ANNA
„Alex, bitte. Es tut mir leid.“
Seine Augen färben sich ebenso dunkel wie seine Aura, als er mit schnellen Schritten auf mich zukommt. Zum ersten Mal habe ich wirklich Angst vor ihm. Aus seinem Gesicht scheint jegliche Liebe verschwunden zu sein. Seine Finger legen sich um meinen Hals. Ich versuche mich zu wehren, als er sich auf mich stürzt und ich flehend nach Luft schnappe.
Seine Finger graben sich so fest in mein Fleisch, dass es mir unmöglich ist zu atmen. Durch sein Gewicht wird mein Körper noch weiter in die Matratze gedrückt. Ich bin ihm völlig ausgeliefert und eine kleine Träne des Schmerzes läuft über meine Wange. Doch plötzlich ändert sich etwas in seinen Augen. Wieder ist es ein kleines Aufblitzen von etwas, dass ich von früher kenne. Damals, als der alte Alex noch diesen Körper bewohnt hat. Seine Finger lösen sich um meinen Hals und verharren nur noch über der Stelle, die sicherlich jetzt mit blauen Flecken gesäumt ist.
Sein Atem geht schnell und auch ich schnappe nach Luft. Noch immer ist sein Körper auf meinem und seine Knie jeweils rechts und links neben meiner Hüfte. Das Sprechen fällt mir schwer. Mit rauer Stimme entschuldige ich mich für mein Verhalten. Denn erst jetzt wird mir klar, dass ich vollkommen gegen seine Worte verstoßen habe und er damit gedroht hat Menschen zu töten, die mir etwas bedeuten. Beim Gedanken daran, dass ich gerade das Leben dieser Menschen mit meiner idiotischen Magie auf’s Spiel gesetzt habe, wird mir übel.
„Es war einfach nur ein Versuch. Ich wollte dich nicht hintergehen.“
Er schüttelt seinen Kopf, als würde er einen Gedanken in seinem Kopf verdrängen. Nur zu gern wüsste ich, was gerade in ihm vorgeht. Ob er noch immer plant, alle meine Freunde zu töten.
„Zeig es mir.“
Vollkommen überraschend hebt er seinen Fuß über meinen Körper und setzt sich angelehnt an die Wand neben mich. Verwirrung macht sich in mir breit. Er lässt es einfach auf sich beruhen?
„Was?“
„Zeig mir, wie du das gemacht hast.“
Mein Kopf folgt automatisch seinem Blick zu der Pflanze. Noch immer liege ich im Bett, als wäre ich gerade wach geworden. Um ihn nicht noch weiter zu provozieren, bewege ich mich langsam, um mich neben ihn zu setzen und ich mich mit meinem Rücken an der Wand anlehne.
„Um ehrlich zu sein, kann ich es nicht erklären. Ich habe mir nur vorgestellt, dass ich die Pflanze wieder zum Leben erwecken möchte.“
„Wie?“
Sein Tonfall erhärtet sich erneut und mein Blick auf sein Gesicht beweist mir, dass ich ihn jetzt wohl besser nicht enttäuschen sollte. Also versuche ich meine Augen wieder auf die Pflanze zu richten und mit viel Glück diese ganze Sache nochmals hinzubekommen. Minuten vergehen, in denen nichts passiert und seine Ungeduld macht es mir noch schwieriger mich zu konzentrieren. Aus Gewohnheit greife ich nach dem Anhänger, den ich bei meinem ersten richtigen Zauber von ihm bekommen habe. Irgendwie muss ich beim Gedanken an diese Erinnerung lächeln, obwohl in der jetzigen Situation eher ein verzweifeltes Lachen angebracht wäre. Auch, wenn ich meinen Blick noch immer auf die Pflanze gerichtet habe und mit der rechten Hand den Anhänger umgreife, spüre ich seinen Blick auf mir. Irgendwie schaffe ich es dennoch, mich vollkommen auf die Pflanze zu konzentrieren und erblicke bereits die Knospen, die sich bilden. Dann die grünen Blätter, die zum Vorschein kommen, gefolgt von einer purpurroten Blüte am oberen Ende der Pflanze. Stolz überkommt mich und siegessicher blicke ich zu Alex, der nun die Pflanze ebenfalls überrascht anstarrt.
