Mina war sich sicher, noch nie in ihrem Leben so schlechte Laune gehabt zu haben. Die beiden wichtigsten Menschen in ihrem Leben hatten sie in ein emotionales Loch geschmissen und darüber hinaus gelang es ihr nicht, ihre aktuelle Aufgabe für den FFF zufriedenstellend zu bearbeiten. Warum musste Daniel von Hohenstein so schwierig sein? Sie hatte tatsächlich keinerlei Interesse daran, weiter irgendwelche Spielchen mit ihm zu spielen, dazu war sie emotional zu ausgelaugt nach dem Wochenende.
Sie reckte störrisch das Kinn vor, während sie zum wiederholten Male den Weg zum herrschaftlichen Haus entlang ging. Sie kam sich langsam wie eine Bettlerin vor, so oft hatte sie nun schon versucht, die Familie zum Spenden zu bewegen. Aber während sie sich anfangs noch gegen ihre Mission gesträubt hatte, war durch Daniels kindisches Verhalten im Restaurant jetzt ihr Kampfgeist geweckt. Sie würde ihm schon zeigen, dass sie Recht hatte: Eine Spende seiner Familie für einen wohltätigen Zweck würde seinem Image helfen, selbst wenn er sich dafür mit ihr abgeben musste. Und bei den immer noch beachtlichen finanziellen Mitteln seiner Familie würde sie eine große Summe vereinbaren können. Das Geschäft war für beide Seiten vorteilhaft und das würde sie ihm beweisen, ob er wollte oder nicht.
„Ah, Frau!“, wurde sie zu ihrer Überraschung erneut von der Hausherrin selbst begrüßt, die ihr wie in der Woche zuvor die Tür öffnete.
Entschlossen, sich nicht aus dem Konzept bringen zu lassen, erwiderte sie: „Guten Morgen, Frau von Hohenstein, ich störe höchst ungerne erneut, aber mein letztes Gespräch mit Ihrem Sohn war leider nicht zufriedenstellend.“
„Kommen Sie nur herein“, sagte die ältere Dame mit einem einladenden Lächeln und trat zurück: „Ich habe von Daniel erfahren, was vorgefallen ist. Der Junge ist einfach zu unbeherrscht, ich weiß nicht, was in ihn gefahren ist. Ich dachte wirklich, er hätte inzwischen verstanden, sich professionell zu verhalten. Aber seien Sie sich versichert, ich habe ihm deutlich gemacht, dass ich weitere Unhöflichkeiten Ihnen gegenüber nicht verzeihen werde. Er wird sich also kooperativ zeigen.“
Skeptisch hob Hermine eine Augenbraue, doch sie sagte nichts dazu. Natascha von Hohenstein war viel zu begierig darauf, ihr zu gefallen und freundlich zu ihr zu sein, als dass sie auch nur einen Moment geglaubt hätte, dass sie aufrichtig war. Sie hängte ihren schweren Wintermantel auf, dann ließ sie sich in die Bibliothek führen. Natürlich hatte dieses Haus eine eigene Bibliothek.
Kaum hatten sich die Türen hinter ihr geschlossen, schritt sie energisch auf Daniel zu, der buchlesend in seinem Sessel saß und so tat, als würde er sie nicht bemerken.
„Hi“, grüßte sie knapp: „Dein Spiel ist aus, Daniel.“
Absichtlich langsam klappte er das Buch zu, legte es neben sich auf einen Beistelltisch und schaute dann noch langsamer zu ihr hoch: „Welches Spiel?“
Ungeduldig schnaubte sie: „Das Spiel, das du mit mir zu spielen versuchst. Entweder, wir reden jetzt wie zwei professionelle Erwachsene miteinander, oder ich muss wohl der Presse gegenüber durchblicken lassen, wie unkooperativ du dich verhältst.“
Mina konnte deutlich sehen, dass Wut in seinen Augen aufblitzte, doch vorläufig behielt Daniel seinen spöttischen Tonfall bei: „Ich weiß gar nicht, was du meinst. Ich habe dich trotz deiner Unfreundlichkeit ein zweites Mal empfangen und dich sogar zum Essen in ein teures Restaurant ausgeführt. Auf meine Rechnung. Wo genau verhalte ich mich unkooperativ?“
Sie hatte keine Lust, ihm den Triumph zu gewähren und zu analysieren, wie der Restaurantbesuch nur als Beleidigung für sie gedient hatte. Stattdessen knallte sie ihm die Mappe mit der Präsentation auf den Tisch und verschränkte die Arme vor der Brust: „Lies dir einfach durch, was ich hier zusammengestellt habe, okay? Deine Mutter meinte, ihr gefielen unsere Pläne und sie würde gerne spenden. Da aber offenbar du die Entscheidung darüber treffen sollst, warum auch immer, musst du leider die Mühe auf dich nehmen, auch mal ein paar Zeilen zu lesen.“
„Warum erzählst du mir nicht selbst, was hier drin steht? Das wäre bestimmt viel anregender“, sagte Daniel leise und schaute mit einem Leuchten in den Augen, das sie nur zu gut kannte, zu ihr auf.
Schnaubend setzte sie sich auf den Stuhl, der neben seinem stand: „Hör auf zu flirten und arbeite zur Abwechslung ein einziges Mal in deinem Leben. Du solltest inzwischen gelernt haben, dass deine schmierigen Verführungsversuche bei mir nicht ziehen.“
Nun war er es, der verärgert die Arme vor der Brust verschränkte: „Ich habe nichts dagegen, für Wohltätigkeitsvereine zu spenden. Aber warum ausgerechnet für deinen? Du musst mich schon ein bisschen überzeugen.“
Tief atmete Mina ein und schloss die Augen. Dieser Kerl raubte ihr den letzten Nerv. Alle Gründe, warum seine Familie sich für den FFF entscheiden sollte, waren in der Mappe sorgfältig zusammen gestellt. Aber nein, der hohe Herr würde sich damit nicht zufrieden geben. Sie würde ihre Strategie ändern müssen. Je mehr sie auf Konfrontation ging, umso mehr machte er dicht. Auch, wenn sie sich lieber die Hand abhacken würde, als freundlich zu ihm zu sein, sollte sie zumindest versuchen, den tiefen Graben zwischen ihnen zu überbrücken.
