Hätten die beiden gewusst, dass Heiraten so viele Nerven kosten würde, hätten sie es vielleicht doch gelassen. Wenigstens war jetzt der schlimmste Teil vorbei: Julia hatte ja gesagt, die meisten Gäste hatten uns schon gratuliert, jetzt waren vor der Feier also nur noch Fotos zu machen.
Steppi stand so dicht neben seiner Frau wie es ihr Brautkleid zuließ und nahm gerade noch von Jenny und Sandra Glückwünsche entgegen. Wir hatten ziemlich viele Handballer eingeladen, auch Uwe gehörte dazu. Steppis ganze Familie, Julias Eltern, ihre Oma und ihre beiden liebsten Arbeitskolleginnen, Wiebke und Sandra. Das klang irgendwie weniger, als es tatsächlich waren.
Als dann alle Beglückwünschungen erledigt waren, hatten sie noch gute zehn Minuten Zeit, bis ihr Oldtimer kommen und sie zu ihrem Fotoshooting fahren würde.
Stolz hauchte Steppi Julia einen Kuss auf die Schläfe, die sich dann lächelnd zu ihm wandte und die Hände mit seinen verschränkte. „Ich habe dir noch gar nicht sagen können, dass du wunderschön aussiehst“, murmelte sie leise und Steppi wurde tatsächlich ein bisschen rot dabei.
Vorsichtig löste er eine seiner Hände, streichelte sanft über die Wange und küsste Julia dann innig. „Niemand auf der Welt ist heute schöner als du, Prinzessin“, hauchte er zurück, dann küsste er sie wieder auf die Stirn.„Warst du auch so nervös wie ich vorher?“, fragte sie dann. Steppi grinste. „Mindestens, bestimmt. Ich bin froh, dass alles jetzt mehr oder weniger vorbei ist und wir tatsächlich verheiratet sind.“
„Stimmt. Nur schade, dass wir so wenig Zeit hatten, alles vorzubereiten. Zum Glück haben wir noch ein Restaurant mit Catering gekriegt… meine Nerven schonwieder.“
„Nicht aufregen“, versuchte Steppi sie schnell zu beruhigen. Behutsam legte er eine Hand auf ihren Bauch und küsste sie auf die Haare. „Es hat alles noch geklappt, alles ist gut. Reg dich nicht auf, das ist nichts für den Mini.“
„Du gehst davon aus, dass es ein Junge wird?“, fragte Julia überrascht.
„Klar“, antwortete Steppi voller Überzeugung. Ihm war es eigentlich egal, aber wenn er es sich hätte wünschen können, hätte er mittlerweile gerne einen Jungen gehabt.
„Mal schauen, mit was der Zwerg uns bei der Geburt überrascht“, meinte Julia nur. Sie wünschte sich ein Mädchen und die beiden kabbelten sich ab und zu deshalb. Sie hatten sich dazu entschieden, sich bei der Geburt überraschen zu lassen, zumindest bisher hielten sie das Warten noch aus.
„Darf man das Brautpaar stören?“, störte die beiden eine männliche Stimme, die zu Lexi gehörte. Sie wandten sich ihm beide zu und Steppi hätte gerne ‚nein‘ gesagt, aber er wollte bestimmt etwas wegen der Organisation besprechen.
„Was gibt’s?“, fragte er deshalb seufzend.
„Sollen wir schon mal vorfahren zum Restaurant? Euer Wagen müsste doch gleich kommen, dann könnten ich und Eivor noch ein paar Dinge organisieren. Der Rest der Gäste kann Niklas und Harald nachfahren, ihre Mädels wissen ja auch Bescheid.“
„Ja, macht das doch, wir gehen auch gleich los. Unser Wagen müsste jeden Moment da sein“, meinte Julia und wies mit der Hand auf die Straßenecke. Lexi nickte und ging wieder, wahrscheinlich jetzt zu seinem Auto.
Kaum war das Gespräch beendet, bog tatsächlich ihr Hochzeitswagen um die Ecke: Ein weißer Porsche speedster mit einem Strauß roter Rosen auf der Haube. Die Leute merkten es relativ schnell und ein Raunen ging durch die Menge, vereinzelt gab es schon für den Wagen Applaus.