Ohne ein Wort bewegt er sich und verschwindet stürmisch aus dem Zimmer, ohne die Tür hinter sich zu schließen. Vollkommen verwirrt über sein plötzliches Verhalten bleibe ich auf dem Bett sitzen und wäge meinen nächsten Schritt ab. Doch bevor ich weiter handeln kann, kehrt er mit einer ebenfalls, bereits toten Pflanze in das Zimmer zurück und stellt diese neben die Pflanze, die ich wieder zum Leben erweckt habe. Mit einem Ausdruck auf seinem Gesicht, den ich nicht deuten kann, lässt er sich wieder neben mir nieder.
„Erklär es mir.“
Verwundert und glücklich darüber, dass er mich nicht weiter verletzen will, versuche ich ihm eine Erklärung über etwas abzugeben, von dem ich nicht mal selbst wirklich weiß, wie ich es geschafft habe.
„Ich weiß nicht, ob ich das wirklich kann.“
„Du hast gerade etwas zum Leben erweckt, dass Tod war. Also hör auf, deine Stärke hinunter zu spielen. Erklär es mir.“
Der plötzliche verständnisvolle Ton in seiner Stimme, lässt mich mutiger werden und so bringe ich eine Erklärung über meine Lippen.
„Also zuerst habe ich mir die Wurzel davon vorgestellt. Habe mir vorgestellt wie sie sich wieder mit Leben und Energie füllt.“
Seine Augen fixieren die Pflanze in dem grauen Topf und für einige Sekunden scheint er es wirklich zu versuchen, bevor er genervt einen Laut aus seinem Mund ausstoßt und ich dabei erschrecke.
„Das funktioniert nicht.“
Seine Enttäuschung scheint in Wut umzuschlagen und ich kann wieder dieses Dunkle in seinen Augen erkennen, dass mich umgehend zwingt zu handeln.
„Du, also ich meine, der alte Alex, hat mir beigebracht, geduldig zu sein. Also versuche einfach dich vollständig auf die Pflanze zu konzentrieren. Hier.“
Er mustert mich verwirrt, als ich die Kette über meinen Kopf ziehe und sie ihm in die Handfläche lege. Sein Blick wandert nun auf die Kette in seiner Handfläche und dann wieder zu meinen Augen.
„Ich hoffe, du kannst dich noch daran erinnern. Sie hat mir wirklich geholfen, vielleicht hilft sie auch dir. Also versuch es nochmal.“
Es scheint, als würde er hinter seinen Augen eine Erinnerung sehen und auch ein kurzes Leuchten scheint dabei in seinen Augen aufzublitzen, bevor er die langen Finger um die Kette schließt. Sein Blick fixiert nochmals die Pflanze und Stille erfüllt den Raum. Es vergeht Zeit, in der meine Gedanken hin und her schweifen und ich mir vorzustellen versuche, wie es wohl für mich ausgeht, wenn er die Pflanze nicht mehr zum Leben erwecken kann.
Doch meine Angst darüber, wird mit der Sekunde verdrängt, in der ich die ersten Knospen und somit auch ein zufriedenes Lächeln auf seinen Zügen sehe. Als jedoch die Blüte der Pflanze erscheint, wird das Gefühl in meiner Magengegend von etwas Negativem begleitet. Denn die Farbe der Blüte ist rabenschwarz. Auch Alex’s Blick verändert sich. Aus seinem zufriedenen Grinsen wird ein überraschtes Staunen.