Sie setzte eine schuldbewusste Miene auf: „Es tut mir leid, dass ich beim ersten Gespräch die Probleme deiner Familie als Argument genutzt habe. Wirklich. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie schwierig das alles für dich sein muss …“
„Spar dir dein Mitleid, Mina“, fauchte Daniel sie genervt an, doch er entspannte sich sichtbar, als er fortfuhr: „Die Vorurteile gegen uns sind einfach … wir sind die arroganten Reichen. Waren wir schon immer, nur dass die Leute aus Angst vor unserem Einfluss die Klappe gehalten haben. Jetzt nutzen alle jede Gelegenheit, um auf uns zu spucken.“
Überrascht stellte Mina fest, dass sie tatsächlich ehrliches Mitgefühl mit Daniel empfand, auch wenn sie das ursprünglich nur als Maskerade gedacht hatte. Mit einem schiefen Grinsen erwiderte sie: „Lustig, wie die Rollen verdreht wurden, mh? Während der Uni hast du immer auf Henri herabgesehen, weil er arm war. Jetzt weißt du, wie es sich anfühlt, für etwas, das man nicht selbst kontrollieren kann, verurteilt zu werden.
„Haha“, kommentierte er trocken: „Total witzig. Ich brauche dein Mitleid nicht, du musst mir das hier nicht noch unter die Nase reiben.“
Kurz rang sie mit sich, dann hielt sie ihm ihre Hand hin: „Ich entschuldige mich für die erpresserischen Methoden, die ich gerade versucht habe. Natürlich gehe ich nicht zur Presse, um über dein Verhalten zu lästern. Können wir Frieden schließen?“
Misstrauisch hob er eine Augenbraue: „Und was genau soll das jetzt werden?“
Frustriert warf sie die Hände in die Luft: „Himmel nochmal! Seid ihr Reichen alle so? Ich habe eine Grenze überschritten, als ich gedroht habe, die Episode im Restaurant an die Klatschpresse zu melden und das hat dir offensichtlich nicht geschmeckt. Ich hab doch gesehen, wie wütend dich das gemacht hat. Kannst du nicht einfach akzeptieren, dass ich mich entschuldige und gerne noch einmal neu anfangen will? Wie zwei erwachsene Menschen?“
Sie hatte absichtlich tief in die Trickkiste gegriffen, um Daniel in die Enge zu treiben und das bereute sie nun. Sie war nicht der Typ, der die Klatschpresse nutzte, um sich an anderen Menschen zu rächen, auch wenn sie ihn das für einen Augenblick hat glauben lassen. Sie hatte nie darüber nachgedacht, wie es sich für ihn anfühlen musste, von der Öffentlichkeit jetzt praktisch ausgestoßen worden zu sein, obwohl er persönlich nichts falsch gemacht hatte. Innerlich fragte Mina sich mit einem Mal, wie viel Daniel eigentlich über die finanziellen Machenschaften seines Vaters Bescheid wusste. Vermutlich hatte sein Vater ihn nie eingeweiht. Wenn dem so war, war es doppelt unfair von ihr, seine Familienprobleme gegen ihn verwenden zu wollen. Sie mochte ihn nicht, aber das hieß nicht, dass sie sich auf ein so niedriges Niveau begeben sollte.
Lange starrte Daniel sie an, offensichtlich unschlüssig, ob er ihr glauben wollte, doch schließlich erschien sehr zu Minas Verwirrung ein altbekanntes, überhebliches Grinsen auf seinen Lippen: „Oh, ich verstehe, was hier läuft. Wer hätte das gedacht? Wenn dir so viel daran liegt, wer wäre ich, den Frieden abzulehnen?“
Völlig überrumpelt ließ sie zu, dass er ihre Hand schüttelte, sie ein wenig länger festhielt als nötig, und ihr zum Abschluss noch einen zarten Kuss auf den Handrücken hauchte. Was meinte er damit, er wüsste, was hier lief? Was lief denn seines Erachtens?
Nachdem er sie wieder losgelassen hatte, beugte Daniel sich ein wenig zu ihr hinunter und hauchte ihr zu: „Was meinst du? Wollen wir das missglückte Mittagessen nachholen, diesmal aber ohne irgendwelche Tricks meinerseits?“
Noch immer grinste er sie wölfisch an – und plötzlich fiel es Mina wie Schuppen von den Augen. Er dachte doch nicht wirklich, dass ihr Stimmungsumschwung etwas mit romantischen Gefühlen zu tun hatte? Aufgebracht stemmte sie ihre Fäuste in die Hüften: „Ich bin NICHT an dir interessiert, Daniel!“
Lächelnd hob er eine Augenbraue: „Ach nein? Du wirst also einfach so rot?“
Mit offenem Mund starrte sie ihn an. Was stimmte nur nicht mit ihm, dass er ausgerechnet zu dieser Schlussfolgerung kam? Natürlich wurde sie rot, wenn jemand ihr einen Handkuss gab – rot vor Scham, dass irgendjemand noch solche mittelalterlichen Umgangsformen an den Tag legte. Außerdem hatte sie mit Henrik und René schon genug Gefühlsprobleme, da passte ein Daniel von Hohenstein überhaupt nicht mehr rein!
