Als die Kälte mich wieder loslässt, ist das Erste, was ich spüre die harte Erde unter meinen Füßen. Irgendwie hatte ich damit gerechnet, dass ich irgendwie aus der Luft auf den Boden falle. Wahrscheinlich kommt diese Assoziation aber nur durch die ganzen Filme, in denen es so ist, zustande.
Schnell öffne ich meine Augen, um mich umzusehen und um zu prüfen, ob es Aria gut geht. Als ich das jedoch getan habe, bleibt mir vor Überraschung fast die Spucke weg. Ich stehe auf einer Wiese nahe einem See. Links und rechts ragen vereinzelt Bäume aus der Erde auf. Bei genauerem Betrachten kann ich auch erkennen, dass es sich um Tannen handelt. Ihre Nadeln tragen ein dunkles Grün und ihr Stamm ist in einem dunklen Braunton gefärbt. An manchen Stellen tropft Baumharz aus dem Holz heraus und erhärtet auf seinem Weg zum Boden.
Im Gegensatz zu den Bäumen sieht das Gras unter meinen Schuhen nicht so normal aus. Es ist nicht so saftig und grün wie sonst, sondern erstrahlt im gleichen dunklen Grün wie die Tannennadeln. Durch das Leder hindurch spüre ich auch, dass es härter ist als normales Gras.
Als ich mich damit abgefunden habe, dass hier irgendwas anders ist, beginne ich mit meinen Augen die Gegend nach Aria abzusuchen. Auch meine anderen Sinne setze ich zur effektiveren Suche ein, nachdem ich merke, dass sie nicht in Sicht ist. Ich nehme den Geruch von Fisch und Tannennadeln wahr und lausche auf die Geräusche um mich herum, doch das verbessert mein Gefühl bei all dem hier auch nicht unbedingt. Nicht einmal zwitschern eines Vogels zu hören. Nur das laute Rauschen und der Wind, der durch die Zweige fährt, sind zu vernehmen.
Warte! Wind? Der war doch gerade noch nicht da?
Ich drehe mich um und dort sitzt die kleine Brünette mit einem verspielten Grinsen auf den Lippen in einer Astgabel und blickt auf mich herunter: "Du hast aber lange gebracht, um mich zu finden! So gut habe ich mich jetzt auch nicht versteckt."
Wie hat sie es in dieser kurzen Zeit geschafft, dort hoch zu klettern? Da fällt mir ein, dass sie ja auch einfach ihre Kräfte hätte benutzen können. Oh Mann, daran muss ich mich echt noch gewöhnen.
"Ich bin gerade zum ersten Mal durch ein Portal gegangen. Tut mir leid, dass ich mich erst mal darauf konzentriert habe", sage ich eingeschnappt: "Jetzt komm darunter. Wir haben nicht so viel Zeit und Ruby und Hilley müssten auch jeden Augenblick hier eintreffen."
Jedenfalls hoffe ich das. Sie sind schließlich schon verdächtig lange Weg. Ich hätte gedacht, dass sie direkt nach mir folgen würden. Je weiter ich darüber nachdenke, desto mehr beschleicht mich der Verdacht, dass sie vielleicht gar nicht mehr folgen werden und uns hier hergelockt haben könnten.
Auf meine Anweisung hin verlässt Aria den Baum wieder, doch zu meinem Entsetzen tut sie das nicht so wie eigentlich erhofft. Ich hatte damit gerechnet, dass sie langsam am Stamm hinunterklettert, doch sie selbst hat andere Pläne.
Ohne über die Folgen nachzudenken, stoßt sie sich einfach ab und springt runter. Ich beobachte fassungslos, wie sie ungebremst aus der mehrere Meter vom Boden entfernten Baumkrone fällt. Ein leiser Schreckensschrei entfährt mir.
