Kühle Nachtluft wehte durch das offene Fenster des kleinen Apartments im Süden Italiens, man konnte den Duft des nicht weit entfernten Meeres riechen und irgendwo zirpte unentwegt eine Grille. Delina starrte auf die weiße Raufasertapete an der Wand und den seltsamen Gold umrandeten Spiegel.
Nachdenklich zog sie den Kristall, das Herz Solons, aus ihrer Hosentasche. So ein unscheinbares Ding und doch schien es große Kraft zu besitzen. Delina beschloss vorerst dafür zu sorgen das niemand ihn benutzen würde, bis sie wusste, warum ihre Schwester so scharf auf diesen Gegenstand gewesen war. Und ihre Mutter, die auch von ihr verlangt hatte ihr den Kristall auszuhändigen.
Es war nun über ein halbes Jahr her das Celles Launen ihr wohl größtes Problem dargestellt hatten. Damals hatte sie an ein friedliches Leben geglaubt, jetzt war sie sich da nicht mehr so sicher.
Sassy hatte ihre Beine auf dem kleinen Beistelltisch für dem kitschigen blauen Sofa abgelegt und starrte an die mit Stuck verzierte Decke, beide schienen schon eine Ewigkeit in diesem Zimmer zu sitzen und darauf zu warten das Silas zurückkehren würde.
„Werden sie uns jagen?“, wollte Delina wissen und dachte darüber nach, wie verfahren ihre Situation war. Sie waren jetzt Verräter, Vogelfrei und das alles aufgrund der Lügen ihrer Mutter.
Sassy hörte auf die Decke auswendig zu lernen und sah zu ihr hinüber: „Ich denke nicht das sie uns hier jagen werden, wenn wir uns unauffällig verhalten! Die Regeln dieser Welt sind frei von allem Magischen und Finn würde nicht zulassen, dass die Welt aus dem Gleichgewicht gerät!“
Delina nickte beruhigt: „Ich will niemanden von ihnen töten! Oder verletzen…“
Sassy lehnte sich zurück und massierte ihre Schläfe: „Ich auch nicht, auf keinen Fall. Wir müssen einen Weg finden Merlin auszuschalten aber erst sollten wir uns eine weile ruhig verhalten, bis die Wunden unseres angeblichen Verrats nicht mehr so frisch sind. Wenn wir es schaffen Beweise für die Wahrheit zu finden werden sie uns glauben!“
Delina zuckte mit den Schultern: „Das hätten sie auch so tun sollen!“
Sassy musste ihr zustimmen: „Ja vielleicht, aber wir sahen, wenn du es aus ihrer Position betrachtest wirklich schuldig aus! Merlin hat selbst Silas getäuscht, den Meister der Täuschung und Manipulation!“
Delina wurde erst jetzt bewusst das selbst Silas nicht hinter Merlins verschlagenen Plan gekommen war, was an ein Weltwunder grenzte, da er sonst immer über alles Bescheid wusste.
Endlich öffnete sich die Türe des Zimmers und Silas trat ein, Sassy und Delina sprangen beinahe zeitgleich auf.
„Ich habe dafür gesorgt das wir für eine Weile unsichtbar sein werden!“, erklärte er und dann trat Vincent hinter ihm in den Raum.
Sassy und Delina warfen sich einen genervten Blick zu, keine von beiden legte gesteigerten Wert auf die Anwesenheit des Hexenmeisters.
„Vincent ist so nett uns zu helfen!“, Silas schien zu hoffen das nicht wieder ein Streit entbrennen würde.
Vincent ging, ohne ein Wort zu sagen zu dem Beistelltisch auf dem vor wenigen Minuten noch Sassys Füße geruht hatten und berührte diesen.
Darauf erschienen sieben Ringe in verschiedenen Größen, einfache silberne Ringe aber Delina konnte spüren, dass ein mächtiger Zauber auf ihnen lag.
