René sah überrascht aus, als er Mina die Tür öffnete. Es hatte sie all ihre Überwindung gekostet, den Weg hierher zu gehen, doch ihr Gewissen hatte sie nicht in Ruhe gelassen. Sie musste einen klaren Schnitt machen, ehe sie sich wirklich für irgendetwas anderes öffnen konnte.
„Hey“, sagte sie schüchtern, „ich hoffe, das ist okay?“
Etwas unschlüssig trat René beiseite, um sie hereinzulassen: „Ich denke schon. Ich bin nur verwirrt.“
Sie hängte ihren Mantel auf und ließ sich wie so viele Male zuvor in das weiche Sofa in Renés Wohnzimmer singen. Etwas unbeholfen setzte er sich zu ihr, offensichtlich unsicher, ob er eher Distanz wahren oder Körperkontakt suchen sollte.
„Ich weiß, wir haben die Beziehungspause gerade erst angefangen, aber …“, setzte Mina an, doch sie konnte es einfach nicht aussprechen. Tränen stiegen in ihr hoch. Warum war es nur so schwer, eine Beziehung zu beenden?
Renés Blick ruhte auf ihr: „Aber?“
Verzweifelt fuhr Mina sich durch ihr Haar. Wie sollte sie ihm das nur erklären, ohne ihm das Herz zu brechen? Stockend erklärte sie: „Du hattest einfach Recht. Mit allem. Was du gesagt hast am Samstag, das war einfach … du hast den Nagel auf den Kopf getroffen.“
„Du liebst mich nicht mehr.“
Es war keine Frage, sondern eine Aussage. Mina nickte nur stumm. Sie wünschte, sie könnte irgendetwas sagen, um ihn zu trösten, doch alle netten Dinge, die ihr einfielen, klangen nur wie hohle, wertlose Phrasen. Sie traute sich nicht einmal, ihm ins Gesicht zu sehen.
„Ich hab’s geahnt“, flüsterte René.
Mina hörte deutlich die Erschöpfung aus seiner Stimme heraus. Vorsichtig schaute sie zu ihm. Er hatte sich zurückgelehnt, den Kopf in den Nacken gelegt, die Augen geschlossen. Instinktiv griff sie nach seiner Hand, doch er entzog sich ihr. Ein leises Wimmern entfuhr ihr, so sehr tat seine Abweisung weh. Sie wollte René nicht noch als guten Freund verlieren. Sie wollte nicht, dass er wegen ihr litt.
„Ich verstehe einfach nicht“, sagte er schließlich, ohne die Augen zu öffnen, „was schief gelaufen ist. Was ist passiert, Mina?“
Wieder versuchte sie, nach seiner Hand zu greifen, und diesmal ließ er es zu. Sie hasste sich dafür, dass sie diejenige war, die weinte, obwohl er so viel mehr Anlass dazu hatte. Sie umklammerte seine Hand fest mit ihren beiden, als sie antwortete: „Ich weiß es auch nicht. Du bist ein wichtiger Mensch in meinem Leben, aber … da sind einfach keine … romantischen Gefühle mehr.“
Endlich öffnete René seine Augen, doch der Blick, den er ihr zuwarf, war so eisig, dass sie sich gewünscht hätte, er hätte sie weiterhin nicht angeschaut: „Du stehst nicht auf mich, richtig? Ich bin für dich kein Mann? Der Sex mit mir ist scheiße?“
Getroffen ließ sie seine Hand fallen: „Warum greifst du mich jetzt an?“
René ballte die Fäuste, seine Kiefer mahlten aufeinander in offensichtlicher Anspannung. Er wirkte beinahe so aggressiv, wie Henrik manchmal werden konnte, und das überraschte Mina. Zwar war René nicht immer unbedingt einfühlsam, aber er hatte sich in all den Jahren, die sie ihn kannte, nie aggressiv gezeigt. Schließlich atmete er lang aus und sein Blick wurde weich: „Sorry, das war richtig daneben. Du kennst mich doch. Ich bin innerlich ein riesiger Haufen Fluff, der sich für nicht männlich genug hält.“
Mina konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen: „René, du bist Polizist. Du jagst die bösen Jungs. Was könnte männlicher sein?“
Er machte eine wegwerfende Handbewegung: „Du weißt doch genauso gut wie ich, dass das nur ein Klischee ist. Mein Alltag besteht aus Papierkram, Papierkram und noch mehr Papierkram.“
Er verstummte. Schweigend saßen sie nebeneinander, als warteten beide darauf, dass der andere etwas sagte. Mina hasste sich dafür, dass die Worte von René nahe an der Wahrheit waren. Sie hatte ihn wirklich gerne, aber die sexuelle Anziehung hatte sich nie so richtig eingestellt. Und je weniger Spaß sie im Bett mit ihm hatte, umso weniger versetzte er ihr Herz in Aufruhr. Sie liebte ihn noch immer, das spürte sie, aber sie liebte ihn, wie man einen Bruder lieben würde.
„Ich hab von Anfang an gewusst, dass du außerhalb meiner Liga bist. Ich hab’s gewusst und ich hab trotzdem gedacht, dass es was wird. Scheiße, ich bin einfach zu blöd“, fluchte René plötzlich.
Hart packte Mina ihn an den Schultern: „Außerhalb deiner Liga? Was soll das für ein Blödsinn sein, René? Ich habe mich in dich verliebt damals. Ich habe mich nicht dazu herabgelassen, mit dir zusammen zu sein, oder hab das aus Mitleid oder so getan. Ich habe mich in dich verliebt. Aber Menschen ändern sich. Du hast dich verändert, ich habe mich verändert, und heute bin ich nicht mehr in dich verliebt. Sag bloß nicht, dass das irgendetwas über deinen Wert aussagt!“
Viel zu oft hatte René ihr schon gesagt, dass er gar nicht glauben konnte, dass jemand wie sie sich in jemanden wie ihn verliebt hatte. Viel zu oft hatte sie ihm schon gesagt, dass dieser Gedanke alleine schon Blödsinn war. In der Liebe gab es nicht „jemanden wie ihn“ oder „jemanden wie sie“. Sie war nie dahinter gekommen, woher sein tiefsitzender Minderwertigkeitskomplex stammte, und ebenso war es ihr nie gelungen, ihn davon zu überzeugen, dass sie ihre Gefühle wirklich aufrichtig meinte und er nicht einfach zweite Wahl war.
„Wenn ich Henri wäre …“, setzte René an, doch sofort schnitt Mina ihm das Wort ab.
„Hast du mich während des Studiums auch nur ein Mal mit Henri flirten sehen?“, sagte sie scharf: „Hattest du auch nur ein einziges Mal das Gefühl, dass ich mich für ihn interessiere? René, wie oft soll ich das noch sagen? Ich kannte Henrik, bevor ich dich kannte, und in der Uni hatte ich nie Interesse an ihm. Ich habe mich in dich verliebt.“
So groß ihr Interesse für Henrik jetzt auch war, damals, im Studium, hatte sie sich auf der Ebene nie auch nur im geringsten für ihn interessiert. Sie waren alle andere Menschen gewesen damals.
