Es wurde bereits wieder dunkel, als Mathieu den Staubsauger abschaltete und sich im Salon umsah. Er hatte die Polster abgesaugt, den Teppich bearbeitet, hatte sogar das Sofa verrückt, einfach auf den Verdacht hin, dass einiges dahinter gefallen sein könnte und nickte nun zufrieden.
Ein feiner Zitrusduft wehte aus der Küche hinüber, die Lucien gerade mit dem Mopp gewischt hatte.
Das Klappen der Haustür ließ den Blonden den Kopf drehen und als er ins Foyer kam, strich sich Celeste gerade genervt die Haare aus dem Gesicht. Regentropfen glitzerten auf ihrem Parka und ihre Wangen waren gerötet. Mathieu hatte sie vor einer Stunde lauthals dazu aufgefordert, ihre Weiber zu nehmen und die Glasflaschen zum Container zu bringen, wenn sie schon sonst nichts zum Hausputz beigetragen hatten.
»Na, wollten deine heldenhaften Freundinnen nicht mehr helfen?«, sarkastisch die Augenbraue hebend, lehnte der Blonde sich an die Tür und musterte seine Schwester. Sie war allein zurückgekehrt.
»Fick’ dich, Schwuchtel«, fauchte das Mädchen gereizt. Ihr tat noch immer gewaltig der Kopf weh, sie war angespannt, verletzt, genervt und anschmiegsam wie ein Hai.
»Traurig, wenn deine best buddies dich hängen lassen. Hauptsache hier saufen und futtern.«
»Hast du niemand anderen, den du volleiern kannst, Mathieu? Falls du es nicht bemerkt hast, ist mein Tag schon beschissen genug und das ist deine Schuld. Also bitte, geh’ sterben und lass’ mich in Ruhe. Ich hab’ gemacht, was du wolltest und jetzt bin ich weg. Du bist eh fertig, also was willst du noch?«
»Richtig, ich bin fertig. Lucien und ich haben die Arbeit gemacht! Ich hätte es toll gefunden, wenn du mehr geholfen hättest, immerhin war es deine Party. Aber ich vergesse halt immer wieder, dass du es bist und dass du keine Verantwortung übernehmen kannst.«
Celeste schnaubte.
»Komm’ nur nicht auf die Idee, dich hinterher zu brüsten, wie viel du hier beim Putzen geleistet hast, um toll dazustehen.«
»Ich hätte die Bude anzünden können und es wäre nicht ansatzweise so schlimm gewesen wie das, was du getan hast und was Papa dir noch klarmachen wird, du Arschficker! Genieß’ es noch ein bisschen, bevor er dich ungespitzt in den Boden rammt und dir den Kopf zurechtrückt. Keiner hier will einen Homo haben!« Das Mädchen streckte ihm den Mittelfinger hin, hängte ruppig ihre Jacke auf und sprang die Treppe hinauf.
Mathieu sah ihr nach und seufzte schließlich. Sie hatte Recht, es würde Ärger geben und der Jugendliche konnte nicht leugnen, dass er ein unangenehmes Ziehen in der Bauchgegend hatte, ein leichtes, unterschwelliges Gefühl der Angst vor dem, was kommen würde, wenn sein Vater zurückkam.
Doch dann lächelte er und drehte den Kopf herum. Lucien hatte im Salon erneut die Musik lauter gedreht und sang zu einem Song mit, der ihm besonders gut zu gefallen schien. Mathieu seufzte erneut, dieses Mal wesentlich leichter. Das hier war jeden Ärger der Welt wert!
Er betrat das Wohnzimmer und sah den Rothaarigen an der Terrassentür stehen und rauchen. Er duftete nach einem frischen Putzmittel und hatte die Hände in den Hosentaschen, während er sich auf den Fußballen vor und zurück wiegte.
»Hast du Spaß?«, fragte Mathieu ihn leise und küsste ihn auf die bloße Schulter. Luciens Hemd hing über einem Stuhl.