„Für euch und die anderen.“, sagte Vincent und dann wendete er sich an Delina, „Was möchtest du tun, solange du hier bist?“
Delina sah ihn verwirrt an: „Was meinst du?“
Vincent lächelte ein wenig: „Du kannst hier zumindest für eine kurze Zeit ein normales Leben führen. Willst du studieren? Willst du Ärztin werden? Ich muss wissen, was für Zeugnisse du benötigst!“
Delina überlegte kurz: „Ich denke ich würde gerne studieren!“
Vincent nickte und in Delinas Händen erschien ein großer Umschlag.
„Darin ist alles, was du brauchst!“, erklärte er.
„Wie funktionieren die Ringe?“, wollte Sassy gespannt wissen und probierte einen.
Sofort verschwanden die Hieroglyphen auf ihrem Körper, überrascht betrachtete sie ihre Unterarme und nickte Vincent anerkennend zu.
„Sie lassen euch aussehen wie Menschen, verstecken das ihr andere Wesen seid!“, erklärte Vincent, „Und sie schützen euch davor aufgespürt zu werden!“
Delina nahm sich auch einen und steckte ihn an, sie spürte ein kurzes Kribbeln in ihrem Körper und sah Sassy dann fragend an.
„Deine violetten Augen sind jetzt offiziell braun!“, stellte diese begeistert fest.
Vincent wendete sich an Silas: „Du solltest trotzdem immer wieder mal ein paar Köder auslegen, damit wir uns zu hundert Prozent sicher sein können, das niemand euch auf die Spur kommt!“
Silas nickte: „Das hatte ich sowieso vor!“
Delina sah zu den verbleibenden Ringen auf dem Tisch: „Für wen sind die anderen?“,
„Für die restlichen Verräter die uns geholfen haben und immer noch helfen!“, antwortete Silas ihr.
Vincent erstellte ein Portal: „Das sollte eure letzte magische Reise sein! Benutzt normale Verkehrsmittel, tut alles um nicht aufzufallen!“
Sassy nickte Vincent zu: „Danke!“
Delina konnte sich nicht dazu überwinden ihm zu danken, sie ging einfach hindurch. Auf der anderen Seite des Portals erwartete sie ein ruhiges kleines Städtchen, charmante kleine Backsteinhäuser voller kleiner Läden und Einkaufsmöglichkeiten und eine gotische Kirche bildeten den wohl eher kleinen Kern.
Da es mitten in der Nacht war waren kaum Menschen zu sehen, nur wenige verließen um diese Uhrzeit noch das Pub an der Ecke.
„Wo sind wir?“, fragte Delina Silas der sich umsah und zufrieden wirkte.
„Ich Crowns Hill, einem Vorort von Cambridge. Hier gibt es eine tolle Universität, außerdem hat jemand uns hier eine Wohnung besorgt!“, antwortete er ist dann.
Ein schwarzer Geländewagen kam auf sie zu und hielt an, Deseis öffnete die Fahrertüre: „Ich werde mich nie an diese absolut unnatürliche Art der Fortbewegung gewöhnen!“
Sassy lachte: „So schlimm sind Autos nicht, du hättest ja mit einem kleineren Modell anfangen können!“
Deseis sah sie fragend an: „Ach ja? Der Verkäufer sagte der ist bestens für mich geeignet! Er meinte ein ganzer Kerl wie ich braucht einen Geländewagen, um gut anzukommen. Und wenn ich schon mit so etwas fahren muss, dann will ich auch gut ankommen an meinem Ziel!“
Delina lachte, wie naiv und unbeholfen Deseis doch in der Welt der Menschen außerhalb seiner vier Wände wirkte. Er schien nicht einmal wirklich verstanden zu haben was der Verkäufer mit "gut ankommen" gemeint hatte.
