»Wie ich sehe, ist das Jahr bereits wieder vorüber. Mein lieber Bauer Klarich. Was führt euch in diesem zu mir?«
Mit gesenktem Haupt und vor dem Bauch gefalteten Händen stand er in einem großen Raum, einem Saal gleich. Vor ihm ein ausladender und massiver Holztisch, dessen Oberseite von unzähligen Gelagen gänzlich glatt geschliffen schien. Direkt dahinter ein wuchtiger Stuhl flankiert von leeren Standartenständern. Vor vielen Jahren würden an diesen vielleicht die Farben des ›Falken‹ und die der Berengar gehangen haben.
Ein mannshoher Kamin nahm die goldene Mitte der zur Außenseite thronenden Wand ein. Zur linken als auch zur rechten Seite hatten findige Erbauer prächtige Fenster in die Mauer eingelassen. Von dem Portal her führte eine Treppe hinauf in die zweite Ebene der Räumlichkeit und von dort in verschiedenste Kammern. Vermutlich zu friedlicheren Tagen Rückzugsorte für hochrangige Besucher. Der hölzerne Weg entlang mit kunstvoll geschnitzter Brustwehr geziert, befand sich für unten stehende hingegen vollkommen im Dunklen. Ein vortrefflicher Ort für wache Augen.
»Mein Lord, wie jedes Jahr zur selben Zeit, komme ich mit demselben Gesuch. Die Ernten stehen bevor und es werden helfende Hände benötigt.«
Sein Gegenüber ließ ihn Jahr ein, Jahr aus, warten. Stets aufs neue tat dieser Mann so, als würde er über das Gesprochene nachdenken. Der gutmütige Bauer war dessen überdrüssig. Jedes Jahr erneut stand er hier und jedes Jahr erfolgte derselbe Ablauf. Ich Lord und wichtig, du Bauer und ... etwas war anders.
»So sei es, mein lieber Bauer Klarich. Ferner verladen deine prächtigen Jungen in diesem Moment benötigtes Gewerk.«
Er blickte auf und sah unwissend drein. Lord Bestlin nickte und hob die Brauen. »Ja, es stimmt. Ich habe Sensen und Flegel anfertigen lassen und unsere göttliche Herrscherin höchst selbst, hat dem Gesuch stattgegeben. Du haftest mir nicht nur mit deinem zehnt für dessen Erhalt.«
Dankend nickte Klarich, unschlüssig, ob er tatsächlich glauben sollte oder konnte. »Ich danke Euch mein Lord.«
Sein Gegenüber stützte das Kin in die rechte Hand und umfasste jenes mit Daumen und Zeigefinger. Er strich sich übers Gesicht und man vermochte das leise kratzen der Stoppeln vernehmen. »Bauer Klarich, ich habe mir Gedanken gemacht. Jedes Jahr erneut, ausgenommen in diesem, batet ihr mich, den gesamten Hof, den Weiler wieder aufzubauen. Ich biete euch ein Abkommen.«
Abermals blickte Klarich auf, Zuversicht glänzte in seinen Augen. Ein Funken der Vorfreude stahl sich in ihnen und er straffte sich.
»Entbinde im kommenden Jahr deinen ältesten Sohn in meinen Dienst.« Der Kopf neigte sich kaum merklich zur Seite. »Er ist dann doch alt genug für den Waffendienst?«
Der Vater zweier gesunder Buben schloss die Augen und war überzeugt, einen Unterton wahrzunehmen - trunken wankte er. »Ich bürge für ihn und werde ihn mich persönlich annehmen.«
Klarich schluckte, ihm wurde kalt und heiß zugleich. Seine Hände kneteten fest die innen liegenden Finger, sodass sie knackten. Der Hals wurde ihm trocken. »Mein Lord?«
»Das ist mein Angebot. Geh.«
***
Sie ließen Klarich beinahe eine Stunde in den Vorräumen des Burgfrieds warten, um den Karren und die mitgeführten Waren genauestens zu untersuchen. Kayden und Veyed hielt man derweil auf Abstand. Sie wurden grob an den Armen gehalten und mussten Hohn und Spott ertragen. Sie wuschelten ihnen die Haare und heuchelten fragwürdige Angebote. Als der Wachtmeister Waren und Fuhrwerk abnickte, ließ man endlich von den Zweien ab, die das Gesicht verzogen und die taub gewordenen Gelenke rieben.
»Ladet das Zeugs hier auf und haltet die Männer nicht weiter von der Arbeit ab. Ich will keinen Ton von euch Rotzlöffeln hören, verstanden?«
Beide bejahten und quittierten eifrig mit Kopfnicken. Eingeschüchtert verluden sie Sensen und Flegel aus der unbefeuerten Schmiede. Kayden ließ sich nicht nehmen, bei jedem Gang in die Werkstatt unbemerkt einen Umweg von zwei Schritten einzuschlagen. Nahe dieser hockte ein junger Treibhund, dem es eine Freude schien, von ihm Aufmerksamkeit zu erhalten. Mal ging er nur an ihm vorbei und lockte ihn mit schnalzenden Lauten, mal strich er ihm sanft über Haupt und Schnauze.
