»Auch wenn dein Bruder es wiederholt nicht für angemessen hält. Erzähl mir bitte in deinen Worten, was ihr zwei gelernt habt.«
Seine Stimme klang gereizt. Gewiss, Kayden entzog sich mehr und mehr den Übungen und Lehren, die man ihnen in den Mauern Falkenhorsts versuchte nahezubringen. Wohingegen dieser sich anerkennend als besser Schüler erwies als Veyed.
Er selbst beschrieb sich als ungestüm, übereifrig und neigte oftmals zu unüberlegten Handlungen. Sein kleinerer Bruder hingegen trat stets als sein Ruhepol hervor, der Denker und Lenker. Beide beisammen galten trotz ihres jungen Alters als nahezu unüberwindbar. Wo der eine mit Eifer und Kraft Aufmerksamkeit erhaschte, überwand der andere die Unaufmerksamen mit List und Tücke.
Sie hatten die Mannesreife noch nicht erreicht, genossen gleichwohl von einem jeden den nötigen Respekt und galten als ernst zu nehmende Gegner. Anlässlich ihres Zusammenhalts vermochten diese Zwei gar einen geübten Waffengang, von bis zu fünf Mannen, eine Zeit lang auf Abstand halten. Es war Veyed, der einsteckte und kraftvoll austeilte. Kayden hingegen verunsicherte und bezwang seine Widersacher durch Finten. Flink wie geschickt sorgte er selbst bei Übermacht für einen Ausgleich der Stärkeverhältnisse.
Less lag mit überkreuzten Vorderpfoten zu seinen Füßen und so vermutete Veyed, dass sein Bruder gesund und munter seiner Wege ging. Dieser hielt sich abermals im Wald auf. Er ahnte es nicht, er wusste es.
»In der Tat. Ihr zwei seid euch mehr als einig und gemeinsam selbst von Altgedienten nur schwer zu bezwingen. Dennoch, der Junge muss endlich lernen sich unterzuordnen und seinen Platz zu finden.«
»Unterordnen? Wem?« Veyed verzog fragend die Brauen, hatte er seinem Gegenüber noch nie so unbeherrscht erlebt. Lob und Tadel in einem Satz.
Er sah hinüber zu Less und grunzte. »Du vertraust ihm dein Leben an und glaubst mittels des Hundes über seinen Weg bescheid zu wissen. Aber ...«
»Es ist mir gleich, was Kay bewegt den Wald zu betreten, und es ist mir auch egal, was er denkt dort zu finden. Er ist mein Bruder ...« Nachdruck verleihend schüttelte er den Kopf. »... und ich nicht sein Vormund. Ebenso wenig wie du ... Kylion.«
Less hob den mittlerweile bullig gewachsenen Schädel und heftete eines seiner Augen auf soeben angesprochenen. Etwas in Veyeds Stimme veranlasste ihn, aufzuhorchen und beide zu mustern. Wo seine Rute zuvor munter von rechts nach links wischte, schwebte diese nun beinahe eine Handbreit starr über dem Boden.
»Wenn Du meinst, ihn davon abhalten zu müssen, schick die Schattenjäger oder besser noch ...«
Kylion hob die Brauen und dessen Brust schwoll sichtlich an. Er hob die linke Hand. »Genug. Ich habe verstanden.«
»Sicher?« Veyeds Stimme klang nicht mehr wie die eines unbescholtenen Burschen, der sich trotzig zu behaupten versuchte. Er wusste mittlerweile diese der Situation entsprechend einzusetzen und argwöhnte dem gehörten wie Gesagtem. Allein dieses eine Wort sprach Bände. Mahnung, Drohung, vor allem aber Maßregelung.
Über die Schulter hinweg betrachtete er den dasitzenden jungen Mann, der sich schützend wie eine unüberwindbare Mauer vor seinem Bruder stellte. Er wusste, dass eine unbedachte Erwiderung das vertrauensvolle Bündnis maßgeblich beeinträchtigen konnte. »Weißt du Veyed, du hast vollkommen recht. Ich habe mich sichtlich geirrt.«
»Ach.«
»Seit beinahe vier aufeinanderfolgenden Erntezeiten bereiten wir euch nunmehr vor, euren Weg erfolgreich beschreiten zu können. Kayden ist mit seinen sechzehn Jahren noch ein Jüngling, du hingegen ein stattlicher junger Mann.«
»Was willst du mir sagen«, verlangte Veyed zu erfahren. Ihm war unverkennbar unwohl und Argwohn nistete in seinem Hinterkopf. Seine Hände wurden schwitzig.
»Kayden ist weder ein Falkner noch ein Schattenjäger, doch beherrscht der Junge sein Tun nicht minder als jene es tagein tagaus bewirken. Rondal geht sogar so weit zu behaupten, er würde den seinen in nichts nachstehen. Serfem hingegen beschreibt dich als den ruchlosen Schwertarm. Wo deine Klinge erklingt, neigen andere die Häupter.«
»Bitte? Ich versteh kein Wort.«
Kylion schloss die Lider und ließ die Arme sinken. »Wo steckt eigentlich Aellin?«
Langsam hob er den Blick und seine Augen hielten die seines gegenüber gefangen. Mit der Rechten beugte er sich zu Kaydens treuen Wegbegleiter hinab, um diesen zwischen den Ohren zu kraueln. Er empfand Stolz, dass der Hund sich ab und an bei ihm aufhielt. Gemeinhin wusste er aber auch, dass sein Bruder eben zu diesen Momenten für sich sein wollte und nicht bereit war, dass man ihn fand.
Ihm war nur zu bewusst, dass Kylion ihm durch die Blume hinweg mitzuteilen versuchte, dass es nicht mehr viel zu lehren gab. Ebenso wusste er, dass er es ihm, Serfem, Ron, Kremir und all den anderen nicht leicht machte. Er verschloss sich allem und jeden gegenüber. Es war seine Art zu trauen. Auch nach vier langen Jahren und von ihm aus noch vier weiteren.
Lediglich dem Hörensagen zu urteilen, konnte er wie sein Bruder sich ausmalen, wie es Ma' und Pa' erginge. Der vollständige Weiler wurde nach ihrer Flucht wieder aufgebaut, sogar um einige Gebäude mehr vergrößert. Eine umschlossene Palisade umgab die gesamte Siedlung. Auf dieser sollen Bewaffnete postiert stehen und zu Tageszeiten das nahe Umland durchstreifen. Der Verräter und seine Häscher glaubten, dass beide ums Leben kamen. Verschlungen von den Geschichten des Waldes.
Ebenso wusste er, dass Aellin, die Tochter Kylions, seit Anbeginn ihrer Zeit in Falkenau ihn umgarnte - warum auch immer. Zugegeben, das eine ums andere Mal gab er sich den Trieben, den Gelüsten des Mannseins hin und ließ sie gewähren. Sie war keine, die man leichtfertig von der Bettkante stieß, bedachte man, dass sie bereits in jugendlichen Jahren wohlproportioniert um seine Aufmerksamkeit buhlte. Sie war im selben Alter wie er und liebte die gleichen Berührungen. Er konnte sich noch genauestens an das erste Mal erinnern.
Sie schlich sich eines Abends unbemerkt in seine Kammer und kroch unter seine Decke, als er allein dalag und sich vorstellte, seine Hand wäre die der schönen Müllerstochter.