Shanora betrat den Raum, die Zelle in der man ihren Bruder in so jungen Jahren gefoltert hatte.
Sassy folgte ihr und legte ihr eine Hand auf die Schulter: „Das hier ist auf keinen Fall deine Schuld!“
Shanora nickte: „Aber ich muss es trotzdem sehen!“
Sie zog die einzige Sache, welche sie seid ihren Abendteuern in den Unterlanden immer dabei hatte aus der Tasche ihrer Jacke. Die schwarzen Perlen des Occulus des Nachtschattens glänzten unheimlich, aber spendeten auch ein eigenartiges Licht. Shanora sah sich um, sie brauchte etwas Organisches um das Artefakt benutzen zu können. Davon gab es hier genug, wenn Lillets toter Körper gereicht hatte, würden die Blutspuren an den Wänden wohl auch reichen.
Shanora zögerte und warf Sassy einen verlegenen Blick zu.
„Was ist?“, wollte diese wissen, „reicht das nicht aus für das Zauberding?“
Shanora biss sich auf die Lippe: „Doch, aber ich habe Angst, vor dem was ich sehen werde. Ich habe mich gefragt, ob du, also du musst nicht, aber es wäre mir leichter, wenn du...“
Sassy unterbrach das Gestotter: „Ja!“
Shanora sah sie verwirrt an: „Ja?“
Sassy nickte: „Ich begleite dich durch seine Erinnerungen!“
Shanora lächelte, legte sich die Kette um und nahm Sassy bei der Hand. Die andere Hand legte sie auf die mit Blut besudelte Wand. Um sie herum verschwamm alles, die Schleuse, durch die sie gekommen war schien wieder intakt und wurde von schwer bewaffneten Männern bewacht.
„Hör auf dich zu wehren!“, Treplews Stimme hallte durch den Gang.
„Das muss kurz nach seiner Ankunft gewesen sein!“, Shanora glitt durch die Erinnerung und sah, dass die letzte Türe offen war. Treplew stand im Türrahmen und hatte den linken Arm eines kleinen Jungen gepackt. Sein schwarzes Haar klebte an seiner Stirn, seine türkisen Augen waren verquollen und vom Schmerz verzerrt. Treplew fuhr eine seiner Klauen aus und schnitt langsam in die Schulter des Jungen. Seine Schreie hallten durch Shanoras Ohren, ihr Blick blieb auf der schrecklichen Szenerie.
Sassy und Shanora sahen stumm dabei zu, wie Treplew dem Jungen den Arm am Schultergelenk abtrennte. Langsam, damit der Schmerz intensiver war. Treplews Gesicht war zu einem finsteren, irren Lachen verzogen.
Dann warf er den abgetrennten Arm einem der Wachen zu: „Bringt das hier dem Doktor! Er wird damit etwas völlig Neues erschaffen können!“
Shanora erschrak als der Junge, der sich vor Schmerz gekrümmt hatte, nach Treplew schlug.
Dieser lachte nur und riss ihn zu Boden: „Ich werde dir ein wenig deiner Beweglichkeit nehmen!“
Dann trennte er ihm mit einem Schlag sein Bein an der Kniekehle ab.
Der Junge schrie und schrie. Shanora wollte sich die Ohren zuhalten, sie konnte nicht fassen was Treplew ihm antat.
„Du wirst mir jetzt sagen wie wir dich am besten austauschen!“, Treplew packte den stark blutenden Jungen an dem zerfetzten Shirt, das er trug und schleuderte ihn gegen die Wand. Sassy konnte spüren wie Shanora dabei zusammenzuckte.
So gut wie er konnte rappelte er sich aber wieder auf: „Du kannst mich solange foltern wie du willst! Ich bin Finn Parallästoback vom weißen Thron von Elensar! Ich verrate meine Familie nicht!“
Treplew ließ einen wütenden Schrei los und stürzte auf den Jungen zu, dann begann er ihm das Gesicht zu zerschneiden.
Sassy musste sich abwenden, dieses grausame Spektakel konnte und wollte sie nicht mitansehen.
Shanora aber sah hin, Tränen standen in ihren Augen. Die Umgebung schien, meinte Wellen zu schlagen, ein Mann mit silbernen Haaren Schritt durch den Gang und die Wachen verneigten sich.
