ANNA
Ein Gefühl von Leere macht sich in mir breit, als ich in die Augen der anderen blicke. Sie werden mir fehlen und ich weiß nicht, ob ich sie jemals wieder sehen werde. Ich weiß, dass Alex mich töten wird, wenn ich meine Dienste erfüllt habe. Aber ein kleiner Funke Hoffnung in mir lässt mich daran glauben, dass er vielleicht seine Gefühle für mich wieder zurückerhält.
Aber es ist besser nach einem kleinen Strohhalm zu greifen und zu hoffen, als sich an einem Seil festzuhalten und doch zu fallen.
Das Geräusch der Tür, die ins Schloss fällt, lässt mich erneut zusammenzucken. Seine Hand liegt noch immer auf einem dieser Armreifen, die langsam zu schmerzen beginnen. Als wir das Bike erreichen, greift er nach dem Helm und zieht ihn mir, dieses Mal etwas sanfter über. Das Bike startet und ich versuche so elegant wie möglich mein Bein über die Maschine zu schwingen. Bevor ich mich richtig positionieren kann, startet er bereits den Motor und fährt los. Durch die Beschleunigung falle ich fast von dem Bike, hätte ich nicht schnell reagiert und die Hände um Alex's Hüften geschlungen. Wider erwarten drückt er mich dieses Mal nicht von sich und ich kann die brennende Wärme zwischen uns wieder spüren.
Die Fahrt von der Kirche bis zu seinem Haus war qualvoll. Diese Nähe, sie hätte mich fast umgebracht. Dieses Gefühl etwas haben zu wollen, es aber nicht erreichen zu können, bringt mich fast um.
Die Lichter und die Geräusche des Stadtlebens ziehen an uns vorbei. Nachdem wir über die eine riesige Brücke fahren, lassen wir langsam die Lichter New York`s hinter uns.
Hätte mich auch gewundert, wenn wir in New York geblieben wären. Dort würden ihn seine drei Hexen bestimmt suchen und auch finden. Wobei ich nicht verstehe, wie diese Kontrollsache von Salivana funktioniert. Ob sie ihn auch noch aus der Ferne zu kontrollieren versucht.
Als er jetzt richtig am Gas zu drehen beginnt, schlinge ich meine Arme noch fester um seine Hüften. Ich würde lügen, wenn ich sage, dass ich das nicht genieße. Irgendwie ist es aber auch erbärmlich von mir. Die Nähe von Jemandem zu suchen, der dich so dermaßen verabscheut, dass er dich am liebsten töten würde, würde er nicht so dringend deine Hilfe brauchen.
Die Zeit fliegt an uns vorbei, wie die Gebäude neben der Straße. Der Anblick der Sonne sich am Horizont langsam aus ihrem Schlaf erhebt, lenkt mich etwas von meinen schmerzenden Handgelenken ab. Das helle Rot und das schwarz des Nachthimmels treffen aufeinander und die Sonne beginnt damit, die Dunkelheit der Nacht zu verdrängen und sich ihren Weg zu bahnen. Für einen kurzen Moment wirkt alles vollkommen friedlich. Genau dieser Moment ist so friedlich. Wieso kann es nicht einfach für immer so bleiben? Wieso musste ich ihn verlieren?
Die Sonne ist nun schon vollkommen aufgetaucht und wir sind schon so lange unterwegs, dass ich das Zeitgefühl verloren habe. Was mich jedoch die Situation immer weniger genießen lässt, ist das Reiben der Armreifen auf meiner Haut. Mittlerweile sind meine Gelenke schon wund und das Massieren meiner Finger darunter kann den Schmerz auch nicht mehr lindern. Immer wieder versuche ich eine andere Position für meine Gelenke zu finden um den Schmerz zu lindern. Doch jetzt wird es bei jeder Bewegung nur noch schlimmer. Als würde sich mein Körper gegen diese Armreifen wehren. Um es durchzustehen, versuche ich mich ein wenig abzulenken indem ich mich noch näher an Alex's Rücken schmiege, die Augen schließe und mir vorstelle, dass alles in Ordnung ist und er mich immer noch liebt. In Gedanken verloren spüre ich, wie mein Körper noch mehr an seinen gepresst wird, als er abbremst. Als ich meine Lider wieder öffne, erblicke ich eine Tankstelle und bald darauf eine Zapfsäule neben der er das Motorrad stoppt. Er gräbt seine Finger in meine Oberschenkel und schiebt mich zurück, sodass ich absteigen muss. Kurz nachdem meine Füße den ausgebleichten Aspahlt unter sich haben und ich einen festen Stand, hüpft er vom Sitz, als würde er vor etwas flüchten. Das Wissen, dass er vor meiner Nähe flüchtet, verletzt mich. Diese Schmerzen, die dieser Gedanke in meinem Herz auslöst, ist kaum auszuhalten. Am liebsten würde ich laut Schreien. Würde gerne den Schmerz gen Himmel brüllen. Mir Selbst bin ich es jedoch schuldig, dass ich Stärke beweise.
