»Nein!«, entschieden verschränkte Mathieu die Arme vor der Brust, als Antwort auf die Aufforderung seines Vaters, beim Einräumen der Getränke für die Party zu helfen. Es war Donnerstag Nachmittag und die gepackten Koffer der Grantaines standen bereits im Foyer, sie würden am nächsten Vormittag ein Flugzeug nach Paris besteigen. Auguste hatte es sich jedoch nicht nehmen lassen, für sein kleines Mädchen eine ganze Wagenladung der unterschiedlichsten Erfrischungsgetränke zu besorgen, unter anderem sogar einige Kästen Bier. Er schien wirklich zu glauben, dass das alles an Prozentigem sein würde, das Celeste und ihre Gäste konsumierten. Doch Mathieu wusste es besser. Seine Schwester hatte den Bruder Margerites angewiesen, hartes Zeug zu besorgen. Fast hatte der Jugendliche das Bedürfnis, Celeste zu verpetzen, doch das würde ohnehin nichts bringen, also musste sie durch den Alkoholkater und sämtliche Konsequenzen eben durch.
»Wie bitte?«, fuhr der Jurist seinen Sohn an.
»Nein. Ich werde nicht helfen! Es reicht, dass ich den Affenzirkus beaufsichtigen soll. Das ist mir genug Arbeit. Was mit dem Suff und dem Essen wird, ist mir egal.« Die Haushälterin der Grantaines hatte zu dem Anlass mehrere Schüsseln verschiedener Salate gemacht und würde, bevor die Party Freitagabend steigen sollte, noch andere Snacks zubereiten. Auch wenn es ihr aufgrund der strengen Ader ihres Arbeitgebers so ziemlich unmöglich war, sich gegen eine Anweisung auszusprechen, war sie genauso wie der Sohn des Hauses nicht mit der Fete einverstanden, denn sie sah, ebenso wie Mathieu, die ganze Arbeit beim Aufräumen und Putzen hinterher an sich hängenbleiben. Natürlich wurde sie dafür wenigstens bezahlt, aber Lust, einen Teenagersaustall sauber zu machen, hatte sie deswegen dennoch keine.
»Du hast genauso etwas von den Sachen, also fass’ gefälligst mit an!«
»Weißt du, Papa, wenn ich könnte, würde ich morgen Abend gar nicht hier sein. Also bringt das Argument nichts. Ich wollte die Party nicht haben, schon gar nicht, wenn ich allein die Verantwortung habe. Und die allein reicht mir vollkommen. Ich sage immer noch, ihr hättet es ein andermal machen können und vielleicht einen Club dafür mieten oder so. Man wird ja schließlich nur einmal Sechzehn, nicht wahr?« Der Jugendliche zog sarkastisch den Mundwinkel hoch, als sein Vater wegen des Seitenhiebs leicht zuckte.
»Ich habe jedenfalls zu tun. Nächste Woche steht eine schwierige Klausur in Mathe an und da ich das Wochenende nicht zum büffeln kommen werde, tue ich es jetzt. Frag’ doch Celeste, ob sie hilft. Es ist ihre Party.«
Auguste richtete sich auf und starrte seinem Jungen streng in die honiggoldenen Augen, doch ein Argument gegen das Lernen hatte er nicht vorzuweisen, ohne seinen eigenen Grundsätzen zu widersprechen. Und Mathieu wusste das. Der drehte sich, immer noch frech vor sich hinlächelnd, um und stieg die Treppe hinauf, während sein Vater ihm nachsah.
Dass der Junge Widerworte gab und sich in einer Tour quer stellte, war der Mann nicht gewöhnt und es passte ihm auch nicht. Doch da er wenig Zeit hatte, die Einkäufe ins Haus zu schaffen, beließ er es vorerst dabei. Er würde Mathieu schon zeitig genug den Kopf wieder zurechtrücken.
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Der Schulsprecher hingegen schloss die Tür hinter sich und atmete tief durch. Ein selten gespürtes Gefühl des Stolzes wallte in ihm auf und er lachte leise. Er hatte sich verweigert, erfolgreich, und war herum gekommen um das verhasste Helfen. Sollte doch seine Schwester mal schwitzen.
Der Jugendliche setzte sich auf das Bett und sah einen Moment an die Wand. Wenn es nicht gerade Celestes Fete wäre und ausgerechnet in ihrem Zuhause stattfinden würde, wäre Mathieu sogar ganz scharf darauf. Er war noch nie wirklich auf irgendwelchen privaten Partys gewesen, auch wenn er in der Schule allgemein bekannt und auch recht beliebt war. Vermutlich hatte er einfach zu oft abgesagt, wenn er mal eingeladen worden war.
