Shanora konnte sich endlich aus der Paralyse des Hexenmeisters befreien. Ihr Körper schien von der Energie zu pulsieren, sie konnte ihr Macht durch jede Vene fließen spüren. Schnell stieß sie die Türe zu Cashs Zimmer auf und sah die finstere Energie, die aus Vincent in Cash Körper zu fließen schien.
„Wage es nicht mein Ritual zu stören!“, Vincent funkelte sie wütend an, „oder du wirst es bereuen!“
Shanora dachte gar nicht daran sich von ihm einschüchtern zu lassen. Schnell eilte sie zum Bett und verpasste Vincent einen Schlag, der ihn aus dem Gleichgewicht brachte.
Dieser war gezwungen sein Ritual zu unterbrechen und wollte daraufhin auf Shanora losgehen.
Shanora machte sich bereit, aber jemand anders war schneller als Vincent. Ein weißer Tiger schoss an ihr vorbei, der Körper verwandelte sich im Sprung zurück in seine normale Gestalt.
„Du widerliche blonde Plage!“, entfuhr es Vincent als er in die türkisen Augen von Finn, Shanoras Bruder, starrte. Dieser hatte nur einen Finger auf Vincents Brust gelegt, um seine Kräfte zu unterdrücken.
„Schön dich wieder zu sehen, Fluchmeister!“, Finn grinste überlegen und verpasste Vincent mit seiner anderen Hand einen Schlag der ihn zu Boden beförderte.
Shanora erwischte sich wieder einmal dabei wie sie ihren vermeintlichen Bruder beneidete. Finn war, trotz der Strapazen der letzten Jahre, so unheimlich stark und beherrschte seine Kräfte perfekt.
Trotzdem tat ihr dieses Gefühl leid, schließlich hatte er erfahren müssen, dass er nichts weiter als ein Experiment des Dunklen war. Ein Abklatsch ihres echten Bruders, eingeschleust um sie zu töten. Aber er hatte sich damals, als kleiner Junge, dagegen entschieden und nach dem Bootsunglück, welches Shanora hätte töten sollen, sein Gedächtnis eingebüßt. Er hatte sie gerettet und wäre dabei selbst fast ertrunken. Danach waren sie wie Geschwister aufgewachsen und Shanora zweifelte keine Sekunde daran das Finn sie abgöttisch liebte. Auch wenn das Auftauchen ihres leiblichen Bruders, der sich nach dem Verlust seiner Identität Silas nannte, sie durcheinander gebracht hatte. Aber auch wenn Finn aus Silas DNA erschaffen wurde, so waren ihre Charakterzüge gänzlich unterschiedlich. Finn versuchte alles, um selbst Fremde zu beschützen. Silas wollte nur Shanora beschützen, auch da schienen seine Motive eher egoistischer Natur zu sein. Er beschützte sie nicht weil sie seine kleine Schwester war. Er beschützte nur die Erbin des weißen Throns. Finn war das egal, er hatte ihr oft genug gesagt, dass er sie immer lieben würde und sie ihn nicht enttäuschen konnte. Auch wenn Finn ein Chaot war, er liebte aufrichtig, während Silas ein Meister darin war die Gefühle anderer zu manipulieren. Aber wer war Shanora ihn zu verurteilen? Er hatte Jahre lang unter der Folter von Treplew gelitten, sein Körper glich einem Schlachtfeld, Treplew hatte ihn das halbe Gesicht zerschnitten, um ihm die Identität zu rauben. Sein linker Arm und sein linkes Bein waren abgetrennt worden und um zu entkommen hatte er sich einer finsteren Macht verschrieben.
Shanora schauderte bei dem Gedanken an ihre erste Begegnung, Silas war gnadenlos und ohne Güte. Er schien keinerlei Gefühle zu haben und wenn er welche zeigte, dann diente es nur einem bestimmten Zweck den man vielleicht nicht sofort erahnte.
„Erde an Shanora!“, Finns Stimme riss sie aus ihren Erinnerungen.
„Ja, ich bin da!“, gab sie schnell zurück und lächelte. Dann merkte sie, wie unpassend ihr kleiner Tagtraum gewesen war, schließlich befanden sie sich gerade mitten in einem Kampf.
Finn hatte Vincent in der Zwischenzeit die Augen verbunden und seine Hände auf dem Rücken gefesselt, um ihn unschädlich zu machen.
„Wir sollten ihn knebeln!“, schlug Shanora vor, „Seine Worte können gefährlich sein!“
Finn zuckte mit den Schultern und sah zu Vincent: „Hey Zauberkünstler, ich könnte dir meine Socke in den Mund stecken, da ich gerade keinen Knebel dabei habe. Aber das wollen wir beide nicht, glaub mir. Einmal nicken, falls du dich dazu entschließen solltest brav zu sein!“
Shanora kicherte, genau wegen dieser Sprüche war Finn immer unterschätzt worden. Der blonde Taugenichts- so hatte man ihn genannt, bevor ihr kleiner Kreis aus Verbündeten erfahren hatte, was wirklich in ihm steckte.
