Gemeinsam stapfen wir über die Wiese hinter Hilleys großem Haus. Das saftige Gras fühlt sich an meinen fast nackten Füßen herrlich erfrischend an. Ich liebe dieses wundervolle Kitzeln auf meiner Haut. Wieso ich nur Sandalen trage, weiß ich nicht so genau. Ich habe sie einfach schnell angezogen, als Hilley uns gesagt hat, dass wir in die Natur gehen, habe ich irgendwie sofort nach den Sandalen gegriffen. Zum Glück ist es nicht kalt.
Ganz im Gegenteil. Es ist angenehm warm und die Sonne steht im Zenit. Ihre Strahlen tanzen auf meiner Haut und erwärmen diese angenehm. Ich mag den Regen zwar lieber, doch dieses Wetter ist auch ganz angenehm, solange es nicht zu warm ist. Wenn es nämlich heiß draußen ist, lassen auch meine körperlichen Kräfte nach, was wahrscheinlich mit meinen Wasserkräften zusammen hängt. Anders kann ich mir das jedenfalls nicht erklären.
Als wir eine der Wiesen überquert haben, bleibt Hilley stehen. Ich bin jedoch so sehr in Gedanken versunken, dass ich beinahe in sie rein gelaufen wäre. Schnell blinzele ich und konzentriere mich wieder auf das Hier und Jetzt. Aus dem Augenwinkel nehme ich Rubys genervten Blick.
“Was machen wir hier?“, frage ich interessiert. “Wir müssen trainieren“, erklärt die Frau vor mir knapp:“Ihr müsst beim nächsten Kampf besser in Form sein.“ Ruby schnappt genervt.
War ja klar, dass sie sich für besser hält und denkt, dass sie ihre Kräfte schon perfekt beherrscht.
Mein Blick fällt auf ihren Arm. Sie hat ihn noch nicht geschient. Wieso sie es nicht getan hat, weiß ich nicht. Ich hätte das sofort getan, nachdem wir gestern Abend wieder hier angekommen sind. Wusste sie, dass wir heute trainieren werden und wollte ihre Chancen nicht schmälern? Das wäre etwas, was ich nur von ihr erwarten würde.
Ich kenne sie zwar noch nicht lange, doch in den vier Tagen, konnte ich mir ein sehr gutes Bild von ihr machen. Sie ist zickig, anstrengend und will immer die Beste sein. Außerdem will sie Rund um die Uhr gut aussehen, was mir die Situation in der Kutsche gezeigt hat. Ich weiß noch genau, dass sie die Sachen, die Hilley ihr gegeben hatte, nicht anziehen wollte, weil diese für sie wie Kleidung von Obdachlosen aussahen.
Meiner Meinung nach ist es total nervig, wenn sie sich ständig beschwert, aber ändern kann ich das auch nicht so einfach. Es dauert lange einen Menschen zu ändern und viele Leute schaffen das in ihrem ganzen Leben nie. Eine Persönlichkeit kann man nicht für immer verändern. Man wird damit geboren und ist von da an dazu verdammt damit zu leben, egal ob das einem nun Recht ist oder nicht. Tja, das Leben ist halt eine Bitch!
Hilley erhebt ihre Stimme erneut und deutet auf etwas Links von uns:“Das wird deine Aufgabe sein, Ruby. Ich will, dass du sie anzündest.“ Ich muss zweimal hinsehen, um zu erkennen, was genau sie jetzt anzünden will, doch dann ist da gar kein Zweifel mehr.
Es ist eine Strohpuppe in der Größe eines Menschen. Sie trägt sogar Kleidung und hat eine Perücke auf dem Kopf. Ist der Sinn dieser Übung etwa, dass Ruby weiß, wie man einen Menschen entzündet, wenn falls das mal nötig sein sollte. Hoffentlich nicht!
Ruby nickt und macht sich auf den Weg zu der Strohfrau. Sie tut es sofort ohne irgendeine Frage zu stellen. Ob das etwas Gutes oder Schlechtes ist, kann ich momentan noch nicht sagen.
“Aria“, ruft Hilley auf, woraufhin das Mädchen sofort ihren Kopf hebt:“Siehst du den Felsen dort?“ Sie deutet auf einen großen grauen Felsen, der einige Meter in den Himmel ragt. “Ja, ich sehe ihn“, bestätigt Aria interessiert. “Klettere auf die Spitze“, die dunkelhaarige Frau deutet auf den obersten Punkt des Felsens:“Und dann meditiere dort. Lasse dich auf den Wind ein und lasse dich von ihm tragen. Entspann dich einfach!“
Aria wirkt total überrumpelt und runzelt die Stirn:“Wieso soll ich meditieren? So trainiere ich meine Kräfte doch gar nicht.“ “Da hast du Recht. Du trainierst deine Kräfte nicht direkt, sondern eher indirekt“, versucht Hilley das Mädchen zu beruhigen:“Bei euren Kräften sind Ruhe und Kontrolle sehr wichtig. Durch das, was dir schon in deinem kurzen Leben passiert ist, bist du Emotional sehr instabil, was sowohl ein Vorteil als auch ein Nachteil sein kann.“
Ich sehe Aria an, dass sie den Grund noch nicht richtig verstanden hat, aber trotzdem versucht ihrer Aufgabe nach zu kommen, weshalb sie sich auf den Weg zu ihrem Felsen macht.