„Du hast ja Recht. So, wie du immer Recht hast“, gab René zu, doch er klang nicht glücklich dabei: „Warum hast du immer so logische Antworten auf alles? Warum ist immer alles logisch, was du sagst?“
Getroffen wischte Mina sich die Tränen aus dem Gesicht. Sie hatte diesen Vorwurf noch nie verstanden, und gerade jetzt, wo sie weinte und er nicht, traf er sie noch mehr: „Tut mir leid, dass ich versuche, Dinge mit meinem Verstand zu lösen. Tut mir leid, dass ich gerne logisch bin. Tut mir leid, dass ich mich nicht von meinen Gefühlen so irrationalen Dingen hinreißen lasse.“
„Hör auf damit!“, fuhr er sie wütend an: „Scheiße, Mina, du machst gerade mit mir Schluss! Wenn es dabei nicht um Gefühle geht, wann dann? Zum Teufel mit deinem kühlen, logischen Verstand. Du kannst mir nicht vorschreiben, wie ich mich fühle! Und ich fühle mich scheiße, okay? Ich fühle mich wie ein riesiger Haufen wertloser Scheiße. Und weißt du, was dem ganzen noch die verschissene Krone aufsetzt? Dass ich weiß, dass du hiernach heim gehst und da Henrik auf dich wartet! Du kannst mir erzählen, was du willst, aber Henrik hat dich immer gemocht! Ich wette, er wartet nur darauf, dich endlich in sein Bett zu kriegen, jetzt, wo ihr beide zufälligerweise zum selben Zeitpunkt Single seid.“
Mit offenem Mund starrte Mina ihren Ex-Freund an. In all den Jahren hatte sie ihn nie so aufgebracht erlebt. Sicher, er hatte durchaus ein Temperament und fluchte gerne, aber er war nie ernsthaft wütend, nicht auf sie oder Henrik. Und dass seine Worte so nahe an die Wahrheit kamen, machte die Situation nicht besser.
Verzweifelt schloss sie die Augen, um nach einem Ausweg zu suchen. Sie wollte sich nicht im Streit von René trennen. Sie konnte das nicht so stehen lassen. Vermutlich wollte er sie gerade absichtlich verletzen. Vermutlich suchte er nur nach irgendwelchen Gründen, um seine Enttäuschung und Trauer rauslassen zu können. Darum bemüht, nicht jenen Tonfall zu haben, den René immer als besserwisserisch bezeichnete, sagte Mina leise: „Ich sag doch gar nicht, dass du nicht wütend sein darfst. Ich will nur nicht, dass du dich selbst als wertlos bezeichnest. Das bist du nicht.“
René schnaubte nur und schüttelte den Kopf. Alle Energie schien aus seinem Körper zu verpuffen, als er sich vorbeugte und sein Gesicht in den Händen vergrub: „Das war’s dann also?“
Sie wollte ihn berühren, sie wollte ihm eine Hand auf die Schulter legen, aber sie wusste, das wäre jetzt mehr als unangebracht. Sie nickte: „Ja. Aber ich würde mir wünschen, wenn’s das nicht ganz war. Ich würde dich gerne in meinem Leben behalten.“
René rührte sich nicht, als er erwiderte: „Ja, natürlich willst du das. Aber nicht jetzt. Ich wollte dich heiraten, Mina, verstehst du das? Ich kann nicht einfach so weiter machen, als wäre nie etwas gewesen. Vielleicht irgendwann. Aber nicht jetzt.“
Die Tränen, die zwischenzeitlich versiegt waren, kehrten zurück. Lautlos rannen sie über Minas Wangen, doch der rationale Teil ihres Gehirns sagte ihr, dass René Recht hatte, dass sie Abstand brauchten, damit er über seine Gefühle für sie hinweg kommen konnte.
Langsam stand sie auf und ging zur Tür. Mit einem leisen „Melde dich, wann immer du willst“ verließ sie seine Wohnung.
Schniefend wischte sich Mina die Tränen von den Wangen. Die eisige Kälte der Winterluft vor Renés Haustür erinnerte sie daran, dass noch immer Spuren ihres Gesprächs auf ihrem Gesicht zu finden waren. Nachdem sie die feuchten Wangen getrocknet hatte, trat sie einen Schritt vor und sog tief die schneidend kalte Luft ein. Sie brannte in ihrer Lunge, doch Hermine hieß den Schmerz willkommen.
Er lenkte sie ab von dem Schmerz, der in ihrem Herzen wütete. Sie hasste es, René so verletzt zu sehen. Doch sie hatte gewusst, je eher sie mit ihm darüber sprach, umso geringer wäre der Schock. Und vorbereitet auf eine Trennung war man eh nie.
Sie warf einen Blick auf ihre Uhr. Es war noch früh am Abend. Wohin sollte sie gehen? In ihrer Wohnung würde Henrik auf sie warten, begierig darauf zu erfahren, dass sie nun endgültig frei war. Frei für ihn. Er würde nicht verstehen, dass die Trennung sie emotional völlig ausgelaugt hatte, er würde feiern wollen, am liebsten nackt und im Bett.
Oder auch nicht. Henrik konnte sehr einfühlsam sein, das wusste sie. Er würde verstehen, dass es ihr nicht leicht gefallen war, René das Herz zu brechen. Dennoch spürte sie, dass es falsch wäre, jetzt direkt zu ihm zu gehen. Sie brauchte Trost. Aufmerksamkeit. Jemanden, der nicht so involviert in dieses Problem war wie Henrik.
Unter anderen Umständen wäre sie wohl zu Giselle gegangen, doch sie konnte sich schlecht bei ihr darüber ausheulen, dass sie gerade ihrem Bruder das Herz gebrochen hatte. Und wenn es wirklich mit ihr und Henrik weitergehen würde, könnte sie erst recht nicht Giselle unter die Augen treten. Es war einfach falsch.
Minas Schultern sanken herab. Hatte sie wirklich so wenige Freunde in ihrem Leben, dass sie in dieser Situation niemanden hatte, an den sie sich wenden konnte? Kurz dachte sie an ihre Chefin, doch der Gedanke war einfach zu absurd. Sie verstanden sich gut, aber sie waren definitiv keine Freunde, die über Beziehungsprobleme sprachen. So angestrengt sie auch nachdachte, außer Giselle und Henrik fiel ihr niemand ein, der jetzt für sie da sein könnte.
Höchstens Daniel.
Überrascht über ihre eigenen Gedanken setzte Mina sich in Bewegung. Es hatte keinen Sinn, noch länger vor dem Haus mit Renés Wohnung zu verweilen. Sie konnte genauso gut ihren Körper bewegen, um so vielleicht auf andere Gedanken zu kommen.
