Als sie den Vorort Falkenhorsts betraten, führten die Schattenjäger den Karren durch einen Spalier neugieriger. Viele waren gekommen, um die sich in Windeseile verbreitende Kunde eigenst andächtig zu werden.
Ihre Erwartungshaltung jedoch wurde nicht erfüllt, denn was sie zu sehen bekamen, war leid und Trauer.
Kayden, den allesamt als den jüngsten Schattenjäger kannten, hielt mit gesengtem Blick eine mit einem Pfeil durchbohrte Frau in den Armen. In seinem Gesicht war nebst Fassungslosigkeit und Pein auch etwas zu erkennen, welches sich mit Entschlossenheit am ehesten beschreiben ließe.
Über ihnen flog zum Geleit der weiße Falke Agbar.
Aus den hinteren Reihen vorangetragen bis in die Vordersten drangen flüsternde Worte. Sie sprachen von dem Tumult der Vögel und dass der ›Falke‹ erwacht sei. Bestätigend erscholl der mahnende Ruf unzähliger Schnäbel.
Sie stürzten hinterrücks des Karrens aus hohen Lüften und schossen keine Armlänge darüber hinweg in Richtung der Burg. Einer der Umstehenden benutzte die Worte Kremirs. »Die Vögel kamen vor dem Sturm, so wie sein Wappentier den Verlauf der Reiche prägte.«
Ein Ruck ging durch die Menge. Nach und nach beugte ein jeder sein rechtes Knie und neigte unterwürfig das Haupt. Aus vielen Mündern erscholl ein einziges aufwallendes Wort - ›Falke‹.
Kayden öffnete die von Tränen und Schmutz verklebten Augen und wurde sich gewahr, dass sich etwas verändert hatte.
Eine Hand legte sich auf seinen Unterarm und diese schien keinerlei Berührungsängste zu hegen. Hände wie Unterarme waren verschmiert mit bereits angetrocknetem Blut. Jenem seiner ermordeten Mutter.
Er hob den Kopf und blickte in stechend grüne Pupillen, die in leicht schräg abgesetzten Augen ruhten. Auf ihm unbekannterweise schienen diese ihn nicht nur zu faszinieren, sie beruhigten sein aufgewühltes Inneres. Noch nie hatte er solch Augen erblickt.
Das zierlich wirkende Gesicht zog ihn in den Bann und heraus aus seiner Lethargie. Eng anliegende Ohren, eine schlanke Stupsnase und an dieser wie auf den Wangen dezent Sommersprossen. Eingerahmt wurde ihr Antlitz durch rötlich schimmerndes schulterlanges Haar.
Die Laute, die ihre Lippen formten, klangen heiser, so als habe sie viel geweint und ihre Worte waren nur für ihn bestimmt. »Ich weiß, wie du dich fühlst, Kayden. Gestern Abend verließ auch meine Mutter mich.«
Ihr Gegenüber atmete tief und schluchzend. »War sie krank?«
Sie nickte, anstatt zu antworten, schenkte ihm jedoch ein herzerweichendes Lächeln.
»Ich schwöre bei allem, was mir heilig ist, wer auch immer dies ...« Sein Blick heftete sich traurig auf den Pfeil. »... zu verantworten hat, wird sich wünschen, mir niemals zu begegnen.«
»Weißt du, meine Mama hat mir von einem Traum berichtet und ich muss herausfinden, was er bedeutet.« Sie legte ihren Kopf seitlich und schien ihm tief in die Augen zu sehen. »Glaubst du an Geister? An Seelen längst verstorbener?«
Kayden verzog die Brauen und presste die Zähne aufeinander. Seine Wangenmuskulatur tanzte. Allein der Ausdruck, den der junge Mann im Gesicht trug, war Antwort genug.
»Mein Volk glaubt daran, weißt du? Durch den lebendigen Geist meiner Mama sprachen die Seelen Vergangener. Ich glaube, dass es meine Bestimmung sein soll, irgendein vergangenes Blut mit dem eines Künftigen zu binden. Wirst du mir helfen?«
In seinen Zügen trat abermals dieses für sein Alter überheblich wirkende. Er dünkte sich selbstbewusst, eines Führers gleich.
»Solange deine Aufgabe mit der meinen zu vereinen sein wird, werden wir einander beistehen. Ich vermag nicht darüber zu urteilen, was deine Mama gesehen haben mag, aber die Wege des Schicksals sind verschlungen und zumeist unwegsam. Es ist an uns, nunmehr den ersten Schritt zu tun.«