Bevor sie jedoch hart auf dem Boden aufschlägt, wird ihr Fall gebremst und sie schwebt entspannt in der Luft. Nur ihre hält sie angespannt auf den Boden gerichtet. Kann sie gerade ernsthaft dank ihrer Kräfte in der Luft herum fliegen? Das ist ja so cool! Gegen sie komme ich mir total schwach vor. Wieso kann sie fliegen, während ich nur Unterwasser atmen kann? Das ist zwar nicht so schlecht, aber trotzdem würde lieber fliegen können.
Ich drehe mich wieder zum Portal, das sich nach wie vor offen an seinem Platz befindet, mit der Hoffnung, dass genau in diesem Moment jemand hindurch schreitet und auf unserer Seite ankommt. Selbst über Ruby, die mit erhobenem Kopf und nach hinten gedrückten Schultern hindurchstolziert, würde ich mich in diesem Moment freuen.
Im selben Moment in dem Arias Füße auf dem Boden auf dem Boden aufsetzen, streckt jemand plötzlich seine Hand durch den weißen Wirbel. Ich schreie auf erschrocken auf und taumele geschockt zurück. Diese Bewegung erinnert mich an eine Szene aus einem Horrorfilm, in der sich ein Mensch, der zuvor lebendig begraben wurde, wieder aus seinem Grab freischaufelt.
Wenige Sekunden später folgen dann aber auch zwei Körper, die alles andere sind als die Körper zweier lebendig Begrabener.
Ich lege eine Hand auf mein rasendes Herz und atme tief durch. "Alles gut bei dir?", fragt Hilley verwundert. Nickend versuche ich mich wieder zu beruhigend, doch von Aria hinter mir kommt ein leises Lachen, was es nicht gerade besser macht. Durch meine Fragerei versuche ich vom Thema abzulenken: "Wieso habt ihr so lange gebraucht?" "Ruby wollte sich nicht überreden lassen vor mir durchs Portal zu steigen", auf diese Anschuldigung folgt ein böser Blick in die Richtung der Blondine. Diese verschränkt wortlos die Arme. War ja klar, dass dieses Biest wieder an allem schuld ist.
"Ist ja jetzt auch egal. Das wichtigste ist, dass wir alle heil hier angekommen sind", erklärt Hilley. Heil angekommen? Das heißt wir hätten auch nicht heil ankommen können? Bei dem Gedanken dreht sich mir der Magen um und ich muss mehrmals schlucken.
Nur am Rande bekomme ich mit, wie Hilley einen kleinen Lederbeutel aus ihrem weißen Mantel holt und öffnet ihn. Dann nimmt sie drei Perlen heraus. Von diesem Moment an bin ich wieder ganz bei mir. Wieso nur drei? Wir sind doch vier. Und was sind das überhaupt für Perlen?
"Wofür sind die?", fragt Aria, die mittlerweile neben mich getreten ist, interessiert. "Die helfen euch Unterwasser zu atmen", erklärt sie und reicht Aria und Ruby jeweils eine: "Außerdem haben sie den netten Nebeneffekt, dass eure Sachen nicht nass werden."
Ich betrachte das runde Dingen auf Arias Handfläche interessiert. Es ist hart und seine weiße Oberfläche wird von dünnen dunkelblauen Streifen durchzogen. Ich warte darauf, dass Hilley mir auch eine gibt, doch die Letzte behält sie selbst und verstaut den Beutel wieder in einer der vielen Taschen ihres Mantels.
Meine Augenbraue schießt in die Höhe: "Wieso bekomme ich keine?" "Weil du die Kräfte, die die Perlen verleihen, bereits beherrscht", lacht sie. Ach ja, stimmt. Wie kann ich so vergesslich sein? Liegt wahrscheinlich aber einfach nur daran, dass ich mich noch an das alles hier gewöhnen muss. "Das heißt wir müssen schwimmen?", fragt Ruby entsetzt mit einem Blick auf ihren verbundenen Arm. Hilley blickt sie beruhigend an: "Keine Angst. Du musst dich nur mit dem unverletzten Arm an mir festhalten und mehr nicht." Das blonde Mädchen schaut nach wie vor zweifelnd drein, diskutiert aber nicht wie sie es sonst immer tut, worüber ich ziemlich froh bin.
