》Gespielte Karten vom Stapel: Kreuz, Frater Sieben \\ Raute, Hochmeister《
Düstere Wolkenfetzen ziehen über die schemenhaften Dächer Freystats und zersetzen den Glanz der silbernen Sichel am Himmel. Die Bäume wispern aufgeregt in dieser stockdunklen Nacht und rascheln mit Ästen und Blättern, als wollen sie vor der Finsternis warnen.
In einem Gassenwinkel trippeln knochige Finger gegen den verwitterten Putz einer Hausmauer. Ein unkontrolliertes Atmen ist leise aus dem dichten Schwarz zwischen den schäbigen Gebäuden zu vernehmen, während zugleich - ein paar Schritte abseits - Kieselsteine und Unrat unter dem Gewicht teurer Lederstiefel nachgeben.
Der Ankömmling wird scharf von der Dunkelheit heraus beobachtet. Die Gestalt im Schatten rümpft verachtend die Nase, ehe die wandernde Wolkendecke den Mond wieder frei gibt.
Für einen Moment überflutet der Silberschein die Gosse und gibt Blick auf das Antlitz des Beobachters frei.
Stechende Augen stieren in den Hinterhof und unterstreichen das zu einem Kranz kurzgeschorene Haar, ehe sich der Mann eine Kapuze überzieht. Vorsorglich begibt er sich in die Hocke, dabei streift seine braune Kutte den matschigen Dreck auf dem Boden.
Verärgert strickt er den Kittel hoch, wendet den Blick jedoch nicht vom schlanken Mann ab, welcher an der muffigen Luft zu schnuppern scheint.
Eine zerlauste Ratte flitzt zwischen den Beinen des Kuttenträgers hindurch, ehe dieser mit einer geübten Handbewegung und einem sachten metallischen Schleifen ein Messer aus der Scheide zieht und die Spitze dem Tier in den Nacken stößt.
Kein verendendes Fiepsen stört die Stille der Umgebung. Die Stadt schläft weiter. Ausgenommen von den taktvollen Schritten auf den Pflastersteinen des Platzes. Der Mann wartete auf jemanden, denn er strebt zu einer kleinen Runde über den Brunnenplatz an.
Abermals rümpft der Kuttenträger die Nase und reckt seinen Kopf in die Höhe, um einen besseren Überblick zu bekommen.
Wie in Trance lockert er die Finger vom Messer und wischte dieses am Ärmel seines Kittels ab. Er saugt scharf die Luft zwischen den Zähnen ein, als er das strahlende, weiße Wams eines Ordnungsbeamten im Mondschimmer erkennt, welches der Wartende trägt.
Ein Ring mit einem rautenförmigem Kiesstein ziert dessen Hand, welche auf dem Knauf eines Gehstockes lastet und im Dreck rumstochert.
Etwas gelassener sieht sich der Mann in Weiß weiter um, bis sein Blick an der Gasse hängen bleibt. Ein Schmunzeln lässt seien Schnurrbart kräuseln und er klammert ein Monokel in der linken Augenhöhle fest.
Der Kapuzenmann geht tiefer in die Hocke und versucht mit seinen Beinen rückwärts an Platz zu gewinnen. Er hat Respekt vor dem Hochmeister der Ordnungsbeamten.
Dabei verhaspert sich plötzlich sein Schuhwerk in den Zinken einer angelehnten Heugabel, welche polternd auf den Boden donnert. Zutiefst erschrocken hält er den Atem an und beobachtet von den Augenwinkeln heraus das Tun des Anderen.
"Eure mottenverseuchte Mönchskutte rieche ich schon aus einer Meile gegen den Wind. Kommt heraus Pater Ivanus.", richtet der Monokelträger seine Worte gegen das Dunkel der Gasse und wie zur Bestätigung frischt eine kühle Brise die drückende Schwüle des Hochsommers auf.
Aus dem Schatten kommt nur ein verdrossenes Grunzen zurück.
"Ich hab dich eine Weile beobachtet, Ordnungsbeamter.", zischt der Schatten, bevor er ins Licht tritt und vor ihm zu Boden spuckt.
Tadelnd schüttelt der Angesprochene den Kopf.
"Mit Verlaub, man spricht von mir als Hochmeister Alesander Aldsberg. Wir wollen doch nicht auf die höflichen Umgangsformen verzichten?"
"Glaub mir, es scherrt mich 'nen Scheiß welche Floskeln deiner Schlangenzunge entspringen. Ich bin hier weil ich deiner Organisation etwas anzubieten hab, nicht um zu tratschen wie ein Waschweib."
Der Hochmeister kneift die Augen zu und streicht sich über seinen gepflegten Kinnbart.
"Ihr seid nicht Ivanus.", stellt er nüchtern fest.
Zur Antwort erschallt tiefes Gelächter. Zugleich nähert sich der Mönch Alesander, bis nur mehr eine Handbreit Abstand zwischen ihnen ist.
"Als ob das den Grund unseres Treffen beeinflussen würd. Du kennst den Preis für das Geschäft, nehm ich an?"
