ANNA
Hilflosigkeit übernimmt meinen Körper. Zerfetzt mich förmlich. Lässt mein Herz gegen meinen Brustkorb schlagen. So fest, dass ich jedes Mal das Gefühl habe, es würde eine von meinen Rippen brechen. Die Gedanken wirbeln in meinem Kopf herum und suchen nach einem Ausweg. Lassen mich erneut wütend werden. Wütend auf Alex. Obwohl ich es nicht zulassen sollte, verletzen mich seine Worte. Ich weiß, er ist nicht er selbst. Oder vielleicht doch? Ich weiß es nicht. Aber auch wenn ich mir sicher wäre, dass er es nicht ist, schmerzt es mich trotzdem. Und dann wird das Gefühl der Hilflosigkeit in pure Wut gewandelt. Meine Hände werden glühend heiß und ich habe dieses, mir so bekannte Gefühl, als würde ich brennen. Wie schon einmal, erblicke in meinen Handflächen kleine Flammen. Alex's Gesichtszügen nach zu urteilen, scheint er überrascht zu sein und dennoch ein wenig belustigt darüber.
"Willst du mich jetzt mit kleinen Zündhölzern bewerfen?"
Sein Lachen erfüllt den Raum und lässt meine Flammen und meine Wut nur noch mehr wachsen. Lässt alles in mir brennen. Es fühlt sich an, als würde sich eine zweite Haut über meinen Körper legen. Als würde sich mein Körper mit Energie aufladen. Dann spüre ich es. Die Hitze überkommt mich und es fühlt sich beinahe so an, als würden die Flammen um mich herum weiter wachsen. Als würden sie größer werden. Größer denn je. Sie schießen förmlich aus mir und ein Blick in Alex`s Gesicht lässt mich wissen, dass er mehr als nur überrascht ist. Auf seinen Zügen ist der Anflug von Unsicherheit und Bewunderung zu erkennen. Jedoch nur einen einzigen Augenblick. Danach setzt er sich wieder in Bewegung. Er kommt auf mich zu und ich hoffe inständig, dass Nathan bald aus seinem kurzzeitigem Tod aufwacht um uns von hier wegzubringen. Meine Gedanken scheinen erhört zu werden, als er sich neben mir bewegt und seine Lider sich langsam öffnen. Sein Blick trifft mich mit voller Wucht und Überraschung und ich merke wie die Flammen um mich herum wieder abschwächen. Als würde ich durch Nathan abgelenkt werden. Doch keine Sekunde darauf richte ich meinen Blick wieder auf die Person, die ich glaube zu lieben. Ich will die Hoffnung nicht aufgeben, aber ich weiß auch, wann der Punkt erreicht ist, wo es keinen Ausweg mehr gibt und Flucht die einzige Option ist. Somit lasse ich die Wut und Entäuschung wieder kontrollieren. Die Energie in mir steigt erneut, sie lässt die Flammen weiter anwachsen. Alex ist fast bei mir angelangt und plötzlich habe ich Angst, dass ihn meine Hitze nicht aufhalten wird. Denn er läuft auch noch weiter, als die Flammen um mich herum ihn eingehüllt haben. Es ist, als würde er keinen Schmerz spüren. Er kommt immer näher. Doch dann, bevor er mich erreicht, spüre ich eine Hand in meiner. Nathan's lange Finger schieben sich langsam zwischen die meinen und umschließen fest meine Hand. Aber er scheint nichts zu spüren. Scheint keinen Schmerz zu empfinden. Großartig. Wirklich Großartig. Meine Flammen sind also nichts weiter, als Flammen, die eigentlich keine sind?
Alex wird uns umbringen. Er wird uns beide hier und jetzt umbringen und uns in die Welt der Toten schicken.
Nathan`s tiefe Stimme lässt jedoch plötzlich Hoffnung in mir aufkeimen.
