Der Horizont schimmerte in einem tiefen Rot. Die gemächlich vorbeiziehenden Wolken zeichneten fantasievolle Fabelwesen und erstrahlten in behaglichen goldfarben. Ein Schwarm schwarz befiederter Vögel zog über ihren Köpfen hinweg und wechselte ohne erkennbare Gründe stetig die Flugrichtung. Vermutlich trieb es sie weiter nach Südwesten, hinab an die Küste.
Der kommende Tag würde wie der vergehende ein Schöner und Angenehmer werden, so versprach es die Bauernregel. Abendrot - Gutwetterbot, Morgenrot mit Regen droht. Es sollte den Jungs ein spannender und aufregender Tag werden, wäre da nicht der Ausflug in die Burg Bestlins gewesen.
Ihr Umfeld nahmen Veyed und Kayden in gegenwertiger Situation nur am Rande wahr. Sie hockten angespannt unter einer ausladenden Linde, derer Wurzelwerk vor langer Zeit ausgewaschen und ihnen nun ein vorgefertigtes Versteck bot. Im Rabengehölz wuchsen ausnahmslos Laubbäume. Zumeist Eichen und Buchen, nur einzeln und gelichtet blieb ein kleiner Bestand an Linden und Haselnuss gewachsen. Das mittlerweile spärlich durch das dichte Blätterwerk einbrechende Licht verlieh den Schatten mehr Macht und vertrieb vorzeitig den Tag. Wo zuvor grünes Gras zu sehen war, trieb nunmehr ein dunkler, haariger, Schemen sein Unwesen. Dickes und vorhängendes Astwerk glich im vorgeschobenen Zwielicht Klauen einer langarmigen Bestie. Zum Glück der jungen Burschen waren die Winde noch nicht kräftig genug, um die Schattenwesen nach ihnen greifen zu lassen.
Nur selten fand ein verblichener Sonnenstrahl den Weg bis hinab auf den Grund, sodass es den Anschein hegte, dem Wald gierte es.
Beobachtern würden die beiden, unter dem Baum, kauernden Gestalten als armselig und abgewetzt erscheinen. Ihre Kleidungsstücke, Hände und Gesichter waren vollkommen verdreckt und verschlissen. Nicht minder weniger Kratzer gingen tief genug, um zu bluten.
Ihre Brust hob und senkte sich im Einklang mit ihren nach Luft gierenden Lungen.
»Haben wir sie abgehängt?«, erkundigte sich Kayden japsend. Dessen Worte, obwohl leise gesprochen, Veyed zucken ließen.
»Sch«, mahnte dessen Bruder, der abrupt die linke Hand hob. Seine rechte verkrampfte sich um ein Stück hervorstehende Wurzel, als wolle er diese zerquetschen. Im Dunkel zeichnete sich der Widerschein vereinzelter Lichter.
Unweit ihres Versteckes knackte es. Das Brechen eines trockenen Astes tönte in ihren Ohren wie das bersten eines Baumes. Jenes Baumes, unter welchem sie sich verbargen.
***
»Sucht ihr Mistviecher!«
»Halt doch ´es Maul. Ohne Spur habens auch die Hunde nischt, wonach se suchen solln.«
Vermutlich Ersterer grunzte und spukte. »Ach ...«
»Schnauze jetzt«, brüllte eine bassmonotone Stimme. Eine Fackel schwang zischend nach vorn und beschien zwei mit der Nase am Boden tapsende Hunde. »Sie haben was, bewegt euch.«
Einer der Treiber sah missmutig auf und schwenkte seine drei Leinen wie eine Peitsche. »Da hast dene Fährte. Wolln wa mal sehn, ob de mehr hast als nur ne große Fresse.«
Abermals spuckte einer aus, direkt vor den Füßen seines Widersachers, stieg vom Rücken seines Pferdes und postierte sich provokant vor dem Treiber. Ganz nah drängte er auf und dessen breiten Schultern verdeckten die seines um einen Kopf kleineren Begleiters. »Red weiter du Wicht. Ich habe Lust dir deine vorlaute Zunge herauszuschneiden.«
Angesprochener hob die in der linken Hand haltenden Leinen und neigte allenfalls den Kopf zu ebendiesen. Lächelnd entblößte er seine Zähne und streckte ungeniert die Zunge heraus. Er zuckte mit der Schulter. »Kein Knoten.«
Das spärliche Licht bekundete undeutlich seinen Kleidungsstil und verbarg mehr, als das es zeigte. Er kleidete sich anders als die übrigen zwei Treiber.
Echos bellender Hunde erscholl und wurden von nachkommenden sogleich erwidert.
»Heia, hey.« Eilig galoppierten acht Pferde an ihnen vorüber, die sich ebenso rasch wieder entfernten. Sie jagten den Kläffern nach, die endlich einer verwertbaren Spur folgten. Nur einer der Tiere hob erneut die Nase und wagte sich in den alten Wasserlauf hetzend entlang. Noch bevor das Gerinne endete, an einem Abfall direkt in einem Knick, fand eben jener sein räudiges Ende. Er rutschte davon, als er noch versuchte, seinen Fehler zu korrigieren, und stürzte in die Tiefe.
Eine Wand so Hoch wie der Aussichtsturm der Burg entlockte dem überraschten Vierbeiner ein quälendes lang gezogenes Jaulen, bis der deutlich widerhallende Aufschlag diesem ein jähes Ende bereitete.
»Das Grinsen wird dir verg...« Seine Augen weiteten sich und sein Augenmerk richtete sich nach links, wo seine Hand bereits unbewusst unterhalb der Achsel klemmte. »Was ...«
Der Treiber verzog die Mundwinkel und schnaubte. »Du hast recht, mir vergeht in der Tat das Grinsen.«
Sein Widersacher sackte auf die Knie und ihm entrückte der Blick. Die gesamte linke Körperhälfte war rötlich braun durchtränkt und Blut trat sämig seinen Finger hindurch.
»Drei, zwei, eins ...« Er kippte vornüber und ein Einzelner - sein letzter - Hauch entwich seinem Halse.
»Kleiner Schnitt, große Wirkung.« Der Treiber wischte seinen, für einen Dolch zu lange Klinge, noch dazu gebogen, an dem Leichnam ab, sah sich um und verschmolz mit den Schatten der umstehenden Bäume.