„Ich nehme einfach an, dass du mich aus Rache ärgern willst für meine Drohungen dir gegenüber“, erwiderte sie so würdevoll wie möglich, ohne ihm einen weiteren Blick zu schenken: „Aber die Einladung zum Mittagessen nehme ich trotzdem gerne an.“
„Soso“, schnaubte Daniel und klang dabei noch immer deutlich zu amüsiert: „Du hast kein Interesse an mir, aber du lässt dich zum Mittagessen ausführen?“
Genervt schaute sie zu ihm hinüber. Sie würde ihm nicht erzählen, dass sie sich offener und freundlicher zeigte, weil sie begriffen hatte, dass Konfrontation bei ihm nichts brachte. Das würde nur alle Bemühungen im Keim ersticken. Es ging ihr ums Geschäft, nicht um ihn, so sehr seine eingebildete Natur das vielleicht auch dachte.
Vielleicht war es aber gar keine so dumme Idee, ihn im Glauben zu lassen, dass sie aus romantischen Gefühlen heraus seine Nähe suchte. Männer waren schließlich simpel gestrickt, wenn sie glaubten, eine Frau am Haken zu haben, schalteten sie gerne einmal ihren Verstand aus. Dass Frauen genug Kontrolle über ihre Emotionen hatten, um romantische Gefühle vorzutäuschen, begriffen die meisten Männer erst, wenn es zu spät war. Sie gehörte normalerweise nicht zu dieser Sorte von Frauen, aber in diesem Fall hatte er sein Grab selbst geschaufelt.
Sie legte den Kopf schräg, während sie versuchte, so unschuldig und gleichzeitig verführerisch wie möglich zu ihm hinaufzublinzeln: „Sagen wir einfach, ich würde gerne noch einmal dieses interessante Restaurant aufsuchen, diesmal aber eine Speise meiner Wahl bekommen.“
Spielerisch deutete Daniel eine Verbeugung an, ehe er ihr vorauseilte, um ihr wie ein Gentleman die Tür zu öffnen. Unwillkürlich fühlte Mina sich an ihr erstes, fehlgeschlagenes Mittagessen mit ihm erinnert, und sie fragte sich, ob er gerade erneut versuchte, sie mit galanten Manieren abzulenken. War das hier ein Katz-und-Maus-Spiel, bei dem Daniel dachte, er wäre die Katze? Wenn dem so war, dann würde Mina dafür sorgen, dass er sich ganz schnell in der Rolle der Maus wiederfinden würde.
So zufrieden wie schon lange nicht mehr wickelte Mina die Spaghetti mit hausgemachter Pesto auf ihre Gabel. Daniel hatte sie tatsächlich erneut in dasselbe Restaurant eingeladen und ihr diesmal die Wahl der gemeinsamen Speise überlassen. Sie fühlte sich stets ein wenig schuldig, wenn sie in einem Restaurant Nudeln bestellte – immerhin konnte sie das auch daheim machen – aber Pesto von einem echten Italiener schmeckte eben immer noch ganz anders als aus dem Glas. Sie war im Himmel.
Dazu kam, dass Daniel sich tatsächlich anständig zu benehmen wusste. So häufig sie auch auf seine traditionsbewusste Familie herabgeschaut hatte, so sehr wusste sie es doch zu schätzen, dass er exzellente Tischmanieren an den Tag legte. Alleine die Art, wie er seine Gabel in der Hand hielt, wie er seine Serviette benutzte, wie er das Weinglas anhob – sie konnte nicht anders als zuzugeben, dass traditionelle Tischmanieren einem Mann gut standen.
„Also sag mir, Mina“, durchbrach Daniel schließlich das Schweigen, nachdem sie einige Minuten beide nur mit Essen verbracht hatten: „Hat René dir inzwischen einen Heiratsantrag gemacht?“
Laut stöhnte sie auf. Natürlich würde er sie von dieser Seite angreifen, nur um sie aus der Reserve zu locken. Doch sie hatte sich vorgenommen, sein Katz-und-Maus-Spiel mitzuspielen, also würde sie ihm den Gefallen tun und darauf eingehen: „Tatsächlich haben wir eine Pause eingelegt.“
Sie sagte das so ungerührt wie möglich, als sei es selbstverständlich und würde ihr nicht innerlich das Herz brechen, und das hatte offenbar den gewünschten Effekt. Mit großen Augen blickte Daniel sie an: „Eine Beziehungspause? Scheint dich ja nicht sonderlich zu berühren.“
Sarkastisch erwiderte sie: „Wenn es mich berühren würde, wäre eine Pause wohl nicht nötig, oder was meinst du?“
„Wow, eiskalt!“, entfuhr es Daniel so voller Respekt, dass Mina beinahe gelacht hätte. War ja klar, dass jemand wie Daniel es gut fand, wenn man keinerlei Gefühle in eine Liebesbeziehung einbrachte.
Kopfschüttelnd erklärte sie: „Wir denken beide, dass ein wenig Abwesenheit unsere Zuneigung zueinander wieder steigern wird. Für den Moment jedenfalls bin ich … ungebunden.“
Das letzte Wort kam ihr schwer über die Lippen, denn noch immer konnte sie dieser neuen Realität nicht so locker ins Auge sehen. Doch so war es. Sie war Single.
„Und du?“, fügte sie rasch hinzu, um nicht weiter über diese Problematik sprechen zu müssen: „Hast du schon eine Frau an dich gekettet?“
„Hey“, entfuhr es Daniel gespielt entrüstet: „Das klingt ja so, als müsste ich Frauen dazu zwingen, mit mir auszugehen!“
Hinterhältig grinste sie ihn an: „So sollte es auch klingen.“
Er schnaubte: „Zu deiner Information, ich musste noch nie eine Frau zu irgendetwas zwingen. Wenn überhaupt muss ich sie davon überzeugen, dass ich kein Interesse an ihr habe. Ich kann mich jedenfalls vor Angeboten kaum retten.“
Lachend griff sie nach ihrem Weinglas: „Ja, das haben wir ja schon während der Uni bemerkt, mh? Du hast deine Freundinnen wirklich gewechselt wie deine Unterhosen“, sie nahm einen tiefen Schluck, dann fuhr sie immer noch lachend fort: „Deswegen hat mich dich auch immer nur mit – wie hieß sie noch gleich? Mandy? Marie? - an deiner Seite gesehen. Weil du so ein Weiberheld warst.“
„Woah, wer hätte gedacht, dass die kleine Streberin so eine spitze Zunge hat?“, kam es überrascht von Daniel.