Dachte sie tatsächlich ernsthaft, sie könnte mit Daniel über so ein Thema sprechen? Nachdenklich runzelte sie die Stirn. Tatsächlich, so ging ihr auf, hätte sie keinerlei Problem damit, wenn da nicht der Kuss gewesen wäre. Vermutlich hätte er sie ein wenig aufgezogen, einige Beleidigungen über René fallen lassen, aber ihr trotzdem einen Tee gekocht und lange schweigend zugehört, während sie ihm das Herz ausschüttete.
Ehe sie richtig wusste, was sie da tat, stieg Mina in die Straßenbahn, die sie bis zu Daniels Villa bringen würde. Selbst, wenn er ihr keinen Trost spenden wollte, sie brauchte jetzt einfach Gesellschaft und am beste jemanden, der nicht in ihr Liebesleben verwickelt war.
„Frau Richter“, ertönte es erstaunt aus der Empfangshalle, nachdem der Pförtner sie hereingelassen hatte: „Was beschert uns an einem Samstagabend diese Ehre Ihres Besuches?“
Ertappt knetete Mina ihre Finger. Sie hatte eigentlich gehofft, dass direkt Daniel sie empfangen würde, doch nun musste sie ihre Anwesenheit seiner Mutter erklären: „Ich dachte, ich besuche Ihren Sohn. Er war die Woche über so freundlich zu mir gewesen, dass ich mich gezwungen fühlte, seine Freundlichkeit zu erwidern.“
Es war offensichtlich, dass Frau von Hohenstein ihr kein Wort glaubte, doch es war ihr egal. Sollte die Hausherrin denken, dass sie am Wochenende ihrer Arbeit nachging, es spielte keine Rolle. Lächelnd fügte sie hinzu: „Ich nehme an, Daniel ist in der Bibliothek?“
„Nein, er ist auf seinem Zimmer, da er einige Briefe zu beantworten hat. Führen Sie unseren Gast zu Daniels Zimmer“, wies sie den Butler an, dann drehte sie sich ohne ein weiteres Wort um und verschwand im Salon.
Plötzlich bereute Mina, dass sie aus einem Bauchgefühl heraus hergekommen war. In Daniels Zimmer? In seinem Arbeitszimmer? Oder in seinem Schlafzimmer? Sie betete, dass er ihren Besuch jetzt nicht missverstehen würde. Und sie betete, dass es nicht zu peinlich werden würde, dass sie hier auftauchte, nachdem sie ihn zuvor abgewiesen hatte. Was hatte sie sich nur dabei gedacht?
Der Mann klopfte für sie an die Zimmertür, doch die Antwort von drinnen war unfreundlich: „Habe ich nicht klar gesagt, dass ich nicht gestört werden will?“
Fragend schaute ihr Begleiter Mina an. Sie lächelte ihm zu und bedeutete ihm, dass er gehen konnte. Dann griff sie nach der Klinke und trat ein.
„Mina!“
„Guten Abend“, sagte sie und schloss die Tür hinter sich, als wäre es das Normalste der Welt. Sie durfte sich bloß nicht anmerken lassen, wie unwohl sie sich fühlte. Sie durfte bloß nicht zeigen, wie entsetzt sie darüber war, sich in Daniels Schlafzimmer wiederzufinden.
„Was zum Teufel tust du hier?“, verlangte er zu wissen, doch immerhin hatte er den Anstand, sich von dem Sofa zu erheben und ihr einen Platz vor dem Kamin anzubieten. Im Gegensatz zu ihr hatte er natürlich einen echten Kamin.
„Mir war nach Gesellschaft“, erklärte sie schlicht, nachdem sie ihren Mantel an einen Haken an der Tür gehängt hatte: „Genauer gesagt nach deiner Gesellschaft.“
„Du bist schon wirklich Mina Richter, ja?“, hakte Daniel nach, während er zu seiner kleinen Bar hinüber ging, um für sie beide Drinks zu holen.
„Sehr witzig“, kommentierte Mina trocken: „Ich lach mich tot. Nein, ehrlich. Ich hatte heute einen nicht so tollen Tag…“
Daniel kehrte mit zwei Gläsern mit brauner Flüssigkeit darin zu ihr zurück und hielt ihr eines hin: „Und da kommst du zu mir? Was, soll ich dich trösten?“
Ihr entging nicht, wie er anzüglich die Augenbraue hochzog, doch sie rollte bloß mit den Augen. Vorsichtig nippte sie an ihrem Drink und brach unverzüglich in heftiges Husten aus: „Was ist das denn?“
Gespielt beleidigt ließ Daniel sich auf das Sofa sinken, einen Arm lässig über die Lehne gelegt, während er in der anderen Hand sein Glas hochhielt und genau studierte: „Das, meine Liebe, ist guter, schottischer Whisky. Sind mehr als vierzig Umdrehungen zu viel für dich?“
Sie konnte genau hören, wie sehr es ihn amüsierte, dass sie starken Alkohol nicht vertrug: „Ich bin eben keine routinierte Trinkerin“, konterte sie.
Zu ihrer Überraschung lachte er bloß: „Touché, Madame. Also, worauf trinken wir?“
„Bitte?“
„Du hattest einen schweren Tag, hast du gesagt. Was willst du in diesem Glas Alkohol ertränken?“
Sie konnte nicht anders, als ihn dankbar anlächeln. Wie auch immer es ihm gelungen war, ihre Laune so genau zu analysieren, aber in dem Moment, in dem sie an dem Alkohol genippt hatte, war ihr aufgegangen, dass sie genau das gebraucht hatte. Und dass er tatsächlich nachfragte, was los war, ehrte ihn.
„Ich habe mich endgültig von René getrennt“, gestand sie schließlich, nachdem sie einen deutlich zu großen Schluck vom Whisky genommen hatte.
„Gratuliere“, kam es voller Anerkennung von Daniel: „Du hast nicht so lange dafür gebraucht, wie ich befürchtet hatte.“
Sie rollte mit den Augen: „Ja, ja, ich weiß schon, was du von ihm hältst. Ich dachte wirklich, wir können das gemeinsam schaffen, aber offenbar sind wir doch nicht füreinander bestimmt. Jetzt bin ich also mehr oder weniger Single.“
Sofort bereute sie ihre Worte, denn Daniel lehnte sich augenblicklich näher zu ihr: „Mehr oder weniger?“
Errötend blickte sie in ihr Glas: „Naja … ich bin Single.“
Eine Hand legte sich auf ihren Schenkel: „Das war nicht, was du gesagt hast, Mina. Du hast gesagt, du bist mehr oder weniger Single.“
Dort, wo seine Hand ihren Körper berührte, schien Mina in Flammen zu stehen. Sie wusste, es war eine dumme Idee gewesen, zu Daniel zu gehen, um den Tag zu verarbeiten. Sein Kuss war offensichtlich ernst gemeint gewesen. Was für eine Botschaft sandte sie gerade aus, dass sie ausgerechnet zu ihm kam, nachdem sie wieder Single war? Das konnte er ja nur missverstehen.
Und trotzdem konnte sie nicht anders, als sich genau hier, genau jetzt, mit ihm auf dem Sofa in seinem Schlafzimmer genau richtig zu fühlen.
