Vor knapp 5 Monaten begannen wir dann bereits Phase 2, Anpassung der Roboterphysiologie an die unendlich kleinen Größenverhältnisse der Nanowelt. Die modernste Mikroskopie, die für Geld zu haben war, half meinen Begutachtern die tatsächlichen Vorgänge der Nanowelt zu erkennen. Eine wirklich erstaunliche Sache. Obwohl ich seit über 200 Jahren ein Mann der Wissenschaft bin, den Mikrokosmos und auch den Makrokosmos ausgiebig studieren durfte, habe ich nie zuvor solch eine Ehrfurcht vor der Schöpfung und ihrer Herrlichkeit empfunden, wie in jenen Wochen. Dies half mir auch die Schrecken der ersten Tage innerlich abzuschütteln. Ich stürzte mich quasi jeden Tag, den ganzen Tag in die Arbeit. Außerdem gab es da noch eine andere Sache, die mir half, mich abzulenken, eine sehr angenehme, wie ich fand. Aber dazu später mehr.
Zu der Zeit dachten wir wirklich, dass wir Geschichte schreiben würden und etwas Großartiges entdeckt hatten. Fast jeden Tag, konnte ich Erfolgsmeldungen aus allen Abteilungen in Empfang nehmen. Ghoulin übertraf unsere kühnsten Vorstellungen. Das änderte sich aber an jenem Klipponstag. Dem Tag der Gründung unserer geliebten (oder gehassten, das kommt ganz auf den Blickwinkel an) Kosmischen Konstellation. Dem gesellschaftlichen Gefüge, aus dem wir alle unsere Kraft und unseren Sinn ziehen sollen. Alles hatte seinen Platz im Kosmos und das war auch gut so, nicht wahr?
Am Klipponstag vor 5 Monaten änderte sich dies jedoch leider schlagartig. Alles geriet aus den Fugen. Normalerweise gehe ich morgens einer gewissen Routine nach. Einfach um eine stetige Disziplin in meinem Leben aufrecht zu erhalten. Als Führungskraft mit meinem Gehalt wurde das einfach auch vorausgesetzt. Wer sich in meiner Position nicht selbst organisieren kann, ist schon nach einer Woche verloren. So war mein Zehn-Stunden-Tag also voll durchgetaktet. Aufstehen um 03:00 KK Zeit. Training in der Kraftkammer, Vibrohygiene, Eiweißfrühstück und 04:00 KK Zeit stehe ich an meinem Arbeitsterminal und sortiere meine Nachrichten nach Wichtigkeit. 04:30 KKZ war dann immer Teammeeting und 05:00 KKZ begann meine eigentliche Arbeit. Die ging manchmal bis 08:00, oder sogar 09:00 KKZ. Danach eine Stunde Erholung und drei oder vier Stunden Schlafen. Dies habe ich 4 Tage lang so durch gezogen und erst am Fünften geruht, um zu regenerieren.
Aber am besagten Klipponstag wachte ich schweißgebadet mitten am Tag um 06:00 KKZ auf und traute meinen Augen nicht recht, als mein Chronometer neben mir schwebte und mir die Zeit verkehrt herum anzeigte. Ich fühlte mich so schlecht, als wäre ich krank oder hätte zu viel getrunken, was beides nicht zutraf. Nicht nur der Chronometer schwebte, sondern alles, was nicht verankert war, in meinem Quartier schien in der Luft zu stehen. Der Magnetismus der Station, der uns vor den verwirrenden Gezeiten des Kosmos schützte, musste defekt sein. Das dachte ich zumindest. Auch ich schwebte zusammen mit meinem Bettlaken. Unbeholfen machte ich Schwimmbewegungen, um aus meinem Quartier herauszukommen. Nachdem ich mich von meinem Bettlaken befreit hatte, gelangte ich recht mühelos zum Ausgang. Dort musste ich mich allerdings an einer Kante festhalten, um nicht direkt in den Gang hinaus zu schweben. Ein Mitarbeiter, den ich nur flüchtig kannte, ich glaube, er hieß Barn oder so, aus der Reflutationsabteilung, kam schreiend an mir vorbeigeflogen und prallte ohne sich zu schützen oder mit der Hand abzuschirmen mit voller Wucht gegen dieselbe Kante meines Schotts und verfehlte mich nur um Haaresbreite. In seinen Augen tobte der Wahnsinn. So etwas sollte ich leider von da an öfter sehen, als mir lieb war. Der Knall des Aufpralls hörte sich an, als ob ein Knochen brach. Er verstummte sofort und ich erstarrte zu einer Säule, die schräg in der Luft hing. Was war geschehen, was passierte hier? Meine Gedanken kreisten und kreisten. Erst dachte ich, dass wir vielleicht einen Zusammenprall mit einem Meteoritenhaufen oder irgendeine Panne im Versorgungssystem hatten. Das wären schlimme Dinge gewesen. Aber das hätte ich einordnen und abhaken können, wenn alles repariert worden wäre. Dass was wirklich ablief, lässt mich noch jetzt erschaudern. Scheinbar war unser kostspieliges Projekt gar keine geheime Waffenforschung, was schon schlimm genug gewesen wäre, aber meinem bis dato schon völlig zurechtgestutzten Gewissen noch erträglich erschien. Nein, es war viel schlimmer. Da ich es gewohnt bin, Berichte zu verfassen und Dokumentationen anzufertigen, aber nicht gerade geeignet bin, etwas so Nervenaufreibendes aufzuzeichnen, wie das hier, bitte ich Sie um Nachsicht, dass ich manchmal schonungslos kalt und nüchtern darüber berichten werde, was vorgefallen ist. Bitte glauben Sie mir, dass ich mich am Rand eines Nervenzusammenbruchs befinde und über das alles nur noch trauern möchte. Doch damit dieser Alptraum hier und heute endet, muss ich stark und nüchtern bleiben. An anderen Stellen mag ich wiederum so klingen, als ob ich den Verstand verloren hätte. Zu meiner Verteidigung möchte ich wenigstens anbringen, dass das alles für vernunftbegabte Wesen, wie uns, die wir seit Jahrtausenden auf wissenschaftlicher Grundlage den Kosmos befahren und erobern kaum zu fassen ist. Aber ich schwöre bei meinem Leben, welches ich heute zum Wohle aller einsetzen werde, dass alles die Wahrheit ist und Nichts als die Wahrheit. Ich mache mir die Mühe dies hier alles der Reihe nach aufzuschreiben, damit nie wieder irgendwer, egal wie mächtig und reich er ist, auf die dämliche Idee kommt, diese Art der Forschung jemals wieder zu betreiben. Wer es dennoch tut, dem sei gesagt: »Verrecke an Deinem eigenem Gift und werde zermalmt von Deinem eigenen Monster, dass Du dressieren wolltest, obwohl es nicht dressierbar ist.« Nur ein zutiefst böses Wesen mit selbstzerstörerischer Tendenz, würde solch einen Wahnsinn je wieder zulassen. Jetzt schenke ich Ihnen reinen Wein ein, passen Sie gut auf!
(Anmerkung: Die Zeit eines Tages wird hier in zehn gleiche Stunden eingeteilt.)