Sie grinste breit: „Du hast dir nie die Mühe gemacht, dich wirklich mit mir zu unterhalten, woher solltest du das also wissen? Deine erbärmlichen Flirtversuche waren jedenfalls nicht genug, um mein Temperament zu reizen.“
Es gefiel ihr, dass Daniel sich im Laufe des Mittagessens offensichtlich entspannt hatte. Sie war darauf bedacht, vorläufig das Thema der Spende nicht noch einmal anzuschneiden, ehe sie nicht noch ein wenig in seiner Gunst gestiegen war. Und wenn das hieß, dass sie mit ihm flirten musste, würde sie das auch tun. Es machte ihr tatsächlich Spaß, ihm diese Seite von sich zu zeigen, gerade weil es ihn so aus dem Konzept brachte. Zu lange war er derjenige gewesen, der sie angeflirtet hatte, und sie hatte ihn stets abgewiesen.
„Du warst während der Uni nie sonderlich einladend“, konterte Daniel, während er die letzten Reste von seinem Teller zusammenschob: „Vielleicht hätte ich mich ja richtig mit dir … unterhalten, wenn du nicht so besserwisserisch und kalt gewesen wärst.“
Mina war nicht entgangen, wie er sie bei dem Wort unterhalten direkt angeschaut hatte, doch sie war nicht bereit, ob der Andeutung rot anzulaufen. Stattdessen erwiderte sie sarkastisch: „Genau, weil du auch noch so viel Interesse an mir hattest, nachdem du von meiner Freundschaft zu Henrik erfahren hast.“
Ein leises Lachen ertönte: „Vielleicht hätte ich dich ja davon überzeugen können, dass ich eine bessere Gesellschaft bin als Zimmer?“
Ein Schauer rann Mina Rücken hinab. Der tiefe Tonfall von Daniels Stimme sagte ihr nur zu deutlich, welche Form von Gesellschaft er meinte. Und die Tatsache, dass das letzte Mal, als sie in Henriks Gesellschaft gewesen war, jegliche Grenze überschritten hatte, machte diesen Gedanken nicht besser. Unwillkürlich fragte sie sich, ob Daniel seine anfänglichen Flirtversuche in der Uni nicht doch ernster gemeint hatte, als sie ihm unterstellt hatte. Sofort bereute sie den Gedanken. Wenn sie mit ihm spielte, spielte er vermutlich auch mit ihr. Natürlich wollte er ihr weismachen, dass seine Annäherungsversuche damals mehr gewesen waren als das typische Verhalten arroganter Schönlinge, die mit einer Abfuhr nicht umgehen konnten.
Sie wusste, sie würde es noch bereuen, aber es reizte sie trotzdem, das falsche Spiel ein wenig weiter zu treiben: „Du könntest ja versuchen, das jetzt nachzuholen.“
Schmunzelnd registrierte sie, wie seine Augen sich leicht weiteten. Ganz offensichtlich hatte er nicht damit gerechnet, dass sie auf seine Flirterei einsteigen würde. Gut so. Je mehr es ihr gelang, ihn aus der Bahn zu werfen und ihm vorzugaukeln, dass sie sich auf seinen Charme einlassen wollte, umso leichter wäre es später, ihn um den Finger zu wickeln. Am Ende würde er von sich aus die Spende tätigen wollen.
Verwunderte über sich selbst und ihre hinterhältige Art zu denken, nahm Mina noch einen Schluck aus ihrem Weinglas. Vermutlich sollte sie nicht zu viel Mitleid für Daniel empfinden. Er war ein Opfer seines Vaters, vermutlich, aber er war immer noch ein schlechter Mensch, der Henrik das Leben schwer gemacht hatte und ihr gegenüber nur noch Verachtung gezeigt hatte, nachdem sie sich auf Henriks Seite gestellt hatte. Geschah ihm nur Recht, wenn er jetzt von ihr ein wenig hereingelegt würde.
Zufrieden bemerkte sie, dass ein ganz neuer Glanz in seine Augen getreten war, als er entgegnete: „Dann werde ich mir alle Mühe geben. Vergiss nicht, dass du mich hierzu aufgefordert hast, Mina, und beschwer dich später nicht über die Nebenwirkungen!“
Sie kicherte. Daniel war so ein typischer Mann – konnte keine Herausforderung ablehnen, konnte nicht widerstehen, wenn eine Frau sich empfänglich für seinen Charme zeigte. Oh ja, er würde sein blaues Wunder erleben.
Unentschlossen stand Mina vor ihrer eigenen Wohnungstür. Sie konnte hören, dass Henrik inzwischen wieder da war und offensichtlich in ihrer Kochnische an irgendetwas bastelte. Sie fühlte sich nicht bereit, ihm unter die Augen zu treten, doch sie wusste, sie musste sich dem Gespräch mit ihm früher oder später stellen. Mit einem unguten Gefühl im Magen schloss sie die Tür auf.
„Oh, Mina“, wurde sie kühl begrüßt, „schön, dass du in deine Wohnung zurückfindest.“
Sprachlos starrte sie Henrik an. Er schien tatsächlich erneut Abendessen zuzubereiten, doch seine kalte, beinahe schon herablassende Begrüßung irritierte sie. War er etwa immer noch wütend, dass sie den Kuss abgebrochen hatte?
„Es ist in der Tat meine Wohnung, Henri, du tust gut daran, das nicht zu vergessen“, erwiderte sie entsprechend verärgert, während sie ihren Mantel aufhängte und die Aktentasche auf dem Sofa ablegte.