»Wir sind fertig, Grantaine. Der Salon sauber, Küche geputzt, sämtliche Badezimmer ... ich finde, wir haben das Recht auf Spaß.«
»Ich hab’ mir nie Gedanken darüber gemacht, was unsere Haushälterin eigentlich leistet hier. Bis jetzt.«
»Na, die putzt aber jeden Tag, da läuft nicht so viel auf.«
Der Blonde schob seine Arme unter den Achseln von Lucien durch und legte seine Wange an dessen Schulter. »Und trotzdem war es ein toller Tag. Mal abgesehen von dem Krach mit den Diven andauernd.«
»Ach die. Die waren so hilfreich wie ein Pickel am Arsch. Mann, Grantaine, ich stinke.« Der Rothaarige machte einen Schritt nach vorn und drehte sich zu Mathieu um, bevor er schelmisch zu grinsen anfing. »Was machen wir mit dem Rest des Abends? Deine Eltern kommen erst Montag früh wieder, oder?«
»Ja«, der Schulsprecher nickte und schmunzelte, bevor er seine Nase gegen Luciens Brust presste und tief einatmete. »Und ich finde null, dass du stinkst. Es ist nur wahnsinnig sexy.«
»Was, Staub, Schweiß und Putzmittel? Du bist doch ein bisschen pervers, Minou«, gluckste der Rothaarige und legte seine Hand in Mathieus Nacken.
»Nein, ich glaube, das ist normal«, kicherte der Blonde, umarmte den Anderen wieder und drängte sich enger an ihn. Er schnurrte, als die Lippen Luciens über seine Stirn und seine Augenlider strichen. »Aber du kannst gern duschen. Ich glaube, das haben wir uns auch verdient. Ich geb’ dir gern ein frisches Shirt und eine Unterhose, wenn du magst.«
»Nur wenn du mitkommst. Du weißt schon, Wasser sparen«, flüsterte der Rothaarige mit einem anzüglichen kleinen Lachen.
»Na gut«, Mathieu ließ Lucien los und grinste. Dieser schaltete die Musik ab und nahm sein Hemd vom Esszimmerstuhl. Sie hatten auch die schweren Möbel wieder so hingestellt, wie sie es immer standen.
»Sollen wir Celeste den Laptop hochbringen?«
»Nein, stell’ ihn hier auf den Tisch. Sie kann ihn sich selbst holen, wenn sie ihn braucht. Die dabbelt doch eh mehr an ihrem Handy herum«, entgegnete Mathieu, schob die Terrassentür zu und legte die Verriegelung um.
Ein dumpfes Geräusch aus dem Foyer ließ ihn den Kopf drehen und als er es betrat, war seine Schwester gerade dabei, in ein paar wasserfeste Schuhe zu steigen.
»Wo willst du denn hin?«
»Na, meinst du, ich will euch zwei Abartigen die Nacht beim Vögeln zuhören? Ich geh’ zu Margerite. Ist doch Wochenende. Viel Spaß. Mach’ dich darauf gefasst, dass ich alles Papa erzählen werde.«
»Ja, das sagtest du bereits. Ist mir aber egal.« Mathieu lächelte leicht, als er Lucien hinter sich spüren konnte, der ihm leicht die Hand auf den Rücken gelegt hatte. »Je eher du begreifst, dass deine Drohungen nichts ändern und mir keine Angst machen, desto eher beruhigst du dich.«
»Du bist das größte Arschloch unter der Sonne, Mathieu Grantaine. Noch mehr als dein verwichster Stecher hinter dir. Ich hoffe, ihr krepiert an Aids!«
Mit einem Krachen fiel die Tür hinter Celeste ins Schloss und der Blonde seufzte. So sehr er sich ärgerte über seine kleine Schwester, so sehr sie ihn verrückt machte und er über sie den Kopf schüttelte, dass sie unglücklich war und litt, tat ihm leid.
»Kein Mitleid, Minou. Die kriegt sich schon wieder ein.«
»Ich weiß nicht ... sie hat schon im Kindergarten gesagt, dass sie dich heiraten will und jetzt bist du nicht nur unerreichbar, sondern auch noch mit mir ... also ...«
Lucien umarmte den Anderen von hinten und küsste ihn auf das Ohr. »Was bin ich mit dir, Mathieu?«
»Wir sind ein Wir. Sind wir doch, oder?«
»Solange du mich willst, ja.«
»Im Moment will ich nur eine heiße Dusche und dann ins Bett.«
»Du kleines Ferkel.«
Mathieu machte große Augen und drehte sich zu Lucien um, der schelmisch grinste. »Agh, nein, ich meine ein bisschen fernsehen. Abhängen, DVD schauen. So was. Doch nicht ... Mann!«, der Blonde boxte den Anderen leicht auf den Oberarm und lachte.