Shanora starrte ihn hasserfüllt an: „Der Dunkle!“
Sassy nickte und schauderte als der Dunkle die wieder geschlossene weiße Türe Aufriss. Erst jetzt sahen sie Treplew, der dem Prinzen von Elensar grinsend weitere Verletzungen zufügte. Seine Wunde an der Schulter und dem Kniegelenk durch die Abnahme des Armes und des Beins waren versorgt worden und die Hälfte seines Gesichts unter einem Verband verborgen. Das noch sichtbare türkise Auge war ausdruckslos und er machte keinen Mucks, als Treplew ihm erneut in die Brust schnitt.
„Er scheint auf die körperliche Folter nicht zu reagieren!“, stellte der Dunkle trocken fest.
Treplew erschrak und sprang auf, dann verneigte er sich demütig vor dem Dunklen.
„Meister, ich habe ihm alle möglichen Schmerzen zugefügt. Aber er reagiert nicht darauf, er spricht nicht einmal mehr!“, Treplews Stimme klang ängstlich.
Der Dunkle machte eine Handbewegung, als wolle er ein lästiges Insekt verscheuchen: „Geh, Treplew, stell sicher, dass unser Finn bereit ist. Ich kümmere mich nun selbst um den Jungen!“
Treplew huschte aus der Zelle und der Dunkle packte den Prinzen am Hals und drückte ihn gegen die Wand.
„Soso, er spricht nicht mehr. Das wird auch nicht nötig sein!“, er zwang Shanoras Bruder ihm in die Augen zu sehen, worauf er zu schreien begann.
Shanora begann zu zittern, er schien schreckliche Schmerzen zu haben, die er kaum ertragen konnte.
Plötzlich ließ der Dunkle ihn fallen und lächelte süffisant: „Sie lehren euch das kämpfen, aber wie man seine Seele schützt, zeigt euch niemand!“
Der Prinz stützte sich keuchend auf seinen verbleibenden Arm: „Du wirst uns nicht vernichten! Shanora wird dich auf ewig zerstören, wenn sie erwachsen ist!“
Der Dunkle blieb überrascht stehen, er schien nicht mit erneuter Gegenwehr gerechnet zu haben. Dann grinste er wieder. „Shanora!“, rief er verächtlich aus, „So heißt das Balg also. Sie wird wohl heute auf dem Schiff sterben! Und du mein lieber Finn bist daran schuld. Du hast versagt. Du bist schwach, eine Made, die nicht erkennt das sie vor einem Gott kriecht. Erinnere dich an meine Worte, du bist Niemand! Du gehörst hier her, an den Ort Nirgendwo! Du bist nichts!“
Der Prinz versuchte sich aufzurappeln, aber er fiel wieder hin.
Der Dunkle verließ die Kammer und wendete sich an eine der Wachen: „Schickt nach Treplew und teilt ihm mit, dass es nun seine Aufgabe ist den Prinzen zu foltern. Er soll ihn täglich daran erinnern, dass er Niemand ist und Nirgendwo hingehört! Bis er es brav wiederholt!“Shanora konnte diese Erinnerungen nicht mehr ertragen, die Schreie, all das Blut. Immer dieser Satz: „Ich bin Niemand. Ich gehöre Nirgendwo hin!“
Geflüstert von einer Stimme die all ihre Energie und Kraft verloren hatte.
Sie ließ Sassys Hand los und riss sich die Kette von Hals. Die schwarzen Perlen fügten sich an der gerissenen Stelle einfach wieder zusammen und die Bilder waren verschwunden.
Beider erschraken, als sich im Türrahmen etwas regte.
Shanora stieß einen Schrei aus, kurz hatte sie Angst das der Dunkle aus dieser Erinnerung entstiegen war.
„Nun habt ihr gesehen, wie wir geschaffen wurden. Qual, Folter und Leid. Der Meister hat vergessen, was er einst war. Er ist eine leere Hülle, dazu verdammt und von Rache getrieben seine Peiniger zu vernichten!“, Zero war zu Ihnen gekommen.
„Er war einst wie Finn...“, flüsterte Sassy.
„Er ist Finn!“, Shanora rannen die Tränen über die Wangen, „und ich blöde Kuh habe darüber nachgedacht ihn zu töten!“
Nun brach sie weinend zusammen und hielt sich die Hände vors Gesicht.