Langsam drehte er sich zu ihr um: „Möchtest du mich loswerden?“
Mit zwei großen Schritten war sie auf ihn zugetreten und funkelte ihn wütend an: „Nein. Ich will bloß meinen besten Freund wiederhaben und hier in Ruhe leben.“
Seine einzige Reaktion bestand darin, dass er eine Augenbraue hochzog und sich wieder dem Kochtopf zuwandte, in welchem, wie Mina nun riechen konnte, eine Gemüsesuppe vor sich hin köchelte.
„Ich habe bei René übernachtet“, erwähnte Henrik wie beiläufig, doch sofort gefror Mina das Blut in den Adern. Sie musste keine Hellseherin sein, um zu wissen, worauf das hinauslief.
„Er hat mir interessante Dinge erzählt“, fuhr er fort, noch immer so unbeeindruckt und nachlässig, als würde er über das Wetter plaudern: „Anscheinend habt ihr gerade eine Beziehungspause eingelegt, weil es nicht so gut läuft.“
„Ich weiß, was du sagen willst, Henri, aber …“, setzte sie an, doch sofort wurde sie von ihm unterbrochen. Er hatte sich wieder zu ihr umgedreht und war noch näher an sie herangetreten.
„Du hörst jetzt mal mir zu, Mina!“, fuhr er sie wütend an: „Du hast eine Pause mit René! Hast du überhaupt verstanden, warum er die wollte?“
Verwirrt blinzelte sie: „Ja, natürlich. Er hofft, dass wir … naja, eher ich … zu unseren alten Gefühlen zurückfinden, wenn wir ein wenig auf Abstand gehen.“
Hart packte Henrik sie an den Oberarmen: „Das ist nur die eine Hälfte der Wahrheit! Himmel, Mina, du bist doch sonst so schlau! Diese Pause dient dazu, damit du realisierst, dass du nur René willst. Nur ihn! Und dazu gehört, dass du deine Gefühle für andere Männer austestest! René ist nicht bescheuert, okay? Er weiß nichts Genaues, aber er hat angedeutet, dass er denkt, dass du dich vielleicht für andere Männer interessierst! Und er will, dass du da mal ernsthaft drüber nachdenkst. Er will, dass du dir absolut sicher bist, dass du dein Leben mit ihm verbringen willst, bevor ihr heiratet!“
Nur am Rande bemerkte Mina, dass Henriks Griff um ihre Oberarme schmerzhaft fest war. Sie konnte nicht glauben, was er ihr da erzählte. Es machte keinen Sinn, weder, dass René so denken würde, noch dass irgendeiner so etwas zulassen würde! Wütend zischte sie Henrik an: „Du erwartest doch nicht ernsthaft, dass ich mit allen möglichen Männern rummache, nur weil wir Pause haben? Wofür hältst du mich?“
In offensichtlicher Frustration ließ er von ihr ab und warf die Hände die Luft: „Frau! Hörst du dir selbst zu? Wenn du während eurer Pause treu zu René bleibst, könntet ihr die Pause auch gleich sein lassen! Der Sinn ist doch, andere Menschen auszuprobieren, um dann mit der Erkenntnis, dass René eben doch der Beste ist, zurückzukehren!“
Mina senkte den Blick. Den Teil verstand sie durchaus. Das Problem war nur …
„Und was, wenn ich diese Erkenntnis am Ende nicht habe?“, fragte sie leise.
Diese Frage schien Henrik kurzzeitig aus dem Konzept zu bringen, denn er blieb bloß stumm vor ihr stehen. Dann, mit einer Zärtlichkeit, die sie ihm niemals zugetraut hätte, legte er ihr zwei Finger unter das Kinn, zwang sie so, den Kopf wieder zu heben, und umschlang sie mit dem anderen Arm: „Dann ist es so. Dann ist es gut, dass du deine Gefühle sortiert hast, bevor ihr irgendeine Form von dauerhafter Beziehung eingegangen seid.“
Mit großen Augen starrte sie ihn an. War es wirklich gut, René zu betrügen, nur um ihn dann am Ende endgültig zu verlassen? Die Aufrichtigkeit, die ihr aus Henriks grünen Augen entgegenstrahlte, zeigte ihr, dass er seine Worte vollkommen ernst meinte.
„Ich kann nicht“, flüsterte sie, ohne den Blick abzuwenden: „Wenn ich … wenn ich René jetzt aufgebe, dann ist es aus. Für immer.“
Etwas flackerte auf in Henriks Augen, etwas, das ihr Angst einjagte und gleichzeitig einen wohligen Schauer über ihren Körper laufen ließ. Seine Hand wanderte von ihrem Kinn auf ihre Wange: „Dann ist es vielleicht richtig, das jetzt zu tun. René ist mein bester Freund, Mina. Aber wenn du ihn nicht genug liebst, um ohne zu zögern den Rest deines Lebens mit ihm verbringen zu wollen, dann solltest du es lieber früher beenden als später. Er hat dir die Tür selbst geöffnet. Auch, wenn er hofft, dass du zurückkommst … er hat es getan in dem Bewusstsein, dass du vielleicht für immer gehst.“
Ihr Herzschlag beschleunigte sich. René war so ein guter Mensch. Unter all der Fröhlichkeit, den Streichen und Dummheiten, die er ständig im Kopf hatte, hinter all dem steckte ein unendlich gutes Herz, das hatte sie schon immer gewusst. Und sie liebte ihn dafür. Er wärmte ihr Herz, gab ihr das Gefühl, dass es wirklich gute Menschen auf der Welt gab, und schenkte ihr immer wieder aufs Neue so viel Freude.
Bloß …
Sie war nicht in ihn verliebt. Vielleicht war sie es früher einmal gewesen, doch hier, in den Armen von Henrik, nach dem Kuss, den sie geteilt hatten, wusste sie mit absoluter Sicherheit, dass sie nicht länger in René Förster verliebt war.
Sie schloss die Augen und lehnte sich in seine Hand. Als habe er nur auf ein Zeichen von ihr gewartet, presste Henrik sie noch enger an sich und begann, mit seinem Daumen über ihre Lippen zu streichen. Ein Seufzen entfloh ihr.