Vincent nickte und Shanora sah ihm die Wut genau von Finn überwältigt worden zu sein direkt an.
„Was ist hier passiert?“, Claude wankte durch die Türe, „Was hat der Hexenmeister jetzt wieder angestellt?“
Finn winkte ab: „Alles okay! Aber stell sicher das Cecilia nicht abhaut, ich hätte da ein paar Fragen an sie!“
Shanora und Finn hatten sich in der Küche eingefunden und tranken Tee.
„Woher wusstest du, das ich deine Hilfe brauchen könnte?“, wollte Shanora wissen und starrte auf Vincent, den Finn einfach an einen der Stühle festgebunden hatte.
„Ich habe dich gesucht, weil ich mit dir etwas besprechen muss!“, Finn zog eine Braue hoch, „Also war ich wohl einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort!“
Shanora schmunzelte und fragte sich, ob es ihr wohl alleine gelungen wäre den Hexenmeister zu überwältigen.
„Was müssen wir besprechen?“, fragte sie interessiert.
Finn stieß einen leisen Pfiff aus woraufhin die Tür aufschwang und Claude Cecilia zu ihnen schleifte.
„Fass mich ja nicht an!“, fluchte diese und befreite sich aus seinem Griff.
Finn verdrehte die Augen: „Erzähl Shanora doch einmal was du zu sagen hast!“
Cecilia wendete sich an Shanora, die sie kritisch musterte: „Der Freak mit der Maske! Loki, Silas, wie auch immer! Er hat unmaskiert ein Treffen von mir, Janina und Delina gestört. Er hat die beiden mit sich nach Solon gerissen!“
Shanora schauderte, sie hatte Vincents Wutanfall deswegen mitbekommen.
Im selben Moment erschien jemand hinter Cecilia und verdrehte ihr schmerzhaft den Arm.
„Deseis!“, entfuhr es Shanora erschrocken, „Lass sie los!“
Deseis schien davon nicht viel zu halten, er verdrehte ihr weiter den Arm: „Spuck es schon aus du widerlicher Abschaum! Was will dein Meister von Delina?“
Finn mischte sich nun auch ein: „Was zum Teufel tust du hier Deseis? Du solltest doch auf Celles und Delina aufpassen! Und eine davon ist jetzt am gefährlichsten Ort den wir kennen! Wie kann es sein das Ation und du nicht auf die Kleine geachtet habt? Seid ihr komplett bescheuert?“ „Darf ich jetzt wieder sprechen?“, wollte der Hexenmeister genervt wissen.
„Warum ist der hier?“, fragte Deseis verwirrt.
Shanora reichte es, sie stieg auf einen der Sessel: „Es ist genug! Genug für heute! Also, Vincent wollte Silas töten lassen und benimmt sich mal wieder wie ein Arschloch! Cecilia wollte mit uns reden und Claude... macht sein Ding! Und jetzt wird einer nach dem anderen mir sagen, was er hier will! Vincent?“
Vincent, immer noch festgebunden, schmunzelte: „Ich wollte dir einen Vorschlag unterbreiten, bis Cecilia mir offenbarte das meine Tochter dank diesem maskierten Vollidiot im Fegefeuer steckt!“
Die plötzliche Stille im Raum war gedrückt und Vincent musste nichts sehen, um zu wissen das alle gerade ein sehr überraschtes Gesicht machten.
„Nebelwölfe...“, Shanora schluckte, „aber wieso hast du dann... Wieso...“
Vincent seufzte: „Was für Nebelwölfe? Was denkt ihr bitte? Ist auch egal, Silas versprach mir das er sie beschützt und aus allem raus hält!“
Finn legte den Kopf schief: „Und du glaubst dem maskierten Lügenbaron?“
Cecilia blickte verwirrt zwischen allen Beteiligten hin und her: „Lügenbaron?“
Shanora winkte ab: „Nichts von Belangen! Claude bringst du Cecilia nach draußen?“ Claude grinste als Antwort und schleifte die Vampirin mit sich vor die Türe.
„Du meinst nicht Delina, oder?“, Finn befreite Vincent von seinen Fesseln und seiner Augenbinde. Vincent schüttelte den Kopf und Deseis schien als einziger sofort auf die richtige Lösung zu kommen.
Er musterte Vincent abschätzend mit seinen beinahe schwarzen Augen: "Darum meinte Celles Janina hätte schon vor ihrer Verwandlung schwarzes Blut gehabt!"
Shanora wendete sich verwirrt an Finn: "Wer genau ist Janina eigentlich?"
