Wie schon beschrieben verschlief ich den halben Tag und wachte nicht von einem Alptraum, sondern in einem Alptraum auf. Der Mann, Barn oder so, der schreiend an mir vorbeigeschwebt war, verharrte nach dem Zusammenprall bewegungslos im Raum. Als ich mich aus meiner Starre wieder lösen konnte, hechtete ich unbeholfen auf ihn zu. Eine klaffende Kopfwunde zeigte mir allerdings schnell, dass der Mann nicht mehr zu retten war. Sein Blut kleckerte wie rote Murmeln allmählich aus seiner Wunde und verteilte sich schimmernd im ganzen Gang. Ich selbst sah zu, dass ich von dem Mann wieder wegkam, aber die fehlende Bodenhaftung machte mir noch ganz schön zu schaffen. Mein Herz schlug mindestens auf 180. Was auch immer passiert war, es musste schlimm sein. Keiner hatte mich wecken lassen, der Notcomputer hatte keine Alarmroutinen laufen lassen und auch sonst schien hier nix mehr so zu funktionieren, wie es sollte. Die Lichter flackerten und sprangen zwischen grüner Notbeleuchtung und weißer Tagesbeleuchtung hin und her. Zu diesem Zeitpunkt rechnete ich aber immer noch fest mit einem Unfall oder Ähnlichem. Was auch sonst?
Als dann die zweite Leiche an mir vorbeischwebte, geriet ich aber wirklich in Panik. Es war Lonlio, meine wunderschöne Assistentin und zu meiner Schande muss ich das heute zugeben auch meine heimliche Geliebte. Das typische Klischee; alter Boss und junge Sekretärin traf leider voll auf uns zu. Ich wollte meinen Spaß und sie wollte bei Timurai die Karriereleiter nach oben klettern. Da trafen sich eben unsere Interessen. Egal, das ist eh alles vorbei und unwichtig. Ihr toter Körper, der seltsam verformt aussah, flößte mir solche Angst ein, dass ich beinahe kotzen musste. Doch mein leerer Magen verkrampfte sich lediglich. Ich hangelte mich an den Seitenpaneelen des Ganges weiter zur ersten Schleusentür, die ebenfalls offenstand, was dem Notfallprotokoll völlig widersprach. Außerdem versuchte ich die Fassung wieder zugewinnen, indem ich mir die Notfallprozeduren laut vorsagte. Quasi in dem Moment, indem ich durch die Schleuse hindurch flog, fiel ich wie ein nasser Sack zu Boden. Ich konnte mich geradeso noch abrollen. Mein Gehirn, dass wieder einigermaßen zu arbeiten schien und den ersten Schock überwunden hatte, signalisierte mir, dass das Problem mit der magnetischen Bodenhaftung behoben sei. Und das wäre endlich ein gutes Zeichen gewesen. Doch ein Blick zurück in den Gang sprengte meine komplette Sicht auf die physikalischen Gesetze. Im gesamten Gang schien weiterhin Schwerelosigkeit zu herrschen. Die beiden schwebenden Körper bestätigten dies leider eindrucksvoll. Aber dort, wo ich stand, war alles normal. Wie konnte so etwas nur nebeneinander ohne sichtbare Barriere existieren? Der Magnetismus der Station war ein Gesamtkonstrukt. Es war entweder an und intakt oder aber aus oder beschädigt. Aber es gab technisch gesehen keine Möglichkeit, dass es in einigen Bereichen funktionierte und in anderen nicht. Dafür war das zusammenhängende Magnetische System nicht ausgelegt. Das alles scheinabr frei herumschwebte, Unten, wie Oben war und umgekehrt, solche Zustände herrschten meines Erachtens nach nur im tiefen Äther des Kosmos. Meine Panik kehrte postwendend zurück. Mit der Hand schlug ich verzweifelt in die Luft des Ganges. Doch es gab keinen Widerstand, kein Kribbeln, einfach nichts. Nicht mal ein unsichtbares Energiefeld, welches diese physikalische Absurdität irgendwie hätte erklären können. Aber zu allem Unglück wurde es erst noch gruseliger an diesem Klipponstag, bevor es wieder besser wurde. Meine erste Begegnung mit diesen Wesen erwischte mich eiskalt. Als wenn alles andere nicht schon verwirrend und beängstigend genug war. Bis zu diesem Zeitpunkt war meine kühnste Vermutung, dass die Forschungsstation vielleicht von irgendeiner Xenoloiden Entität angegriffen wurde. Und möglicherweise hatten diese Xenos ja so fortschrittliche Waffen, dass ich es für lauter Spuk halten musste. Die Wahrheit, die ich später noch herausfinden sollte, sprengte jedoch alles bisher Dagewesene.