»Denk’ dran, du wolltest das Bett frisch beziehen«, gluckste Lucien und folgte Mathieu, als der die Treppe hochstieg.
»Wenn du heute Nacht noch mal hierbleibst? Lohnt sich das? Oder saust du die neue Wäsche auch gleich wieder ein?«
»Indem ich dich dazu bringe, dein Innerstes darüber zu verteilen, meinst du?«
Der Blonde lief rot an und lachte nervös. »Es war nicht nur ich!«
Der Rothaarige machte einen schnellen Schritt, packte Mathieu und presste ihn an die Wand, bevor er ihn küsste - bestimmt, fordernd und extrem berauschend. »Oh nein, das warst du nicht und ich werde hart, wenn ich nur daran denke. Also ... vielleicht lässt du die Bettwäsche lieber bis morgen sein.«
Der Blonde schloss seine Arme um den Nacken des Anderen. »Gut, dann sind wir uns einig. Übrigens bist du schon hart.« Er kicherte und ließ von Lucien ab, der an sich hinuntersah und dann verlegen lächelte.
»Oops.«
»Vielversprechend. Einsatzbereites Rüstzeug ist die halbe Miete«, Mathieu lachte laut auf und betrat sein Zimmer, um frische Klamotten aus dem Schrank zu nehmen. Er zuckte, als der Rothaarige sich erneut an ihn lehnte und ihm unter seinen Armen hindurch in den Schritt griff.
»Na, wem sagst du das, Grantaine. Nicht übel, ich wiederhol’ mich gern.«
»Hör’ auf jetzt«, keuchte der Blonde und schob den Anderen mit einem feinen Lachen von sich. »Duschen, jetzt. Hier, das kannst du anziehen dann. Damit du nicht morgen in muffigen Klamotten heimgehst.«
»Schlafen tu’ ich aber ohne das.«
»Oh Gott, bitte.«
»Wie war das, Mathieu?«, fragte Lucien schnurrend wie eine Katze.
»Bitte tu’ das. Ich hätte nie geglaubt, wie gut es sich anfühlt, jemandes Haut zu spüren.«
»Das stimmt.«
Im Bad zögerte der Rothaarige nicht, sich seiner Klamotten zu entledigen und während Mathieu im Schrank unter dem Waschbecken nach irgendetwas suchte, roch Lucien an seinem Unterhemd.
»Hmm ... doch, das müffelt. Ich weiß nicht, wie du sagen kannst, dass das sexy riecht. Bäh.« Er hielt es unter den Wasserhahn und wusch es mit etwas Handseife aus, bevor er es auswrang.
Der Blonde, der neben ihm hockte, lächelte nur, zupfte spielerisch am Stoff von Luciens Unterhose und stand wieder auf. »Schau’ mal, hier ist eine ungebrauchte Zahnbürste. Ich wusste, wir haben noch welche.«
»Für mich?«
»Na klar, ich hab’ selbst eine. Mal einen Tag nur mit Kaugummi geht, aber dann wird’s vielleicht eklig.« Mathieu musterte den Rothaarigen. »Obwohl nichts an dir eklig ist.«
»Na, wenn ich meine Zähne ‘ne Weile nicht putze, dann schon. Danke.« Lucien hängte das Shirt über einen Handtuchhalter und ließ seinen Blick über den Blonden wandern. »Wollten wir nicht zusammen duschen? Oder willst du lieber spannen?«
»Ähm, ja ... ja«, Mathieu nestelte an seinem Hemd herum und spürte selbst, wie er rot wurde. Warum nur? Es gab nichts, was der Rothaarige in der Nacht zuvor und auch am Morgen nicht schon einmal gesehen hätte, Himmel, er hatte ihn berührt, nicht nur mit seinen Händen. Warum war es auf einmal wieder so komisch, sich vor ihm auszuziehen?
»Mathieu«, flüsterte Lucien leise und streckte den Arm nach ihm aus. Er griff nach den Händen des Blonden und half ihm beim Aufknöpfen des Hemds, bevor er es ihm über die Schultern zog und nach dem Stoff des T-Shirts griff, um es ihm über den Kopf zu ziehen. Mathieu lehnte sich an das Waschbecken, während der Rothaarige sich vorbeugte, um mit seinen Lippen über sein Schlüsselbein zu fahren. Er hörte sich selbst leise aufkeuchen, als Lucien den Bund der Trainingshose ergriff und diese herunterzog.
