Als Mathieu, der erst nach Celeste Schulschluss gehabt hatte, nach Hause kam, waren seine Schwester und deren Freundinnen dabei, das Haus der Grantaines für die Party vorzubereiten. Die Haushälterin der Familie war offenbar den Vormittag über damit beschäftigt gewesen, etwas zu schmücken, denn das Foyer und auch das Wohnzimmer waren mit pinkfarbenen und silbernen Luftballons dekoriert und der Esstisch, an dem die Familie jede Mahlzeit gemeinsam einnahm, war an die Seite gerückt worden, um darauf später die Salate und Snacks anzurichten, die vermutlich in etlichen Tupperdosen den Kühlschrank verstopften.
Die Mädchen schoben gerade weitere Möbel an die Seite, um genug Platz zum Tanzen zu haben, als der Blonde die schwere Haustür zufallen ließ.
»Na super«, brummte dieser lustlos, denn schon jetzt plärrte laute Musik aus den Boxen der teuren Anlage, an die Celeste ihren Computer angeschlossen hatte. Das Kichern der Mädchen verhieß ihm nichts Gutes und bevor sie auf dumme Gedanken kommen konnten, verzog er sich nach oben. Er würde noch früh genug mit ihnen und ihren Klassenkameraden und so ziemlich der halben Oberstufe des Lycée zu tun haben, denn Celeste hatte jeden eingeladen, der in ihren Augen halbwegs cool war.
Mathieu hatte, auch um seine Schwester etwas zu ärgern, auch Anais und ihre beiden Freundinnen Josephine und Violette auf die Party eingeladen. Wenn er diesen Zirkus schon in seinem Zuhause ertragen musste, dann konnte er auch Leute dazu holen, die er mochte und die ihn nicht wie einen Clown behandelten.
Die Lippen schürzend stand er vor seinem Schrank und überlegte, was er anziehen sollte. Aus einem irrationalen Grund wollte er gut aussehen, doch schließlich seufzte er. Er hatte nichts, was ihn irgendwie gut aussehen ließ, egal was er herauszog, er würde doch immer den Eindruck machen, ein Lehrer zu sein. Doch dann lächelte er. Ganz unten in dem Fach mit seinen Oberteilen fand er ein Shirt, das seine Mutter ihm einmal gekauft hatte, das er aber noch nie getragen hatte, weil es einfach nicht sein Stil war. Doch warum sollte er nicht mal etwas anderes ausprobieren? Zusammen mit einer dunkelblauen Jeans und einem Gürtel legte er das T-Shirt auf den Schreibtisch. Wenn er noch duschen gehen wollte, musste er es jetzt tun. Sobald Celeste und ihre Freundinnen sich für ihre Schminkorgien auf die drei Badezimmer des Hauses verteilten, hätte er keine Chance mehr.
Mathieu lauschte auf das Gelächter im Salon und es schien, als feierten die Mädchen bereits jetzt. Vor sich hin brummend verschwand er im Badezimmer und schloss hinter sich ab. Er konnte gut und gern darauf verzichten, dass eines der Mädels im Raum stand, während er nichts anhatte, denn er brauchte weder ein Kreischkonzert noch ihr dummes Gekicher.
Wenn es nicht sicher wäre, dass Lucien den Abend hier verbringen würde, hätte Mathieu sich nur zu gern auch in seinem Zimmer eingeschlossen und den Trubel einfach verschlafen. Ob es an der aufregenden und kräftezehrenden Vorfreude auf den Rothaarigen lag oder an der Ablehnung seinerseits, was diese ganze Partykiste anging, konnte Mathieu nicht sagen, doch er war fürchterlich müde. Das beste wäre es, bis zum Abend im Bett zu bleiben. Ein Vorhaben, was er augenblicklich in die Tat umsetzte, kaum dass er aus der Dusche raus und wieder in seinem Zimmer war. Er musste fit sein, wenn er so viel Zeit wie möglich mit Lucien haben wollte heute Nacht.
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Der Blonde schreckte hoch, als ein lautes Lachen durch den Flur vor seiner Türe schallte und rieb sich den Kopf. Er war trotz des Krachs, den Celestes Musik im ganzen Haus verursachte, eingeschlafen und sah etwas verkatert auf die Uhr. Es war noch nicht ganz Acht. Zu um Neun waren die Gäste eingeladen und offenbar waren die Mädchen gerade dabei, sich selbst vorzubereiten. Selbst in seinem Zimmer konnte der Jugendliche den Geruch von Haarspray wahrnehmen. Sich wohlig streckend stand er auf und drückte den Rücken durch. Er fühlte sich viel besser als noch am Nachmittag, auch wenn er sich unbedingt noch einmal die Zähne putzen wollte. Rasch schlüpfte er in die bereits ausgesuchten Klamotten und musterte sich anschließend im Spiegel. Es fühlte sich ungewohnt an, kein locker sitzendes Hemd über dem Shirt zu tragen, doch Mathieu riss sich zusammen und verließ sein Zimmer.