„Das ist doch vollkommener Blödsinn.“
Wütend steht er auf und läuft auf die Pflanze zu, um sie mit einem aggressiven Schlag von der Kommode zu werfen. Woraufhin der graue Topfen in einzelne Scherben zerbricht und plötzlich aus der schwarzen Blüte eine Flüssigkeit austritt, die aussieht, als würde sie bluten. Auch er scheint die Flüssigkeit zu erblicken und scheint sich ebenfalls darüber zu wundern, bevor er wütend zur Tür hinausstürmt. Noch immer überwältigt von diesen Geschehnissen und seinen plötzlichen Stimmungsschwankungen, verharre ich auf dem Bett und starre die Pflanze, die jetzt am Boden verteilt liegt, an. Irgendetwas stimmt hier nicht. Irgendetwas lässt mir einen kalten Schauer über den Rücken laufen. Innere Unruhe überkommt mich und das Gefühl etwas tun zu müssen, bringt mich dazu aufzustehen und auf die Pflanze zuzugehen. Vor ihr angekommen starre ich noch immer auf die schwarze Flüssigkeit, die sich nun auf dem Boden verteilt hat. Langsam aber zielsicher wandern meine Finger auf die Flüssigkeit zu. Kurz davor sie zu berühren, verharre ich nochmals um dann die klebrig, kalte Flüssigkeit auf meinen Fingern zu spüren.
Ohne Vorwarnung wird alles um mich herum schwarz, bevor Bilder vor meinen Augen aufblitzen. Von einer Welt, die mir so fremd ist. Die Berge um mich herum sind von einer schwarzen Flüssigkeit bedeckt und es ist so ruhig, dass ich nur meinen eigenen Herzschlag hören kann. Eine Frau kommt auf mich zu und das Gefühl, dieses Gesicht, das von schwarzen langen Haaren umrahmt wird, schon einmal gesehen zu haben, verstärkt sich mit jeder Sekunde. Die zarte Stimme, als sie zu mir spricht, erfüllt mich mit Wärme.
„Ich habe nicht lange Zeit. Ihr müsst einen Zauber sprechen. Sie werden euch finden und die Hoffnung, Alex wieder auf die Seite des Licht’s zu ziehen, schwindet mit dem Augenblick, wo sie ihn wieder in die Finger bekommen. Sie wird ihn in den Abgrund ziehen und wenn er die Mächte ausschaltet, wird seine Seele endgültig aufhören zu existieren.“
„Was passiert hier gerade? Wer bist du?“
„Sie kommen. Wir haben keine Zeit mehr.“
Panik macht sich in ihren trüben Augen breit und panisch blickt sie um sich. Auch ich kann es spüren. Irgendetwas ist hier, dass mir ohne Vorwarnung eine Heidenangst einjagt.
„Ein Schutzzauber. Ihr müsst ihn beide sprechen. Sie suchen nach euch. Jetzt verschwinde von hier, bevor sie dich erwischen.“
Die Gestalt und auch die Welt in der ich mich gerade befunden habe, verschwinden vor meinen Augen und eine Hand legt sich auf meine Schulter, bei deren Berührung Panik in mir auslöst. Mein Kopf schnellt zurück und ich blicke in die blauen Augen, die mich anstarren, als würde er Jemand anderes erwarten.
„Was war das Gerade?“
Noch immer ist meine Atmung zu schnell, um ihm eine ausführliche ruhige Antwort zu geben.
„Ich weiß nicht. Es war, als würde ich in einer anderen Welt sein. Und diese Frau. Ich glaube, dieses Gesicht zu kennen. Doch ich weiß nicht woher oder warum.“
„Ich habe nur deine Worte gehört. Was hat sie gesagt?“
„Dass sie uns aufspüren werden, wenn wir nicht ihr Grimoire finden und einen Schutzzauber sprechen. Ich denke, sie meint damit Salivana und Lexa.“
An seinem Kiefer kann ich erkennen, wie die Wut, die in ihm aufsteigt, ihn zu übernehmen droht. Doch es scheint, als würde er nochmals seine Gedanken ordnen, bevor er mit seinen Fingern meinen Oberarm umgreift und mich nach oben zieht.
