Das lautstarke Gegröle war bis weit in die Gasse hinein zu hören und brachte eine der streifenden Wachmannschaften auf den Plan. Noch bevor der Wirt oder einer der Gäste auf Geheis Breides nach dieser rufen konnte, riss ein Soldat mit bläulichem Wappenrock unwirsch die Tür zum Schankraum auf und stand einem Mahnmal gleich im Rahmen. Es fehlte nur noch aufkommender Wind, der dessen Haare und Kleidung tanzen ließ, um das Abbild eines Herolds zu vervollkommnen. Der Mann gab unverständliche Befehle und trat bemessenen Schrittes mit einer Hünengestalt als Begleiter ein, der einen jeden mit abschätzendem Urteil musterte. Sollte etwas an der Redensart - »Wenn Blicke töten konnten« - dran sein, müsste die Schenke augenblicklich von Leblosen strotzen.
Die Tür schloss sich hinter ihnen wie von Geisterhand geführt. Zweifelsfrei ließen sie vor dieser weitere Soldaten postiert. Üblich war ein Wachgang unter fünf Bewaffneten, also einer Schwadron.
»Was verflucht, soll der Lärm. Ihr kassiert allesamt die Peitsche und landet im Steinbruch«, barschte der missblickende Hüne.
»Wir haben einen Spitzel enttarnt, seht nur.«
»Halts Maul«, stieß selbiger Wachmann hervor und schubste einen nahestehenden brüsk zur Seite.
»Na, wen haben wir denn hier?« Eberhardt hob verwundert seine Linke ans stoppelige Kin. »Was habe ich dir und deinen Begleitern mit auf dem Weg gegeben?« Er erwartete keine Antwort und ging auch nicht davon aus eine solche zu erhalten. Er fuhr unbeeindruckt fort, als Kayden sich rührte und wie dumm dreinschaute. »Ah richtig. Ihr solltet nicht vom Weg abkommen und euch nicht aufdrängen. Welcher dieser meiner Worte habt ihr nicht verstanden?«
»Aber ...«
Unbekümmert schüttelte der Mann in den Farben Memnachs den Kopf und sah hinüber zu Serfem. Er blieb geistesgegenwärtig genug die blankgezogene Klinge auf dessen Arm nicht zu kommentieren und gab seinem Gefährten zu verstehen sich zurückzuziehen. Wissend schaute er zu Breide und wechselten mit dieser offenkundig einen wortlosen Disput, um sodann zum Erstaunen aller Anwesenden die Worte des Knaben, wie seinem thulenischen Freund zu bestätigten.
»Der Junge und sein blauhäutiger Begleiter kamen vom Hof des Großbauern. Ich weiß nicht, um was für einen Ring es sich hier handeln möge, den ihr Zecher so lautstark beschrien habt, aber eines weiß ich genau. Kein Spitzel benimmt sich wie ein Tölpel. Der Bengel läuft von einer Miesere in die Nächste und jetzt lasst ihn in Ruhe.«
Verhaltenes Gelächter erklang und die unliebsame Situation schien sich endlich zu entzerren. Die gespannte Lage entschärfte sich und Eberhardt wandte sich an Serfem, der nach wie vor unbeeindruckt einen jeden im Blick behielt. »Ihr solltet euer Spielzeug dahin stecken, wo es hingehört. In solchen Gassen, wie dieser, reagiert man üblicherweise ungehalten auf Waffen. Noch dazu in der Hand von Unbekannten mit blauer Haut.«
»Und der Kraftprotz von eben wartet draußen auf mich, um mich das zu lehren?«
Der Wachmann schüttelte besseren Wissens den Kopf und lächelte. »Im Gegenteil. Er und der Rest meiner Männer sichern die Gegend, damit ihr zwei jetzt tunlichst verschwinden könnt.«
Widerwillig gab der Trunkenbold den Jungen frei und stieß ihn zum Abschied und lautem Gelächter zur Tür, aus welcher er und sein Begleiter sich eiligst entfernten. Kayden wollte nur noch weg.