Interessiert beobachtete Daniel, wie sich eine tiefe Röte auf Minas Gesicht ausbreitete, die sogar bis runter zu ihrem Dekolletee ging. So reagierte keine Frau, die nur freundschaftliche Gefühle hegte. Er spürte, wie sein Mund sich unwillkürlich zu einem Grinsen verzog. Also wollte sie ihn doch, er hatte sich nicht geirrt. Sie war nur zu schüchtern, zu gefangen in der Vorstellung von sich selbst, als dass sie das zugeben würde. Das gab dem Ganzen eine neue Dimension, eine Herausforderung für ihn. Er würde sie schon davon überzeugen, dass sie zu ihren Gefühlen stehen konnte.
Mit einem Schluck leerte er sein Glas, stellte es auf den Couchtisch und nahm dann Mina ihr Glas ab, nachdem sie es ihm gleich getan hatte. Langsam fuhr er mit seiner Hand höher: „Sag mir, Mina, ist dein Herz tatsächlich so ungebunden, wie du vorgibst?“
Er hatte absichtlich seinen verführerischen Tonfall genutzt und ihre Reaktion war augenblicklich da: Ihre großen Augen zeigten ihm, dass sie kaum glauben konnte, was er sagte. Oh ja, diese junge Frau vor ihm hatte Angst, aber es war nicht Angst vor ihm, sonst hätte sie sich seiner Berührung längst entzogen. Er rückte noch ein Stück näher, bis sein Bein sich gehen ihres presste, und noch immer rührte Mina sich nicht vom Fleck.
„Daniel“, flüsterte sie und er musste an sich halten, nicht über die zittrige Stimme zu lachen: „Das ist nicht der Grund, warum ich hergekommen bin…“
Er legte ihr einen Finger auf die Lippen: „Ich verstehe dich, Mina. Es ist schwer, seine Herzenwünsche offenzulegen, wenn sie einem selbst so verboten erscheinen. Aber ich bin hier für dich. Ich werde dich nicht auslachen.“
Aufmerksam studierte er jede Regung in ihrem Gesicht. Da war etwas in ihren Augen, in der Art, wie sie sich in seine Berührung lehnte und trotzdem zögerte, sich ihm wirklich zu öffnen. Irgendetwas verbarg sie noch immer vor ihm, obwohl sie ihn aus diesen riesigen Rehaugen anstarrte und so offen wirkte. Es hätte ihn stören sollen, doch das Gegenteil war der Fall: Er wollte mehr wissen, wollte sie dazu bringen, sich ihm wirklich zu öffnen. Er war tatsächlich interessiert.
„Du verstehst nicht“, erwiderte sie stur: „Ich kann nicht, Dan. Es wäre nicht aufrichtig von mir.“
Er ließ seine Hand in ihren Nacken wandern, wo er mit einigen ihrer Locken spielte: „Was kann aufrichtiger sein, als dem Verlangen des eigenen Herzens nachzugeben?“
Sie rollte mit den Augen. Sie rollte tatsächlich mit den Augen, während er alles rausholte, was er sich an Verführungskünsten zugelegt hatte. Er wusste, dass sein Blick sich verfinsterte, doch er konnte nichts dagegen tun.
„Wenn ich immer nur auf mein Herz hören würde“, erklärte Mina streng, „dann würde ich ziemlich viele Leute unglücklich machen.“
Wieso nur mussten diese verdammten Gutmenschen immer zuerst an andere Menschen denken? Sie saß hier, mit ihm, und er machte ihr ein so offensichtliches Angebot – wieso konnte sie da nicht einfach ihren Verstand ausschalten und sich ihm hingeben? Was musste er denn noch tun, um ihr zu zeigen, dass er es ernst meinte?
Nicht, dass er es wirklich ernst meinen würde. Es ging ihm noch immer nur darum, sie von der Sponsorensache und ihrem Job abzulenken. Aber er konnte auch nicht leugnen, dass er wirklich wissen wollte, was in ihrem hübschen Köpfchen vor sich ging.
„Okay, Mina, kapiert“, sagte er ungeduldig: „Ich habe keine Ahnung, worüber genau du dir Gedanken machst, aber du kannst dich auf eines verlassen: Ich bin nicht der Typ Mann, der eine Frau erobert und dann überall damit prahlt. Wenn du es nicht willst, wird niemals jemand hiervon erfahren. Kein Grund, irgendjemandem das Herz zu brechen.“
Zu seinem Entsetzen hatten seine Worte den gegenteiligen Effekt. Minas Miene verdüsterte sich, sie entzog sich seinem Griff und stand auf: „Was zur Hölle, Daniel? Die eine Sekunde redest du von Herzenswünschen und in der nächsten spielst du es als Onenightstand runter?“
Augenblicklich fiel ihm sein Fehler auf, doch es war offensichtlich zu spät, denn Minas Gesicht hatte sich zu einer wütenden Maske verzerrt: „Wenn ich daran denke, dass ich beinahe darauf reingefallen wäre. Wäre ja auch zu schön gewesen, mal den echten Daniel von Hohenstein zu sehen. Mal aufrichtige Worte aus deinem Mund zu hören. Was sollte das die ganze Woche, mh? Hast du dir extra viel Mühe gegeben, um mich ins Bett zu kriegen? Ist das nur eine Fortsetzung deiner blöden Spielchen aus der Uni?“
Überfordert fuhr er sich durch seine Haare. So hatte er sich das nicht vorgestellt. So hatte er es vor allem auch gar nicht gemeint. Wieso nur reagierte sie so abweisend? Bevor sie sein Zimmer verlassen konnte, packte er sie am Arm: „Du gibst mir ja gar keine Chance, irgendetwas zu erklären. Himmel, Mina! Was glaubst du denn, warum ich mich so bemüht habe, zivilisiert zu sein?“
„Keine Ahnung!“, fuhr sie ihn wütend an und versuchte, ihren Arm loszureißen: „Mir ist auf jeden Fall gerade klargeworden, dass du immer noch derselbe Idiot bist wie zu Studienzeiten. Und jetzt lass mich los.“
Zorn stieg nun auch in Daniel hoch. Er war dem Ziel so nahe gewesen, er konnte nicht zulassen, dass sie jetzt ging. Wenn er sie jetzt gehen lassen würde, würde sie niemals zurückkehren. Das konnte er nicht zulassen. Er musste einfach wissen, wie es um ihr Herz bestellt war.
Ohne darüber nachzudenken, dass sie ihn gerade mehr als deutlich abgewiesen hatte, zog er Mina zu sich und küsste sie. Es war das einzige, was ihm einfiel, und in dem Augenblick, da seine Lippen ihre berührten, wusste er, dass es genau das richtige war. Sie fühlte sich gut an in seinen Armen, ihr zierlicher Körper, ihre weichen Lippen. Und dass sie den Kuss erwiderte, setzte dem Ganzen eine Krone auf. Forsch drängte er sie gegen die Wand, ließ seine Hände über ihre Rundungen fahren, bis sie schließlich auf ihrem perfekten, kleinen Hintern zum Liegen kamen.