"Konzentriere dich auf ihn. Er wird dir nur so nahe kommen können, wie du es zulässt. Also lass es nicht zu und ich werde dich so schnell wie möglich von hier wegbringen."
Die Worte schleichen sich in meine Gedanken und lassen mich das tun, was Nathan von mir verlangt. Was ich gerade von mir selbst verlange. Ich versuche ihn und mich vor Alex zu schützen. Und obwohl ich den alten Alex liebend gerne bei mir haben möchte, versuche ich diesen, von uns fernzuhalten. Meine gesamte Wut richtet sich auf ihn. Auf diese schwarzen Augen, die mich betrachten, als würde ich ihnen nichts bedeuten. Als würde ich nicht einmal zu seiner Vergangenheit gehören. Dann, endlich das erste Anzeichen dafür, dass meine Flammen Wirkung zeigen. Ein kleines Zucken in Alex's Gesicht und ein schmerzerfülltes Stöhnen, lassen mich hoffen. Doch ich will ihm auf keinen Fall mehr Schmerzen zufügen als unbedingt nötig. Am liebsten würde ich ihm kein Haar krümmen. Aber diese verdammte Situation verlangt es von mir. Und auch Nathan bin ich es schuldig. Auf keinen Fall darf ich zulassen, dass Alex ihm etwas antut. Nicht nur wegen Nathan. Ich weiß, es ist ein kranker Gedanke, aber ich will nicht, dass Alex eines Tages, wenn er vielleicht wieder der Alte ist, sich mit der Schuld abmühen muss, ein Leben genommen zu haben, das mir sehr am Herzen liegt.
Bevor meine Flammen jedoch zu schmerzvoll für ihn werden können, spüre ich einen festen Griff an meiner Hüfte. Nathan zieht mich an sich. Seine Brust presst sich gegen meinen Rücken und sein rechter Arm ist um meinen Bauch geschlungen. Seine Worte dringen leise in mein Ohr.
"Wir verschwinden jetzt."
Kaum hat er die Worte gesprochen spüre ich, wie ich mit enormer Wucht von meinen Füßen gerissen werde. Meine Augen können der atemberaubenden Geschwindigkeit kaum folgen. Doch eines kann ich sehen. Dass Alex`s Blick auf uns verweilt, so, als würde er nicht wissen, ob er uns verfolgen soll oder nicht. Als würde ihn diese Aktion überraschen. Aber was weiß ich schon? Ich kenne ihn kaum noch. Das Schlimmste dabei ist, dass er mich nur allzu gut kennt und nur Kälte gegenüber mir empfindet. So, als würde ich ihm nie etwas bedeutet haben.
Nathan's Hände zerren mich mit Vampirgeschwindigkeit aus der Kirche. Dann weiter, in einer etwas schnellerer Menschengeschwindigkeit in eine Gasse, die sich eine Querstraße weiter, neben der Kirche befindet. Mein Rücken wird an eine kalte Mauer gepresst und Nathan's kalter Atem trifft mein Kinn. Seine Hände halten mich noch immer fest, als hätte er Angst er würde mich verlieren. Sein Blick jedoch haftet weiter an der großen Tür, durch die wir gerade geflüchtet sind. Blut klebt in seinem Gesicht. An seiner Unterlippe und seiner Augenbraue. Die Wunden sind jedoch bereits geheilt.
"Folgt er uns?"
Er legt seinen Finger auf meine Lippen, damit ich nicht weiterspreche und daraus schlußfolgere ich, dass uns tatsächlich jemand verfolgt. Meine Geduld ist fast am Ende und auch, wenn ich nicht sprechen darf, will ich mich selber vergewissern. Also drehe ich meinen Kopf nach hinten um die Ecke und suche mit meinen Augen nach ihm. Doch was ich dort sehe, lässt mich noch panischer werden. Lexa. Dieses verdammte Miststück. Sie scheint gerade in eine heftige Diskussion mit der Rothaarigen von vorhin, verwickelt zu sein. Jedoch ist von Alex nichts zu sehen. Darum verstehe ich auch nicht, wieso wir noch immer hier sind. Am liebsten würde ich jetzt in meinem Bett liegen und mir die Seele aus dem Leib heulen. Wenn ich jedoch die Macht hätte Lexa auszuschalten, würde ich wohl auch das jetzt lieber tun. Vorallem, da ich so meinen Frust loswerden könnte.