»Puh«, presste er hervor, als er in den Flur trat. Die Wolke aus Parfum, Haarspray und irgendwelchen anderen Düften raubte ihm beinahe den Atem und er linste vorsichtig um die Ecke der offenstehenden Badezimmertür. Auch er wollte die Freundinnen seiner Schwester nicht mit weniger Kleidung sehen als unbedingt nötig. Sich räuspernd klopfte er an den hölzernen Rahmen und Margerite, die als Einzige in dem Zimmer war, drehte den Kopf herum.
»Ja?«
»Hey, macht es dir was aus, wenn ich mir schnell die Zähne putze?«
»Nein, komm’ nur«, antwortete das brünette Mädchen gleichmütig und beugte sich wieder etwas nach vorn, um ihren Lidstrich zu vollenden.
Während der Jugendliche mit seiner Zahnbürste hantierte, sah er ihr durch den Spiegel dabei zu, was sie nicht im Geringsten nervös zu machen schien. Sie beide zuckten zusammen, als Celeste und Nguyen lachend in den Raum kamen und Margerite seufzte leicht, fast erleichtert, dass sie den Kajal bereits abgesetzt hatte, denn sonst hätte der Strich ihr ganzes Gesicht geziert - oder ihr ein Auge ausgestochen.
»Na, Spießer? Du bist auch da?«, kicherte Mathieus Schwester und musterte ihn. »Mann, wo hast du das denn ausgegraben? Das hat ja fast Style. Aber nur fast, weil du es anhast.«
»Freundlich wie immer«, entgegnete der Junge und wusch sich das Gesicht.
»Klar, ich bin die Nettigkeit in Person. Zisch’ ab jetzt, wir sind noch nicht fertig mit Stylen und bei dir kann man eh nichts machen.«
»Richtig«, Mathieu drehte sich zu Celeste um, »Ich bin auch ohne zehn Pfund Makeup im Gesicht hübsch genug.« Er lachte und verließ das Bad wieder, während sich die Mädchen verdattert ansahen.
Margerite kicherte schließlich wie ein kleines Kind, bemerkte es und wurde rot. Celeste zog eine Augenbraue hoch und musterte ihre Freundin, bevor sie sich umdrehte und in die Richtung sah, in die ihr Bruder verschwunden war.
»Ich wüsste gern, wie es kommt, dass der auf einmal so schlagfertig ist. Ich wette mit euch, der hat sich ‘ne Tussi geangelt. Oder ist mal zum Schuss gekommen und denkt jetzt, er ist der King hier!«
»Er sieht süß aus in dem Shirt«, murmelte Margerite und wich dem Blick des blonden Mädchens aus.
»Ach, Margerite, du hast eben keine Ahnung von richtigen Männern. Mathieu ist ein Bubi.«
»Na, wenn du alle tollen Jungs für dich pachtest, was sollen wir da machen? Kann ja nicht jeder ein Lucien sein!«, fauchte das brünette Mädchen fast und schloss dann die Augen. »Sorry. Ich bin aufgeregt wegen nachher, das wird geil.«
Celeste machte eine wegwerfende Handbewegung. Die einzigen Menschen, bei denen sie gnädig war, waren ihre beiden besten Freundinnen und deswegen war sie auch nicht sauer auf Margerite. Immerhin hatte sie Recht. Alle anderen Jungs an der Schule, ihr Bruder inbegriffen, waren in ihren Augen nichts gegen Lucien.
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Mathieu hingegen sprang die Treppe nach unten und warf einen Blick in den Salon, den die Mädels partytauglich gemacht hatten. Es verwunderte den Jugendlichen, dass Celeste so vorausschauend gewesen war, die zerbrechlichen Vasen wegzuschaffen, die seine Maman sammelte und stolz ausstellte und von denen einige wirklich kostbar waren. Doch dann revidierte er seinen Gedanken - vermutlich hatte seine Mutter die Haushälterin angewiesen, die Sachen in den Keller zu bringen, denn bei allem Vertrauen, was die Grantaines in ihre Tochter haben mochten, hatten sie das nicht in deren Freunde.
Bunte, sich drehende Lichtkugeln sorgten für Partylicht und die Deckenbeleuchtung war so weit heruntergedimmt, dass man gerade noch erkennen konnte, wo etwas im Weg stand. Mit einem Schaudern dachte der Jugendliche an die alten Filme aus Amerika, in denen sich bei solchen Partys an jeder Ecke die Zunge in den Hals gesteckt und gefummelt wurde. Als ihm allerdings das Bild von Lucien und sich, knutschend hinter irgendeinem Sessel, in den Sinn kam, wurde er rot und kicherte leise. Das würde ihm gefallen.
