„Nein!“ Ein letzter Schrei drang aus ihrer Lunge und dann sah sie die Mörder.
Doch waren das Mörder? Die Bilder fügten sich nur langsam zusammen und schließlich erinnerte sie sich daran, dass sie atmen musste. Kaum schlug sie die Augen auf, entdeckte sie am Fuß des Bettes ihre Eltern, die sie irritiert anstarrten. Links von ihr saß Conan und musterte sie ausdruckslos. Ihre Haare hingen ihr im Gesicht. Sie zitterte am ganzen Körper und brachte kein Wort heraus.
Conan setzte sich zu ihr auf das Bett und drückte ihren Kopf ganz fest an seine Brust. Seine Arme umschlossen ihren Rücken und sie begann zu schluchzen. Ihre Eltern traten näher heran und wirkten noch immer irritiert von dem Verhalten ihrer Tochter. Robyns Finger krallten sich in Conans Hemd fest.
Dieser machte seinen Freunden mit einer leichten Kopfbewegung klar, dass er sich darum kümmern würde und sie verließen das Zimmer, teilnahmslos. Robyn blickte ihnen hinterher.
Ein paar Sekunden später war sie mit Conan alleine im Raum, noch immer zitternd in seinen Armen.
Er zog sie ein Stück nach oben, sodass sie halb auf seinem Schoß saß. Sie war leicht, wog beinahe nichts, deshalb fiel ihm das besonders leicht. „Alles ist gut. Es war nur ein Alptraum.“
So etwas kam nicht ständig vor, aber in letzter Zeit häuften sich diese Vorfälle. Robyn träumte schlecht. Ihr Schlaf wurde Woche für Woche unruhiger, als würde sich etwas anbahnen, mit dem sie nicht rechnete, vor dem sie sich fürchten sollte. Es ging Hand in Hand mit dieser inneren Unruhe, die sie einfach nicht losließ.
„Du solltest dich fertigmachen. Wir müssen bald los.“ Er hatte Recht. Es wurde Zeit.
Robyn blickte in den Spiegel, nachdem sie ins Bad gegangen war. Sie sah ein verschwitztes, blasses Mädchen und wirkte, als ob sie einen Geist gesehen hätte. Ihre Augen waren rot und feucht, ihr T-Shirt klebte an ihr und formte ihre schlanke Taille ab. Der etwa schulterlange, dunkelbraune Bob lag nicht mehr, ihre Haare waren zerzaust.
Was sie brauchte, war eine heiße Dusche, danach würde die Welt schon wieder ganz anders aussehen. Sie drehte den Wasserhahn des Waschbeckens auf und spritzte sich eiskaltes Wasser ins Gesicht. Die kühlen Spritzer auf ihrer Haut verbannten auch das letzte Gefühl des Unwohlseins und sie warf einen letzten Blick in den Spiegel, bevor sie ihre Sachen ablegte und in die Dusche stieg.
Ein Urlaub war genau das, was sie brauchte.
In Keston war es ziemlich frisch, das merkte Robyn, als sie aus dem Flugzeug ausstieg. Sie war froh, dass sie sich nun erst mal durch den Flughafen kämpfen musste. Dabei wurde ihr schließlich wieder wärmer und sie nutzte die Chance, eine Jacke aus ihrem Koffer zu fischen, nachdem Conan diesen vom Laufband geholt hatte.
Im Anschluss daran, drängelten sie sich durch die Menge. Conan hasste Menschenmengen. Sie waren unübersichtlich und konnten eine Gefahr darstellen. Robyn glaubte eher weniger daran, dass man ihnen auflauerte, deshalb amüsierte sie sich daran, dass er hektisch hin und her sah.
Sie lösten sich gerade aus der Menge, als sie den Mann bemerkte und sichtlich zusammenzuckte, weil dieser wie aus dem Nichts dicht neben ihr auftauchte. „Miss McDonnawin?“
Robyn wandte sich zu ihm und starrte ihm geradewegs in die Augen, die keinerlei Freundlichkeit ausstrahlten.
„Wolf LoGuidice.“ Er versuchte sich an einem Lächeln, doch es war durchaus wahrscheinlich, dass er damit viele Kinder zum Weinen bringen konnte.