Aber das spielte eigentlich auch gar keine Rolle, solange er nur morgen Abend irgendwann mit Lucien in seinem Zimmer verschwinden konnte. Sollte Celeste die Probleme, die sie zweifellos irgendwann bekommen würde, doch allein lösen. Sie verursachte sie ja schließlich auch.
Grinsend setzte Mathieu sich an seinen Schreibtisch und nahm die Schulsachen heraus. Das Lernen war keine Ausrede gewesen, denn LeBears Matheklausuren waren grausam. Der Jugendliche hatte gerade das Buch aufgeschlagen, als sein Handy piepste.
»Was hast du an?«, fragte die Nachricht von Lucien und dieses Mal hatte er nicht das schüchterne Äffchen-Emoji hinzugefügt, sondern eines, was frech lächelte.
»Ich das hier«, folgte auf den ersten Text, dazu kam ein Bild. Der Rothaarige hatte sich auf seinem Bett liegend fotografiert, nur in Shorts.
Mathieu spürte, wie ihm die Hitze ins Gesicht stieg und er nervös kichern musste.
»Heiß. Geht das auch mit weniger Stoff?«, tippte er zurück, schluckte und schickte es ab, bevor er die Augen schloss und leise fluchte.
»Willst du echt?«, fragte Lucien zurück.
»Nein! Das war ein Scherz, sorry.« Diesmal benutzte der Blonde den schüchternen Affen und gluckste leise vor sich hin.
»Kann ich machen. Darfst es nur nicht zeigen.«
»Bitte keine Dickpics, echt nicht!« Mathieu musste lachen und das Klopfen seines Herzens fühlte sich wunderbar an.
»Also lieber ein Video? Ich bin gerade in der Stimmung.« Wieder das freche Grinse-Emoji. »Ich bin allein zuhause und mir ist langweilig.«
»Haaaa«, keuchte der Schulsprecher und rieb sich über den Kopf. Dieser Kerl würde eines Tages der Grund sein, warum Mathieu explosionsartiges Nasenbluten bekam!
»AUCH KEIN VIDEO! Gott, mach’ das nicht mit mir, Mann!«
»Achso, du willst es lieber live. Versteh’ ich, ist viel geiler, wenn man nicht nur zusehen, sondern auch anfassen kann.«
Der Blonde lachte und konnte förmlich den Ton in der Stimme Luciens hören, mit dem er das gesagt hätte. Dann hätte er frech gegrinst und gezwinkert.
»Genau«, schrieb Mathieu zurück und legte das Handy an die Seite. Eine ganze Weile kam nichts weiter und der Jugendliche hatte den leisen Verdacht, dass der Rothaarige sich tatsächlich gerade auf sehr körperliche Weise die Langeweile vertrieb.
Mit glühenden Wangen und sich zwingend, sich das nicht bildlich vorzustellen, starrte Mathieu auf das Mathebuch. Der Umstand, dass er wusste, wie Lucien so ganz ohne Klamotten aussah, machte es ihm nicht gerade leichter. Wenn er vor ein paar Wochen im Camp bereits gewusst hätte, wie sich das Ganze einmal entwickeln würde, hätte er den Blick abgewandt, wann immer sie zusammen unter der Dusche gestanden hatten.
Mathieu stöhnte leise und lehnte sich an seinen Stuhl.
»Na toll«, schrieb er Lucien, »jetzt kann ich mich nicht mehr auf Mathe konzentrieren, dabei wollte ich lernen.«
»Dickception, Baby«, piepste es keine dreißig Sekunden später. »Lernen ist kacke.«
»Ich dachte, du holst dir einen ‘runter«, antwortete Mathieu mit einem spitzbübischen Grinsen im Gesicht.
»Ich bin fertig«, folgte darauf, zusammen mit einem errötenden Emoji.
Der Blonde lachte laut auf. »So schnell?«
»Hab’ mir dich beim Duschen vorgestellt. War nicht schwer.«
»Du bist eine Sau.«
»Was denn? Sag’ mir nicht, dass du nicht daran denkst, dass wir zusammen geduscht haben. Zwei Mal!« Mathieu konnte Lucien förmlich lachen hören und bedauerte, dass es nicht wirklich so war. Der Rothaarige lachte für den Geschmack des Blonden viel zu selten aus vollem Hals.
»Ich hol’ mir keinen darauf ‘runter.«
»Das ist ein Jammer, das solltest du ändern. Ich stell’ mich gern als deine Wichsvorlage zur Verfügung.«
»Ja, morgen dann«, tippte Mathieu zurück und merkte erst dann, was er Lucien da quasi versprochen hatte.