Zum Glück ist er nicht so hoch, sonst wäre sie wahrscheinlich niemals hinauf gekommen. Mir würde es da aber sicher auch nicht besser gehen. Ich bin nämlich eine echt miserable Kletterin. Das war schon immer so und hat sich bis heute auch nicht geändert. Wenigstens habe ich aber keine Höhenangst, was mich schon ziemlich aufbaut, da die Angst echt schlimmer ist als nicht klettern zu können.
Nun bin nur noch ich nicht mehr übrig. Was wird wohl meine Aufgabe sein? Vielleicht eine Blase aus Wasser? “Nun zu dir, Stella“, sagt Hilley und reicht mir seelenruhig eine kleine Wasserschüssel:“ Ruby hat mir erzählt, was du bei den Nexus getan hast. Ich will, dass du das nochmal machst.“ “Und was genau soll ich machen? Es ist so viel passiert, dass ich gar nicht mehr genau weiß, was ich jetzt gemacht habe“, gebe ich zu.
Sie schenkt mir ein herzliches Lächeln:“ Du hast einen Tentakel aus Wasser erschaffen.“ “Oh“, sage ich leise:“ Und das soll ich nun nochmal tun?“ Sie nickt wortlos und deutet mit ihrem Blick auf die mit Wasser gefüllte Schüssel, die sie mir in die Hände gedrückt hat. Ich zucke mit den Schultern und mache mich auf den Weg zu einem großen Baumstamm.
Dort angekommen, setze ich mich und stelle die Schüssel auf meine Beine. Dann lege ich meine Hände hinein ohne dass diese nass werden. Das ist in dieser Situation echt praktisch, da ich keine Lust darauf habe, dass meine Hände kalt werden.
Irgendwie habe ich das Gefühl, dass es schwieriger ist einen Tentakel, anstelle eines Wasserballes, zu erschaffen. Bisher hat das nämlich noch nicht gut funktioniert. Immer ist der gewünschte Effekt erst eingetreten, nachdem ich bereits aufgegeben hatte. Außerdem kann ich meine Kräfte bisher auch nicht verwenden, wenn kein Wasser in der Nähe ist, was mich total stört, da ich eigentlich können müsste. Ich hoffe einfach, dass ich mit der Zeit besser werde, doch leider stehen mir meine Gefühle und Ängste dabei im Weg. Langsam versuche ich mich zu entspannen und auf meine Aufgabe zu konzentrieren, was mir aber irgendwie nicht richtig gelingen will.
Als ich nach einiger Zeit einen lauten Freudenschrei wahrnehme, schlage ich die Augen, die ich geschlossen hatte, wieder auf. Das Geräusch kommt von Ruby, die wild herum hüpft. Wieso sie das tut, weiß ich erst nicht genau, doch dann erblicke ich den Grund. Die gelbe Strohpuppe brennt lichterloh. Die lange Perücke auf ihrem Kopf ist bereits fast bis auf das letzte Haar abgebrannt. Auch die Kleidung ist die bereits durchlöchert.
Wow, das ist total beeindruckend. Wie hat sie das so schnell geschafft? Ich wünschte das könnte ich auch. Ein leichter Anflug von Leid ist zu spüren.
“Ausgezeichnet Ruby“, lobt Hilley. Die Blonde grinst siegessicher. Dann wendet Hilley den Blick von der Puppe ab und schaut stattdessen zu Aria. Auch sie scheint ihre Kräfte gut zu beherrschen. Ich folgt Hilleys Blick in Arias Richtung und werde ganz blass.
Sie schwebt wenige Meter über dem Felsen. Das ist einfach nur beeindruckend. Wieso können die Anderen das alle so gut? Mein Neid wächst immer weiter. Eigentlich bin ich ja auch kein neidischer Mensch, aber irgendwie ärgert es mich echt, dass ich meine Kräfte nicht so gut unter Kontrolle habe. Ich fühle mich einfach so verdammt schwach und nutzlos.
Ruby ignoriert Aria aber einfach und schaut mich an:“ Und was hast du bisher schon geschafft?“ Als sie sieht, dass sich bisher noch Nichts geändert hat, lacht sie hämisch:“ Ah, ich sehe schon. War ja klar, dass du komplett nutzlos bist.“ Nutzlos? Was denkt sie sich dabei mich einfach als nutzlos zu bezeichnen. Dazu hat sie weder das Recht noch einen richtigen Grund. Ich weiß erst seit kurzem von meinen Kräften, wohingegen sie sicher schon viel länger dabei ist.
In mir entflammt ein Feuer der Wut. Wutentbrannt springe ich auf und mache mich ohne einen Blick zurück, auf den Weg zum Haus. Ich habe einfach keine Lust mehr auf den ganzen Streit.
Ich höre nur noch wie die Schüssel auf der Erde zerspringt und wie Aria und Hilley mir hinterher rufen, doch das interessiert mich nicht. Es ist egal, was die Anderen jetzt von mir denken und ob es ihnen passt, was ich hier tue, aber ich will einfach weg. Ich will alles einfach hinter mir lassen und mir ein eigenes Leben aufbauen.
Diese ganze Erbensache war ein riesiger Fehler. Ich kann das nicht. Es ist einfach nicht meine Bestimmung. Egal wie sehr ich mich anstrenge, es wird immer wieder vergeblich sein.
Die Tränen beginnen mir über die Wangen zu laufen und mein Tempo erhöht sich. Ich will hier einfach so schnell ich kann wieder weg. Alleine schaffe ich das sicher auch irgendwie!
Irgendwie war ich nicht so motiviert das Kapitel hier zu schreiben, weshalb es nicht so gut geworden ist!