Sassy zog sie wieder hoch und nahm sie in die Arme: „Du bist auch nur eine junge Frau, Shanora! In deinem Alter wollte ich sogar Celles töten!“
Shanora schluchzte und klammerte sich an Sassy: „Würdest du ihn retten? Würdest du es versuchen? Damit man ihm helfen kann? Was er war, steckt noch immer in ihm, da bin ich mir sicher! Loki oder Silas! Egal wie er sich nennt, er wird irgendwo immer Finn bleiben!“
Sassy streichelte ihr über den Kopf und fragte sich, wie viel das Mädchen wohl noch ertragen müsste. Ihr geglaubter Bruder und Sassys fester Freund - ein Klon des Prinzen von Elensar, der hier gefoltert wurde. Geschaffen, um sie zu töten, auch wenn er sich anders entschieden hatte. Und dann tauchte der entkommene echte Bruder auf, nur schien das alle zu überfordern.
Shanora war immer stark gewesen, aber die letzten Jahre hatten für sie alle zu viel Leid gebracht.
Sassy dachte an den Eid, den sie geschworen hatte. Shanora zu beschützen.
„Ich werde nach Solon gehen und deinen Bruder zurückholen!“, verkündete sie mit fester Stimme, „dann kannst du mit ihm verfahren, wie du möchtest!“
Shanora löste sich von ihr und sie sahen sich lange in die Augen: „Nein, das kannst du nicht tun. Du hast genug für Elensar getan. Und du darfst nicht alles aufgeben...“
Sassy unterbrach sie: „Wir brauchen die Kraft des Nachtschattens so oder so. Niemand ist besser dafür geeignet als ich!“
Shanora überlegte, Sassy war die schnellste und klügste Jägerin. Sie und Church waren ein eingespieltes Team. Aber sie wusste Dinge über Solon, schreckliche Dinge, und Sassys Psyche war angeknackst.
Sassy ließ ihr keine Wahl: „Ich bereite mich vor, kehre zu Finn zurück und teile ihm meine Entscheidung mit. Ich werde mich nicht davon abbringen lassen!“
Shanora nickte dankbar und lächelte: „Sassy, du bist wahrhaft einzigartig!“
Sassy zwinkerte ihr zu: „Ich bin ein Zwilling, also eher ein geniales Doppel!“
Sassy wartete bis Shanora apparierte und machte sich dann selbst auf den Weg.
Einige Zeit später erreichte Sassy den Ort, den sie gesucht hatte.
„Du bist sicher, dass ich dich hier zurücklassen soll?“, Kyra starrte sie ungläubig an.
„War es nicht immer ein Traum von dir mich in der Wüste auszusetzen damit dein Freund mir nicht mehr hinterherschaut?“, fragte Sassy sie provozierend. Damit hatte sie einen wunden Punkt getroffen den Kyra war seit einiger Zeit mit Alpha zusammen. Sassys Exfreund, was immer wieder für Spannungen sorgte.
Der Sand peitschte weiter gegen ihre Gesichter, das Donnern des eigenartigen Sturms klang fast wie das Brüllen eines wilden Tieres.
„Dann verrotte doch hier!“, Kyra ging zurück durch ihr Portal, welches mit ihr verschwand.
Sassy atmete auf, sie hatte schon befürchtet die Jägerin nie loszuwerden! Ein Blitz schlug in eine der Sanddünen ein und ein weiterer Donner erschallte.
„Ich bin hier!“, rief Sassy aus und wendete sich der Düne zu.
Auf ihr, aus dem Sturm heraus, manifestierte sich eine Gestalt, ein menschlicher Körper mit Hieroglyphen bedeckt und der Kopf eines eigenartigen Tieres. Seth, der Gott der Zerstörung war gekommen. In seiner Hand hielt er ein riesiges Zepter, es vermochte selbst einen anderen Gott niederzustrecken.
„Die eine welche einst meine Gabe ablehnte, kehrt nun zu mir zurück. Sag, was willst du in deinem jämmerlichen Zustand von mir?“, grölte die Stimme des Gottes. Sassy schluckte, als er sein Zepter in beide Hände nahm und hoffte nur darauf, das er ihr nach all den Jahren immer noch wohlgesonnen war.
„Ich bitte um deine Gabe, ich bin nun bereit deinem Weg zu folgen!“, rief Sassy durch den Sturm.
Der Altägyptische Gott schien immer rasender vor Wut zu werden und der Sturm um sie tobte immer gewaltiger. Er erhob sein Zepter: „Du wirst für deinen Hochmut bezahlen!“
Sassy kniff die Augen zusammen, sie hatte zu hoch gepokert.
„Seth, haltet ein!“, eine weibliche Stimme erklang und die Sonne bahnte sich einen Weg durch den Sturm.
Sassy öffnete die Augen wieder, eine Frau mit Löwenkopf war neben dem Gott der Zerstörung erschienen.
„Sachmet?“, fragte sie überrascht als sie die Göttin der Kriegskunst erkannte.