Mittlerweile schaffe ich es im Alleingang den Verschluss des Helmes zu öffnen und ihn über meinen Kopf zu ziehen. Das Durcheinander meiner Haare versuche ich mit meinen Fingern etwas zu bändigen und lege den Helm am Sitz ab. Der Wind der mir entgegenweht, ist so angenehm auf meiner Haut, dass ich meine Lider erneut schließe und die frische Luft in meine Lungen sauge.
"Wenn du fertig bist mit herumstehen, sag Bescheid."
Seine gereizte Stimme reißt mich wieder aus den Gedanken und schon erblicke ich diese Dunkelheit in seinen Augen, als er den Zapfhahn wieder an der Säule befestigt.
"Komm jetzt."
Gerne würde ich seinen Worten etwas entgegnen, aber ich weiß es würde nichts bringen und ihn nur noch wütender machen, also folge ich ihm in den Shop der Tankstelle. Die Glocke der Glastür bewegt sich und gibt ein unüberhörbares Geräusch von sich, als wir durch die Tür gehen. Wie sein leibeigener Sklave folge ich ihm und bin verwirrt, als er eine Wasserflasche und einen Schokoriegel einpackt. Als er bezahlt und mich der Angestellte hinter der Kasse begutachtet und sich ein besorgter Blick auf seine Züge legt, der sich mit höchster Wahrscheinlichkeit auf meine verdammten Armreifen und mein Aussehen bezieht, unterbricht ihn Alex, indem er seine Stimme erhebt, als er ihm das Geld reicht..
„Ist so in Ordnung.“
Dann packt er mich an meinem Oberarm und zieht mich etwas unsanft wieder nach draußen. Bei dem Motorrad angekommen lässt er los und hält mir die Wasserflasche und den Schokoriegel entgegen.
„Iss.“
Überrascht von seiner plötzlichen Fürsorge starre ich ihn an und schüttle meinen Kopf. Mein Magen ist noch immer nicht wieder vollständig genesen von den Vorkommnissen und dieser Fahrt.
„Ich will nicht.“
„Ich kann deinen Magen die ganze Zeit über knurren hören. Du wirst jetzt essen.“
„Nein, werde ich nicht.“
Wütend greife ich nach der Wasserflasche und öffne sie. Seine Augen starren mich weiterhin dunkel an und beobachten mich, als ich die Öffnung der Wasserflasche an meine Lippen lege. Um die Schmerzen an meinen Gelenken etwas zu lindern, schütte ich etwas von dem kalten Wasser über die bereits blutende Stelle. Da daraufhin ein brennender Schmerz folgt, ziehe ich scharf die Luft ein. Noch immer liegt sein Blick auf mir, doch als ich vor Schmerz die Luft einziehe, verändert sich etwas in seinen Augen. Für einen Augenblick scheint etwas in seinen Augen aufzublitzen, dass mir so fremd und doch so bekannt ist. Dieser Blick, als wäre etwas Wärme in sein Herz zurückgekehrt.
„Fertig?“
Um mich an diesem Blick festzuhalten und mich nicht von seinem barschen Ton verletzten zu lassen, ignoriere ich seine Gereiztheit und werfe die Wasserflasche in einem hohen Bogen in den Eimer, der neben der Zapfsäule platziert ist. Zu meiner Freude treffe ich auch und kann mir ein kleines Lächeln nicht verkneifen. Was ihn natürlich nur noch mehr zu reizen scheint, als ich mit einem genervten Blick bedacht werde.