„Mina“, sagte er leise: „Gefühle sind, wie sie sind. René versteht das. Er wird es verstehen.“
Langsam öffnete sie ihre Augen wieder. Henriks Blick war dunkler geworden, deutlich gezeichnet von dem Verlangen, das er für sie empfand, und sie konnte sich nicht dagegen wehren. Wie ein Spiegel flammte auch in ihr die Leidenschaft hoch.
Und endlich erwiderte sie seine Umarmung.
„Ich möchte nichts kaputt machen“, gestand sie leise, ihre Stirn auf seiner Schulter abgelegt: „Ich habe Angst.“
Beruhigend streichelte er ihr über den Kopf: „Ich habe auch Angst, Mina. Lass uns zusammen Angst haben.“
Mit diesen Worten schaltete er die Kochplatte aus, dann umschlang er Mina mit beiden Armen, hob sie hoch und trug sie in ihr Schlafzimmer. Sanft legte er sie auf der Matratze ab, um dann die Tür zu schließen und ein kleines Licht anzumachen. Heiße Schauer liefen über Minas Körper, während sie ihn dabei beobachtete, wie er sich langsam seiner Kleidung entledigte. Noch immer hatte er den durchtrainierten Körper eines Fußballspielers. Seine grünen Augen, die sie sonst voller Wärme und Offenheit angeschaut hatten, schienen sie jetzt zu verschlingen, so viel unverhüllte Lust konnte sie darin lesen.
Mina wusste nicht, wann sie sich das letzte Mal so begehrt gefühlt hatte. Nervös leckte sie sich über die Lippen, ehe sie begann, sich selbst auch auszuziehen. Sie ließ Henrik dabei keine Sekunde aus den Augen, als sie ihren Pullover jedoch über den Kopf zog, fiel sein Blick wie magisch angezogen auf ihre Brüste. Sie unterdrückte ein Kichern.
„Du bist so schön“, murmelte er, während er zu ihr aufs Bett kroch.
Mina musste sich konzentrieren, um das Atmen nicht zu vergessen. Wie hatte sie Henrik zuvor nur nicht als attraktiven Mann wahrnehmen können? Sein immer etwas wildes Haar, seine breiten Schultern, die rauen Hände, die jetzt über ihren entblößten Bauch strichen. Sie hatte das Gefühl, ihr ganzer Körper stand in Flammen. Schnell zog sie den Rest ihrer Kleidung aus, bis sie ebenso nackt war wie er selbst.
Vorsichtig ließ sie sich zurücksinken, bis sie ausgestreckt auf dem Bett lag, und bot ihren ganzen Körper seinem hungrigen Blick an. Beinahe als wäre er überfordert von ihrem Anblick, zuckten seine Augen hin und her, als wüsste er nicht, wo er zuerst hinschauen sollte. Entschlossen griff sie nach seiner Hand und zog sie zu sich, legte sie auf einer ihrer Brüste ab.
„Mina“, seufzte Henrik und endlich, endlich beugte er sich über sie und küsste sie.
Zufrieden ließ Mina ihre Augen zufallen, verdrängte jeden Gedanken an René und gab sich ganz dem Kuss hin. Zärtlich, unendlich langsam und trotzdem voller Selbstbewusstsein strichen Henriks Lippen über ihre, während der Daumen seiner rechten Hand ihren steifen Nippel liebkoste. Wie kleine Blitze zuckte Erregung durch ihren Körper. Ohne es recht zu merken, schob Mina ihre Beine auseinander, um Henrik dazu einzuladen, sich zwischen sie zu legen. Ohne zu zögern kam er der unausgesprochenen Aufforderung nach.
Sie gab einen unzufriedenen Laut von sich, als er den Kuss beendete, doch als sie kurz darauf seine heißen Lippen auf ihrer anderen Brust spürte, verstummte ihr Protest. Voller Hingabe leckte und saugte er an ihrem Nippel, während seine andere Hand zunehmend härter ihre rechte Brust knetete. Stöhnend reckte sie sich ihm entgegen, vergrub ihre Hände in seinem Haar, rieb ihre Hüfte an seinem Oberschenkel, um so viel von seinem muskulösen Körper wie möglich zu spüren.
„So gierig“, neckte Henrik sie mit einem dunklen Lachen, doch er kam dem ungeduldigen Rollen ihrer Hüfte entgegen. Seinen linken Arm neben ihr aufgestützt, wanderte seine rechte Hand langsam über ihren Rippenbogen, weiter zu ihrem Bauch, runter, hinab zwischen ihre Schenkel. Sofort spreizte sie ihre Beine noch weiter, gierig nach seiner Berührung. Wieder lachte er, doch er hielt nicht inne. Seine Finger fanden ihre erhitzte Mitte, strichen zuerst zart, dann mit zunehmendem Druck darüber. Seufzend und stöhnend drängte Mina sich ihm entgegen, versuchte ihm mit ihrem Körper zu verstehen zu geben, dass sie ihn in sich spüren wollte.
Wieder schien er ihre Gedanken lesen zu können, denn im selben Moment, als seine Lippen für einen weiteren Kuss zurückkehrten, drang er mit zwei Fingern tief in sie ein. Ohne Scham stöhnte sie in seinen Mund, öffnete sich ihm ganz, während er einen langsamen Rhythmus aufnahm. So, wie seine Zunge über ihre strich, so stieß er seine Finger in sie, während seinen Daumen ihre empfindlichste Stelle fand.
„Henri!“, entfuhr es Mina unwillkürlich.