Brummend setzte er sich in eine Sofaecke und schloss die Augen, ernsthaft versuchend, sich gegen die furchtbar laute und ihm gar nicht zusagende House Music abzuhärten. Das konnte ja heiter werden, wenn er das die ganze Nacht ertragen müsste. Seufzend stand er dann jedoch wieder auf und begann, das Essen in den Salon zu räumen. Einen Teil hatten die Grantaines tatsächlich last minute von einem Cateringservice bringen lassen.
»Mathieu!?«, brüllte Celeste aus dem ersten Stock hinunter und der Jugendliche rollte die Augen.
»Was ist?«
»Kannst du die Getränke auf den Beistelltisch im Wohnzimmer aufbauen und das Eis in die Wanne in der Küche kippen, für das Bier?«
Wie bitte, eine Wanne? Der Jugendliche ging in besagten Raum und tatsächlich hatte Madame Grantaine den Babybadezuber aus dem Keller geräumt, in dem Mathieu und Celeste als Säuglinge gebadet worden waren. Er war groß genug für jede Menge Flaschen.
»Okay«, rief der Blonde zurück und sah im Nebenzimmer der Küche nach, wo sich ein kleiner Hauswirtschaftsraum befand, in dem auch die Kühltruhe stand. Darin lagen mehrere große Säcke mit Eis und Mathieu schüttelte den Kopf. Seine Eltern hatten sich echt nicht lumpen lassen für Celeste. Mit einem Anflug von Neid dachte er, dass sie das für ihn bestimmt nicht gemacht hätten.
Er schüttete den Inhalt von einem der Beutel in die Plastikwanne und trug einen der Bierkästen aus dem Keller nach oben, bevor er die bunten Flaschen mit den Alkopops und Softdrinks auf dem vorbereiteten Tisch aufstellte. Um zu verhindern, dass Gläser zu Bruch gingen, gab es stattdessen farbenfrohe Kunststoffbecher.
Als es klingelte, zuckte der Jugendliche zusammen und sah auf die Uhr. Da war jemand zu früh. Brummend reagierte er, als Celeste erneut von oben herunter schrie, und ging an die Tür.
»Hey, du bist bestimmt Mathieu. Ich bin Jaques, Margerites Bruder. Ich bringe den Stoff für die Party.« Der junge Mann deutete hinter sich zu einem Auto, das in der Zufahrt stand und der Blonde musterte ihn einen Moment. Dieser Jaques sah wirklich aus wie einer dieser Studenten, die mehr Zeit mit Feiern als Lernen verbrachten, sein nussbraunes Haar war zu lang und schmuddelig und sein kleines Goatie am Kinn wirkte struppig. Doch das konnte Mathieu ja auch egal sein. Er nickte und öffnete die Tür ein Stück weiter.
»Ich helf’ dir«, murmelte er und ging mit dem Studenten nach draußen. Er staunte nicht schlecht, als er sah, was der alles angeschleppt hatte. Mehrere Einkaufskisten mit Likören, Whiskey, Vodka und anderem Zeug standen in dem Kofferraum des alten Volkswagen.
»Wie viel Geld hat dir meine Schwester dafür gegeben?«, platzte Mathieu verdutzt heraus.
»Weiß nicht, hab den Kassenzettel irgendwo. Sie hat mir zweihundert Euro gegeben, aber ich glaube, so viel hab’ ich nicht ausgegeben. Aber soll ja Spaß machen, die Fete, oder?«
»Wenn man dafür betrunken sein muss ...«
Jaques lachte und klopfte dem Jugendlichen auf die Schulter. »Ja, Celeste sagte schon, du bist eher eine Spaßbremse. Komm’, pack’ mit an.«
»Sie redet viel, wenn der Tag lang ist«, murrte Mathieu nur und zog eine der Kisten aus dem Auto.
»Schwestern halt«, lachte der junge Student und ging hinter dem Blonden her. »Mann, das ist ein Haus! Perfekt zum Partymachen. Ey, habt ihr einen Pool?« Jaques stellte seine Last im Wohnzimmer ab und ging schnurstraks an die Terrassentür.
»Ja«, antwortete Mathieu überflüssigerweise, denn Jaques hatte die Tür schon aufgeschoben und war hinausgegangen.