Ihr Brauner wurde stetig unruhiger und so war es Veyed, der anstatt in die Schmiede hinüber zum Pferd eilte und es beruhigend hinter den Ohren kraulte. Er lehnte den Kopf an den seinen und flüsterte.
»He, du Bengel. Verdammt du sollst arbeiten und nicht mit dem tattrigen Vieh kuscheln.« Ein Soldat, in mit Nieten beschlagener Lederrüstung gekleidet, trat heran und ergriff das rechte Handgelenk des Jungen. Jenes, mit welchem er soeben noch das Ohr des Braunen kraulte. Kayden blieb erschrocken stehen und gaffte fasziniert. Die Haut des Mannes war nicht blass, zart Rosa oder gebräunt wie bei anderen. Seine Haut sah aus wie die eines Erfrierenden - sie schien bläulich in Schein der Sonne zu schimmern. »Was glotzt du so dämlich, du fängst dir gleich welche. Sie zu.«
Veyed hatte wahrlich genug von dem unbegründeten Getriezte. Trotz der noch jungen Jahre war fast so groß gewachsen wie sein unangenehmer Kontrahent. Seine von schwerer Arbeit zeugenden Muskeln spannten sich. Veyeds Augen fixierten die seines Widersachers und ein freches Grienen huschte ihm über die Züge, als er allmählich begann, Gegendruck auszuüben. Aus dem Grienen erwuchs ein verschmitztes Lächeln. »Wenn das Pferd aufscheucht, wird man nicht uns die Schuld dafür geben«, hauchte er angestrengt.
Von Neugierde getrieben hielten einige in ihrem Tatwerk inne und beobachteten das Geschehen, andere wiederum rotteten sich tuschelnd zusammen. Der wachhabende Wachtmeister erhielt Meldung und dem Streitsuchenden wurde es sichtlich unangenehm. Unerwartet holte er mit der freien Hand aus und fegte durch Veyeds Gesicht, sodass dieser vor Schreck losließ und unvermittelt das Gleichgewicht verlor. Er strauchelte, stolperte über seine eigenen Füße, fiel gegen den Bock und rutschte bäuchlings daran herab. Der Saum seines Oberteils verfing sich an einem hervorstehenden Zapfen, der ihm der Länge nach über Bauch und Brust schrammte. Kaydens Hände fuhren erschrocken vor dem Mund und wagte sich nicht zu rühren noch brachte er ein Wort hervor.
Bedingt des unliebsamen Sturzes, hatte sich das Oberteil Veyeds nahezu komplett über dessen Kopf gezogen, sodass er Mühe hatte, sich aufzurichten. Die Rechte hielt er weit gespreizt gegen die aufgekratzte Brust und biss die Zähne schmerzerfüllt aufeinander. Vornübergebeugt stand er mit fest geschlossenen Augen da und japste.
Der Schläger trat an ihn heran, lachte und höhnte. Mit der Faust drohte er ihm. »Das geschieht dir Recht, du Bastard. Das nächste Mal prü...«
Der Satz endete abrupt und blieb unerwartet unvollendet. Weder Hohn noch Spott folgten als der Sprecher überraschend und mitten in seiner Drohgebärde verstummte. Mit einem vorausgegangenen hässlich klingenden Knacken viel er der Länge nach, mit dem Gesicht voran, zu Boden. Blut lief ihm aus Mund und Nase und bildete eine widernatürliche Lache, die sich mit dem Schmutz des Grundes zu einem schlammigen Brei vereinte.
Eine Hand legte sich behutsam um Veyeds Schulter und verdeckte weitestgehend die großflächige Narbe. Die Geste beruhigte ihn sichtlich, der Atem ging gleichmäßiger. Er öffnete die Augen und seine Züge erweichten.
»Rasch. Zieh dich an.« Klarich reichte ihm das eingerissene Oberteil und schob ihn hinter den Karren. Er richtete sich auf und blickte in mahnende Augen einer bereits bekannten Person.
Anstatt einzulenken, hielt er der bevorstehenden Konfrontation stand. »Haltet eure Männer gefälligst von meinen Jungs fern.«
Sein Gegenüber verzog keinerlei Mine und dessen bläulich schimmernde Haut deutete unmissverständlich seiner Herkunft und auf wessen Seite er demnach stand. »Macht endlich den Wagen voll und verschwindet von hier.« Die Augen behielt diese Person starr auf ihn gerichtet und bedeuteten Klarich, dass es sich hierbei um einen gut gemeinten Rat handelte. Er nickte und wies auf den am Boden liegenden.
»Kümmere dich nicht um den.« Leiser fügte er hinzu: »Seht, dass ihr fortkommt. Hastig.«