»Kannst du dich an ihn erinnern?« Wie immer, wenn Kayden auf seiner Bettstatt saß und den Rücken an die Wand lehnte, machte es sich Less auf seinem Schoß bequem. Er genoss es sichtlich die Ohren geknetet und gedreht zu bekommen.
Veyed überlegte und verzog zu seines Bruders Erheiterung dabei stets die Schnute. Er empfand es als total doofe Eigenart und machte sich lustig. Jedermann konnte erkennen, sobald er nachdachte oder sich zumindest dafürhielt. Handeln war somit zum Scheitern verurteilt, allenfalls zum Vergnügen aller Anwesenden.
»Da war dieser ältere Soldat. Du hast recht. Ich finde es immer noch sehr eigenartig, dass unsere Unterdrücker es zulassen, dass diese abgewetzten Uniformen getragen werden. Ich fand es von Anfang an verwirrend.«
»Darüber habe ich gar nicht nachgedacht. Ich habe zwar ab und an die blauen Farben von Memnach gesehen, aber ...« Er kratzte sich im Nacken und zog die Brauen Krauss. Less sah müde auf und schenkte ihm einen Blick, dessen so viel Bedeuten mochte wie ›hey, was soll das, Kraul gefälligst weiter‹.
Kayden schnaubte und schüttelte lächelnd den Kopf, bevor er sich begann zu rühren, und den Hund von sich zu schieben. »Los mach dich endlich runter. Mir sind die Beine eingeschlafen.«
Mitten im Raum blieb er stehen und sah seinem verletzten Bruder ins Gesicht. »Hast du eine Vorstellung wieso?«
Anstatt zu antworten, hob angesprochener einzig die linke Braue und schmunzelte. Ein Kopfnicken verhieß sein Wissen darüber.
Die Augen verdrehend hob Kayden die Arme und ließ diese ergeben wieder fallen. »Oh bitte, raus damit. Es kann wichtig sein.«
»Glaub mir Kleiner, das ist es nicht.«
»Und wieso nicht? Das muss doch etwas bedeuten.«
Kopfschütteln begleitete dessen Antwort. »Nein, tut es nicht.«
Tief holte Kayden Luft und pustete diese langsam aus. Betonend und bewusst gelassen sprach er weiter. »Und warum nicht, werter Herr neunmalklug?«
Veyed wollte unbekümmert aufstehen und seinem Schutzbefohlenen auf die Schulter klopfen, was er sogleich wieder bereute. Zu schnelle Bewegungen gar hektische, quittierte ihm seine Schläfe und der noch immer lädierte Arm mit unangenehmem Stechen. »Uh, scheiße.«
»Selber Schuld.«
»Du mich auch. Ernsthaft Kay, es ist diesem blauen Pack vollkommen egal.«
»Aber ...«
»Nein Kay. Ich habe doch bei dieser Breide und ihrem Mann gelegen. Du weißt, die Schenke. Ich habe beide danach gefragt, weil mir seitdem wir hier sind, diese Frage nicht aus dem Kopf will.«
»Ich versteh das nicht. Es sind doch aber altbekannte Farben. Zeichen dieser Stadt. Die Leute ...«
»Werden keinesfalls tun, was ihnen mehr schadet als nützt. Glaub' mir einfach. Dieser eisigen Schlampe, die Göttliche, interessiert sich nicht dafür. Den Thulenen und allen, die ihnen folgen oder hörig sind, wollen nur eines.«
»Ruhe?«
Veyed schnaubte und hätte sichtlich am liebsten gespien. »Nein. Demoralisierung. Sie geben nicht eher klein bei, bis der letzte Agreas freiwillig den Kopf in den Dreck steckt.«
Nebenher berichtete er von einer kürzlich seltsamen Begegnung in dieser Spelunke mit einem Bullen von Thulenen und einem deutlich jüngeren Begleiter, dem die Gäste später sogar einen Finger abschneiden wollten. Dieser Bursche habe einen hübschen goldenen Ring daran getragen und sollte derer Ansicht nach ein Spitzel gewesen sein. Erst nachdem die nächtliche Wachschwadrone eintraf und für Ordnung sorgte, war da wohl etwas, was beinahe zu einem Aufruhr führte.
Durch die Rauferei solle Kerzenwachs vergossen worden sein und auf diesem fand die Schankmaid einen Abdruck eines fliegenden Falken. Sie beschrieb diesen mit offenem Schnabel, so als würde er seinen Ruf erklingen lassen. Der Frau soll es beim Anblick eisigkalt den Rücken hinabgelaufen sein.
Ihr blau gekleideter Freund, dieser Eberhardt, müsse zudem ihr Bruder sein. Seltsam hingegen war noch eine düstere Person, die unbemerkt verschwunden sei, als ihr Fürsprecher ihn ansah.
Wissend nickte Kayden und abermals legte sich ein unbeschreibliches Etwas über dessen Züge. Wiederholt schimmerte in dessen Augen ein Glanz, der noch vor wenigen Atemzügen ganz bestimmt nicht dort zu sehen war. »Vermutlich gehen sie überall gleich vor und wer weiß ... vielleicht können wir genau das für uns nutzen.«
»Was verflucht geht dir durch den Kopf? Ich hasse es. Immer dann, wenn du so kuckst, sprichst du wie ein Möchtegern oder planst irgendein Ding.«
Der jüngere der beiden faste sich an sein Kinn und strich darüber. Mit Daumen und Zeigefinger zupfte er an seiner Haut. Er wusste, dass ihm noch nicht einmal Flaum im Gesicht wuchs, dennoch empfand er es als ... was auch immer. Less lag zusammengerollt unter dem Tisch und er wollte seine Hand einfach irgendwo wissen.
»Kay?«
»Mmh. Oh, ja. Nein, nichts Konkretes. Ich muss erst noch herausfinden, was es mit diesem Soldaten auf sich hat.«
»Du meinst diesen Wächter vom Tor. Diesen Wachhauptmann. Eberhardt?«
»Mmh, genau der. Irgendetwas ist anders an ihm.«
Nachdem der stechende Schmerz endlich vorüber war, setzte Veyed sich vollends auf und achtete darauf sich mit der gesunden Hand zuvor vorsichtig abzustützen. Es tat gut wieder etwas umherlaufen zu können, gleichwohl er das Zimmer nicht verließ. In drei Tagen wollten sie aufbrechen. Nicht wirklich lange, um noch brauchbare Erfahrungen zu sammeln. Dennoch war ihm bewusst, dass Kayden womöglich viel mehr Informationen aufschnappte als er, ganz zu schweigen von Serfem, der nach wie vor abwesend blieb.
»Erinnerst du dich an die Geschichten vom Müller?«
Mit krausen Brauen und verengtem Blick musterte Kayden seinen Bruder. Die Muskeln an seinem Hals arbeiteten, als er den Kopf hin und her neigte. Er schien verspannt und die Verletzung behinderte ihn in seinem alltäglichen Bewegungen. »Du redest jetzt hoffentlich nicht von der kleinen Brünetten? Seiner Tochter, nach der du all die Jahre geschmachtet hast? Lass deine Finger bloß, wo ich sie sehen kann.«
»Wir wissen nicht, ob sie noch klein ist. Aber eben diesen Müller meine ich.«
»Ich kenne nur eine Geschichte. Es war immer dieselbe.«
»Genau die«, bestätigte Veyed grinsend.