***
Nach einer weiteren Etappe mit dem Bike habe ich endlich eine Ahnung, wo wir sind. Ein ausgebleichtes Schild mit der Aufschrift West Virginia taucht am Rand der Straße auf und die Angst vor dem, was er mit mir vorhat wächst mit dem Wissen, dass wir bereits so weit gefahren sind.
Um uns herum sind nur noch Bäume, die wie eine Mauer in den Himmel ragen. Als Alex`s die Geschwindigkeit drosselt und in einen nicht asphaltierten Weg abbiegt, presst mein Körper sich automatisch an seinen. Wir fahren diesen Weg noch eine Zeit entlang und bei jeder Erhebung werde ich daran erinnert, dass ich schon einige Stunden auf dieser Maschine sitze. Mein Hintern schmerzt sowie mein Rücken und meine Handgelenke.
Irgendwann drosselt er erneut die Geschwindigkeit und zwischen den Bäumen taucht so etwas wie eine Lagerhalle auf. Das Gebäude hat kaum ein Fenster und das Blech an der Vorderseite sieht aus, als hätte es die besseren Jahre hinter sich und der Rost, die besten vor sich. Die ausgebleichte rote Farbe des Schildes, das über dem großen Tor angebracht ist, lässt nur noch vage Buchstaben erkennen. Das Geräusch des Motors erlischt und um uns herum ist nur noch der Wind zu hören, der sich zwischen den Bäumen seinen Weg bahnt und dadurch einen leisen pfeifenden Laut von sich gibt.
Alex zwingt mich erneut zum Absteigen, indem er seine Finger auf meine Oberschenkel legt. Ungelenk und etwas wacklig auf den Beinen schaffe ich es auch. Alex folgt mir und wartet auf mich, bis ich es geschafft habe, diesen Helm von meinem Kopf zu bekommen. Der genervte Ausdruck auf seinem Gesicht lässt meine Hände zittern. Um seinen Geduldsfaden nicht noch weiter zu überspannen, unterdrücke ich die Frage, die auf meinen Lippen brennt. Obwohl ich gerne wissen will, was das hier soll. Wieso er mich hier her bringt? Um mich doch zu töten? Also folge ich ihm ohne Widerstand.
Die alte braun-gefleckte Tür öffnet sich mit einem schrillen unangenehmen Quietschen und ich folge Alex in das Innere der Halle. Vor mir kann ich zwei Hebebühnen und altes Werkzeug erkennen, dass so aussieht als hätte es schon lange keiner mehr benutzt. Als er das Licht anmacht, sehe ich auch eine Treppe, die nach oben führt. Zielstrebig marschiert er auf diese zu und ich folge ihm. Die erste Treppe knarrt unter Alex`s Füßen und seine Schuhe hinterlassen einen Abdruck in der Staubdecke, die sich über jeden Zentimeter dieser Halle legen zu scheint. Jedesmal wenn ich einen Fuß auf eine Treppe setze, hoffe ich inständig, dass das alte Holz nicht unter meiner Last zerbricht und ich mit meinem Hintern am kalten Betonboden lande. Doch Alex drängt mich mit seinem unnachgiebigen Blick dazu, schneller zu gehen, bis wir oben ankomen und es so aussieht, als wäre dies hier eine richtige Wohnung. Eine Küchenzeile mit einem Retro-Kühlschrank zu meiner rechten und ein alter kleiner Holztisch in der Mitte lassen keinen Zweifel daran, dass es eine seiner Unterkünfte sein muss.
„Wie viele Häuser hast du eigentlich?“
Verwirrung über meine eigenen Worte lassen mich für einen kurzen Moment innehalten um mich für die bevorstehende, vernichtende Antwort von ihm bereit zu machen. Wieso habe ich nur meinen Mund aufgemacht? Bei seinen genervten Worten, zucke ich sofort zusammen.
„Was intressiert dich das!“
Dieses Mal scheint seine Antwort nicht dieselbe Wirkung auf mich zu haben, wie seine anderen Worte. Vielleicht bin ich ja schon an seinen Ton gewohnt und kann mich damit abfinden. Solange er mir nicht körperliche Schmerzen zufügt, werde ich mit seiner Art leben können. Dies zu meinem Bedauern aber mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht sehr lange, da er mich auch bald umbringen könnte.