»Ich nehm’ dich beim Wort, Baby.«
»Du fehlst mir«, schrieb der Schulsprecher und zögerte einen Moment, bevor er auf Senden drückte. Irgendwie war es immer noch, trotz all der zärtlichen und auch leidenschaftlichen Momente zwischen ihnen, ein ungewohntes Gefühl, dem Rothaarigen solche Dinge zu sagen. Auch wenn sie wahr waren.
»Komm’ her?«
»Ich kann nicht ... ich hab’ meinem Vater gesagt, ich lerne, damit ich nicht beim Getränkekisten schleppen helfen muss. Wenn ich jetzt gehe, reißt er mir den Arsch auf.«
»Wäre doch schöner, wenn ich das mache, oder?«
»Oh Gott«, keuchte Mathieu und lachte. »Bestimmt. Vor allem sanfter«, schrieb er.
»Das kann ich versprechen. Gut, dann lerne auch. Ich hau’ mich ‘ne Runde aufs Ohr.«
»Geht’s dir gut?«
»Joa, passt schon. Deine Glückshormone wirken noch«, antwortete Lucien mit einem Smiley und einem Herzchen.
Der Puls des Blonden beschleunigte sich für einen Moment. »Ich freu’ mich auf morgen.«
»Schule oder Party?«
»Beides. Oder auch nichts davon, aber ich freu’ mich auf dich.«
»Ich mich auch.«
Mathieu legte das Handy an die Seite und atmete tief durch. Es fiel ihm schwer, sich auf die Übungsaufgaben zu konzentrieren, doch er wäre nicht er gewesen, wenn es ihn irgendwann nicht doch gepackt hätte. So büffelte Mathieu, bis ihn seine Mutter schließlich zum Abendessen rief.
Überrascht hob er den Kopf und sah auf die Uhr. Es war beinahe Acht und bereits dunkel draußen. Er erhob sich und streckte den Rücken durch, bis es leise knackte.
»Au«, wisperte er leise. Hunger hatte er inzwischen auch bekommen und so beeilte er sich, nach unten zu kommen.
»Na, hast du schön gelernt?«, schnaubte Celeste ihm entgegen. Sie sah aus, als wäre sie in eins von Papillons Häufchen getreten.
»Was ist denn mit dir? Klar hab ich gelernt.«
»Aha, ich hab’ dich lachen hören.«
»Und?« Mathieu setzte sich an den Tisch und musterte seine Schwester. »Was sagt das?«
»Dass du dich gedrückt hast und ich deswegen deine Arbeit machen musste, das heißt es!«, fauchte das Mädchen.
Der Blonde machte große Augen und schüttelte den Kopf. »Nein, nein, Prinzessin, so nicht. Es ist nicht meine Aufgabe, deine Feier vorzubereiten und du bist nicht so zart, dass du keine Kisten tragen könntest. Also halt’ mich da raus. Ich hab’ nächste Woche ‘ne Klausur bei LeBear, die über meinen Durchschnitt im ersten Trimester entscheidet, also sei’ ja ruhig! Wegen dir fehlt mir mindestens der Samstag zum Lernen.«
»Wer hat dir denn so was wie Selbstvertrauen gegeben, dass du dich so aufspielst?« Celeste stützte ihren Kopf auf den Handballen und zog die Augenbrauen hoch.
»Das muss mir niemand geben! Ich bin Schulsprecher, das lernt man. Und jetzt lass’ mich, ich will in Ruhe essen und dann weiterlernen.«
»Ich will euch auch raten, euch hier nicht weiter anzufauchen, sonst fliegt ihr beide raus. Auf solches Theater meiner Kinder habe ich heute Abend keinen Nerv mehr«, knurrte Auguste, der seine Zeitung beiseite gelegt und sich von der Wohnlandschaft erhoben hatte. Mit einem strengen Blick sowohl für seinen Sohn als auch für seine Tochter nahm er am Esstisch Platz und schob sich die Ärmel seines eleganten Pullis nach oben, während Madame Grantaine das Essen aus der Küche herüber trug.
»Na, vermutlich hast du dich selbst mit einem deiner unlustigen Witze zum Lachen gebracht, tut ja sonst niemand«, feixte das blonde Mädchen spöttisch.
»Wenn du das sagst.« Wenn sie wüsste, wie sehr Lucien über Mathieus Scherze lachen konnte, würde sie vor Neid grün werden.
»Ruhe jetzt!«, fauchte Monsieur Grantaine dazwischen. Der Jugendliche zuckte mit den Schultern und beschloss, Celeste einfach zu ignorieren. Morgen beim Frühstück würde er vielleicht fünf Minuten nett zu ihr sein müssen, weil sie Geburtstag hatte, doch bis dahin hatte er noch Zeit, die er nicht mit ihr verschwenden wollte.