Das hitzige Gespräch der beiden geht weiter und irgendwann machen die beiden sich wieder auf den Weg, in das Gebäude. Es scheint, als würde Nathan noch warten, bis sie durch die Tür verschwinden. Erst dann richtet sich sein Blick wieder auf mich. Sein Atem streift meine Stirn und die Worte kommen leise über seine Lippen.
"Tut mir leid, aber ich musste mich darauf konzentrieren, ihre Worte zu verstehen."
"Sorry, manchmal vergesse ich einfach, dass ihr das könnt."
Umgeben von diesen Wesen und diesen Kräften, vergesse ich selten aber doch, das ich nicht mit normalen Menschen herumlaufe.
"Was haben sie gesagt?"
Meine Neugier ist einfach zu groß um nicht nach den Neuigkeiten zu fragen. Ich muss wissen was sie vor haben. Will wissen ob es wirklich Alex ist. Also ich meine der Alex, den ich liebe und nicht das Arschloch von gerade eben.
"Wir müssen erst einmal weg von hier, falls er doch noch auf die Idee kommt uns zu verfolgen. Danach werde ich dir alles erzählen. Aber es wird dir nicht gefallen. Jetzt Komm."
Auch, wenn ich nicht wirklich geduldig bin und kaum noch darauf warten kann, zu erfahren was mir nicht gefallen wird, folge ich Nathan als er meine Hand ergreift. Mit schnelleren Schritten laufen wir die ruhigere Gasse entlang, bis wir an einer Abzweigung ankommen. Nathan scheint zwar zu wissen, wo wir lang müssen, jedoch stoppt er und plötzlich spüre ich das volle Gewicht seines Körpers auf mir. Bevor ich kapiere was los ist, sinkt er zu Boden und klammert sich an meine Hand.
"Nathan! Was ist?"
Er scheint etwas sagen zu wollen und muss sich bemühen, die Worte über seine Lippen zu bringen. Es ist, als würde ihm irgendetwas die Energie nehmen, denn an seinen Fingern erkenne ich, wie sich die Adern hervorheben und in ein dunkelblau färben. Als würde irgendetwas an ihm zerren.
"Blut...ich brauche Blut."
Sein schmerzerfülltes und schwaches Stöhnen lässt mich sofort reagieren. Da ich ohnehin schon neben ihm hocke, bewege ich meinen Nacken auf seine Lippen zu. Ich bin mir sehr wohl bewusst, dass er mich auch umbringen könnte. Doch er braucht meine Hilfe. Obwohl er unsterblich ist, fühlt es sich trotzdem gerade so an, als würde er genau das tun. Als würde er sterben. Sein kalter Atem streift die Haut an meinem Nacken und schon spüre ich die Spitzen, die sich langsam in mein Fleisch bohren.
Anfangs hält er sich noch zurück, doch je mehr von meinem Blut er mir nimmt, desto fordernder wird er. Seine Hand gleitet unter meine Haare, auf die andere Seite meines Nackens. Die andere Hand legt er auf mein Handgelenk um mich festzuhalten. Ich weiß, dass mein Blut verlockend ist, aber ich versuche mir selbst zu versichern, dass er aufhören wird, wenn er genug hat. Nur was ist, wenn ich da bereits blutleer und tot neben ihm liege? Vorallem, da ich spüre, wie ich immer schwächer und schwächer werde.
"Nathan, es ist zuviel."