„Keine Ahnung. Ich dachte, ich überbrücke die angespannte Stimmung mit etwas Smalltalk. Aber du scheinst eher nicht der Typ dafür zu sein.“
Einer seiner Mundwinkel scheint sich nach oben zu bewegen. Fast so, als würde er über meine Worte schmunzeln müssen und ich bin irgendwie stolz auf mich selbst, dass ich mutig genug war, diese Worte ohne Zittern über meine Lippen gebracht habe.
„Ruh dich aus. Ich besorg dir etwas zu Essen. Ich will, dass du Morgen deine volle Energie hast.“
„Wie soll ich mich ausruhen, wenn diese verdammten Armreifen sich immer weiter in meine Haut brennen?“
Dieses Mal scheine ich es mit meiner schnippischen Art etwas übertrieben zu haben, als er auf mich zumarschiert, meinen Oberarm packt und mich vor eine der drei Türen zerrt.
„Du ruhst dich verdammt noch mal aus und tust, was ich dir sage. Vergiss nicht, dass du nur hier bist, weil ich es erlaube. Weil ich deine Kräfte brauche. Also halt deine verdammte Klappe.“
Wie ein Faustschlag ins Gesicht hallen diese Worte in meinem Kopf nach. Wie kann Jemand nur so kalt sein? So unberechenbar? Sein Blick ist dunkel und doch scheint er in seinem Kopf etwas abzuwägen. Sein Griff an meinem Oberarm wird sanfter und seine Augen finden die meinen, als er auf mich herabblickt. Sein Atem streift meine Lippen und es fällt mir schwer, mich bei dieser Situation nicht an unseren ersten Kuss zu erinnern. Wie gerne würde ich jetzt meine Lippen auf seine legen. Die Berührung, die er plötzlich mit seiner Hand vollführt, lässt mich erneut erstarren als seine Finger langsam meinen Arm entlangfahren und an einem der Armreifen stoppen. Dann löst er seinen Blick von meinem und schiebt seine Finger unter den Reifen.
„Wenn du auch nur einmal versuchst dich gegen mich zu wehren oder ohne meine Erlaubnis deine Kräfte verwendest, dann werde ich deine Freunde und deine Familie auslöschen. Hast du kapiert?“
Die Vorstellung, dass ihnen auch nur ein Haar gekrümmt wird, hinterlässt einen herben Geschmack auf meiner Zunge. Also nicke ich, in der Hoffnung, dass er mir glauben wird.
Mit einem leisen Knarren und einem darauffolgenden lauten Krach, öffnet sich der Armreif auf meiner linken Hand und fällt zu Boden. Das Gefühl von Erleichterung überkommt mich, als ich mit meiner anderen Hand über die blutunterlaufene Haut streiche. Doch Alex nimmt auch meine rechte Hand in seine, schiebt ebenfalls seine Finger darunter. Auch dieser Armreifen fällt mit einem klirrenden Geräusch zu Boden. Endlich frei von diesen Dingern. Ein Gefühl, als hätte ich stundenlang einen zwanzig Kilo schweren Rucksack auf meinen Schultern getragen und ihn jetzt abgelegt. Ein Gefühl, als würde ich fliegen. Ein Lächeln legt sich auf meine Lippen und meine Augen suchen die seinen, als ich ihm ein leises „Danke“ zuflüstere.
Doch da habe ich mich wohl zu früh gefreut und naiv daran geglaubt, dass er auf einmal Mitleid hat. Denn mit einem unsanften Stoß gegen meinen Rücken werde ich in das Zimmer geschubst, dessen sterilen weißen Wände mich empfangen.
Als die Tür hinter mir ins Schloss fällt, kann ich nur noch ein leises verärgertes Murmeln von Alex wahrnehmen. Die Worte klingen wie ein „Diese Nähe bringt mich noch um“. Keine Ahnung, ob ich diese Worte richtig verstanden habe, aber wenn er damit die Nähe zu mir meint, dann bin ich nicht überrascht. Denn die Nähe zu ihm wird mich ebenfalls bald umbringen.
