Die nächsten zwei Tage waren die schlimmsten Tage, die Steppi und Julia bisher in ihrer Beziehung erlebt hatten. Beide lebten in ständiger Angst vor dem Anruf, und Steppi brachte eine Distanz zwischen sich und Julia, die ihn immer misstrauischer machte.
Als das Telefon schließlich klingelte und die Nummer der Arztpraxis zu sehen war, rutschte beiden das Herz in die Hose. Welche Nachricht würden sie wohl überbringen. Julia stellte ihr Handy, wie vorher verabredet, auf laut, bevor sie den Anruf annahm.
„Ja, guten Tag. Also, ich habe leider eine schlechte Nachricht für sie. Der HCG Wert Test hat ergeben, dass Sie nicht schwanger sind. Da muss ein Missverständnis vorgelegen haben“, erklärte die weibliche Stimme der Sprechstundenhilfe. Vielleicht hatte sie noch mehr sagen wollen, aber Julia hatte in ihrer Schockstarre einfach aufgelegt.
Sie konnte, nein, wollte es nicht wahrhaben. Sie war nicht schwanger. Aber wieso hatte der Test dann etwas anderes ergeben? Ihr Verstand fand keine Antwort darauf.
Steppi war ähnlich paralysiert. Wie hatte er nur so dämlich sein können? Julia hatte ihm mit der Bereitschaft, das Telefonat mitzuhören, noch einen letzten Hoffnungsschimmer gegeben, aber das schien auch nur Ablenkung gewesen zu sein. Die ganze Zeit über hatte sie ihn hintergangen und versucht, mit einem Baby an sich zu binden. Er betrachtete Julia, sie wirkte verzweifelt. Hatte sie wirklich gedacht, damit durchzukommen.
„Ich möchte, dass du gehst“, bat er leise und Julias Gesichtsausdruck erstarrte in Verzweiflung.
„Wieso? Was denkst du, Steppi?“.
„Ich möchte nicht leben mit jemand der mich lügt. Deshalb ich möchte, dass du gehst.“
„Nein!“, war das erste, was Julia fast reflexartig entkam. Wie konnte Steppi nur denken, dass sie ihn anlog?
„Nein Steppi, ich lüge dich nicht an, wieso sagst du soetwas? Ich weiß auch nicht, was passiert ist, aber ich habe dich ganz bestimmt nicht angelogen, bitte glaube mir!“.
Sie versuchte, nach ihm zu greifen, aber Steppi wich aus.
„Ich habe nicht den Test gesehen einmal, warum ich sollte dir dann glauben wenn der Arzt etwas anderes sagt? Nur weil Liv etwas hat gesehen, sie ist dein beste Freundin, sie kann alles sagen.“
Julia klappte für einen Moment der Mund auf. Dass er sie der Lüge bezichtigte, war schon schlimm genug, aber dass er Liv jetzt auch noch da mit rein zog, war für sie unglaublich.
„Liv lügt auch nicht! Keiner lügt! Bitte Steppi, wieso glaubst du mir denn nicht? Wieso sollte ich dich anlügen? Ich habe doch überhaupt gar keinen Grund, dir eine Lüge zu erzählen!“.
„Vielleicht du willst Geld von mir“, schnappte Steppi zurück und Julia blieb ihr nächster Kommentar im Hals stecken.
„Das ist wirklich lächerlich, Steppi, ich will dich ausnehmen, meinst du? Wer setzt dir solche Gedanken ins Ohr?“, fragte sie stattdessen.
Die Fassungslosigkeit überwog gerade noch. So dermaßen kalt hatte sie Steppi noch nie erlebt. Er schien ihr überhaupt nicht zu glauben, was sie erzählte, aber wieso? War er schon immer so misstrauisch gewesen und sie hatte nichts bemerkt?
„Das ist doch egal. Ich habe jetzt gleich Training so es ist gut, dass wenn ich heute Abend heimkomme du bist weg, ja?“.
Steppi ging aus dem Esszimmer, in dem alles stattgefunden hatte und fand Julia, als er wieder kam, in unveränderter Position wieder. Er stellte die Sporttasche, die er geholt hatte, auf den Tisch.
„Hier du kannst deine Sachen rein tun, wenn du noch etwas brauchst es liegt noch eine Tasche im Schlafzimmer. Wenn du hast ausgepackt, dann du kannst die Taschen einfach Niklas mitgeben so ich denke, du hast bestimmt mit Liv Kontakt. Ich möchte die Taschen wieder haben.“
Bevor Julia etwas erwidern konnte, war Steppi schon im Hausgang verschwunden und nur wenig später öffnete und schloss sich die Haustür. Steppi war froh, endlich aus dem Haus zu sein. Er hätte seine Enttäuschung nicht viel länger hinter einer kühlen Maske verbergen könnte. Gleichzeitig ärgerte er sich allerdings auch über sich selbst. Er hatte sicher nicht vorgehabt, sich von einer Frau so über den Tisch ziehen zu lassen und dass sie es fast geschafft hatte, ärgerte ihn umso mehr. Das Training würde ihm jetzt als Ablenkung bestimmt gut tun.
Andy wartete bereits vor der Tür, er war wie immer überpünktlich. Steppi stieg ein, warf die Tasche auf den Rücksitz und schnallte sich an, das alles wortlos. Er hatte noch keine Lust, sich mit jemandem darüber zu unterhalten und er war Andy dankbar, dass er das verstand. Jedenfalls fragte er nicht nach, sondern startete das Auto und fuhr los.
