Es dauerte ein paar Wochen, aber der Schmerz ebbte ab, sowohl bei Julia als auch bei Steppi. Auch wenn er sich beharrlich weigerte, mit jemandem darüber zu reden, denn alle schienen ihn schon zu verurteilen, bevor sie seine Version überhaupt angehört hatten.
Julia wohnte immer noch bei Liv und Niklas, denn in Heidelberg war es gar nicht so einfach, etwas eigenes zu bekommen. Zumal sie noch hoffte, dass sich Steppi irgendwie entschuldigen würde und sie wieder zusammenziehen könnten.
Da die Jungs gerade im Ausland waren, hatten sich Liv und Julia zu einem gemütlichen Kochabend verabredet. Liv, die ihre Abschlussarbeit gerade eingereicht hatte, war bereits einkaufen gewesen und hatte die notwendigen Zutaten besorgt.
Als Julia die Tür öffnete, war es ungewöhnlich ruhig. Liv hatte es sich zur Gewohnheit gemacht,sie an der Tür zu empfangen, deshalb war Julia irritiert von ihrer Abwesenheit.
„Liv? Bist du da? Alles okay?“, rief sie deshalb in die Wohnung hinein, dann lauschte sie.
Nach ein paar Sekunden konnte sie leise Stöhngeräusche wahrnehmen und sie wagte sich weiter in die Wohnung hinein, ins Wohnzimmer. Dort lag Liv auf der Couch, in die Kuscheldecke eingewickelt und sah krank aus.
„Liv! Was ist denn los? Geht es dir nicht gut? Bist du krank?“.
Erschrocken beeilte sich Julia, sich neben Liv aufs Bett zu setzen und ihr die Stirn zu fühlen, Fieber hatte sie keins.
„Es geht eigentlich, aber mir ist nur so wahnsinnig schlecht“, keuchte Liv. Bei näherem Hinsehen fiel ihre momentane Blässe auf.
„Hast du denn was Schlechtes gegessen? Oder sonst eine Idee, wo das herkommen kann?“, fragte Julia weiter.
„Nichts schlechtes gegessen, aber eigentlich doch ein schöner Grund. Ich hab einen Test gemacht...“.
Julia brauchte einige Momente, um die Aussage einordnen zu können, dann rutschte ihr aber das Herz in die Hose.
„Wie? Du bist schwanger? Wirklich schwanger?“.
Trotz ihrer Erschöpfung brachte Liv ein Lächeln zustande und ein schwaches Nicken. Julia hingegen schwankte zwischen Neid und Freude. Wie gerne hätte sie sich uneingeschränkt für Liv gefreut, aber der Schmerz über die eigene Nicht-Schwangerschaft saß einfach noch zu tief. Weil sie im tiefsten Inneren aber doch wusste, wie Unrecht sie Liv damit tat, rang sie sich schließlich doch zu einem Lächeln durch.
„Ich freu mich für euch Liv, immerhin habt ihr euch das gewünscht. Und ich bin sicher, dass ihr ganz tolle Eltern sein werdet“, brachte sie noch hervor.
Liv ahnte, wie viel Überwindung Julia diese Worte gekostet haben mussten und streichelte ihrer Freundin über die Hand.
„Danke. Es bedeutet mir viel, dass du dich freust. Und ich bin mir auch sicher, dass unsere Kinder irgendwann mal zusammen herumspringen werden. Die Frage ist nur noch, von wem du sie bekommst.“
Julia schnitt eine Grimasse, die halb Grinsen, halb schmerzverzerrtes Gesicht war. So lieb sie Liv auch hatte, hatte ihre Freundin doch manchmal ein Talent, in offenen Wunden herumzustochern.
„Na gut“, lenkte Julia schließlich ab, „wenn du Schwanger bist und nichts runterkriegst, würde ich sagen, wir kochen entweder gar nicht oder sehr magenschonend. Wie schlimm ist es denn mit der Übelkeit?“.
„Ich glaube, mein Magen will die nächsten fünf Jahre nichts mehr essen, so übel ist mir“, stöhnte Liv und hielt sich dabei den Bauch, „aber gegen Haferschleim oder so hat er sicher nichts einzuwenden. Kochen um es wieder auszuspucken ist mir eigentlich zu schade.“
Julia lachte. „Na gut. Bleib liegen, ich mache dir Haferschleim und dann schaue ich mal, was ich mir koche. Wenn du was brauchst, ruf mich einfach.“
Liv lächelte dankbar und lehnte sich wieder auf dem Sofa zurück. Die Übelkeit war bereits wieder schlimmer geworden und sie war froh, Arbeit abgeben zu können.
Julia ging in die Küche und stöberte in den Schränken nach Haferflocken, da vibrierte ihr Handy. Sie unterbrach ihre Suche und rief die SMS auf, die sie bekommen hatte. SMS schrieb ihr eigentlich niemand mehr, ihre Freunde hatte sie alle im Messenger, wer konnte das also sein?
Hey Julia, Steppi told me about that...little incident that happened. Since i really cant believe him i‘d like to hear more from you, if you are willing to tell me. In two weeks i‘ll be at frankfurt airport so we can meet up if you want to. Mail me,please, im curious. Steinunn
Julia musste sich beherrschen, ihr Handy nicht auf den Boden fallen zu lassen, so sehr erschreckte sie der Absender. Mit einer Nachricht von Steinunn hätte sie niemals gerechnet, und dass sie sie nicht verurteilte ebenso wenig. Statt einer Antwort steckte sie das Handy erst einmal zurück in die Hosentasche. Die Nachricht musste sie erst nochmal verdauen. Mit fahrigen Bewegungen machte sie sich wieder daran, den Haferschleim vorzubereiten, aber ihre Hände zitterten zu sehr. Sie stellte die Behälter zur Seite und lehnte sich, mit den Händen abgestützt, gegen die Küchenzeile. Als sie die Augen schloss, fanden zwei Tränen den Weg über ihre Wangen. Gerade jetzt, als sie halbwegs über Steppi hinweg gekommen war, riss man die Wunde wieder auf.