Finn legte den Kopf in den Nacken und schloss für einen Moment die Augen: "Janina war eine vermeintlich menschliche Freundin von Vanessa. Aber wir dachten, bis gerade eben, dass sie nicht gewusst hätte, warum magisches Blut durch ihre Adern fließt. Sie half Celles und Saphira das Rätsel über Vanessa und den Engel zu lösen und Cecilia hat sie zu einem Vampir gemacht, weil sie sich in unserer Welt mehr zu Hause fühlte als in der Welt der Menschen."
Vincent lachte: "Sie denkt bis heute das ihr Vater die Familie verlassen hat, um mit einer anderen Frau wegzugehen!"
Shanora rümpfte die Nase: "Etwas anderes habe ich von dir ehrlich gesagt auch nicht erwartet!" Vincent warf ihr einen wütenden Blick zu: "Ich habe immer auf mein Kind aufgepasst. Mehr als man von euren Eltern behaupten kann! Oh, ich vergaß, Finn hat keine wirklichen Eltern und deine, Shanora, sind tot!"
Shanora schrie vor Wut auf und hätte ihm am liebsten einen Schlag ins Gesicht verpasst. "Er ist es nicht wert!", winkte Finn ab, "Außerdem wird er jetzt ganz lieb sein damit wir seine Brut nicht in Solon verrotten lassen, habe ich recht, Vincent?"
Der Hexenmeister warf Finn einen höchst angewiderten Blick zu, nickte aber.
Merlin starrte wütend auf die goldene Maske vor ihr.
„Wie konntest du?“, wollte sie von Silas wissen.
„Ach Merlin!“, Silas Stimme war wie immer voller Hohn und Spott, „Ich wollte Delina zumindest auf sicherem Weg hier herbringen. Sie hätte einen Weg gefunden und das weißt du!“
Merlin funkelte ihn wieder wütend an: „Nicht, wenn du ihr gesagt hättest was Sache ist! Aber du hast auch mich wieder getäuscht mit deinen gespielten Gefühlen! Als ob dir jemand da draußen etwas bedeuten würde, du bist die kälteste, emotionsloseste Kreatur die mir je untergekommen ist!"
Silas schien das wenig zu beeindrucken: "Oh Merlin, weißt du, es war leicht an Celles Dunkler heranzukommen. Kaum jemand sehnt sich so nach Liebe. Und deine kleine Tochter, sie war ja so alleine, so viele Jahre. Sie wollte einen Freund!"
Merlin wäre am liebsten auf ihn losgegangen, aber sie wusste, dass sie keine Chance gegen ihn hatte. Sie bereute in diesem Moment viele Entscheidungen, die sie getroffen hatte. Sie war losgezogen, um mächtiger zu werden und hatte viele wirklich dunkle Mächte zu nah an sich herangelassen. Sie hatte Schüler gehabt, die sie allesamt übertroffen hatten, weil sie ihnen den Weg gezeigt hatte wie man Mächte anzapfen konnte, von welchen man besser keinen Gebrauch machen sollte. Sie selbst hatte es nie gewagt Raum und Zeit zu manipulieren oder gar Materie aufzulösen und wieder herzustellen. Ihr wohl mächtigster Schüler stand nun vor ihr, sie hätte ihn Güte und Empathie lehren sollen. Ihre Worte am Hof des weißen Throns hatten ihn dazu bewegt das sichere Gebiet zu verlassen und sich noch öfter davon zu schleichen. Das hatte zu seiner Gefangennahme geführt und zu dem was er heute war.
Ein Monster, ein kaltes Monster, welches ihrer Meinung nach nicht einmal über eine Seele verfügte.
"Warum musstest du die andere hier herbringen? Was hast du davon?", fragte Merlin Silas, und versuchte ihn nicht zu provokant zu mustern.
"Ich finde Delina und Janina ja so süß zusammen. Und beide sollten langsam aber sicher alles über ihre Herkunft erfahren, findest du nicht, Merlin? Schließlich bin ich doch ein netter Mensch!", den letzten Satz betonte er besonders spöttisch und Merlin war sich sicher, dass er unter seiner Maske breit grinste.
"Pass nur auf das du dich nicht in den Fäden deiner Lügengebilde hängen bleibst! Du wirst niemals seinen Platz einnehmen! Er hat die Geschichte vieler Welten beeinflusst! Du hast in den Schatten gewartet, bis du Lust dazu hattest dich einzumischen! Feigling!", Merlin konnte nicht mehr anders, sie musste ihre Wut herauslassen.
Silas streckte seine Hand aus woraufhin sie gegen die Wand geschleudert wurde. Eine unsichtbare Macht schien ihr die Luft abzuschnüren, panisch griff sie sich an den Hals.
"Merlin, Merlin, Merlin!", Silas Stimme klang wieder rau und dunkel. Merlin hatte das Gefühl mit verschiedenen Persönlichkeiten zu sprechen.
"Du und deine aufmüpfigen Kinder!", der Druck auf ihren Hals ließ nach und sie sank erschöpft zusammen, "Wenn du mich nicht amüsieren würdest mit deiner Wut und deiner Verzweiflung hätte ich dich längst getötet!"