaper vernichtet werden konnte.
Arian erinnerte sich tatsächlich nicht an den Vorfall, alles was er noch wusste war, wie Malucius ihn durch die Luft hatte fliegen lassen. Und dabei wollten Riley und Phobos es belassen. Es reichte, dass sie das Bild ihres erwachsenen Sohnes, der leuchtete wie die Sonne und ihnen beiden so ähnlich gesehen hatte, nie wieder vergessen würden.
»Jaaaa«, plapperte Ari und plantschte in der großen Wanne im Badezimmer seiner Väter. »Ich saß unter seinen Schuppen, die ganz dolle dick sind. Aber ich konnte trotzdem da durchgucken. Und da in dem See waren ganz viele glitzernde Steine an den Wänden. Isa sagt, Menschen würden sich gegenseitig totmachen, um die zu kriegen. Ari weiß aber nicht, warum.«
»Vermutlich sind es Diamanten, Krümel. Die sind sehr wertvoll.«
»Totmachen tut man aber nicht«, beharrte der Kleine bestimmt und die beiden Vampire nickten.
»Da hast du recht.«
»Darf Ari zu Papa und Daddy ins Bett?«, nuschelte der Säugling, als er auf dem Wickeltisch im Badezimmer lag, Riley ihn abtrocknete und Phobos seinen Schlafanzug und die Windeln vorbereitete. »Ari mag nicht allein sein. Der blöde Alptraummann hat Ari immer allein gelassen.«
Die Vampire konnten nicht verhindern, dass der Ärger über Malucius sie beide knurren ließ. Sie sahen einander an und nickten schließlich. Sie wussten, dass es eigentlich nicht richtig war, wenn sie ihrem Sohn keine Angst vor dem Alleinsein anerziehen wollten, doch in dieser Situation wollten auch sie nicht auf seine Nähe verzichten. Sie hatten ihn gerade erst wiederbekommen, nachdem sie beinahe an seinem Verlust zerbrochen waren und wollten nun ihre Wunden heilen lassen.
Phobos wickelte und zog Arian an, der bereits so müde war, dass er kaum noch bemerkte, was vor sich ging und gemeinsam betraten sie das Schlafgemach der Vampire. Ihren Sohn auf ein Kissen in der Mitte zwischen sich legend, schoben auch die zwei Unsterblichen sich unter die weichen Decken, während im Kamin ein heimeliges Feuer für Wärme und mildes Licht sorgte. Alles fühlte sich nach Geborgenheit an und es duftete leicht nach Tannenzweigen und Baumharz.
Der kleine Junge war im Handumdrehen eingeschlafen und hatte alle Fünfe von sich gestreckt, während Phobos und Riley ihn betrachteten.
»Er sieht aus wie wir«, murmelte der junge Vampir und streichelte Aris winzige Hand, die sofort nach dem Finger griff und ihn festhielt. »Also ich meine ... wenn er erwachsen ist.«
»Das tut er jetzt schon. Er hat deine Nase und meine Augen«, Phobos lächelte und legte seine Hand auf die Rileys, die von den kleinen Babyfingern festgehalten wurde. »Und nichts wird daran etwas ändern. Wir beschützen ihn.«
»Ja«, schmunzelte Riley, »denn ich hab da etwas gemerkt ... bei dem Kampf gegen Malucius.«
»Ach ja?«, fragte Phobos leise, um Arian nicht wieder zu wecken.
»Ja. Irgendetwas ist mit mir passiert. Ich weiß nicht, aber ...«, der junge Vampir hob die freie Hand und machte ein angestrengtes Gesicht, doch nichts geschah. »Hm ... vielleicht war es auch Einbildung.«
»Oder du brauchst etwas Übung und Ruhe. Meine außergewöhnliche Familie.«
Sie schwiegen einen Moment und lauschten dem Knacken des Kaminfeuers und den leisen, seufzenden Geräuschen, die Arian beim Schlafen machte.
»Bereust du es?«, fragte Riley leise und strich dem Säugling die feinen Haare aus dem Gesicht.
»Was genau?«
»Nicht zu wissen, was Ischariot uns über Ari hatte sagen wollen?«
»Nein. Und du?«
»Nein. Es ändert nichts.«
Und genau so war es. Denn Herzen, verbunden in Liebe, waren stärker als jedes Unheil.
~ E N D E ~