„Du bist perfekt, Mina“, raunte er ihr ins Ohr, ohne die Bewegung seiner Hand zu unterbrechen, „so perfekt für mich. So heiß. Ich kann gar nicht glauben, dass ich endlich …“
Unwillig packte sie sein Gesicht und zog ihn in einen weiteren Kuss, ehe er mit seinen romantischen Plattitüden die Stimmung verderben konnte. Im Takt mit seiner Hand rollte sie ihre Hüften, presste sie sich an ihn, während sie spürte, wie sich im Innern ein Orgasmus anbahnte. Sie brauchte mehr, sie brauchte es schneller. Ihr Kuss wurde leidenschaftlicher, fordernder, und die Bewegungen ihrer Hüfte unkontrollierter. Entschlossen packte sie Henriks Handgelenk, um seine Hand festzuhalten und übernahm selbst die Kontrolle. Seufzend wandte sie sich unter ihm, versenkte seine Finger immer schneller in sich, während er nicht aufhörte, ihren empfindlichen Knoten zu massieren. Und dann, endlich, als sie schon meinte, vor Anspannung und Erregung platzen zu müssen, rollte der Orgasmus wie eine riesige, erlösende Welle über sie.
Henrik hielt sie fest, liebkoste sie, während sie zitternd unter ihm lag und langsam wieder zu Atem kam. Sie konnte kaum glauben, dass er sie bei ihrem ersten gemeinsamen Mal zum Höhepunkt gebracht hatte.
„Mina“, sagte er leise, nachdem sie wieder halbwegs bei sich war: „Hast du … irgendwas da?“
Kurz blinzelte sie irritiert, dann begriff sie: „Nicht nötig. Ich nehm die Pille.“
Erleichtert lächelte Henrik sie an. Dann, vorsichtig, als wollte er sie nicht verschrecken, positionierte er sich zwischen ihren Beinen und schaute ihr tief in die Augen: „Darf ich?“
Kichernd schlug sie ihm gegen seinen Oberarm: „Du musst!
Kurz noch zögerte er, schaute sie einfach nur an, als suche er nach einem Zeichen von Abwehr, dann senkte er sich unendlich langsam in sie. Automatisch hob Mina ihre Hüfte und spreizte ihre Beine weiter. Es war schon viel zu lange her und mit einem Mal wurde ihr bewusst, wie sehr sie Sex vermisst hatte. Als Henrik sich vollständig in sie versenkt hatte, schlang sie beide Beine um ihn, legte ihre Hände auf seine Schultern und presste ihn eng an sich.
Als habe er nur auf das Zeichen gewartet, begann Henrik, mit tiefen Bewegungen in sie zu stoßen. Die süße Erregung baute sich wieder in Mina auf, während sie ihre Augen schloss und einfach genoss, hier unter ihm zu liegen. Sie spürte, wie seine Bewegungen schneller wurden, kürzer und hektischer. Als sie ihre Lippen gierig auf seinen Hals presste, kam er mit einem lauten Stöhnen und ein paar letzten, unkontrollierten Stößen.
Schwer atmend rollt er sich von ihr runter, während sie nach der Bettdecke griff und sie über ihre beiden nackten, verschwitzten Körper zog. Zufrieden mit sich und der Welt kuschelte Mina sich an Henrik, der zu ihrem Erstaunen bereits eingeschlafen war. Nachdenklich fuhr sie mit ihren Fingern über seine Brust. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte sie noch stundenlang weiter machen können. Vielleicht wäre sogar noch ein weiterer Orgasmus für sie drin gewesen. Aber sie wollte sich nicht beschweren, immerhin hatte Henrik schon deutlich mehr Zeit für sie und ihre Bedürfnisse aufgebracht als René jemals zuvor.
Fluchend schloss sie die Augen. René war der letzte, an den sie jetzt denken wollte. Sie sollte sich einfach einmal damit zufrieden geben, was das Leben ihr gab.
Als Mina am Dienstagmorgen ihre Augen aufschlug, war sie zunächst sehr verwirrt, dass ihr Kissen sich so hart anfühlte.
Dann jedoch kamen die Bilder der letzten Nacht wie ein Wirbelsturm zurück in ihr Gedächtnis und ihr fiel augenblicklich ein, dass ihr Kopf nicht gemütlich auf ihrem Kissen ruhte, sondern auf der starken Brust von Henrik Zimmer. Der wiederum einen Arm um ihre Schultern geschlungen hatte, während der andere leblos zur Seite gefallen war.
Erstarrt, unfähig sich auch nur einen Zentimeter zu bewegen, blieb Mina in ihrer Position liegen. Sie konnte nicht glauben, was am Abend geschehen war. Hatte sie sich tatsächlich von Henrik dazu überreden lassen, René zu verlassen, um es mit ihm zu versuchen? Waren sie nun offiziell ein Paar?
Erinnerungen daran, wie Henrik voller Zärtlichkeit ihren Körper erkundet hatte, stiegen in ihr hoch. Er war so ganz anders als René, jede Sekunde darauf bedacht, ihr zu gefallen und sich um ihre Bedürfnisse zu kümmern. Sie hatte sich angebeteten gefühlt wie eine Göttin und sie hatte es genossen.
Hitze stieg ihr ins Gesicht. Sie sollte nicht über den Sex mit Henrik nachdenken, wenn sie heute noch ihre Gefühle sortieren wollte. Unwillig, aber dennoch entschlossen, wandte sie sich aus seinem Arm und setzte sich vorsichtig im Bett auf. Sie hatte tatsächlich mit Henrik die Nacht verbracht.