Silas warf ihm einen der Ringe zu: „Hier steck ihn gleich an! Ist unsere Unterkunft bereit?“
Deseis nickte: „Lasst uns fahren! Also falls jemand anderes ans Steuer möchte, ich hätte damit keinerlei Probleme...“
Nach einer kurzen Fahrt betrat Delina eines der süßen Backsteinhäuser und folgte Deseis die Stiegen hinauf: „Wohnen wir alle in einer Wohnung?“
Deseis nickte: „Ich habe eine WG für acht Personen gefunden, hier gibt es viele, weil wir so nahe an Cambridge sind, wegen der Universität!“
Delina runzelte die Stirn: „Acht Personen?“
Deseis blieb vor einer Holztüre stehen: „Du wirst alle deine Mitbewohner heute kennenlernen!“
Delina schluckte, das WG-Leben hatte schon einmal nicht besonders gut funktioniert, aber sie würde sich daran gewöhnen müssen. Immerhin hatte sie freiwillig die Verbannung gewählt und musste jetzt die Konsequenzen ihrer Entscheidung tragen.
Deseis öffnete die Türe und trat mit Delina ein.
Der Wohnraum, den sie betraten war groß mit vier Sofas und einem vollgestopften Bücherregal, langweilen würde sie sich also nicht. Dazu gehörte eine Küche mit einer süßen Kochinsel, von der aus ein Gang weiter führte, wahrscheinlich zu den Zimmern.
„Da seid ihr ja endlich!“, Claude kam aus dem Gang und fing geschickt den Ring auf den Deseis ihm zuwarf.
Delina verzog das Gesicht: „Der wohnt auch hier?“
Claude grinste sie breit an: „Natürlich Schätzchen, wir gehören alle zum selben Club!“
Delina schauderte bei dem Gedanken mit dem Druiden unter einem Dach zu wohnen.
„Mein Zimmer ist das erste rechts!“, plapperte er weiter, „Wenn du einmal nicht schlafen kannst…“
Ein fester Schlag auf den Hinterkopf unterbrach ihn: „Benimm dich gefälligst du perverses Schwein!“
„Newra!“, stellte Delina überrascht fest und lächelte ihre Schwester an.
Newra erwiderte das Lächeln und erhielt ebenfalls einen Ring: „Es tut mir leid, dass ich einfach verschwunden bin nach Solon! Aber ich wollte nicht das sie Ezra einfach wegsperren!“
„Wofür ich ihr sehr dankbar bin!“, Treplew, oder besser gesagt Ezra Androlien trat zu ihnen und holte sich seinen Ring ab, woraufhin er sich in einen normalen Mann mit langen blonden Haaren verwandelte.
„Du erinnerst dich also wieder?“, fragte Delina überrascht.
Ezra schüttelte den Kopf: „Aber ich lerne immer mehr über meine Vergangenheit! Es tut mir übrigens leid, dass ich ein paar Mal versucht habe dich umzubringen! Ich war wohl nicht ganz bei mir!“
Delina sparte sich jeden Kommentar dazu, auch mit diesem Mitbewohner würde sie sich arrangieren können, wenn es sein musste.
„Oh meine süße kleine Schwester ist da!“, eine sehr übermütige Janina stürmte aus dem ersten Zimmer links und umarmte Delina stürmisch.
Delina war ziemlich überfordert, Janina schien über ihren gemeinsamen Vater Bescheid zu wissen.
„Ich war so aufgeregt, als Papa mir alles erzählt hat!“, quasselte Janina munter weiter, „Jetzt weiß ich warum ich dich fast auf Anhieb mochte! Ist das nicht schön, wir werden eine richtige Familie sein!“
Delina verzog das Gesicht: „Papa?“
Janina nickte: „Er ist einfach toll, hat mich aus Solon geholt und sich so gut um mich gekümmert. Er gibt sich wirklich Mühe die verpasste Zeit mit mir wieder aufzuholen. Das macht er mit dir sicher auch, du wirst sehen, er ist einfach klasse!“
Delina nickte nur stumm, sie hatte nach wie vor nicht vor Vincent zu verzeihen geschweige denn ihn in ihr Leben zu lassen. Aber das wollte sie Janina jetzt, wo sie so glücklich wirkte nicht auf die Nase binden.