Tief in ihre Gedanken versunken merkte Julia nicht, wie sich Liv in die Küche schleppte. Sie hatte Julia schluchzen gehört und sich Sorgen gemacht, deshalb hatte sie sich in die Senkrechte gekämpft. Das Bewegen tat ihr ganz gut und vertrieb ihre Übelkeit ein wenig, aber der Anblick ihrer Freundin erschrak sie wieder.
„Julia, was ist denn?“, fragte Liv vorsichtig und legte ihr einen Arm um ihre Schultern. Julia ließ ihren Kopf auf Livs Schulter sinken, immer noch unfähig, ihre Gedanken alle in Worte zu fassen. Deshalb deutete sie auf ihr Handy, die Nachricht von Steinunn war noch auf dem Display zu lesen. Liv überflog die Nachricht und ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus.
„Hey, das ist doch gut, oder? Ich glaube, eine bessere Hilfe als deine Schwägerin kannst du gar nicht bekommen.“
Julia zuckte nur kraftlos mit den Schultern. Sie wusste ja nicht einmal, ob sie Hilfe bekommen wollte. Mit aller Kraft hatte sie Steppi aus ihrem Leben verdrängt und ob sie ihn dann noch liebte, darüber musste sie sich erst einmal klar werden. Genau das erklärte sie Liv dann auch, stockend und zögerlich, aber stetig.
Liv hatte Mühe, dem stockenden Deutsch zu folgen, aber sie ahnte schon, was Julias Probleme waren. Und obwohl Steppi ein riesiger Vollidiot gewesen war, interessierte Liv nicht nur, wieso er es gemacht hatte, sondern sie war auch der Meinung, dass die beiden immer noch ein schönes Paar waren.
Als Julia geendet hatte, ergriff Liv das Wort.
„Ich weiß, was du meinst, aber mal ehrlich, interessiert es dich nicht, was Steinunn vielleicht weiß? Ich würde ja zu gerne wissen, was Steppi erfahren hat, dass er dich rauswirft. Niklas kriegt nichts aus ihm raus, das könnte die Chance sein. Wenn du ihn schon nicht wieder zurück willst, das ist ganz deine Entscheidung natürlich. Aber ich würde mich mit Steinunn treffen wollen. Wer weiß, was sich daraus noch alles ergibt.“
Nachdenklich betrachtete Julia die Maserungen des Parkettbodens. Eigentlich hatte Liv recht. Sie war neugierig, wieso Steppi sie aus dem Haus geworfen und sich von ihr getrennt hatte, das konnte sie nicht leugnen. Aber gleichzeitig hatte sie Angst davor, alles zu erfahren. Was, wenn sie vor Steinunn einfach losheulte, weil ihr alles zu viel war? Das wäre ihr zu peinlich gewesen.
Julia wog die beiden Dinge gegeneinander ab und schließlich siegte die Neugier. Ob sie Steppi dann überhaupt zurück wollte, war ein anderes Thema.
„Na gut, du hast eigentlich recht. Ich schreibe Steinunn gleich eine SMS zurück, vielleicht bin ich nach dem Treffen dann schlauer.“
Glücklich, dass Julia eine Entscheidung getroffen hatte, hastete Liv zur Toilette, denn die Übelkeit war schon wieder schlimmer geworden. Wenn ihr das jemand vor der Schwangerschaft gesagt hätte, hätte sie es sich vielleicht noch einmal anders überlegt.
Der Gallengeschmack in ihrem Mund war eklig, aber da sie heute noch nicht viel gegessen hatte, konnte auch nicht viel wieder herauskommen. Glücklicherweise war der Anfall auch so schnell vorbei und Liv spritzte sich ein wenig Wasser ins Gesicht, um wieder frischer zu wirken.
Wieder zurück in der Küche hatte sich Julia auf ihr Handy konzentriert und saß am Küchentisch.
„Und, gibt es schon was Neues?“, fragte Liv, die Stimme immer noch ein wenig schwach.
„Ja, ich habe ihr geschrieben, dass ich mich freue von ihr zu hören und dass wir uns gerne bald mal treffen können. Steinunn ist in ein paar Tagen am Frankfurter Flughafen wegen der Arbeit und hat dort einen halben Tag Aufenthalt, da könnten wir uns aussprechen. Ich würde zusagen, was meinst du?“.
Liv nickte bestätigend. „Sag zu, das klingt gut. Der Ort ist ziemlich neutral, das schadet auch nicht. Wann ist das dann?“.
„Am...“, Julia warf noch einmal einen Blick in die SMS, „am Dienstag nächste Woche, Mittags. Dann musst du dich da wohl alleine um Essen kümmern, sorry.“
„Kein Thema, solange wir uns jetzt mal um das Essen kümmern. Ich habe verdammt großen Hunger gerade, nachdem mein Magen jetzt völlig leer ist.“
Julia tippte noch schnell die SMS zu Ende, dann stand sie auf.
„Na gut, leg dich wieder hin, ich kümmere mich jetzt drum. In ein paar Minuten hast du deinen Haferschleim, versprochen. Ruh dich aus.“
Liv lächelte dankbar und ging ins Wohnzimmer, um sich wieder in die Decke einzukuscheln. Insgeheim hoffte sie, dass Julia noch eine Weile bleiben würde, denn so umsorgt zu werden, war einfach schön.