Von ihrer Bewegung geweckt, öffnete Henrik schläfrig seine Augen: „Morgen…“
Noch immer rot im Gesicht blickte Hermine auf ihn hinab: „Guten Morgen.“
Ein schiefes Grinsen stahl sich auf seine Lippen, als er ihre offensichtliche Befangenheit bemerkte: „Du bist süß, wenn du schüchtern bist.“
Beleidigt zog sie eine Schnute: „Tut mir leid, dass ich nicht so einfach über … über das hier hinwegkomme.“
„Das hier?“, wiederholte Henrik, der jetzt ganz offen lachte: „Du meinst, den berauschenden Sex mit dem größten Anwalt unserer Zeit?“
Ihre Röte vertiefte sich, doch dafür verschwand ihre Befangenheit: „Spiel dich bloß nicht so auf, Henri. Und zufällig war ich an diesem Sex auch beteiligt, also war ich für mindestens die Hälfte der Großartigkeit verantwortlich!“
Lachend richtete er sich auf und legte ihr eine Hand auf die Schulter: „Oh, absolut, da würde ich nie widersprechen! Ich hätte wirklich schon viel früher meine Sinne beisammen haben sollen und dir den Hof machen! Du scharfes Stück, du!“
„Wer bist du und was hast du mit meinem immer etwas unbeholfenen besten Freund gemacht?“, fragte Mina ungläubig. Dass Henrik hier vor ihr saß und so entspannt über Sex sprechen konnte, wollte ihr einfach nicht in den Kopf.
„Ich bin einfach nur überglücklich, dass ich dich endlich für mich haben kann“, sagte er und plötzlich war alles Lachen verklungen. Sein Blick lag voller Ernst auf ihr, während die Hand, die auf ihrer Schulter gelegen hatte, ihr zärtlich den Nacken kraulte.
Eine Gänsehaut breitete sich auf ihrer Haut aus: „Du weißt viel zu genau, was du sagen musst.“
Ein Blick auf ihren Wecker unterbrach den Moment der Zweisamkeit: „Oh Gott! Ich bin spät dran!“
Hektisch begann sie, nach einem angemessenen Outfit für den Tag in ihrem Schrank zu wühlen, während Henrik einfach nur faul die Klamotten vom Vortag vom Boden sammelte und anzog.
„Übrigens“, sagte sie, während sie ihre Bluse zuknöpfte: „Mir wäre es lieb, wenn wir … wenn wir noch warten könnten, okay? Ich will mir diesmal sicher sein, bevor ich eine neue Beziehung anfange. Und ich finde, René sollte auch Schonzeit bekommen.“
Henriks Fröhlichkeit verschwand augenblicklich: „Du willst jetzt aber nicht weglaufen, oder?“
Genervt rollte sie mit den Augen: „Nein, natürlich nicht. Ich will nur nichts überstürzen, okay? Warte auf mich, Henri. Gib mir Zeit.“
Grimmig verschränkte er die Arme vor der Brust: „Ich habe lange genug gewartet.“
Entschlossen trat sie auf ihn zu und stach ihm einen Finger in die Brust: „Wenn du so anfängst, endet das hier, bevor wir überhaupt wirklich gestartet sind, okay? Ich brauche Zeit, Henrik Zimmer, und wenn du es ernstmeinst, dann gibst du mir sie.“
Sie konnte nicht glauben, dass er ernsthaft von ihr erwartete, sich Hals über Kopf in eine Beziehung mit ihm zu stürzen. Nicht nur, dass sie ihre Gefühle füreinander gerade erst entdeckt hatten, er war auch immer noch der beste Freund ihres Ex-Freundes, der noch nicht wusste, dass er wirklich ein Ex-Freund war.
„Schön“, zischte Henrik, während er an ihr vorbei aus dem Schlafzimmer trat: „Aber glaub mir: Ich bin nicht so geduldig wie René. Ich will dich, Mina, und ich weiß, dass du mich auch willst. Schmeiß das nicht weg!“
Am liebsten hätte Mina ihm dafür eine Ohrfeige verpasst, doch er war aus der Wohnung verschwunden, ehe sie reagieren konnte. Mit offenem Mund und unendlich wütend stand sie in ihrer Wohnung. Dachte Henrik wirklich, dass er so mit ihr umgehen konnte? War das die Seite, die er in einer Beziehung zeigte? Besitzergreifend, herrisch und ungeduldig? War seine Zärtlichkeit und Aufmerksamkeit nur aufgesetzt, um die Frau ins Bett zu bekommen?
Frustriert schüttelte sie den Kopf. Nein, sie reagierte vermutlich nur über. Sie wusste, dass die zärtliche Seite zu Henriks Wesen dazu gehörte, aber sie hatte auch schon miterlebt, dass er stur und ungeduldig sein konnte. Vermutlich wollte er einfach endlich die Gewissheit, dass er sie haben konnte. Aber sie blieb bei ihrem Entschluss: Sie würde nichts überstürzen.
Sie musste mit René sprechen und ihm sagen, dass die Pause sich schon jetzt als Ende entpuppt hatte. Ihr schlechtes Gewissen nagte heftig an ihr. Sicher, theoretisch war sie im Moment Single, aber praktisch hatte sie gerade ihren langjährigen Freund mit Henrik betrogen. Sie hatten all die Jahre alles zu dritt gemacht, alles geteilt. Dass sie jetzt von einem zum anderen Mann wechselte, würde diese Freundschaft vermutlich nicht überstehen. Das sah Mina ganz klar. Sie hatte es sich ja auch nicht ausgesucht, sich in Henrik zu verlieben. Die erotische Spannung war einfach plötzlich da und hat sich entladen. Bevor Henrik bei ihr eingezogen war, hatte sie nicht einmal im Traum daran gedacht, René für ihn zu verlassen.
Umso sicherer war Mina sich, dass sie warten sollte, ehe sie eine Beziehung zu Henrik einging. Konnte sie in ihrem jetzigen Zustand wirklich ein rationales Urteil über ihre Gefühle fällen? Sie bezweifelte es sehr. Wenn es nur eine kurzfristige Verliebtheit war, weil Henrik ihr das Gefühl gab, eine begehrenswerte Frau zu sein, dann würde sie ihn am Ende nur noch mehr verletzen, wenn sie eine Beziehung anfing und sie dann schnell wieder beendete. Das musste er einfach verstehen. Es wäre unfair von ihr, sich Hals über Kopf darein zu stürzen.
Ganz zu schweigen davon, dass René sich nur noch schlechter fühlen würde, wenn sie nahtlos eine Beziehung zu Henrik eingehen würde. Es war so schon kompliziert genug.