Gegen Nachmittag des nächsten Tages war Julia schon informierter, was ihre Zukunft betraf. Sie hatte verschiedene Internetseiten gewälzt, war bei diversen Uniberatungen gewesen und jetzt, nach der Arbeit im Sprachinstitut würde sie endlich Gelegenheit haben, sich alles in Ruhe durch den Kopf gehen zu lassen. Bevor sie das tat, wollte sie sich allerdings bei Steppi melden, das hatte sie ihm gestern noch fest versprochen. Also kramte sie ihr Handy hervor und wählte seine Nummer.
”Hej”, meldete er sich fast augenblicklich, ”fertig mit die Arbeit?”.
”Ja, endlich. Wo bist du? Hast du Zeit?”.
”Ich bin bei mein Kollegen so ich brauche kurz bis nach Heidelberg, aber ich kann zu dir fahren, sollen wir uns da treffen?”.
”Ja, gerne”, strahlte Julia, ”dann bis gleich. Ich freue mich.”
”Ich mich auch. Bis gleich.”
Mit schneller klopfendem Herzen steckte sie ihr Handy wieder weg und machte sich mit schwungvollem Gang auf den Heimweg. Die Aussicht, dort Steppi zu treffen, besserte ihre Laune sofort.
Als sie ankam, war Steppi oder sein Auto nirgends zu sehen, deshalb beschloss sie, in ihre Wohnung zu gehen und noch ein wenig aufzuräumen. Die kleine Wohnung im zweiten Stock bot so wenig Platz, dass sie immer ein wenig unaufgeräumt aussah, aber den Abwasch von heute morgen konnte sie noch schnell erledigen, hoffte sie.
Tatsächlich klingelte ihr Handy erst, als sie noch die Wäsche im Bad aufgeräumt hatte.
„Hej, ich stehe vor dem Haus aber ich weiß nicht, wo ich soll klingeln, kannst du aufmachen?“.
„Mache ich. Zweiter Stock linke Wohnung.“
Nur wenige Minuten später tauchte Steppis Kopf im Treppenhaus auf, und als er nach oben sah und Julia in der Tür entdeckte, strahlte er ebenso wie sie.
„Wie war dein Training?“, fragte Julia anstandshalber, aber statt einer Antwort küsste sie Steppi zur Begrüßung erst kurz.
„Wie immer. Video ist immer sehr anstrengend für den Kopf, so ich bin froh, wenn der Nachmittag vorbei ist. Wie geht es dir?“.
Während Julia antwortete, ließ sie Steppi in die Wohnung und geleitete ihn ins Wohn- und Arbeitszimmer. „Ich habe den ganzen Tag damit verbracht über meine Zukunft nachzudenken, ich glaube ehrlich gesagt, ich habe Kopfschmerzen davon.“
Sorgsam massierte Steppi mit je zwei Fingern ihre Schläfen. „Dann willst du vielleicht ein Pause bevor wir reden?“.
„Hmm… eine kleine vielleicht. Deine Massage tut gut.“
Genießerisch schloss Julia die Augen und als ihre Kopfschmerzen abebbten, umschlang sie Steppi mit beiden Armen und vergrub ihre Nase tief in seinem T-Shirt. Dieser ureigene Steppi-Geruch war genau das Richtige gegen den ganzen Stress. Steppi hielt sie in einer festen Umarmung, in der sie sich so beschützt fühlte, dass sie am liebsten immer dort geblieben wäre.
Erst ein mörderisch lautes Magenknurren ließ Julia zusammenzucken.
„Warst du das?“, fragte sie mit gerunzelter Stirn.
„Ja, nach dem Training mein Magen will immer Essen haben“, grinste Steppi, seine Wangen schimmerten dabei leicht rötlich.
„Das musst du mir früher sagen. Ich habe nicht viel da, aber ich könnte glaube ich ein kleines Chili sin Carne machen, ist das okay?“.
Steppi nickte und Julia löste sich aus der Umarmung, um die Zutaten zusammen zu suchen. So bekam er zum ersten Mal die Gelegenheit, sich die Wohnung zu betrachten. In seinen Augen war das Wort Wohnung unpassend dafür, wie Julia lebte. Alles war vollgestopft mit Regalen voller Bücher, einem Schreibtisch, der unter Papier ächzte und einer kleinen Kochnische mit Zutatenregal und Minikühlschrank direkt daneben. Ein Bett konnte er nirgends entdecken und die einzige Tür, die vom großen Raum wegführte, war die Toilette, wie er feststellte. Klein war für dieses Zimmerchen gar kein Ausdruck.
„Du lebst sehr klein“, sprach er seine Gedanken laut aus und Julia hielt über dem großen Topf inne, um sich umzudrehen und Steppi irritiert anzuschauen.
„Wie, ich lebe sehr klein?“.
