Ich stehe mit meinen Eltern auf dem Schulgang und warte darauf, dass der Info-Abend anfängt. Heute Abend findet eine Art Elternabend statt. Es geht um das nächste Schuljahr. Welche Schulwechsel möglich sind, für unsere Streber. Mich kann man da nicht mehr dazu zählen. Vielleicht nächstes Jahr wieder. Caleb hat gute Chancen. Wird aber die Schule nicht wechseln um nicht von Sam und Jeremy getrennt zu werden. Das Hauptthema wird aber wohl die Klassenfahrt nächstes Jahr werden. Wir sind die erste Klasse die nach London fahren darf. Die Entscheidung ist erst vor ein paar Tagen gefallen, daher sind alle noch furchtbar aufgeregt. Ich habe das Pech, sollte ich versetzt werden, dass meine Eltern damit ein neues Druckmittel hätten. Und das wäre alles andere als schön.
„Hallo Morgan“, begrüßt mich Alice, als sie mit ihrem Mann und Söhnen bei uns ankommen. Jeremy steht mit seinen Eltern, Mary und Daniel, bei unserem Klassenlehrer. Begeistert sieht er nicht gerade aus.
„Hallo Mrs. White.“ Seit dem Morgen im Einkaufszentrum habe ich sie nicht mehr gesehen. Ich würde mich gerne entschuldigen. Aber nicht vor meinen Eltern, und die werden einen Teufel tun und mich aus den Augen lassen. Sie stehen auf meiner rechten Seite und können den Ohrstöpsel auf der anderen nicht sehen. Durch den Kapuzenpulli ist der Rest der Kopfhörer nicht zu sehen. Zumindest wenn man nicht direkt danach sucht. Wir gehen in den Raum, der für das Treffen hergerichtet wurde. Die Tische sind der Länge nach aufgestellt und sommerlich dekoriert. Im hinteren Bereich steht ein Tisch mit Kaffee und Kuchen. Wir setzen uns. Meine Mutter sitzt mir gegenüber neben Alice, mein Vater links von mir und Daniel auf meiner rechten Seite. Zwischen mir und Caleb, Jeremy und Sam sitzen am Ende, neben ihren Eltern, so dass ich nicht die Möglichkeit habe mit ihnen zu reden ohne, dass meine Eltern davon Wind bekommen.
„Ist das etwa ein Kopfhörer?“, raunzt mich mein Vater an. „Nimm ihn raus! Sofort!“ Ohne näher darauf einzugehen, mache ich was er verlangt. Unser Lehrer sagt ein paar Worte zur Begrüßung. Es wird Kaffee getrunken und Kuchen gegessen. Um mich herum ist das Geklapper von Geschirr zu hören.
„Morgan? Willst du keinen Kuchen?“, fragt mich Daniel. „Und sag jetzt bitte nicht, du bist auf Diät!“ Er lacht auf, so wie die anderen. Außer meinen Eltern.
„Ich habe keinen Hunger“, sage ich. Meine Mutter sieht mich mit einem Blick an, der sagt, ich soll mich bloß benehmen. Ich habe mir zu Hause schon anhören können, wie ich mich verhalten soll. Dass ich nett sein soll. Ich rutsche mit dem Stuhl nach hinten und stehe auf.
„Ich brauche frische Luft.“ Draußen angekommen, laufe ich um die nächste Ecke, ziehe die Kapuze über den Kopf und stecke mir die Kopfhörer wieder in die Ohren. Meine Eltern spielen allen die perfekte Familie vor, die wir aber nicht sind. Das macht mich so wütend. Ich laufe auf und ab in der Hoffnung mich nicht zu sehr rein zu steigern, sonst springe ich meinen Eltern vor den Augen aller Anwesenden an den Hals. Bevor wir das Haus verlassen haben, habe ich mir noch schnell meine Zigaretten eingesteckt. Jetzt zünde ich mir eine davon an. Inzwischen rauche ich schon einige Wochen, daher kratzt der erste Zug auch nicht mehr. Ich schließe die Augen, inhaliere den Rauch und singe in Gedanken das Lied mit. Kurz muss ich grinsen, was meine Eltern wohl machen, wenn sie mich erwischen. Da fällt mir etwas ein. Ich rieche nach Rauch. Sobald ich neben meinem Vater sitze wissen sie Bescheid. Bei dem Gedanken wird mein Grinsen breiter und ich ziehe noch ein letztes Mal an der Zigarette bevor ich sie wegschnippe. Als ich wieder um die Ecke laufe, laufe ich direkt in Jeremy rein, Caleb steht neben ihm und Sam kommt gerade aus dem Gebäude.
„Siehst du Jeremy, ich hatte Recht! Sie raucht!“, gibt Caleb von sich. „Schätzchen, du weißt schon, dass man es riecht?“ Ich kann mich nicht zurückhalten und muss wieder grinsen.
„Was ist denn so lustig?“, will Sam wissen, als er bei uns angekommen ist.
„Sie raucht!“ Jeremy spuckt die Worte förmlich aus. „Und sag mir jetzt bitte nicht, du hast es mir gesagt.“ Er sieht von Sam zu mir. „Ich dachte nur, so blöd kann sie nicht sein.“ In den letzten Wochen hatten wir zwar wieder den Kontakt wie früher, vor dem Streit. Allerdings nur in der Schule, ich hatte ja immer noch Hausarrest. Jetzt mache ich einen Schritt auf Jeremy zu und lege meinen Kopf in den Nacken, damit ich ihn ansehen kann. So langsam könnte er mal mit dem wachsen aufhören, er ist sowieso schön größer als der Durchschnitt.