Während ich fassungslos zwischen dem Schweben des Ganges und dem magnetischen Normalzustand des Raumes dahinter hin und her sprang, um mich immer wieder davon zu überzeugen, dass dies echt sei, beugte sich ein großer Schatten über mich. Reflexartig zusammenzuckend drehte ich mich halb um, in der Erwartung eine weitere Leiche zu erblicken. Doch was ich sah, kann ich bis heute nur als Dämon bezeichnen. Noch nie, nicht mal im schlimmsten Alptraum habe ich in solch böse und schrecklich mächtige Augen blicken müssen, wie in jenem Moment. Da passt das alte Sprichwort, »Wer in das Angesicht des Bösen blickte, wird die Worte furchtbar, schrecklich und grausam nie mehr an andere Wesen verschwenden!« Der Augenblick, indem ich das Gesicht dieses Monsters ansah, dauerte höchstens eine Sekunde. Für mich fühlte es sich jedoch an, wie eine Ewigkeit. An dieser Stelle sage ich gleich, dass ich nicht einmal versuchen werde, zu beschreiben, wie dieses böse Ding aussah. Das ginge auch gar nicht, da ich später erfuhr, dass jeder Betrachter diese Wesen anders wahrnahm. Einer beschrieb sie schrecklicher, als der andere. Ich selber wollte in diesem Moment nur noch weg. Vor Entsetzen drehte ich mich um und verkrampfte mich in einer Art Embryostellung. Jeden Moment erwartete ich, von diesem Viech und seinen Krallen zerfetzt zu werden. Ich hörte meinen eigenen klagenden Schrei. Dagegen konnte ich gar nichts machen.
Als ich mich traute, die Augen wieder zu öffnen, starrte ich an die Decke meiner Unterkunft. Dann stand jemand vor meinem Quartier und begehrte Einlass. Der Computer musste mich mehrmals auffordern den Eingang zu öffnen, bevor ich überhaupt reagieren konnte. Meine Gedanken überschlugen sich. Warum war ich wieder in meinem Bett? Wo war das Monster hin? Dann blinzelte ich in das Angesicht von Lonlio. Wie konnte das sein? War das etwa alles nur ein Traum? Ich stotterte irgendwas in Lonlio´s verständnisloses Antlitz. Aber sie fragte mich bloß, was denn eigentlich mit mir los sei, ob ich krank sei oder so.
Angeblich habe ich den halben Tag verschlafen, was ein Blick auf den Chronometer auch bestätigte. Außerdem habe sie mich schreien hören. Als sie näher kam und ihre zarte Hand gegen meine Stirn hielt, um zu prüfen, ob ich Fieber hatte, fing ich an zu weinen und drückte ihre Hand ganz fest gegen meine Brust. Sie wusste gar nicht, warum ich eigentlich weinte und konnte nur schlecht damit umgehen. Aber das war mir in diesem Augenblick egal. Denn dass sie lebte, war für mich ein überwältigendes Wunder. Diesen kostbaren Moment wollte ich damals nicht durch meine Horrorgeschichte zerstören, darum habe ich Idiot ihr nichts davon erzählt. Vielleicht hätte ich es zu diesem Zeitpunkt noch verhindern können? Wer weiß das schon? Den Rest des Tages begab ich mich jedenfalls auf die Krankenstation. An Arbeiten war an diesem Tag nicht mehr zu denken. Ich behauptete einfach irgendwas und sagte, dass ich einen Alptraum hatte. Der Arzt gab mir ein Beruhigungsmittel und bat mir eine sensorische Psychoanalyse an, die ich jedoch dankend ablehnte. Ich behielt das alles für mich und hoffte inständig, dass das alles nur ein schlechter Traum war, obwohl mir alles so unheimlich real vorkam.