„Ich will dich, Mina“, flüsterte er rau, nachdem er den Kuss unterbrochen hatte: „Ich will das hier.“
Für einen Moment fürchtete er, dass sie ihn von sich stoßen und weglaufen würde, so finster und wütend starrte sie ihn an, doch dann schmolz ihr Widerstand und sie legte ihm eine Hand auf die Wange: „Mein Leben ist so kompliziert. Du hast keine Vorstellung davon, wie kompliziert es gerade ist. Und das hier … das macht es nur noch schlimmer.“
Irgendwo in seinem Hinterkopf realisierte Daniel, dass dieses Geständnis ihm eine Warnung sein sollte. Wenn sie gerade mit René Schluss gemacht hatte, sollte sie eigentlich Single und frei sein. Daran war nichts kompliziert. Das Bild, das er sah, war ein unvollständiges Puzzle, und er hatte gelernt, dass so etwas gefährlich werden konnte.
Doch es war ihm egal. Hier stand er, in seinem Schlafzimmer, mit Mina Richter in seinen Armen, die aus welchen Gründen auch immer tatsächlich offen für ihn war, und er wäre verdammt, wenn er diese Gelegenheit nicht wahrnehmen würde. Ihm ging auf, dass er sich die ganze Woche über selbst angelogen hatte. Es war nicht nur die Anweisung seiner Mutter, die ihn immer wieder in ihre Nähe getrieben hatte. Es war sie selbst und sein Verlangen nach ihr.
„Weißt du, was gegen kompliziert hilft?“, fragte er.
Ihr Körper zitterte, als sie seinen Blick erwiderte: „Was?“
„Nicht denken!“
Und mit diesen Worten küsste er sie erneut, presste seinen ganzen Körper an sie und zerrte mit seinen Händen an ihrem Pullover. Es dauerte nicht lange, da tat sie es ihm nach, riss förmlich an seinem Hemd, bis sie es endlich geöffnet hatte, und begann ihrerseits, seine nackte Haut mit ihren Fingern zu erkunden.
Er musste sich zwingen, keine Kommentare abzugeben, wie er es sonst tat, doch er ahnte, wenn er sie jetzt aufzog, oder auch nur anstacheln wollte, bestand die Gefahr, dass ihr Verstand sich wieder einschaltete und sie doch weglief. Und so küsste er sie unaufhörlich, knabberte an ihrer Lippe, platzierte feuchte Küsse auf ihrem Hals und fuhr mit einer Hand in ihre Hose, um sein bestes zu tun, ihren Verstand ausgeschaltet zu lassen.
Als er spürte, wie Minas Finger nach seinem Gürtel griffen, um ihn zu öffnen, wusste er, dass er gewonnen hatte. Gierig zog er ihr die Hose runter, drehte sie mit der Brust voran an die Wand, und befreite sich vom letzten störenden Stück Stoff. Er hätte niemals gedacht, dass diese Frau ihn so wahnsinnig machen konnte, doch hier stand er, sein hartes Glied in der einen Hand, während die andere ihren Hintern knetete.
Er presste sich an sie, verteilte Küsse auf ihrem Nacken und ließ seine Finger über ihre feuchte Mitte wandern, während seine andere Hand auf dem Kaminsims nach einer kleinen Holzschachtel tastete. Als er sie endlich zu fassen bekam, ließ er unwillig für einen Moment von Mina ab, um ein Kondom aus der kleinen Box zu fischen.
Voller Ungeduld warf Mina einen Blick über ihre Schulter: „Was machst du da?“
Er grinste sie schief an: „Ich bin ein verantwortungsvoller Mann.“
Kopfschüttelnd drehte sie sich wieder um: „Ich nehm die Pille, weißt du?“
Leise lachend rollte er das Kondom ab: „Sicher ist sicher.“
Dann widmete er seine ganze Aufmerksamkeit wieder ihr. Er musste an sich halten, ihr nicht den Rest ihrer Kleider vom Leib zu reißen. Sie sah so wild aus mit ihren braunen Locken, der Bluse, die halb aufgeknöpft an ihren Schultern hing, und ihrer Jeans, die sich auf Höhe ihrer Knie verfangen hatte. Er schlang beide Arme um sie und knabberte spielerisch an ihrer Schulter. Ein Seufzen war ihre Antwort, während sie ihm gleichzeitig ihre Hüfte entgegen drängte.
Mehrmals rieb er mit seinem Schwanz über ihre feuchte Öffnung, dann, als er fürchtete, sie würde ihm gleich vor Ungeduld den Kopf abreißen, drang er mit einem festen Stoß in sie ein.
Ein tiefes Stöhnen entfuhr Mina. Wie konnte sich ein Mann nur so gut anfühlen, der so falsch war? Wimmernd presste sie ihm ihren Hintern entgegen. Als habe er ihren wortlosen Befehl verstanden, begann Daniel hinter ihr, sich zu bewegen. Mit langsamen, aber tiefen Stößen versenkte er sich immer wieder in ihr, während seine Hände über ihren Bauch hoch zu ihren Brüsten wanderten und diese fest umschlossen.
Sie verrenkte ihren Hals, um sich so zu ihm umzudrehen, dass sie ihn küssen konnte. Wieder schien er ihre Gedanken gelesen zu haben, denn seine Lippen waren augenblicklich auf ihren, seine Zunge fand ihre, umspielte sie, während er ohne Unterlass in Bewegung blieb.
„Ich find’s wirklich gut, dass du mir dein Stehvermögen beweisen willst“, presste sie angestrengt hervor, „aber jetzt gerade steht mir eher der Sinn nach hart und schnell.“
Sein gequältes Stöhnen fühlte sich gut an. Hitze schoss durch ihren Körper, als Mina realisierte, wie sehr sie Daniel erregte.
„Du bist echt die einzige Frau, die mitten beim Sex noch so eloquent ist!“, warf Daniel ihr vor, doch er kam ihrer Aufforderung nach.
Während er das Tempo erhöhte, lehnte Mina ihre beiden Unterarme gegen die Wand, den Kopf in den Nacken gelegt, und presste ihr Becken zurück so gut sie konnte. Seine Hände ließen von ihren Brüsten ab, um stattdessen ihre Hüfte zu umfassen und ihr noch mehr Halt zu geben. Es tat beinahe weh, so fest gruben sich seine Finger in ihr Fleisch, doch der Schmerz trieb ihre Erregung nur an.
Die Luft war erfüllt von Stöhnen und dem Geräusch nackter Haut auf nackter Haut. Gierig ließ Mina eine ihrer Hände zwischen ihre Beine wandern, um sich selbst zusätzlich zu stimulieren. Ihr animalisches Stöhnen machte einem hohen, hilflosen Wimmern Platz, als sich ihr Orgasmus näherte. Und noch immer hielt Daniel sie fest umklammert, stieß mit immer schnelleren Bewegungen in sie.