„Naja, mit wenig Platz.“
„Achso. Ja, das stimmt. Aber es ist billig und ich kann viel Geld zurücklegen, um später Bafög sofort zurückzuzahlen. Oder mir mal ein Buch zu kaufen oder etwas anderes.“
Während sie fortfuhr, Gemüse in den großen Topf zu rühren,umarmte Steppi sie von hinten. Eine Weile konzentrierte er sich auf den stetig rührenden Kochlöffel, es hypnotisierte ihn fast.
„Das ist jetzt kein besonders gesundes Sportleressen mit Dosengemüse, tut mir leid. Wenn ich weiß, dass du hungrig kommst, kaufe ich das nächste Mal ein“, entschuldigte sich Julia, aber Steppi schüttelte den Kopf.
„Ich koche auch nicht viel gesünder, obwohl ich eigentlich muss, ist schon gut.“
„So, jetzt muss es noch ein bisschen ziehen und ich muss ein paar Mal rühren, aber ich bin fertig. Möchtest du eigentlich was trinken?“, fragte Julia, nachdem der Inhalt der letzten Dose in den Topf gewandert war.
„Danke, nein. Sollen wir reden über dein Studium? Ich weiß das es ist nicht ein schönes Thema aber ich mache mir Sorgen.“
Mit einem Lächeln auf den Lippen wandte sich Julia ihm zu und verschränkte die Arme hinter seinem Nacken, gerade so. „Du hast Recht und es ist süß, dass du dir Sorgen machst. Wir können uns auf mein Bett setzen und da in Ruhe reden?“.
Was Steppi vorhin unter Büchern gar nicht entdeckt hatte, stellte ich als Sofa und Bett heraus, das gar nicht so ungemütlich war, wie es aussah, zumindest nachdem die Bücher anderswo verstaut waren.
„Ich war heute bei meinem Studienberater und habe mit ihm geklärt, dass ich aus Geschichte erst mal nicht raus fliege. Allerdings müsste ich mir ein zweites Unterrichtsfach suchen, bevor ich das Praxissemester machen kann, und mir wurde auch gesagt, dass ich für das zweite Fach nicht ewig brauchen soll. Dann müsste ich mir also im nächsten Semester noch eins suchen und ich weiß noch nicht, welches.“
„Was kannst du denn gut?“, versuchte Steppi zu helfen.
„Sprachen, denke ich. Englisch vielleicht oder Spanisch oder Deutsch, da würde ich bestimmt reinkommen. Darüber habe ich schon nachgedacht, das sind eigentlich die Fächer, die am sinnvollsten sind.“
Steppi griff nach ihren Händen und drückte sie leicht. „Siehst du, das klingt gut. Du darfst bestimmt weiter machen.“
„Ja das schon, allerdings habe ich Zeitdruck. Mehr als vier Semester darf ich nicht brauchen, allerdings müsste ich noch mehr arbeiten weil mein Bafög wegfällt wegen zu langer Studienzeit. Da reicht es auch nicht, dass ich ein Fach schon fertig habe. Irgendwie ist das alles zum Scheitern bestimmt.“
„Was ist denn mit deinen Eltern?“, fragte Steppi, „können die dich nicht unterstützen?“.
„Wenn wir noch miteinander reden würden, vielleicht“, bemerkte Julia trocken
Steppi entfuhr ein leises ‚oh‘ und er nahm seine Freundin in den Arm. Die Situation war wirklich nicht gerade gut, aber zum Scheitern verurteilt? Es musste doch eine Möglichkeit geben, ihr zu helfen. Nachdenklich fuhr er mit einer Hand durch ihre Haare, das seidige Gefühl hatte er gerne an seinen Fingern. Fast sofort schoss ihm eine Idee in den Kopf, von der er allerdings überzeugt war, dass sie abgelehnt werden würde. Eine bessere Idee wollte ihm aber nicht einfallen, deshalb beschloss er, seine Idee einfach vorzuschlagen.
„Was meinst du, wenn du zu mir ziehst? Du könntest dein Miete sparen und vielleicht weniger arbeiten gehen so du kannst das Studium noch schaffen in der Zeit.“
Wie erwartet legte Julia mit skeptischem Blick ihre Stirn in Falten. „Nach zwei Tagen? Also ich weiß nicht, ich finde das viel zu früh. Nichts gegen dich, Steppi, aber normalerweise ist man vorher erst ein bisschen zusammen bevor man zusammenzieht.“
„Ich weiß, aber ich habe kein besseres Idee wie ich dir kann helfen“, seufzte er.
Julia lächelte und drückte einen kurzen Kuss auf seine Wange. Sie war froh, dass sich überhaupt jemand um sie bemühte und sie nicht alleine war. Aber in ihrer Vorstellung zog man so früh einfach nicht zusammen, das konnte nicht gut gehen.