Eigentlich hatte er auch keinen Elan zum Lernen mehr. Er wollte ins Bett, unter seine Decke und noch ein wenig mit Lucien texten. Denn eigentlich war er es, der den Blonden zum Lachen gebracht hatte. All die kleinen zotigen Anspielungen auf all die Dinge, die sie miteinander machen könnten, aber nicht mussten, waren köstlich und sinnlich und gleichzeitig urkomisch gewesen. Und Mathieu wollte noch viel mehr davon.
»Wolltest du nicht in Ruhe essen?«, rügte ihn sein Vater und der Blonde merkte, dass er tatsächlich eher geschlungen als normal gegessen hatte.
»Verzeihung, ich bin nur so hungrig. Und total müde.« Der Jugendliche leerte seinen Teller und stellte alles zusammen. »Darf ich aufstehen?«
Auguste nickte nur knapp und der Blonde brachte sein Geschirr in die Küche, wo er es in den Spüler stellte. Grinsend verließ er den Raum durch die zweite Tür, sprang die Treppe hoch und schnappte sich in seinem Zimmer das Handy, das noch immer auf dem Schreibtisch lag. Mathieu hatte sich noch nie zuvor so viel damit beschäftigt wie seit dem Tag, an dem er und Lucien offiziell geworden waren. Inoffiziell offiziell. Nur für sie beide.
»Schläfst du immer noch?«, tippte er dem Rothaarigen eine Nachricht. Der Jugendliche lächelte unwillkürlich, als er sah, dass Lucien online kam.
»Neee, Grantaine. Gab’ gerade Abendessen. Auflauf. Voll geil. Mir ist schlecht, aber das war’s wert!« Der Übelkeitsemoji war ein wenig besorgniserregend, doch das Grinsesmiley machte das wett.
»Ich geh’ jetzt ins Bett. Kommst du mit?«
»Schön wär’s, auch wenn du dann nicht so schnell zum Pennen kommen würdest.«
Mathieu lachte leise, legte das Telefon an die Seite und entledigte sich seiner Jeans und des Pullis.
»Vergiss’ nicht, dir artig die Zähne zu putzen vorm Schlafen«, piepste das Handy, während der Blonde die Klamotten für den nächsten Tag herauslegte und seine Tasche packte. Er lachte, denn Lucien hatte eine wilde Auswahl an Badezimmeremojis angehängt.
»Dasselbe gilt für dich. Keiner mag Pupsatem, deine Worte!«
»Ich hab’s nicht vergessen und ich bin dabei.« Lucien schickte ein Bild hinterher, eins dieser typischen Badezimmerspiegel-Selfies, nur dass er darauf keine alberne Pose machte, sondern mit zerzausten Haaren und einer Zahnbürste im Mund zu sehen war. Ein Peace-Zeichen und ein feines Grinsen waren alles, was im Entferntesten an Posing erinnerte.
»Viel zu viele Klamotten«, antwortete Mathieu prustend.
»Mach’ so weiter, Grantaine und ich weck’ dich morgen nach dem Duschen mit einem Bild, bevor ich mich angezogen habe!« Ein fetter Grinsesmiley nahm den Worten die Schärfe.
»Sexy.«
»Worauf du dich verlassen kannst, Baby.«
Der Schulsprecher verschwand kichernd im Badezimmer, um sich für die Nacht vorzubereiten und als er schließlich im Bett lag, schlug die Müdigkeit wie eine Welle über ihm zusammen. Er streckte sich und gähnte so sehr, dass ihm die Augen zu tränen begannen.
»Lust auf ein Spielchen?«, meldete sich das Handy wieder.
»Welches denn?«
»Ich gebe dir ein paar Anweisungen, du befolgst sie und sagst mir dann, wie es war. Okay?«
Mathieu rieb sich die Lider und japste schließlich, als er las, was Lucien geschrieben hatte. Die Hitze im Bauch breitete sich bis in die Zehen aus, doch der Blonde beschloss, dass nichts dabei war. Millionen Jungs in seinem Alter machten es. Er tat das, was der Rothaarige geschrieben hatte und es dauerte nicht lange, bis Mathieu heftig zusammenzuckte, ein intensives Erschaudern seinen Körper erfasste und er das Gesicht in sein Kopfkissen presste, damit ihn niemand hören konnte.
»Mein Gott!«, tippte er schließlich einen Text an Lucien, als er sich wieder einigermaßen gefangen hatte.
»Fertig?«
»Ja ...«
»Gut?«
»Besser. Aber schöner noch, wenn du dabei bist.« Mathieu atmete schwer und streckte sich wohlig.
»Das stimmt. Aber gern geschehen. Du schläfst jetzt noch besser. Gute Nacht.« Der Kusssmiley ließ den Blonden leise auflachen. Lucien konnte so unglaublich süß sein, das würde ihm nie jemand glauben.
»Gute Nacht.«