Meine Füße baumeln hoch in der Luft, während meine Finger sich hartnäckig an das Holz klammern. Meine Nägel graben sich in die dunkle Rinde und ich ziehe ich mich mit aller Kraft hoch, sodass ich nun in der Astgabel sitze.
"Endlich bist du auch mal oben angekommen", scherzt Aria: "Hat ja lange genug gedauert." Ich verdrehe die Augen und schaue sie gespielt wütend an:"Ja, vielleicht habe ich ja länger gebraucht, weil du mit deinen Kräften hier hochgeflogen bist und mir nicht genauso helfen wolltest." Sie zuckt mit den Schultern: "Tut mir leid, aber es sieht einfach viel zu Lust aus dir beim Klettern zuzusehen." Ein gespieltes Schmollen erscheint auf meinem Gesicht und ich klammere mich noch fester an den Baum.
Der Ausblick von hier aus ist einfach fantastisch auch, wenn ich nicht gerade nach unten Blick kann, da mir dann ein wenig schwindelig wird. Zwar habe ich keine Höhenangst, aber fallen muss ich auch nicht unbedingt.
Von meinem Platz neben Aria aus, kann ich in die Fenster der oberen Etage von Hilleys Haus blicken. Ich schaue genauer hin und sehe Hilley, die entspannt auf ihrem Bett liegt und schläft. Wie schön zu sehen, dass auch sie mal runter kommt und aufhört sich ständig um uns Sorgen zu müssen.
Aria knufft mich mit ihrem Ellenbogen in die Seite, um meine Aufmerksamkeit zurückzuerlangen. Ich klammere mich am Baum fest und blicke sie böse an: "Hey, lass das. Ich wäre fast vom Baum gefallen." "Sorry", erwidert sie daraufhin kleinlaut und senkt den Blick. "Schon gut. Was ist denn?", frage ich sanft. Habe ich ihr mit meinen Worten weh getan?" "Tut mir echt leid", wiederholt sie kleinlaut:"Ich wollte nur wissen, ob du bei der Aufgabe, die uns aufgetragen wurde, auch so ein mieses Gefühl hast wie ich." Ich zucke mit den Schultern: "Wenn ich länger darüber nachdenke, habe auch ich Angst. Dann denke ich aber daran, dass der Elementarierrat und versprochen hat, dass wir keinen Schaden nehmen werden und dass sie uns beschützen werden."
"Also vertraust du einfach nur auf diese Leute?", fragt Aria skeptisch. Ich nicke und lege meinen Arm um sie: "Manchmal ist ein bisschen vertrauen gar keine schlechte Sache." "Mir fällt es aber schwer diesem merkwürdigen Rat zu vertrauen, schließlich kenne ich keine dieser Personen", gibt sie zurück. Kurz muss ich überlegen, doch dann habe ich eine gute Lösung für sie: "Na gut, dann vertrau eben nicht ihnen, sondern mir. Ich habe dir einmal bei der Flucht geholfen und werde das auch noch ein zweites Mal tun. Und ein drittes Mal! Und auch ein Viertes." "Hoffen wir mal, dass es nicht nötig sein wird mich so oft zu retten", grinst Aria nun: "Dann könnte ich nämlich echt schlecht auf mich selbst aufpassen."
Ich breche in wildes Gelächter aus und Aria steigt sofort mit ein. Es ist so ein schönes Gefühl einfach nur hier zu sitzen und Spaß zu haben, obwohl wir uns vielleicht doch lieber Sorgen wegen der Mission machen sollten. Doch das tun wir nicht. Wir entspannen uns und hören auf uns über alles möglich ständig Gedanken zu machen. Nach einiger Zeit wird das nämlich ziemlich nervig und man hat das Gefühl, dass einem gleich der Kopf platzt.
Okay, sorry. Schlechter Vergleich! Sowas sollte ich lieber lassen, sonst passiert das wirklich irgendwann und das wünscht sich echt Keiner. Außer die Nexus vielleicht. Die hätten sicher kein Problem damit.
"Hey, ihr Turteltauben", ruft plötzlich jemand unter uns. Die Stimme kommt mir leider total bekannt vor und ich blicke nach unten, wo Ruby am Fuß des Baumes steht und zu uns hoch glotzt.
"Hey, Nervensäge", erwidert Aria daraufhin mit einem verspielten Lächeln auf den Lippen. Man merkt ganz klar, dass sie Ruby zu provozieren versucht, weshalb ich ihr mit meinem Fuß einen leichten Tritt verpasse, den sie mir aber glücklicherweise nicht allzu übel nimmt. Stattdessen beugt sie sich vor und flüstert mir etwas ins Ohr: "Jetzt sind wir Quitt!" Fast beginne ich wieder zu lachen, doch glücklicherweise habe ich mich gerade so gut im Griff, dass ich es schaffe mich wieder auf die Blondine unter uns zu konzentrieren.
"Was willst du?", rufe ich laut nach unten. "Hilley hat mir aufgetragen eure Ketten zu holen?", schreit sie zu uns hoch. Alter, ich bin zwar weiter oben, aber noch lange nicht taub. Ich lege meine Hand an die Kette und betrachte den blauen Kristall. "Wieso?", fragt Aria misstrauisch. Ruby verdreht die Augen: "Keine Ahnung! Frage doch Hilley, wenn du es genauer wissen willst." "Gut, mach ich", erwidert Aria neben mir trotzig.
Genau in diesem Moment steckt Hilley den Kopf aus der Tür und sieht zu uns rüber. Wow, sie hat echt super gutes Timing. Aber hat sie nicht vorhin noch geschlafen?
Als sie bemerkt, dass etwas nicht ganz in Ordnung zu sein scheint, kommt sie zu uns herüber und sieht uns streng an: "Was ist denn jetzt schon wieder los?" "Ruby will unsere Kristalle", ruft Aria. "Aria und Stella weigern sich sie mir zu geben", meckert Ruby genervt. "Hört auf euch zu streiten, Mädchen", ermahnt Hilley uns und schaut zu Aria und mir hinauf: "Ich habe Ruby wirklich damit beauftragt." "Und wieso?", fragen Aria und ich genau gleichzeitig. "Weil man euch so morgen im Institut erkennen wird. Jeder Lehrer dort weiß, was es mit den Kristallen auf sich hat", erklärt sie ruhig, woraufhin wir beide nachgeben und die wunderschönen Ketten ablegen. "Vertraut mir", bittet sie:"Ihr bekommt sie auch wieder, wenn ihr heil zurück seid." Zerknirscht nicke ich mit dem Kopf und gebe nach.
Mit einem Blick signalisiere ich Aria, dass sie die Schmuckstücke hinunterschweben lassen soll. Ein ungutes Gefühl macht sich jedoch in mir breit und mein Bauch kribbelt nervös.
Aria dreht ihre Hand um, woraufhin die Stücke einfach ungehindert hinab fallen. Ich schnappe erschrocken nach Luft und halte mich am Baum fest. Die Brünette neben mir lacht amüsiert und streckt ihre Hand, kurz bevor die Steine auf dem Boden zerspringen, aus und fängt sie wenige Meter von der Erde entfernt auf. Erleichtert hole ich tief Luft und entspanne mich wieder. Das ist gerade nochmal gut gegangen. Was hat Aria sich nur dabei gedacht?