»Haben sie Streit gesucht«, erkundigte sich Eberhardt an niemanden persönlich gewandt, der weiterhin die bereits geschlossene Tür ansah. Er wusste nicht wieso oder aus welchem Grund, aber würde schwören, dass er den Burschen nicht das letzte Mal gesehen haben wird. Irgendetwas war im Busche und ausgerechnet dieser Dreikäsehoch erinnerte ihn an sein früheres Selbst.
»Nein, Wachhauptmann«, antwortete der Wirt und verzog schmollend das Gesicht. Er hob den Blick und sah aufmerksam hinüber zu jenem Platz, wo zuvor der Junge saß.
Seine Frau, die Bedienung, sah worauf sein Augenmerk viel und bückte sich. Dieser fremde Knabe verlor bei der Rangelei sein Büchlein. Eigenartig fand Breide, etwas in ihr fühlte sich durch den Jungen seltsam berührt. Er war ihr sofort sympathisch und löste ihn ihr ein ungewohntes Gefühl von Beschützerinstinkt aus. Wie damals als sie noch jünger und hübscher war. Unlängst vergrabene Erinnerungen kamen auf.
Mit verzogenem Mundwinkel und runzelnder Stirn richtete sie sich auf und war im Begriff die erloschene Kerze zurück in ein tönernes Schälchen zu drücken, als sie mitten in der Bewegung innehielt. Da waren sie. Schmerzhafte Andenken längst vergangener Tage und aufgegebener Hoffnungen.
Mit zittriger Hand stand sie da. Ihre Finger umkreisten einen Flecken auf dem Tisch und ihre Lippen begannen zu beben, doch kein Wort verließ ihren Mund. Tränen rannen über ihre Wangen.
Der Wirt bemerkte ihr seltsames Verhalten als Erster und warf seinen Lappen auf die Theke. Noch bevor er an Eberhardt vorbei war, hielt dieser ihn mit seiner Linken zurück.
»Breide, was hast du? Was ist da?«
»Ei Fläch«, stellte der Betrunkene lallend fest und schwankte.
»Ach was.«
»Ausch Wachsch«, lehrte dessen Stimme und hob wissend den Finger, ganz so, als wolle er einen Schüler seine Weisheit Offenbahren.
»Halt endlich dein Maul du Suffkopf«, schimpfte die Hausdame, ohne diesen eines Blickes zu würdigen. Sorgfältig, beinahe behutsam strich, nein streichelte, sie die Konturen des Wachsabdruckes nach. Sie hob den Kopf und schaute gedankenverloren zum Kaminsims.
Eberhardt schob und drängte sich durch umstehende, die ihren Weg zurück an die Tische suchten. Es gab nichts schlimmeres wie schales und zu warmes Bier. Der Trubel war beendet und die Wachmänner der Obristen in unmittelbarer Nähe. Demnach kein Grund sich weiterhin ungebührlich zu verhalten, auch wenn der anwesende Wachhauptmann kein Feind war.
Bei der Schankmaid angekommen, legte sich einer seiner Hände auf ihre Schulter, die andere über ihre auf dem Tisch ruhender Hand. Ihre Blicke trafen sich und ihre Augen vollzogen einen Schwenk von diesem Fleck aus Kerzenwachs und hinüber zum Kamin. Auf diesem waren noch die mutwillig zerstörten Insignien der Stadt und deren Gründerfamilie zu sehen. Darunter das der sieben Königsländer.
Behutsam hob Eberhardt ihre Hand an, sah hinab und nickte. Er sah zu seiner Rechten, dorthin, an dessen Tisch niemals die Kerze brannte und der dort sitzende Mann abermals an seiner Pfeife paffte. Dieser schien zu warten. Er stand auf und verließ die Schenke, als der Wachhauptmann ernst dreinblickte und verhalten nickte.