Zunächst einmal ist Ethik - so wie ich sie verstehe - kein festgelegtes Regelwerk.
Damit ist eine der Fragen schon mal beantwortet: Nein, es gibt nicht die eine Ethik.
Vielmehr hat jeder Mensch seine eigene.
Sie wird geformt und entwickelt durch Erziehung, Umwelteinflüsse und Erfahrungen, die mensch im Leben macht.
Ethik hat auch sehr viel mit unserem moralischen Empfinden zu tun.
Die Moral, das heißt, das was von der Gesellschaft als richtig, normal und gut empfunden wird, hat großen Einfluss auf die Ethik des Einzelnen.
Die Moral selbst wiederum ist die gemeinsame Schnittmenge der Ethiken der einzelnen Mitglieder einer Gesellschaft, wird also ihrerseits von der Ethik der Einzelnen bestimmt und kann sich durch diese auch verändern.
Wäre es nicht so, dann empfänden wir Sklaventum heute noch als in Ordnung und ganz normal. Es gäbe kein Frauenwahlrecht und Kinder würden immer noch in Schornsteinen rumkriechen, weil sie klein genug dafür sind. Ich denke, ihr versteht, worauf ich hinaus will.
Aber was genau ist Ethik? Sie ist der Rahmen für unsere Entscheidungsfindung. Sie hilft uns anhand von Wissen, das wir erlernt und Erfahrungen, die wir gemacht haben, bei der Entscheidung, ob etwas gut ist und somit getan werden oder zugelassen werden darf oder ob es schlecht/böse ist und somit sein gelassen oder sogar verhindert werden muss.
Ethik wird auch stark vom Glauben geprägt.
Jeder Glaube hat gewisse Regeln und Gesetze.
Die zehn Gebote des Christentums zum Beispiel. Du sollst... Du sollst nicht...
Und wie funktioniert nun Ethik?
Ein Beispiel: Deine Erfahrung und auch das Wissen, das du dir angeeignet hast, haben dich gelehrt, dass Schokolade essen dick macht und schlecht für die Zähne ist.
Aber sie schmeckt nunmal so verdammt gut.
Also isst du sie trotzdem.
Die Folge: Du bekommst ein schlechtes Gewissen.
Das ist diese fiese kleine Stimme im Hinterkopf, die dich nervt mit Sätzen wie: "Warum hast du das gemacht? Du weißt doch, dass es schlecht ist! Jetzt werden wir wieder fett! Warte nur bis der Zahnarzt sieht, wie deine Zähne aussehen!" Usw.
Es gibt übrigens auch ein gutes Gewissen.
Eines das dich lobt, wenn du die richtige Entscheidung getroffen hast.
Sowas wie ein mentales Schulterklopfen, ein "Gut gemacht!".
Beide Arten von Gewissen kann mensch trainieren.
Von sich aus entstehen sie allerdings durch Erziehung.
Deshalb hat ein Kind, das oft geschimpft wird ein viel ausgeprägteres schlechtes Gewissen (und fühlt sich demzufolge bei fast allem was es tut erstmal schlecht).
Ein Kind, das oft gelobt wird, entwickelt dagegen ein starkes gutes Gewissen und lobt sich auch später selbst für etwas, das es gut gemacht hat.
Und jetzt frage mich nochmal jemand, warum in Bayern alle immer so schlecht gelaunt sind.
Jeder der hier groß geworden ist, kennt folgenden Spruch:
"Ned gschimpft is globt gnug."
Zu deutsch:
Wenn du was falsch machst, wirst du ausgeschimpft, wenn du was richtig machst, besteht dein Lob darin, das du nicht ausgeschimpft wirst.
Merkst was?
Mit derart ausgeprägtem schlechten Gewissen ist es kein Wunder, dass wir ständig eine Fresse ziehen wie sieben Tage Regenwetter.
Unser eigenes kleines Stimmchen im Hinterkopf macht uns schließlich tagein tagaus das Leben schwer.
Die gute Nachricht:
Wie oben schon erwähnt, kann mensch das gute Gewissen auch als Erwachsener noch trainieren.
Lob dich doch das nächste Mal einfach selbst, wenn du es geschafft hast, auf die Schokolade / das Bier / die Zigarette zu verzichten.
Vertrau mir, auch wenn es sich im ersten Moment komisch anfühlt, wenn du es oft genug machst, wird es sich gut anfühlen.
Und das Beste daran ist:
Du lernst, dass das Richtige tun sich toll anfühlt.
Und es wird dir beim nächsten Mal bedeutend leichter fallen.
Weil wir gerade dabei sind, ich finde den Spruch "Hör auf dein Gewissen" missverständlich.
Gewissen, diese kleine Stimme im Hinterkopf, kommt erst, wenn du etwas schon getan hast.