„Du bist großartig, danke. Ich bin froh, dass du dir überhaupt Gedanken machst. Ich muss das Chili mal kurz umrühren, ich bin gleich wieder da.“
Steif vom Sitzen auf dem tiefen Sofa erhob sich Julia und ging zur Kochnische, um im Topf zu rühren. Mittlerweile war alles etwas eingedickt und es roch schon herrlich nach Bohnen.
„Steppi, wie groß ist dein Hunger? Es ist nicht perfekt, aber bestimmt schon essbar, nur nicht ganz so scharf. Wenn du möchtest, können wir essen.“
„Warte...kurz“, ächzte er, er kam noch viel schwerer vom Sofa hoch, da er bedeutend größer war.
Er blieb direkt vor Julia stehen, nahm ihr Gesicht in beide Hände und begann einen intensiven Kuss. Vorsichtig biss er in ihre Unterlippe dann glitt seine Zunge über dieselbe Stelle. Julia hatte sich eng an ihn gepresst und erwiderte den Kuss mit ihrer Zunge, tippte leicht gegen seine. Einzig und allein der Hunger hielt sein Hirn davon ab, gänzlich abzuschalten. Langsam beendete er den Kuss, hauchte noch einen leichten, kleinen auf ihre Lippen und löste sich dann.
„Jetzt kann ich essen, jetzt bin ich zufrieden“, flüsterte er und entlockte Julia damit trotz gestiegenem Puls ein Lächeln.
Wenig romantisch füllte Julia zwei Teller mit Chili und da Steppi sich weigerte, sich noch einmal auf dieses Sofa zu setzen, aßen sie im Stehen, denn Sitzplatz gab es sonst nur noch am Schreibtisch. „Das war lecker, danke. So schlimm ist es nicht aus der Dose“, munterte Steppi sie dann auf, während er den Teller in die Spüle stellte.
„Na immerhin bist du satt, oder? Es ist noch was da...“.
Steppi schüttelte den Kopf. „Danke, ich bin satt. Nur ich hätte vielleicht gerne gesitzt.“
„Gesessen, Steppi. Okay, der Punkt geht an dich.“
Julia stellte ihren Teller dazu und fand sich gleich danach in Steppis Armen wieder.
„Musst du denn heute gehen?“, fragte sie nuschelnd gegen seine Brust.
„Ja, leider. Wir haben Training morgen so ich fahre mit einem Kollegen und ich will nicht, dass er alles gleich weiß sonst ich habe keine Ruhe auf der Fahrt nach Kiel übermorgen.“
„Dann bist du länger nicht da?“.
Steppi streifte mit seinen Lippen erst ihren Scheitel, bevor er antwortete. "Ja, morgen ich trainiere ganzes Tag und dann fahren wir, am Samstagabend spielen wir und Sonntag wir fahren nach Hause. Vier Tage.“
Widerwillig zog Julia die Mundwinkel nach unten. Natürlich wusste sie um die zeitliche Belastung, aber da es sie bisher nicht betroffen hatte, hatte sie sich nie näher Gedanken gemacht. Ihr gefiel es ganz und gar nicht, so lange von Steppi getrennt zu sein.
„Das ist schade“, seufzte sie.
„Ja, ist es, aber wir telefonieren so oft ich kann und ich kann dir schreiben. Sonntagmittag wir haben frei so wir könne etwas machen zusammen. Versprochen.“
Allein dass er sich darum sorgte, sie sofort nach der Reise zu sehen, besserte ihre Laune. Das Leben mit einem Handballprofi war vielleicht doch anstrengender als gedacht. Bei Liv wirkte das immer sehr entspannt. Ob sie Niklas auch so vermisste?
„Julia? Ich muss gehen. Ich muss noch waschen für die Reise und nicht so spät schlafen so ich kann gut trainieren morgen.“
Damit riss Steppi sie aus ihren Gedanken, er sah schuldbewusst aus. „Es tut mir leid, lieber ich würde bleiben aber...“.
„Nein, ist schon gut. Ich weiß, dass es sein muss.“
Mit einem traurigen Lächeln küsste Julia Steppi und führte ihn an einer Hand zur Tür.
„Ich rufe dich an wenn ich alles fertig habe. Ich vermisse dich schon“, flüsterte Steppi und hauchte ihr noch einen Kuss auf die Wange.
„Ich vermisse dich auch schon. Fahre vorsichtig.“
Sie drückte noch einmal seine Hand, dann ließ sie ihn los.
Als Steppi schon auf der ersten Treppe stand, wandte er sich nochmal um.
„Vielleicht du denkst noch mal nach über das Umziehen. Ich würde mich sehr freuen. Bis später.“
Dann verschwand immer mehr seines Körpers im Treppenhaus und ließ eine ratlose, grübelnde Freundin zurück.