Julia hingegen hatte die ganze Zeit nur auf die Sporttasche gestarrt. Sie konnte noch nicht richtig glauben, was gerade passiert war. Nur langsam drang in ihr Bewusstsein, dass sich Steppi gerade von ihr getrennt und sie aus dem Haus geworfen hatte. Erst wenige, dann immer mehr Tränen liefen ihr über die Wangen. Erschöpft ließ sie sich auf das Sofa sinken und stützte ihren Kopf in die Hände. Wie hatte es nur dazu kommen können? Was war passiert, dass die Beziehung innerhalb weniger Tage kaputt war? Wo kam nur dieses Misstrauen auf ienmal her, das hatte Steppi doch vorher nie gehabt- oder doch?
Und wo sollte sie denn jetzt nur hin? Ihre Wohnung hatte sie längst gekündigt und kam sich dabei jetzt so naiv vor, dass sie sauer auf sich selbst war. Nachdem Steppi sie so eiskalt hinausgeworfen hatte, traute sie ihm alles zu, deshalb begann sie, ihre Habseligkeiten in die Tasche zu packen. Sie hatte Angst vor Steppis Reaktion, sollte er sie noch hier finden. Während sie zusammenpackte, dachte sie darüber nach, wo sie jetzt hin sollte.
Ihr erster Gedanke galt ihren Eltern, aber sie hatte keine Lust auf die unzähligen Belehrungen, die sie ihr bestimmt erzählen würden. Außerdem war kein Bett mehr frei und auf einer Luftmatratze liegen stand jetzt nicht weit oben auf Julias Liste.
Dann dachte Julia an Liv und Niklas. Auf dem Sofa würde sie sicher schlafen können, aber für wie lange? Und standen die beiden nicht ohnehin auf Steppis Seite, denn schließlich waren er und Niklas Kollegen?
Andererseits war Liv Julias Freundin und ein Anruf könnte sicher nicht schaden. Deshalb griff sie zum Telefon, Liv meldete sich auch gleich.
"Was gibts denn?", fragte sie, sie klang ein wenig verschlafen.
"Steppi... er hat... Schluss gemacht", schluchzte Julia in den Hörer und zog geräuschvoll die Nase hoch. Mit einem Mal war Liv hellwach.
"Das hat er nicht. Du veräppelst mich doch gerade? Bitte nicht?".
Julia gab nur einen undefinierbaren Laut von sich, irgendwas zwischen Schluchzen und Wimmern und Liv stöhnte in den Hörer.
"Oh nein, was ist denn passiert? Soll ich zu dir kommen? Oder magst du erst mal herkommen und dich ein bisschen ausheulen? Du kannst mir alles erzählen."
"Ich muss zu dir kommen, glaube ich. Er hat gesagt, ich soll nicht mehr da sein, wenn er vom Training kommt. Ich glaube, er hat mich rausgeworfen."
Livs 'oh nein' ging in den Tränen von Julia unter. Sie weinte hemmungslos und Liv konnte es ihr nicht verdenken. Sie hätte Steppi niemals zugetraut, eine derartige Aktion zu machen.
Geduldig ließ sie Julia sich wieder beruhigen, denn sie hatte Verständnis. Liv wusste, dass sie Steppi sehr liebte und dementsprechend verletzt war sie sicherlich. Erst als sich Julia etwas beruhigt hatte, sprach Liv weiter.
"Weißt du was? Ich komme zu dir und helfe dir ein bisschen, dann können wir auch schon mal reden. Und dann kommst du erst mal ein paar Tage mit zu mir, wir richten dir das Sofa her und du erholst dich, bevor du nach einer neuen Wohnung suchst oder vielleicht entschuldigt sich Steppi ja auch. Okay?".
Julia nickte, dann fiel ihr aber ein, dass Liv sie ja nicht sehen konnte und sie schob eine gesprochene Bestätigung hinterher.
"Gut, dann lege ich jetzt mal auf und ich bin auf dem Weg zu dir, ja? Keine Panik, ich bin gleich da und wir schaffen das irgendie alles zusammen. Bis gleich!".
Liv hinterließ mit der Stille ein erdrückendes, unangenehmes Gefühl der Einsamkeit bei Julia. Sie fühlte sich kraftlos und ausgelaugt, als wäre ein Buldozer über sie gerollt. Für einen Moment dachte sie daran, mit dem Ausräumen des Kleiderschrankes zu beginnen, aber sie konnte sich nicht aufraffen. Damit zu beginnen hieße für sie, die Trennung zu akzeptieren, und dazu war sie noch nicht bereit.
Stattdessen füllte sie sich ein Glas Wasser und schlenderte bedächtig durch die Wohnung, ließ den Blick lange auf dem kleinen Garten ruhen, in dem Steppi und sie eine Einweihungsfeier gegeben hatten. Die Pflanzen, sollte sie die auch mitnehmen? Aber das war doch kleinlich. Wieso sollte sie Pflanzen mitnehmen? Das waren ja keine Haustiere. Sie würde sich neue kaufen. Vielleicht erinnerten die Pflanzen Steppi ja dann an sie.
Das Klingeln an der Tür riss Julia abrupt aus ihren Gedanken. Sie stellte das Glas in die Küche zurück und öffnete die Tür, natürlich stand Liv im Eingang. Die umarmte sie sofort und drückte sie fest an sich.
"Oh Gott, du arme Kleine, du tust mir so leid. Ich helfen dir so viel wie ich nur irgendwie kann, hörst du? Du bist nicht alleine", murmelte sie.
Bei diesen Worten konnte Julia nicht anders, als wieder in Tränen auszubrechen und sich in Livs Arme zu verkriechen. Die Welt war ungerecht.