Claude war in der Zwischenzeit in die Küche gegangen und hatte sich ein Bier aus dem Kühlschrank geholt: „Dann sind ja fast alle da! Wo bleibt das Kätzchen und unser Gestörter?“
Deseis seufzte: „Nenn sie nicht Kätzchen! Und die beiden hatten wohl noch etwas zu besprechen!“
Claude zuckte mit den Schultern: „Und was machen wir jetzt? Party?“
Newra verdrehte die Augen: „Nein du Idiot! Delina ist sicher furchtbar müde und möchte unter Umständen in ihr Zimmer um sich ein wenig auszuruhen!“
Delina nickte dankbar, sie hatte heute bestimmt keine Lust mehr sich näher mit ihren neuen Mitbewohnern zu befassen.
„Dein Zimmer ist das zweite links!“, Newra lächelte, „Wir hoffen es gefällt dir, Janina und ich
haben es eingerichtet!“
Delina bedankte sich und wünschte allen eine gute Nacht, bevor sie sich in ihr Zimmer zurückzog. Langsam schloss sie die Türe und sah sich um, was ihr Auge erblickte gefiel ihr sehr gut.
Ein großes Bett mit vielen polstern, ein Schreibtisch direkt am Fenster und ein schöner flauschiger Teppichboden. An der Wand hingen Bilder von Wölfen und einige Landschaften. Ein Bücherregal rundete das Bild ab. Nicht sonderlich groß, aber gerade richtig, so empfand sie es zumindest.
Sie setzte sich an den hölzernen Schreibtisch und entdeckte einige Prospekte, die man dort platziert hatte, alle von der Universität in Cambridge betreffend der verschiedenen Studienrichtungen.
Delina lächelte kurz, man schien sich echt Mühe zu geben ihr die Vorstellung der Verbannung möglichst angenehm zu gestalten.
Tief seufzend überkam sie aber wieder das Gefühl alles verloren zu haben.
Ihr Ziel war es gewesen Church zu retten, was ihr auch gelungen war, nur saß der nun in einer anderen Welt und hasste sie wahrscheinlich.
Klar hatte sie zu den anderen nicht so eine tiefe Verbindung gehabt wie Sassy, aber doch hatte sie zumindest Celles als eine Freundin eingeordnet.
Schaudernd dachte sie an ihren Kampf gegen Church, Celles, Saphira und Finn zurück, das hätte böse ausgehen können, für jeden von ihnen.
Tränen liefen ihr über die Wange, sie wusste, dass sie es sich nie hätte verzeihen können zu bleiben und Silas damit zu verraten.
Er hatte sie belogen und ihr einiges verheimlicht, aber so eine Behandlung hatte er nicht verdient.
Ein Klopfen an ihrer Zimmertüre ließ sie aus ihren Gedanken schrecken, schnell wischte sie die Tränen weg, nahm eines der Prospekte in die Hand und rief: „Herein!“
Janina streckte ihren Kopf durch die Türe: „Oh du bist eh noch wach!“
Delina nickte und Janina setzte sich auf ihr Bett, dann begann sie zu sprechen: „Ich weiß, dass das alles für dich gerade schrecklich viel sein muss. Deseis hat mir erzählt, was passiert ist – ich habe dich für ein verängstigtes, schüchternes kleines Mädchen gehalten. Aber da lag ich wohl falsch, du hast dich genau andersrum verhalten! Das war extrem mutig von dir und ich bewundere dich zutiefst für deine Moral und deine Entschlossenheit!“
Delina lächelte müde: „Danke, das ist nett von dir!“
Janina sprang wieder auf: „Das war es auch schon, morgen fahren wir nach Cambridge dann kannst du dir selbst ein Bild von der Universität machen!“