Wie soll ich also vor der Tat darauf hören?
Das was der Spruch eigentlich sagen will ist: "Höre auf deine Ethik."
Womit wir zurück kommen zum eigentlichen Thema.
Denn da liegt die Schwierigkeit.
Deine eigene Ethik verändert sich ständig.
Es ist nicht so, dass man 18 Jahre alt wird und *Puff* bin ich erwachsen und meine innere Einstellung zum Leben - meine Ethik - ist ab jetzt in Stein gemeißelt und ändert sich nie mehr.
Ganz im Gegenteil.
Sie ändert sich, entwickelt sich immer weiter.
Mit jedem neuen Wissen und jeder neuen Erfahrung, die wir machen, passt sich unsere Ethik unserem Leben an.
Das ist evolutionär sogar sehr wichtig, um mit neuen Situationen klar zu kommen.
Das ist einer der Gründe, warum Menschen so anpassungsfähig sind.
"Wenn ich das damals gewusst hätte, hätte ich mich anders entschieden/verhalten."
Kennt jeder. Hat jeder schonmal gedacht.
Und ist, wie wir jetzt wissen, völlig normal.
Mit dem Begriff Ethik wird viel Schindluder getrieben:
Das ist unethisch oder ethisch nicht vertretbar.
Das spricht gegen jegliche Ethik.
Ja wessen Ethik denn? Wie sieht die aus? Für welche Lebenssituation?
Dieser Begriff wird so oft falsch verwendet, benutzt, um unser schlechtes Gewissen herauszufordern.
Die meisten wissen gar nicht mehr, was sie jetzt eigentlich für richtig oder falsch halten sollen.
Wie verwirrte kopflose Hühner rennt mensch durch eine Welt, in der der eine sagt, dass Bäume fällen unethisch sei, weil dadurch der CO2-Haushalt der Erde gestört wird und der andere behauptet, es sei unethisch Bäume stehen zu lassen, weil sie durch Schädlingsbefall drohen andere Bäume krank zu machen.
Beides ist richtig.
Das eine hat aber mit dem anderen rein gar nichts zu tun.
Es ist situationsabhängig.
Bäume fällen im Regenwald -> schlecht.
Bäume fällen in der Fichten-Monokultur-Forstwirtschaft wegen Schädlingsbefall -> gut.
Trotzdem gibt es genügend verwirrte Geister dort draußen, die nur die Aussage Bäume fällen ist schlecht für die Umwelt im Kopf behalten haben und nun den Waldbesitzer, der von seiner Forstwirtschaft lebt und deshalb auf die Gesundheit seiner Bäume besonders achten muss, verurteilen, weil er ja was "böses" tut, indem er die kranken(!) Bäume fällt.
Ob Monokultur-Forstwirtschaft gut oder schlecht ist, steht wieder auf einem anderen Blatt. Aber der Punkt ist, das mensch nie pauschal sagen kann, ob etwas schlecht oder gut ist.
Und wer bestimmt jetzt, was Ethik ist?
Du.
Und zwar jeden Tag neu.
Jeder Mensch lebt sein eigenes Leben, hat eigene Erfahrungen gemacht und dadurch seine eigene Ethik entwickelt.
Deine Ethik ändert sich.
Immer.
Sie entwickelt sich weiter mit jeder neuen Erfahrung und jedem neuen Wissen, das du dir aneignest.
Je mehr du über ein Thema weißt, desto besser kannst du entscheiden, was für dich richtig und was für dich falsch ist.
"Wenn ich das eher gewusst hätte, ..."
Besorg dir das Wissen!
Recherchiere.
Hol dir Informationen aus dem Internet, lies Bücher, rede mit Leuten, die in ähnlichen Situationen stecken oder sie erlebt haben.
Sammle dieses Wissen und dann entscheide dich.
Du musst nicht über alles bescheid wissen.
Das geht auch gar nicht.
Kümmere dich um Themen, die dich ganz persönlich betreffen.
Ein Bauer muss ganz andere Entscheidungen treffen als ein Bänker oder eine Ballettänzerin.
Jeder von ihnen hat eine andere Ethik.
Einen anderen Entscheidungsrahmen.
Die Moral von den Dreien mag sich ähneln, wenn sie in der gleichen Gesellschaft groß geworden sind, nicht aber ihre Ethik.
Wenn dir also das nächste Mal jemand kommt mit:
"Das verstößt gegen die Ethik!"
Dann frag: "Wessen Ethik?"
Und nicht vergessen!
Immer schön das gute Gewissen trainieren.
Denn Eigenlob stinkt nicht, sondern macht einen klügeren, schöneren und vor allem glücklicheren Menschen aus dir.
Schöner übringes, weil keine Schminke der Welt hübscher macht, als ein echtes, warmes Lächeln. :)