»Ist der beleuchtet?«
»Ja?« Der Jugendliche folgte dem jungen Mann. »Sag’ nicht, du willst den benutzen? Nachts ist es viel zu kalt dafür!«
»Ach Mathieu. Wenn die Leute ein bisschen was drin haben, ist denen die Kälte egal, glaub’ mir.«
»Ist das nicht gefährlich, wenn die besoffen schwimmen gehen?«
»Ach was«, Jaques kicherte und plante vermutlich schon irgendwelche albernen Wasserspielchen, während der Blonde ihn mit hochgezogener Augenbraue betrachtete. Schließlich schüttelte er den Kopf und ging wieder nach drinnen. Sollten die doch machen, was sie wollten, wenn sie zu sorglos waren, um an die möglichen Folgen zu denken. Er räumte die Getränke weiter auf, die Mädchen lachten und kicherten noch immer oben im ersten Stock und der etwas schmuddelige Student kostete sich einmal quer durch das Buffet, nachdem er die restlichen Kisten aus dem Auto ins Haus gebracht hatte.
Mathieu war die Lust vergangen, bevor die Party überhaupt angefangen hatte und seufzte leise und genervt, als es erneut klingelte, Jaques an die Tür ging und mit einem Johlen ganz offensichtlich seine Freunde begrüßte. Auch Celeste schien gerade die Treppe herunter zu kommen, denn die Jungs zischten und pfiffen. Ihnen schien der glitzernde Fummel des blonden Mädchens zu gefallen. Mathieu, der an die Tür zum Salon gelehnt stand, schüttelte jedoch leicht den Kopf. Noch etwas kürzer und man könnte ihre Eierstöcke sehen, doch was wusste er schon?
»Bist du wirklich erst sechzehn? So ein Jammer, wirklich«, baggerten die drei Studenten, die alle etwas zu lässig daher kamen.
»Mann, das ist deine Schwester, Alter. Wie hältst du das nur aus, mit so einem scharfen Brett zusammenzuleben?« Ein weiterer langhaariger Typ wandte sich an den Blonden.
»Indem mir bewusst ist, dass sie meine Schwester ist?«, entgegnete Mathieu auf den dummen Spruch und zog die Augenbraue hoch. Natürlich war ihm klar, dass Celeste hübsch war, doch wer war denn so pervers und geiferte den eigenen Geschwistern nach?
»Ihr seht euch voll ähnlich«, sinnierte ein zweiter von Jaques’ Freunden, der irgendwie high wirkte.
»Kein bisschen!«, fauchte Celeste pikiert dazwischen und lächelte dann wieder. »Ich seh’ doch nicht aus wie ein Kerl!«
»Nee, aber dein Bruder wie ein Mädchen!«
Alle lachten. Nur Mathieu nicht, der die Lippen aufeinander presste und sich wünschte, sie würden alle verschwinden. Das konnte ja heiter werden, wenn jetzt schon Leute, die ihn gar nicht kannten, dumme Sprüche über ihn abließen.
Nach und nach trafen weitere Jugendliche, die meisten aus der Schule, ein und der kleine Berg an Geschenken, die auf einem Tisch im Foyer aufgestellt waren, wuchs immer weiter an, da viele, die mit dem blonden Mädchen befreundet waren, ihr etwas mitbrachten. Celeste machte einen auf perfekte Gastgeberin und begrüßte jeden mit lauten Freudenjuchzern und schickte sie in den Salon, um sich was zu trinken zu nehmen. Die Musik wurde wieder lauter und das Stimmengewirr schwoll an.
Mathieu bekam immer mehr das Gefühl, dass ihm schwindelig wurde. Die Beleuchtung im Haus war gedimmt worden und so waren die Leute irgendwann nur noch als Umrisse zu erkennen, die von roten, blauen und grünen Partylichtern angeleuchtet wurden. Es war voll und laut und jeder schien sich zu amüsieren.
Es klingelte wieder und der Jugendliche, den man stillschweigend zum Türöffner gemacht hatte, ließ mit einem erleichterten Grinsen Anais und ihre Freundinnen hinein. Die Mädels hatten sich hübsch gemacht und Mathieus Stellvertreterin nestelte unsicher an ihrem Kleid herum, als sie vor ihm stand.
»Oh Gott, endlich Gesichter, die mir lieb sind«, keuchte Mathieu und lachte leise. »Immer herein, zu essen und zu trinken gibt es im Salon, da entlang.« Josephine und Violette sahen sich neugierig um, sie waren noch nie bei Grantaines zuhause gewesen. Auch Anais war noch nie drin gewesen, doch sie hatte mehr Augen für den Jungen als die Villa.
»Du siehst ... anders aus. Liegt das am Licht?«
»Glaub’ nicht. Hab’ nur was anderes an als sonst.«
»Sieht ... sexy aus«, hauchte das brünette Mädchen leise, machte große Augen und eilte an Mathieu vorbei, zu ihren Freundinnen. Der Jugendliche sah ihr verwundert nach und wollte schon die Tür schließen, als ein schwerer Schuh sich dazwischen stellte und ein Hauch von Minze und Zimt in Mathieus Nase drang.
»Sie hat Recht.«