Maik, der Fahrer hatte sich ebenfalls in einen Anzug geschmissen und half mit Steppi gemeinsam, Julia samt Brautkleid in das Cabrio zu kriegen. Keine einfache Aufgabe, aber schließlich saß sie und Steppi quetschte sich irgendwie dazu.
Hupend und unter Applaus und Geschrei fuhr sie Maik davon. Für das Fotoshooting hatten sie sich eine kleine Burgruine mit viel Grün ausgesucht, dort würde der Hochzeitsfotograf schon warten, wenn sie ankamen. Bis dahin war aber erst mal die Autofahrt zu bewältigen.„Herzlichen Glückwunsch euch beiden noch“, gratulierte ihnen Maik, aber Steppi winkte ab. Jetzt war ich endlich froh, mal Ruhe zu haben. „Danke, danke.“
Maik und Julia redeten ein paar Takte über die Trauung, während Steppi sich auf der gemütlichen, beigen Ledersitzbank zurücklehnte und die Augen schloss. Er war gerade ziemlich müde und hätte nicht übel Lust gehabt, die Feier sausen zu lassen. Vielleicht konnte er jetzt wenigstens kurz dösen. Aber Moment, irgendwas war noch mit der Feier… irgendwas musste er Julia dringend noch sagen! Aber was war es noch?
Angestrengt versuchte er sich zu erinnern, um was es ging. Die Trauung war vorbei, darum war es nicht gegangen. Irgendwas mit der Feier. Das Essen vielleicht? Nein, das war es nicht. Irgendwas mit den Plätzen? Nein, irgendwie auch nicht. Dann fiel es ihm wieder ein und er stöhnte leise auf.
Davon wurde das Gespräch zwischen Julia und Mike unterbrochen und sie sah ihn fragend an. Er nahm ihre Hand und drückte sie kurz. „Ich muss dir dringend noch was Wichtiges erklären, bevor es mit der Feier los geht, das habe ich fast vergessen“, erklärte ier sich und hatte damit ihre volle Aufmerksamkeit seiner frisch angetrauten Frau.
„In vielen nordischen Ländern ist es üblich, dass man Braut oder Bräutigam küssen darf, sobald die andere Hälfte nicht im selben Raum ist. Also muss ich auf die Toilette, kommen die Jungs zu dir, musst du, kommen die Mädels zu mir. Lexi und ich haben vorher nicht drüber gesprochen, aber ich bin mir sicher, dass keiner den Brauch sein lässt.“
Julia runzelte skeptisch die Stirn. „Ja… und was machen wir da? Rennen, damit uns keiner erwischt? Sicher nicht in diesen Schuhen.“
„Wir sind einfach immer im selben Raum, von mir aus auch die Toilette, aber sie machen es hoffentlich nicht allzu streng. Das darfst du nur nicht vergessen. Ich will nicht, dass es dich überfordert und stresst, weil…“.
Lächelnd hob Julia die Hand, um Steppi zum Schweigen zu bringen.
„Ja, wegen dem Baby, ich weiß. Danke, dass du es mir gesagt hast, Schatz. Das kriegen wir schon hin. Und ich bin nicht gestresst. Mach dir nicht immer so viele Gedanken.“
Steppiwollte noch etwas dazu sagen, aber Julia legte ihm sachte ihre Finger auf den Mund und brachte ihn damit zum Schweigen. „Es ist alles erledigt, ist gut, Steppi. Lass uns jetzt erst Mal noch die Ruhe bei den Fotos genießen.“
Inzwischen hatten sie die Kulisse erreicht, auf der auch schon Nils, ihf Fotograf herum wuselte. Er verteilte Steine, schob sie weg, schnitt Grasbüschel zurecht, nahm aus verschiedenen Positionen Maß, er war vollauf beschäftigt.