Meine Worte scheinen ihn nicht zu erreichen. Also versuche ich mit meiner Hand seine Finger an meinem Nacken zu berühren und ihn somit zum aufhören zu animieren. Es muss einfach funktionieren. Ansonsten wird er mich aussaugen bis auf den letzten Tropfen.
"Nathan. Bitte."
Und dann, bevor ich wieder diesen verschwommenen Blick bekomme, spüre ich, wie sich seine Zähne von meinem Fleisch zurückziehen. Seine Finger schieben sich zwischen meine und sein kalter, abgehackter Atem streift mein Kinn. Ich kann noch immer seine Lippen auf meinem Nacken spüren. Irgendetwas passiert hier gerade und ich kann nicht erklären was es ist. Es fühlt sich so an, als würden wir gerade miteinander verbunden sein. Nicht diese normale alltägliche Verbundenheit. Es ist, als würde ich Zugang zu seinen Gedanken haben. Als wüsste ich, was er gerade fühlt. Denn Schuld überkommt mich und Tränen laufen meine Wangen hinab. Es vergehen gefühlte Minuten, die wir so verharren. Keiner scheint zu wissen, was hier gerade passiert ist. Doch dann höre ich die vertraute Stimme leise in meinem Ohr, die diesen verwirrenden Augenblick unterbricht.
"Es tut mir so leid, Anna. Ich wollte dich nicht...also ich konnte nicht sofort aufhören."
Meine Augen suchen nach seinen und die Schuld, die sich darin spiegelt ist kaum zu übersehen. Es tut ihm leid und ich weiß es. Ich glaube ihm.
"Ist schon in Ordnung. Du hast aufgehört. Das ist das Wichtigste."
"Ich hätte erst gar nicht von dir trinken dürfen."
"Doch Nathan. Du musstest trinken. Was war los?"
"Ich weiß es nicht. So Etwas ist mir in meinem langen Leben noch nie passiert. Ich weiß nicht, was los ist. Es fühlt sich irgendwie gerade alles so anders an. Als würde ich ein Gefühl von Wärme empfinden. Und glaub mir, das habe ich nun schon seit meiner Verwandlung nicht mehr gspürt. Einzig alleine, als ich kurzzeitig ein Mensch war. Aber mit Sicherheit nicht als Vampir."
Plötzlich höre ich Stimmen hinter uns und bemerke erst jetzt, dass eine Gruppe Jugendlicher die Straße entlang kommt, direkt auf uns zu. Wir können nicht riskieren, dass sie Nathan und mich, blutüberströmt entdecken. Also richtet sich Nathan mit erneut gewonnener Kraft auf und reicht mir seine Hand. Ich lege meine in seine Hand und er zieht mich nach sich. Um nicht doch noch entdeckt zu werden, machen wir uns mit schnellen Schritten auf den Weg.
Als wir die Tür zu Alex's Haus öffnen erwarten uns bereits Marius uns Melina. Mit besorgtem Gesichtsaudruck kommen sie auf uns zu. Keine Sekunde darauf beginnt Melina, deren braunes Haar heute irgendwie etwas durcheinander aussieht, in ihrer gewohnten Umgangsform zu fluchen.
"Ach, du heilige Scheiße, was ist mit euch beiden passiert?"
Nathan, der noch immer etwas geschwächt ist, schüttelt nur den Kopf und ein bitteres Lachen kommt über seine Lippen.
"Anna hatte einen Begegnung der besonderen Art."
Fragend richten sie ihren Blick auf mich und warten auf eine Erklärung, die ich ihnen auch gerne geben möchte. Doch bevor ich meinen Mund öffnen kann, um ihnen alles zu erzählen, lasse ich mich auf die Couch fallen und sinke in die weichen Kissen. Ein leises Seufzen schleicht über meine Lippen. Für einen kurzen Moment vergesse ich das Geschehene und versuche die Ruhe vor dem Sturm zu genießen.