"Und was sollen wir jetzt damit machen?", fragt Aria mit einem forschenden Blick auf die Perle. "In den Mund nehme und zerkauen, bis der süßen Saft herausläuft", erklärt Hilley und demonstriert es: "Die harten Teile aber erst runter schlucken, wenn ihr mit dem Kopf Unterwasser seid." Alle um mich herum nicken. Wow, jetzt bin ich doch irgendwie froh, dass ich dieses Zeug nicht schlucken muss. Was wohl passiert, wenn man den harten Teil schon vorher schluckt. Ob man dann stirbt?
"Seid ihr alle bereit?", fragt Hilley noch ein letztes Mal und alle bejahen die Frage. Daraufhin machen wir uns alle gemeinsam auf zum See, der bei genauerer Betrachtung eher einem Meer gleicht. Wieso? Weil er so groß ist, dass man das Ende am Horizont nicht einmal erblicken kann. Wie tief es wohl ist? Wahrscheinlich werde ich das gleich erfahren!
Fast synchron legen wir unsere Mäntel ab, damit sie uns beim Tauchen nicht behindern. Ich bin die Erste, die sind Wasser steigt, da die Anderen neben mir noch dabei sind fleißig zu kauen, doch dann folgen sie alle nacheinander, bis jeder bis zum Kinn im Wasser steht.
Belustigt schaue ich zu wie Aria und Ruby noch einmal tief Luft holen und dann untertauchen. Sie brauchen vorher nicht extra Luft holen, wenn sie Unterwasser atmen wollen. Hinter ihnen folgen Hilley und ich dann auch sofort.
Sobald die Anderen einige Sekunden unter der Oberfläche sind, bilden sich plötzlich große Blasen, die mit Luft gefüllt zu sein scheinen, um ihre Köpfe herum. Mir bleibt vor Überraschung fast die Luft weg. Das ist einfach nur wunderschön.
Die wabbeligen Blasen bewegen sich wie Blumen im Wind und schillern wie die Schuppen eins bunten Fisches.
Ich wende meinen Blick von den Anderen ab und konzentriere mich wieder auf mich selbst. Meine Arme und Beine machen wie automatisch die perfekten Schwimmbewegungen, sodass ich meine Umgebung bewundern kann.
Zu allen Seiten ragen hohe dunkle Felsen, vom Grund her, auf und einige leuchtende Fische schwimmen an meinem Sichtfeld entlang. Hier ist es schöner als gedacht. Fast wie im Traum und auch mein ungutes Gefühl ist weg. Traum? Ist das hier etwa lediglich ein stink normaler Traum? Probeweise kneife ich mich, so fest in kann, in den Unterarm. Nichts geschieht! Puh, kein Traum!
Nachdem wir schon etwas länger geschwommen sind, erscheint plötzlich etwas zwischen zwei großen Felsen. Ich recke den Hals, um mehr erkennen zu können, doch meine Bemühungen sind vergeblich, also schwimme ich schneller. Die Anderen tun es mir sofort gleich.
Nach einige weiteren langen Schwimmzügen, kann ich erkennen, was es ist und erneut vergesse ich vor Überwältigung wieder fast weiter zu atmen. Oh man, in letzter Zeit passieren viel mehr überwältigende Sachen, als in den ganzen fünfzehn Jahren vorher.
Vor uns erstreckt sich ein riesiger Palast. Er ist wie eine Wasserpflanze aufgebaut und die Räume sind Kugeln, die man hineinsehen kann. Die Wände scheinen jedoch nicht aus Glas zu sein, sondern eher aus dem Material, aus dem auch die Luftblasen der Anderen bestehen.
Aus dem Augenwinkel sehe ich wie Hilley ihren Arm ausstreckt und auf das imposante Gebäude deutet. Mit dieser Geste bedeutet sie uns darauf zuzustimmen und alle kommen ihrer Bitte nach. Irgendwie erinnert mich das an das Unterwasserschloss aus dem ersten Teil dieser komischen Menschenfilmreihe. Ich glaube es heißt "War Stars" oder so!