„Ja, ich rauche“, flüstere ich ihm zu. Dann muss ich wieder grinsen. „Aber gleich wirst du erleben, warum das lustig ist.“ Ich dränge mich an ihm vorbei und gehe zurück zu meinen Eltern. Vor dem Zimmer bleibe ich noch einen Moment stehen und warte auf meine Freunde. Schließlich sollen sie den Spaß nicht verpassen. Ich ziehe mir die Kapuze vom Kopf während ich auf meinen Platz zusteuere. Angekommen, lasse ich mich auf den Stuhl fallen und beobachte im Augenwinkel meinen Vater. Er dreht langsam den Kopf zu mir. Auch meine Mutter auf der anderen Seite des Tisches muss den Rauch riechen. Langsam stellt die die Tasse, an der sie gerade genippt hat, ab.
„Das kannst du nicht ernst meinen?“, knurrt mich Dad an. Ich drehe den Kopf in seine Richtung und kann mich kaum beherrschen. Am liebsten würde ich laut loslachen. Ich zucke mit den Achseln.
„Doch, ich denke schon“, sage ich so locker wie möglich. Meine Mutter beugt sich über den Tisch.
„Woher hast du die Zigaretten?“, zischt sie. Ich lehne mich auf dem Tisch zu ihr rüber, so dass uns nur noch einige Zentimeter trennen.
„Die kann man kaufen.“ Mit der Zunge fahre ich kurz über mein Piercing, um sie daran zu erinnern, dass ich mir nichts verbieten lasse. Ich lehne mich wieder auf meinem Stuhl zurück als unser Lehrer anfängt über die Klassenfahrt zu reden.
„Das ist noch nicht vom Tisch“, sagt mein Vater ohne mich anzusehen.
„Klar doch“, flüstere ich, um den Lehrer nicht zu stören. „Lass mich raten! Hausarrest?“ Er antwortet nicht. Ich spüre wie Alice mich ansieht, erwidere ihren Blick aber nicht.
Nach einer gefühlten Ewigkeit ist das Gelaber endlich fertig. Mein Vater erhebt sich um mit den Lehrern über meine Versetzung zu reden. Meine Mutter fixiert einen Punkt auf dem Tisch und starrt vor sich hin. Neben uns unterhalten sich meine Freunde mit ihren Eltern. Worüber ist mir im Moment egal. Ob ich noch einmal an die frische Luft sollte? Nein. Zweimal hintereinander ist dann doch langweilig.
„MORGAN!“, schreit jemand von der Tür her und reißt mich aus meinen Gedanken. „HUHU!“ Mir klappt die Kinnlade runter als ich Tess sehe. Alle im Raum starren uns an. Was ist denn mit ihr los? Vor zwei Tagen hat sie mich in einer Pause abgefangen. Sie hat mir von ihrem nächsten Tattoo erzählt und ich ihr von dem Info-Abend. Was macht sie denn hier? Hätte sie nicht draußen warten können? Langsam erhebe ich mich.
„Du bleibst gefälligst sitzen!“, befielt mir meine Mum. Ich sehe wieder zu Tess, die genervt seufzt. Ohne weiter auf meine Mutter einzugehen, laufe ich auf Tess zu. Von der anderen Seite des Raums kommt mein Vater. Er läuft schnell, aber ich komme vor ihm an.
„Morgan“, quietscht Tess und fällt mir um den Hals als wir im Gang sind.
„Du bist betrunken!“, stellt mein Vater entsetzt fest. Tess lacht höhnisch auf.
„Dein Alter ist ja ein ganz Schlauer.“ Sie kichert. Das ist nicht nur Alkohol, sie hat etwas eingeworfen. Seit wann nimmt sie Drogen?
„Ich muss kurz mit ihr reden“, teile ich Dad mit. Ich will mich gerade umdrehen um mit Tess ein Stückchen zu gehen, damit mein Vater unser Gespräch nicht belauschen kann, als er mich fest am Oberarm packt.
„Du bleibst hier!“, befielt er. Die Tür geht auf und meine Mutter kommt heraus. Ich versuche mich von ihm zu befreien, aber er verstärkt den Griff, so dass ich aufschreien muss.
„DAD! Lass mich los!“ Auch Tess versucht seine Hand von meinem Arm zu lösen.
„Lassen sie sie los!“ Ihr Ton wird lauter, hysterisch. Dad zieht mich hinter sich, von ihr weg. Er lässt mich los, ich stolpere und lande rücklings auf dem Boden. Die Tür ist immer noch auf! Die betrunkene Tess hinter sich herziehend, die sich lautstark wehrt, geht mein Vater Richtung Ausgang. Meine Mutter ist unsicher, ob sie ihm hinterhergehen soll.
„Mum?“ Ich rapple mich wieder Boden auf und sehe Daniel in der Tür stehen. „Es geht ihr nicht gut. Ich muss ihr helfen.“
„NEIN!“, schreit sie mich an. „Du wirst dieses Mädchen nicht mehr wiedersehen.“ Daniel macht einen Schritt nach vorne um zu schlichten, wie sein Sohn geht mir durch den Kopf.
„Kate.“
„Halt dich da raus! Morgan, hol meine Tasche! Wir gehen nach Hause! Für heute hast du genug angerichtet! Ich warte draußen“, und damit verlässt sie die Schule.
„Morgan. Es tut mir leid.“ Daniel klingt aufrichtig. Warum auch nicht? Aber warum sollte es ihm leidtun? Er hat ja nichts gemacht. Alice taucht mit der Tasche meiner Mum auf. Mir fällt ein großer Stein vom Herzen. Noch einmal durch das Zimmer zu gehen, wäre der blanke Horror gewesen. Ich nicke ihr dankend zu, nehme ihr die Tasche ab und verlasse ebenfalls die Schule.