Plötzlich spürte sie seinen Mund an ihrem Ohr, fühlte seine Zähne an ihrem Hals. Sein heißer Atem strich über ihre Schulter, als er stöhnend verlangte: „Komm für mich, Mina.“
Und sie kam.
Als hätte seine tiefe, dunkle Stimme in ihr einen Schalter gefunden, ließ sie los, ließ sich fallen, übergab sich den befreienden Fängen des Orgasmus. Ihr linker Arm presste sich angespannt gegen die Wand, während ihre rechte Hand zwischen ihren Beinen zum Stillstand kam. Im selben Moment kam auch Daniel. Seine Hüfte zuckte noch ein-, zweimal unkontrolliert vor, dann gruben sich seine Zähne in ihren Nacken und mit einem durch ihre Haarpracht gedämpften Stöhnen kam er.
Schwer atmend verharrten sie in dieser Position. Nur langsam kehrte ihr Verstand zu Mina zurück. Zu sehr genoss sie das Gefühl von Daniels starkem Körper hinter ihr, von seinen Armen, die sich um ihre Taille schlängelten, von seinen Lippen, die warme Küsse auf ihrer Schulter platzierten.
Langsam löste sich Daniel von ihr. Unsicher, was sie jetzt tun sollte, zog Mina ihre Hose wieder hoch. Als sie sich zu ihm umdrehte, stellte sie verwundert fest, dass er sich im Gegenteil weiter auszog.
Er hielt ihr eine ausgestreckte Hand in, ein beinahe wölfisches Grinsen auf den Lippen: „Kommst du mit unter die Dusche?“
Mina wurde heiß. Was auch immer sie erwartet hatte, das war es nicht. Gemeinsam duschen erschien ihr irgendwie plötzlich sehr intim. Andererseits, so sagte der rationale Teil ihres Ichs, gab es kaum etwas Intimeres als Sex miteinander zu haben. Und wer wusste schon, vielleicht gab es unter der Dusche eine zweite Runde? Nach dem Orgasmus gerade eben war Mina mehr als bereit, sich auf eine schlaflose Nacht mit Daniel einzulassen. Zeit für ein schlechtes Gewissen hätte sie am nächsten Tag immer noch.
Sie knabberte an ihrer Unterlippe und warf ihm ein scheues Lächeln zu: „Ist das eine Einladung, über Nacht hierzubleiben?“
Sein Grinsen wurde breiter: „Ich bestehe darauf.“
Kurz entschlossen entledigte Mina sich all ihrer Kleidung und folgte ihm durch eine Tür in sein privates, großzügiges Badezimmer. Sie fühlte sich großartig und die Art, wie Daniel beim Sex war, war neu und aufregend und genau das, was sie jetzt gerade brauchte. Keine romantischen Gesten, kein ewiges Aufhalten mit Vorspiel, einfach nur die Hingabe an die animalischen Triebe, die tief in jedem von ihnen saßen.
Das erste, was Mina beim Aufwachen spürte, war das wundervoll samtige Gefühl von Bettwäsche, die definitiv nicht ihre eigene war. Verwirrt schlug sie die Augen auf und starrte an die Decke, die sich wie ein Zelt mit Sternen über ihr wölbte. Es war ganz offensichtlich die Überspannung eines riesigen Himmelbettes, das deutlich luxuriöser war als alles, was sie zuvor gekannt hatte.
Augenblicklich kehrten die Erinnerungen an die Nacht zurück.
Was hatte sie nur geritten, sich nicht nur zum Sex mit Daniel überreden zu lassen, sondern sogar noch die Nacht mit ihm zu verbringen. Langsam glitt ihr Blick zu der schlafenden Gestalt neben ihr im Bett. Er sah richtiggehend friedlich aus, wie er so da lag, auf dem Bauch, einen Arm unter dem Kopfkissen, während der andere von der Bettkante hing. Doch sie wusste, dieser Mann war alles andere als friedlich. Er hatte sie am vorigen Abend nach dem gemeinsamen Duschen solange in Bewegung gehalten, bis sie völlig erschöpft auf dem Teppichboden eingeschlafen war. Nur vage erinnerte sie sich daran, dass er sie hochgehoben und in sein Bett gelegt hatte.
Himmel hilf.
Sie hatte nie vermutet, dass sie so voller Energie steckte. Jedenfalls nicht von dieser Art von Energie. Errötend vergrub sie ihr Gesicht in den Händen. Wo René stets auf seine Befriedigung bedacht gewesen war und Henrik dazu neigte, zu viel Zeit mit der Vergötterung ihres Körpers zu verbringen, hatte Daniel sie einfach verschlungen wie ein ausgehungertes Tier. Und sie hatte sich ihm nur zu willig als Mahlzeit präsentiert, ebenfalls unersättlich, ebenfalls von animalischen Instinkten getrieben.
Ein leises Grunzen, gefolgt von dem Rascheln der Bettdecke neben ihr, ließ ihre kreisenden Gedanken innehalten. Daniel wachte gerade auf und sie wusste nicht, ob sie bereit war, sich einem Gespräch mit ihm zu stellen. So leise wie möglich, um ihn nicht vollends aufzuwecken, schlängelte sich Mina unter der Bettdecke hervor, um nach ihrer verstreuten Kleidung zu suchen.