Mit der Hilfe von Mike stieg Julia vor Steppi aus dem Auto, dann kam er und atmete erst einmal wieder tief durch. Die frische Luft und die Stille tat gut. „Komm doch einfach zugucken Mike, du musst nicht im Auto sitzen bleiben“, bot er dann an und Mike folgte ihnen nickend.
Sie machten ihn schnell mit Nils bekannt, dann scheuchte dieser die beiden auch schon durch die Ruine. In jeder geforderten Position machte er etliche Fotos und sowohl Steppi als auch Julia fiel es langsam schwer, zu lächeln. Nicht, weil sie nicht glücklich waren, sondern weil man langsam Muskelkater davon bekam.
Nach einer langen Fotosession an verschiedenen Plätzen der Ruine, vor Mauern, hinter Mauern, durch Fenster, ließ sie Nils endlich auf einer großen Decke sitzen. Als hätte er Maß genommen, passte selbst Julias großer Rock darauf, ohne dreckig zu werden.
Während Nils an den Kameraeinstellungen herum fummelte, legte Steppi den Kopf auf Julias Schulter und seufzte, sie kraulte ihm vorsichtig durch die Haare. „Ich habe Muskelkater vom Lachen, glaubst du mir das“, heulte er leise.
„Glaube ich dir. Wir haben es bald geschafft. Ich glaube, das sind die letzten Aufnahmen, die Nils machen will. Ich hoffe es zumindest. Ich kann in den Schuhen echt nicht mehr stehen, ich bin schon froh, dass wir jetzt sitzen.“
Vor uns schien sich Nils mit Mike zu beraten, welche Einstellungen wohl gut wären. Naja, wenn man Hochzeitspaare chauffierte, hatte man vielleicht auch ein bisschen Ahnung von deren Fotos, das musste ich ihm zugestehen.
„Hoffentlich quatschen die beiden noch ein bisschen. Am liebsten würde ich mit dir hier liegen bleiben. Außerdem sieht dein Kleid bequem aus“, grinste Julia und nickte zu dem großen Rock.
Julia sah in ihrem Kleid aus wie aus einer anderen Zeit, wäre es bunt gewesen, hätte es super an einen französischen Hof des Mittelalters gepasst, so stellte sich Steppi das jedenfalls vor. Rock und Unterrock erinnerten ihn an diese riesigen, wunderschönen Kleider.„Fass das Kleid bloß nicht an“, fauchte seine Frau und er lachte leise. „Schon gut, ich habe nichts gesagt. Ich liebe dich.“
Dann küsste er sie lange, streichelte dabei mit beiden Händen über ihr Gesicht, darauf bedacht, ihre Haare nicht anzufassen – das konnte sie nämlich auch überhaupt nicht leiden.
„Seid ihr dann bald fertig und wir können weitermachen?“, unterbrach sie Nils‘ Stimme und er gab Julia noch einen letzten, kurzen Kuss. Sie lächelte wieder, wenigstens hatte Steppi sie besänftigt.
„Ja, mach weiter, wir sind fertig!“, rief Julia ihm zu, dann drehte sie sich wieder zur Kamera. Inzwischen war Nils schon angerauscht gekommen und zupfte an ihrem Kleid herum. Jede Falte legte er akribisch genau so wie er sie brauchte. Nach einer gefühlten Ewigkeit war er zufrieden und joggte zum Stativ zurück.
„Zum Glück heiraten wir nur ein Mal“, hörte Steppi Julia seufzen und grinste kurz. Zu ihr zu schauen wagte er nicht, bevor Nils uns wieder tadeln würde.
„Zumindest reichen ein Mal Fotos“, raunte er aus dem Mundwinkel zurück und Julia lachte ebenfalls leise. Dann wurden siejedoch beide von Nils zurecht gewiesen, wieder schön in die Kamera zu gucken.
Steppi legte meine Hand über die seiner Frau, die kleine Geste schien Nils entweder nicht zu stören oder nicht zu bemerken. Jedenfalls beruhigte sie ihn wahnsinnig, gerade als Julia ihre Finger mit seinen verschränkte.
„Ich liebe dich“, nuschelte sie ihm zu.
"Ich liebe dich auch", raunte er tonlos zurück.