Seine Gesichtszüge waren gruselig, seine Augen wirkten, als würden sie in ihre Höhlen zurückfallen und wurden deshalb von tiefen, dunklen Augenringen unterstützt. Außerdem war er bestimmt hundert Jahre alt, fand zumindest Robyn und verkniff sich nur mit Mühe ein Grinsen.
„Ich bin der kaiserliche Berater und soll Sie hier in Empfang nehmen und zum Schloss geleiten.“
„Also der Chauffeur.“ Conan starrte ihn nichtssagend an und deutete auf den Ausgang. „Na dann, nach Ihnen.“
„Wynona Garcia.“ Eine junge Frau wartete bereits an der Einfahrt, in der Mr. LoGuidice Robyn und Conan aus dem Wagen bat und dann alleine mit der Limousine davonfuhr.
Mrs. Garcia war eine der Haushälterinnen von Rashida, was Robyn in dem kurzen Gespräch bis zum Eingang herausfand. Sie konnte sich nicht besonders gut auf das Gespräch mit ihr konzentrieren, weil ihr Blick immer wieder auf den alten Mann fiel, der ihr Gepäck trug. Sie hatte erst protestiert, da er alt, schwach, faltig und unterernährt aussah. Silas Stamos bestand allerdings darauf, das Risiko eines Bandscheibenvorfalls auf sich zu nehmen.
„Die Kaiserin lässt bitten, dass Sie einen Moment geduldig sind.“ Mrs. Garcias Stimme drängte sich nun erneut in Robyns Ohr, als sie vor den Stufen der Treppe, die hoch zum Eingang führte, zum Stehen kamen. Sie war freundlich und doch wirkte sie eingeschüchtert durch Conans grimmiges Auftreten. Ihr verunsicherter Blick streifte ihn immer wieder. „Sie beendet noch ein wichtiges Telefonat.“
Silas Stamos trug ohne Fragen und Bitten das Gepäck davon. Conan, der bisher kein besonders gutes Benehmen an den Tag gelegt hatte, setzte sich auf die Stufen.
Mrs. Garcia verschwand im Schloss und Robyn, aufgeregt und neugierig, wie Rashida sich wohl verändert hatte, stellte sich zu einem jungen Mann, der vor der Palasttüre stand und gerade seine verwunderten Blicke zu Conan schweifen ließ.
„Entschuldigen Sie.“ Robyn sprach leise. „Er ist nicht … Er war noch nie … Er ist diese Umgebung nicht gewohnt.“
Ein Grinsen huschte über das Gesicht des Mannes.
„Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, Miss.“ Er klang förmlich. „Ich bin nur irgendjemand. Ich bin weder von hohem Rang, noch sonst irgendetwas Besonderes. Sie müssen mich nicht so formell ansprechen. Ich bitte Sie sogar, es nicht zu tun, sonst komme ich mir noch vor wie Mr. LoGuidice.“
Er grinste noch immer und brachte Robyn dazu, zu lächeln. Seine Augen glitzerten beinahe in der Sonne, die sich langsam zeigte. Sie sah genauer hin. Eisblau. Vermutlich wirkten sie nur deshalb so strahlend, weil sie sich von seinem eher dunklen Hauttyp und den schwarzen Haaren hervorhoben.
Seine Statur wirkte schlank, eingeengt in dem schicken Anzug, den er trug. Obwohl er zufrieden lächelte, konnte Robyn sich nicht vorstellen, dass er sich in diesem Aufzug wohlfühlte. Etwas an ihm sagte ihr, dass er nicht der Typ für den kaiserlichen Hof war.
„Wenn Sie also nicht formell angesprochen werden möchten, verraten Sie mir vielleicht zuerst mal Ihren Namen?“ Sie lächelte höflich.
„Clay Boudrin, Miss.“
„Es freut mich.“ Das tat es wirklich. „Ich bin Robyn.“
Dann hörte sie das vertraute Brummen von Conan. Sie war zu offen zu einem Fremden, das wollte er ihr damit klarmachen.
Clay beugte sich leicht zu ihr und flüsterte. „Wer ist er?“
„Conan McKlark, ein …“ Ja, was sollte sie sagen? Dass er ihr Auftraggeber war und sie eine Agentin? „… Freund der Familie.“
In dem Augenblick hörte sie ihren Namen und drehte sich strahlend zu der Person um, die ihn gerufen hatte.