Sie war gerade dabei, ihren BH zu schließen, da ertönte plötzlich hinter ihr eine kalte Stimme: „Und was wird das, wenn es fertig ist?“
Flammend rot und beschämt drehte Mina sich zu ihm um: „Daniel… ich sollte gehen. Wirklich, ich sollte gehen.“
Trotz des Zwielichts, das in seinem Schlafzimmer herrschte, konnte sie den unendlich wütenden Ausdruck auf seinem Gesicht sehen. Schneller, als sie es einem gerade noch schlafenden Menschen zugetraut hätte, erhob er sich aus dem Bett und baute sich vor ihr auf: „Warum? Warum willst du gehen?“
Sie wusste nicht, wo sie hinschauen sollte, also beschloss sie, mit dem Anziehen fortzufahren: „Die Nacht … das war ein Fehler. Es tut mir wirklich leid, falls du … irgendwie hoffst, dass da mehr draus wird … aus uns. Aber es kann kein Uns geben. Es tut mir leid.“
Hart packte er sie an beiden Schultern und unterbrach sie damit darin, ihre Hose anzuziehen: „Fehler? Du nennst das einen Fehler? Mina, das kann nicht dein Ernst sein. Du bist wie ein wildes Tier über mich hergefallen und jetzt nennst du es einen Fehler?“
Empört und peinlich berührt schlug sie seine Hände weg: „Du warst das wilde Tier. Ich hatte dem ja gar nichts entgegen zu setzen.“
„Verarsch mich nicht!“, sagte Daniel und seine Stimme war gefährlich leise. Seine große Hand umschloss ihr Kinn, nicht unsanft, aber bestimmt, und zwang sie, ihm direkt in die Augen zu schauen: „Du willst weglaufen. Immer willst du weglaufen. Du bist so ein Feigling.“
Wütend wollte Mina sich befreien, doch sein anderer Arm schlängelte sich um ihren Rücken und hielt sie an Ort und Stelle. Sie fauchte beinahe, als sie ihm antwortete: „Du weißt nichts über mich! Gar nichts! Wage es bloß nicht, mich einen Feigling zu nennen, nur weil ich einen gesunden Menschenverstand besitze! Du erwartest doch nicht ernsthaft, dass ich jetzt in romantischer Liebe versinke, bloß weil du zufällig gut im Bett bist?“
„Zufällig?“, entgegnete Daniel mindestens ebenso aufgebracht: „Zufällig? Ich kann dir gerne jetzt hier sofort beweisen, wie zufällig das ist!“
Er beugte sich zu ihr runter und küsste sie, ehe Mina wusste, wie ihr geschah. Und wie am Abend zuvor konnte sie nicht anders, als sich dem Kuss hinzugeben. Es steckte so viel Leidenschaft darin, dass es unmöglich war, nicht weiche Knie zu bekommen. Viel zu schnell ließ er wieder von ihr ab: „Siehst du?“
Ein nervöses Lachen entfuhr ihr. Warum nur reagierte sie so auf Daniel, wo sie doch Henrik hatte? Henrik, der für sie da war, ihr Essen kochte und Gesellschaft leistete. Henrik, mit dem sie stundenlang eine gemeinschaftliche Stille ertragen konnte, während sie beide in ihren Büchern lasen. Henrik, der sie ebenfalls stundenlang im Bett wachhalten konnte, ohne einzuknicken. Henrik, den sie schon ewig lang gekannt und geliebt hatte. Was stimmte mit ihr nicht, dass sie im Angesicht von Daniel von Hohenstein reagierte wie eine Motte vor dem Licht?
Stur schüttelte sie den Kopf: „Das geht nicht. Dan, versteh das doch. Eigentlich sollte ich eine geschäftliche Beziehung zu dir aufbauen. Wie sieht das denn aus, wenn ich …“
„Zum Teufel mit deinem blöden FFF“, unterbrach er sie und diesmal war sich Mina sicher, dass seine Stimme einen gefährlichen Tonfall angenommen hatte: „Zum Teufel mit all der Politik und den öffentlichkeitswirksamen Inszenierungen! Ich lasse mir doch von sowas nicht vorschreiben, mit wem ich meine Zeit verbringe.“
Schweren Herzens wandte Mina sich aus seiner Umarmung und er ließ sie gewähren. Schweigend zog sie sich zu Ende an, während Daniel sich erschlagen zurück auf sein Bett sinken ließ. Sie wünschte, er würde es nicht so ernst mit ihr meinen. Es würde ihr so viel leichter fallen, ihm den Rücken zu kehren, wenn sie wüsste, dass es auch für ihn einfach nur ein heißer Onenightstand gewesen war. Sie hatte sich auf seine Nähe eingelassen, um ihn zum Spenden zu bewegen, aber sie hatte nicht vor, ihm dabei das Herz zu brechen. Sie spielte nicht mit den Gefühlen anderer Menschen, auch nicht mit denen eines Daniel von Hohensteins. Es war besser, jetzt die Notbremse zu ziehen, ehe aus dieser einmaligen Sache mehr wurde.
Es war an der Zeit, dass sie zu Henrik zurückkehrte. Er würde bestimmt schon ungeduldig und wütend auf sie warten, um zu erfahren, wo sie die Nacht über gewesen war. Ihr graute vor dem Gespräch mit ihm.
Sie trat vollständig angezogen noch einmal auf Daniel zu, der noch immer auf seinem Bett saß. Sie streckte die Hand nach ihm aus, um ihm durch sein wirres Haar zu fahren, doch sie besann sich eines Besseren und ließ die Hand wieder sinken. Unfähig, die Traurigkeit aus ihrer Stimme rauszuhalten, sagte sie: „Es tut mir leid, falls ich Hoffnungen auf mehr in dir geweckt habe. Das war ein Fehler und ich hätte es gar nicht erst soweit kommen lassen dürfen.“
„Verschwinde einfach“, presste Daniel zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Er rührte sich nicht, schaute nicht zu ihr hoch. Er starrte einfach weiter vor sich hin.
Verletzt, aber mit dem Wissen, dass sie hier nichts mehr tun konnte, verließ Mina sein Zimmer und das Anwesen, um die Straßenbahn zurück zu ihrer Wohnung zu nehmen.
Für einen Sonntag war es noch sehr früh am Morgen, doch kaum hatte Mina die Tür zu ihrer Wohnung geöffnet, sah sie, dass Henrik bereits wach war. Oder noch. Sie war extra leise gewesen, um ihn mit dem Lärm nicht zu wecken, doch offenbar war diese Mühe umsonst gewesen. Er saß auf dem Sofa, vor sich ein leeres Glas und eine Flasche mit Whisky, die Hände vor der Brust verschränkt, die Augen blutunterlaufen.
Gequält fuhr Mina sich durch ihr Haar. Wie sollte sie erklären, wo sie die letzte Nacht verbracht hatte? Eigentlich konnte sie es gar nicht erklären, denn sie wusste, wenn sie auch nur erwähnt, dass sie bei Daniel gewesen war, würde Henrik ausrasten. Er würde es nicht verstehen. Sie verstand es ja selbst nicht einmal.
Langsam legte sie ihren Mantel und ihre Umhängetasche ab. Henrik hatte sie ganz eindeutig bereits bemerkt, sein Blick ruhte auf ihr, doch er schwieg. Er schwieg und musterte sie mit einem scharfen Blick, als sie sich neben ihn auf das Sofa setzte. Vorsichtig ließ sie einen kleinen Abstand zwischen ihren Körper, faltete ihre Hände in ihrem Schoß und blickte ihn dann offen an.
„Ich habe gehört, du hast mit René gesprochen“, sagte Henrik schließlich, nachdem er sie eine ganze Weile weiter angeschwiegen hatte. Sie nickte bloß.
„Als du nicht nach Hause gekommen bist, habe ich René kontaktiert. Aber er sagte, du wärst nach den Gespräch gegangen“, fuhr er fort, seine Stimme ebenmäßig und ruhig: „Er hat für mich bei Giselle nachgefragt, aber da warst du auch nicht.“
Wieder nickte Mina bloß. Was sollte sie auch sagen?
„Wo warst du, Mina?“, fragte er schließlich und zu ihrer Überraschung klang er nicht wütend, sondern beinahe sanft und besorgt: „Wo warst du?“
Statt eine Antwort zu geben, sank Mina einfach in sich zusammen, ließ sich vorwärts fallen, direkt in Henriks starke Arme, der sie sachte und fürsorglich an seine Brust zog.
„Alles ein bisschen viel für dich, mh?“, flüsterte er ihr zu, während seine Hände zärtlich über ihren Rücken fuhren.