„Komm.“
Der herrische Ton in seiner Stimme lässt mich erneut zusammenzucken und lässt mich meine Frage, nach dem Wohin, noch einmal überdenken. Vielleicht sollte ich jetzt wohl besser seine Geduld nicht überstrapazieren. Also folge ich ihm, wenn auch etwas widerwillig. Die Treppen knarren, als er mit schnellen Schritten nach unten läuft und ich mit Mühe versuche, nicht hinzufallen. Unten angekommen, lässt er seine Finger um meinen Oberarm wieder etwas lockerer und öffnet die Tür nach draußen, um sofort hinter die alte Halle zu gehen, dort wo nichts außer Bäumen zu sehen ist. Sein Blick verharrt auf einem der Bäume, auf dem ich denke, ein Zeichen zu erkennen. Zielstrebig läuft er darauf zu und ehrfürchtig starrt er es einige Sekunden lang an, bevor er sich zu mir dreht und seine Augen meine finden.
„Du musst es für mich öffnen.“
Durch zusammengepresste Lippen bringt er diese Worte hervor. Ich denke, es passt ihm ganz und gar nicht, dass er meine Hilfe braucht.
„Wie?“
„Drücke deine Hand darauf und sprich mir nach. Hier.“
Er hält mir seine Hand entgegen und vorerst weiß ich nicht wieso, bis er mit einem kleinen Seufzer meine Hand in seine legt und die Berührung mich wieder etwas aus dem Konzept zu bringen scheint.
Wie von ihm befohlen lege ich meine Hand auf dieses Zeichen, das aussieht, wie eine Rune, die ich ebenfalls glaube, schon einmal gesehen zu haben.
Mit Mühe versuche ich, die Worte aus seinem Mund nachzusprechen. Die Sprache ich mir dennoch so unbekannt und ich kann mich nicht daran erinnern, diese Sprache schon jemals gehört zu haben. Nach ein paar weiteren Worten erblicke ich etwas vor uns, dass mich ein klein wenig überrascht. Es sieht aus, wie eine Höhle und ich muss dabei unwillkürlich an diese andere Welt denken.
„Sind wir jetzt in der versteckten Welt?“
Sein Blick fällt auf mich, doch seine Züge verhärten sich, als er den Kopf schüttelt.
„Das hier, ist das Versteck, in dem ich das Grimoire meiner Mutter gebracht habe. Eine Hexe hat mir einen Gefallen geschuldet. Ich wollte nicht, dass Salivana oder Jemand anderes an das Grimoire kommt.“
„Wieso hast du eine Hexe dafür gebraucht?“
„Weil ich nicht wollte, dass ich es alleine öffnen kann. Was wenn Salivana es wieder schafft mich zu kontrollieren? Durch meine ständig wachsenden Kräfte, hat sie keine Kontrolle mehr über mich, wenn ich nur weit genug von ihr entfernt bin, da die Kraft des Medaillons zu schwach ist. Was aber, wenn sie hier wäre und mich kontrollieren könnte? Dann würde sie mich dazu bringen, das Portal zu öffnen. So habe ich die Hexe, die es für mich geöffnet hat dazu gebracht, es nur guten Hexen zugänglich zu machen und dies auch nur dann, wenn sie es freiwillig für mich machen. So kann ich mir sicher sein, dass es nicht in die falschen Hände gelangt.“
„Aber ich verstehe es nicht. Du willst doch die Macht haben? Du willst die Kräfte auslöschen? Wieso beschützt du dann dieses Grimoire mit solch einer Verbissenheit?“
Die Gegensätze in ihm scheinen sich noch immer ständig zu bekriegen und nun ist er noch schwieriger zu durchschauen als zuvor. Auf seine Züge legt sich Traurigkeit, die fast schon aus Mitleid eine Träne aus meinen Augen entspringen lässt.
„Weil ich nicht alles von meiner Vergangenheit verdrängen konnte und ich es ihr schuldig bin.“
Ein Brennen macht sich in meiner Brust breit. Enttäuschung darüber, dass er mich verdrängen konnte und dem damit verbunden Schmerz, dass er mich nicht genug geliebt hat. Aber auch Hoffnung darüber, dass er doch noch irgendwo, in seinem vernebeltem Verstand ein Herz hat. Auch, wenn dieses nicht für mich schlägt.