Und jetzt bin ich hier alleine. Alleine in diesem Zimmer. Alleine, ohne Alex. Alleine, ohne meine Freunde. Das Erbärmlichste ist es, dass auch, wenn Alex mich nicht mehr liebt, mir bereits jetzt seine Nähe fehlt. Genau dies lässt mich erneut Angst haben. Angst davor, mich auf eine falsche Hoffnung zu stürzen.
Um nicht komplett in meinem Leid zu ertrinken, versuche ich mich damit abzulenken, dass Zimmer zu erkunden, dass aussieht als hätte es ein Arzt eingerichtet. Das weiße Bett in der rechten Ecke des Raumes hebt sich kaum von der ebenso weißen Wand ab. Das einzige was hier eine andere Farbe zu haben scheint, ist die beige Decke, die am Bett liegt und der alte abgenutze Eichendielenboden. Eine kleine weiße Kommode steht zu meiner linken und darauf steht etwas, das aussieht, als wäre es einmal ein Blumenstock gewesen.
Erschöpft und vollkommen überwältigt von meinen Gefühlen lasse ich mich rücklings auf das Bett fallen und beobachte die Staubwolke, die sich daraufhin um mich bildet. Sieh es positiv. Das bedeutet, es hat schon länger keiner mehr hier geschlafen und die Bakterien sind bereits abgestorben.
Keine Ahnung wie lange ich nun schon hier liege und die, wie soll es auch anders sein, weiße Zimmerdecke über mir anstarre. Wie soll ich mich ausruhen, wenn die Gedanken in meinem Kopf mich so sehr beschäftigen? Wieder lasse ich meinen Blick durch das Zimmer schweifen und stoppe bei diesem Blumenstock.
Die Äste der Pflanze, was immer es auch einmal war, sind schon teilweise abgebrochen und sehen aus, als könnte sie bereits ein kleiner Funken entzünden.
Doch dieser Anblick hat auch etwas, dass meine Neugier weckt. Würden meine Kräfte zulassen, diesen Blumenstock wieder zum Leben zu erwecken? Einige Minuten jongliere ich diese Gedanken noch in meinem Kopf umher. Doch bald wird mir klar, dass jede Beschäftigung hier besser ist, als weiter an die Decke zu starren und nachzudenken. Also setze ich mich mit dem Rücken an die Wand auf das Bett, winkle meine Füße an, um meine Arme darauf zu platzieren und starre das weiße Tongefäß mit der vertrockneten Pflanze an. Mein Blick fixiert mein Versuchsobjekt und ich versuche meine Gedanken auf dieses Ding zu richten, indem ich mir vorstelle, wie die Energie in den Ästen nach oben fließt. Wie sich Knospen bilden und sich die grünen Blätter darauf wieder entwickeln. Anfangs passiert gar nichts. Doch dann spüre ich etwas. Etwas, dass sich anfühlt, als würde ich selbst mit Energie gefüllt werden. Mein Herz setzt einmal aus, als ich etwas an einem der kleinen Äste bewegt. Um es besser erkennen zu können, kneife ich meine Augen zusammen und konzentriere mich weiter. Dann kann ich es tatsächlich sehen. Es bilden sich Knospen. Zuerst eine und dann immer Weitere. Die Euphorie über meinen Erfolg lässt mich noch weiter machen und schon sehe ich, wie sich das erste Blatt zu bilden scheint. Es ist so spannend, dass ich es selbst kaum aushalte.
„Was soll das hier?“
Die laute Stimme und der Krach der Tür, die plötzlich aufgeschlagen wird, lassen mich zusammenzucken. Mein Blick fällt sofort auf ihn. Seiner jedoch nicht auf mich, sondern auf die Pflanze, die ich nun ebenfalls anstarre. Doch anders als erwartet, sehe ich nur noch wie sich die Knospen wieder zurückbilden und sie wieder aussieht wie vorher. Ohne jegliches Leben. Ich fühle dabei ebenfalls wie das Leben aus mir tritt, denn ich habe gegen die Abmachung verstoßen. Ich habe das bisschen Vertrauen missbraucht. Ich habe seine Wut nun auf mich gelenkt.