»Füßchen hoch, raussteigen«, brummte der Jugendliche leise, zog Mathieu von der Marmorplatte weg und schlang ihm seine Arme um den Körper. Der Blonde presste sein Gesicht an Luciens Schultern und schnurrte, als dessen Hände am Rücken in den Stoff der Unterhose glitten und während sie seine Haut streichelten, den Stoff nach unten schoben.
»Schwupps«, kicherte der Rothaarige verspielt. »Ab unter die Dusche.«
»Und du?« Mathieu zog einen Schmollmund und schluckte, als Lucien ungerührt seine Shorts zu denen des Blonden warf und dann eine einladende Handbewegung in Richtung der eleganten Duschkabine machte.
»Deine Eier möcht’ ich haben. Keinen Funken Scham«, murmelte Mathieu.
»Findest du, dass ich welche nötig hätte? Scham, meine ich?«
Der Blonde warf einen Blick über seine Schulter und musterte Lucien, der keck wie ein griechischer Gott vor ihm stand und die Hände in die Hüften stemmte.
»Kein bisschen. Du bist perfekt.«
»Ach, hör’ doch auf«, kicherte der Rothaarige, legte Mathieu die Hände auf die Schultern und schob ihn in die Dusche, bevor er die Tür hinter ihnen schloss.
»Mann, die ist doppelt so groß wie meine. Bei mir müssten wir mehr ... kuscheln«, schnurrte der Rothaarige frech und überließ es dem Blonden, die Wassertemperatur einzustellen.
»Hätte auch seinen Reiz, findest du nicht?«
»Oh, absolut«, Lucien betrachtete Mathieu schamlos und der fühlte sich mehr als verlegen. »Ist es dir immer noch unangenehm, mit jemandem zusammen zu duschen? Oder dass dich jemand nackt sieht? Selbst wenn ich es bin?«
Der Blonde zuckte leicht mit den Schultern und verfluchte seinen hellen Teint. »Man kommt eben nicht aus seiner Haut.«
»Ich finde deine Haut perfekt, Grantaine«, murmelte Lucien und trat an ihn heran. »Ich möchte, dass du dich mir gegenüber so wohl fühlst wie ich es dir gegenüber tue. Keine Scham, dafür haben wir keine Zeit. Und es ist auch nicht nötig. Nichts von dem, was irgendjemand Schlechtes über dich sagt, ist wahr. Selbst der dumme Mist nicht, den ich irgendwann mal über dich gesagt habe, ich bin der größte Trottel von allen. Du bist weder zu dick noch langweilig noch sonst irgendetwas. Wenn du versuchst, dich mit meinen Augen zu sehen, verstehst du, was ich meine.«
Mathieu lehnte seine Stirn an die Schulter des Rothaarigen und ließ seine Fingerspitzen über dessen Brust gleiten, während er die Augen schloss und seufzte. »Du solltest aufhören, solche Sachen zu sagen, Lucien.«
»Warum?«
»Weil du keine Ahnung hast, was du mir damit antust. Außer meinem Opa hat nie jemand mal ein nettes Wort für oder über mich übrig, am wenigsten meine Eltern. Ich bin in ihren Augen immer nur dann gut, wenn ich alles richtig mache, wenn ich perfekt bin und mich eher wie eine Maschine benehme und nicht wie ein richtiger Mensch. Selbst in der Schule sehen die Lehrer und sogar unsere Mitschüler in mir nicht einfach einen Teenager, der auch mal Mist baut. Und wenn mir mal etwas durchgeht, dann ist alles Gute über mich plötzlich vergessen und ich werde angesehen wie ein Versager.«
»Und?«, flüsterte Lucien ihm in den Nacken.
»Und dann kommst du, ausgerechnet du, der mir die letzten Jahre so schwer gemacht hat und sagst mir diese Dinge. Du bist der Einzige weiter, der mir das Gefühl gibt, dass ich nichts falsch machen kann und du machst dir keine Vorstellung, wie sich das für mich anfühlt.«
»Schon gut, Grantaine, du kannst mir später einen blasen«, gluckste der Rothaarige und kassierte einen sanften Knuff dafür.
»Mach’ es nicht kaputt, ich lege dir gerade meine Seele zu Füßen«, murmelte Mathieu und schniefte. Er wischte sich verlegen über die Augen und Lucien streichelte seinen Rücken.
»Also bist du glücklich?« Der Rothaarige flüsterte.
»Ja!«