Verzweifelt vergrub sie ihren Kopf an seiner Brust. Sie hatte erwartet, dass er mit ihr schimpfen würde, dass er ihr Vorwürfe machen würde, sie anklagen oder beleidigen. Dass er stattdessen so liebevoll und sanft war, machte es ihr nur noch schwerer. Sie hätte sich beinahe eine Standpauke gewünscht, irgendjemanden, der ihr den Kopf zurecht gerückt hätte, dass sie sich absolut daneben benommen hatte. Tränen bahnten sich ihren Weg und Mina, die nicht länger bereit war, ihre Gefühle zu unterdrücken, ließ ihnen freien Lauf.
„Eine Beziehung beenden ist wohl nicht so leicht“, sagte Henrik nachdenklich, seine Hände waren inzwischen zum Stillstand gekommen und hielten sie einfach nur fest: „Ich dachte immer, nur der, der mit dem Schluss gemacht wird, leidet.“
Schniefend lachte Mina auf: „Glaub mir, Schluss machen ist ätzend. Vor allem, wenn man seinen Partner immer noch mag. Zurückgewiesen werden ist eine Sache, aber jemanden zurückzuweisen, der einem am Herzen liegt?“
Henrik nickte: „Giselle hat auch unglücklich gewirkt, ja. Ich hatte das gar nicht verstanden, ich dachte, sie spielt mir da was vor und tut so, als wäre sie traurig, damit ich mich besser fühle.“
Vorsichtig richtete Mina sich auf, um Henrik ansehen zu können: „Giselle ist eine emotionale Frau. Du weißt doch, dass sie ihre Gefühle auf der Zunge trägt und nichts zurückhält. Als ob jemand wie sie Gefühle vorspielen würde…“
Darauf wusste Henrik offenbar nichts zu sagen, denn er schwieg bloß, während er ihren Blick erwiderte. Auch Mina blieb stumm, innerlich zerrissen, was sie nun tun sollte. Ihre Beziehung mit René war gelöst. Noch am Vortag hatte sie gedacht, dass das auch alle anderen Probleme lösen würde, da sie nicht länger zwei Männern gleichzeitig etwas vormachen musste. Und dann kam Daniel dazwischen. Verfluchter Daniel von Hohenstein. Warum nur war sie zu ihm gegangen?
Zögernd löste sie sich aus der Umarmung. Sie sollte sich von Henrik distanzieren. Sie sollte vorläufig auch mit ihm eine Pause einlegen, zumindest bis sie die von Hohensteins zum Spenden bewegt hatte und Daniel wieder aus ihrem Leben verschwunden war. Bis dahin wären ihre Gefühle einfach viel zu verwirrt und kompliziert. So, wie sie es mit René getan hatte, musste sie auch Daniel aus ihrem Gefühlsleben verbannen, damit sie sich ohne schlechtes Gewissen ganz auf Henrik einlassen konnte.
Lächelnd, obwohl sie vor allem Traurigkeit empfand, legte sie ihm eine Hand auf die Wange: „Ich glaube, ich brauche Zeit.“
Ebenfalls lächelnd legte er seine Hand auf ihre: „Ich weiß. Das hattest du ja schon gesagt. Ich gebe dir gerne Zeit. Ich habe kein Problem damit, vorläufig weiterzumachen wie bisher.“
Sie seufzte tief: „Nein… nein, ich meine… ganz ohne irgendwelche… Dinge zwischen uns.“
Henriks Blick verfinsterte sich und er ließ seine Hand wieder sinken: „Warum? Es hat doch die ganze Woche über super funktioniert. Und du hattest auch deinen Spaß!“
Mina ließ sich zurück in ihre Sofaecke sinken. Sicher hatte sie auch ihren Spaß gehabt, wie er es ausdrückte, aber es machte ihre Situation nicht einfacher. Und es war sicherlich nicht dienlich, um ihre Gefühle zu sortieren.
„Sex hilft mir nicht, meine Gefühle zu analysieren“, erklärte sie schließlich.
Henriks Gesicht verzog sich verärgert: „Warum musst du deine Gefühle denn überhaupt analysieren?“
Ungläubig starrte sie ihn an: „Fragst du das ernsthaft?“
„Ich dachte …“, setzte er an, ehe er sich unterbrach und errötend zur Seite schaute. Leise murmelte er: „Ich dachte, es wäre alles klar zwischen uns und du willst nur Zeit, um René nicht zu verletzen.“
Langsam stand Mina vom Sofa auf, um sich in der Küche einen Tee zu machen. Sie fragte sich, ob das Innenleben der Männer tatsächlich so simpel funktionierte, wie es manchmal wirkte, wenn sie René oder Henrik reden hörte. Während sie das Wasser ansetzte, erklärte sie: „Es ist nicht klar, Henri. Habe ich das nicht erklärt? Ich habe Angst, dass ich mich auf dich einlasse, ohne mir sicher zu sein. Neue Dinge sind immer aufregend! Eine neue Liebe besonders. Gerade, wenn man aus einer Beziehung kommt, die zuletzt nicht mehr so gut lief und anstrengend wurde, kann ein neuer Mann attraktiver erscheinen, als er wirklich ist.“
„Was soll das denn heißen?“, verlangte Henrik zu wissen, der seinerseits aufgestanden und hinter sie getreten war.
Stöhnend fuhr sie sich durch das Haar: „Es heißt einfach nur, dass ich in einer normalen Situation, unter normalen Umständen austesten will, was das wirklich zwischen uns ist. Im Moment befinden wir uns beide in einer Trennungsphase, das kann unseren Blick schon mal verschleiern.“
Bestimmt legte Henrik seine Arme um ihre Taille: „Du redest immer so gelehrt daher, Mina. Entweder du liebst mich, oder nicht, so einfach ist das.“
Sanft entfernte sie seine Hände, die sich deutlich zu intim auf ihre Hüften gelegt hatte: „Nein, eben nicht. Bitte, Henri. Ich hab dich echt gern, aber du musst mir in diesem Fall einfach vertrauen. Wenn ich jetzt nicht versuche, meine Gefühle zu sortieren, ist unsere Beziehung von Anfang an verdammt.“
Endlich ließ er von ihr ab und trat zurück, doch sie konnte die Anspannung in seinem gesamten Körper sehen. Sein Blick wurde traurig, als er schließlich leise antwortete: „Ich liebe dich, Mina. Schon ewig. Und jetzt habe ich endlich die Chance, da was draus zu machen. Ich habe keine Lust mehr zu warten. Bitte … bitte lass dir nicht zu viel Zeit, okay?“
Sie nickte. Sie würde sich nicht zu viel Zeit lassen. Sie würde den Fisch namens Hohenstein noch vor Weihnachten an Land ziehen, ihrer Chefin stolz den großzügigen Spendenbeleg zeigen und dann Daniel ein für alle Mal aus ihrem Leben verbannen. Und nach den Feiertagen, wenn Weihnachten und Silvester vorbei waren, würde sie sich vollständig auf Henrik und ihre Gefühle für ihn konzentrieren.