"Ein Menschenleben für bessere Karten. Bessere Karten bei der nächsten Teelieferung. Ein Menschenleben wurde zum rechten Zeitpunkt gesetzt; der Hochmeister hat die Runde über den Frater gewonnen.", flüstert der Ordnungsbeamte mit eindringlicher Stimme.
Mit den letztem Worten ist die Schattengestalt noch dichter an den Sprecher herangetreten, sodass er dessen warmen Atem an seinen Lippen fühlen kann und Speichel sich am Gaumen sammelt.
Mit einer Handbewegung streicht der Mann den Kragen seiner Kutte einen Spalt breit zur Seite.
"Leg deine Hand auf.", befiehlt er mit gepresster Stimme und deutet mit einem Nickes seines Kinns zum entblößten Hals.
"Aber keine miesn Tricks, verstandn?"
"Ich bin ein Mann der städtischen Ordnung, keiner von euch Untergrund-Mönchen."
"Eben das beunruhigt mich. Ich bin für'n ehrenwehrtes Geschäft da, nicht um später verhaftet zu werden."
"Darauf geb ich erst mein Wort, wenn Ihr aufhört zu reden als hättet Ihr Euer bisheriges Leben unter Schweinen verbracht."
"Ich wusste gar nicht, dass ein Beamter witzig sein kann.", kontert der Mönch und unterstreicht die Bemerkung mit einem frechen Lächeln.
"Mir kommt es so vor, als wisst Ihr generell wenig.", erwiedert Alesander und dreht den Spieß des Wortgefechtes um.
"Wenn du dich da mal nicht täuscht. Die Klugen holt der Tod zuerst, die Schlauen zuletzt. Der Heiland kann's dir bestätigen."
Ein trockenes Lachen erklingt aus der Kehle des Weißgekleideten. Er lässt den Hals seines Gegenübers los und klopft ihm neckisch auf die Schulter, wärend sein Kopf belustigt hin und her wippt.
"Ein zockender und saufender Gottesmann beruft sich auf seinen Herren. In Euch ist ein Witzbold verloren gegangen, Pater.
Verratet mir, zählt Ihr Euch nun zu den Klugen oder zu den Schlauen?"
"Befühl meinen Puls, Hochmeister. Dann wird es sich zeigen.", antwortet dieser und zwinkert verschwörerisch.
Alesander macht wie geheißen und legt Zeige und Mittelfinger an den Hals.
"Fühlst du die Naht auf meiner Haut?", wispert der Kuttenträger mit schmeichelnder Stimme.
Doch der Beamte schüttelt den Kopf.
"Ich spüre nichts außer Eure respektlose Art des Redens."
"Pah, Respekt... Führe die Finger besser weiter hinunter. Stopp. Hier ist es.", wies der Mönch ihn an.
Der Hochmeister erstarrt, seine Augen weiten sich vor Überraschung. Unbeherrscht japst er nach Luft und stolpert rückwärts, während er verzweifelt um Fassung ringt.
"Unmöglich! Beim Fegefeuer Satans, das kann nicht- Frater Margus ... Ihr müsstet tot sein. Die Kugel hat Euch getroffen!", krächzt er voller Schrecken.
Rasant wie der Biss einer Klapperschlange springt der Mönch nachvor und seine Hände schließen sich um das Genick Alesanders.
"Oh ja, das müsste ich sein, wenn ich klug bin. Dein Schuss hätte mir beinahe den Garaus gemacht. Verfluchtes Rechtsduell..."
"Aber wie, wie habt Ihr es geschafft ... zu entkommen?", knirscht der Ordnungsbeamte und windet sich in den eisernen Fängen Margus'.
"Das ist nicht von Belang. Doch der Kuckuck sucht sich stets das beste Nest."
"Raaah, dieses Krüppel! Verfaulen sollen ihm die Reste seiner Gebeine. Wenn ich diesen Verräter in die Fing-"
Das ohrenberstende Läuten der Domglocken zur Mitternacht übertönt das panische Geschreie Alesanders und sämtliche seiner Verwünschungen ersticken noch im Keim.
Auch der Knall eines Revolvers geht im Lärm unter, nur das Echo prescht über die Hausmauern des Hofes.
Ein Schwarm Krähen stobt mit viel Gezetter in die nächtlichen Lüfte, als der Mönch - eine Leiche hinter sich herziehend - zum Flussufer stampft. Mit einem Platschen wird das eiskalte Wasser dem Hochmeister der städtischen Ordnung zum Grabe.
Zurück bleibt nur ein zerbrochenes Monokel im Hinterhof und eine Blutspur zum Ufer hin.
Zufrieden reibt sich der Kuttenträger die Fäuste und verschwindet fröhlich pfeifend in jener Gasse, von der er gekommen ist.
Als Preis für das Geschäft gilt ein Menschenleben. Er hat seine Karten heute Nacht schlau gespielt, der Frater hat den Hochmeister geschlagen. Es ist also möglich.
Ein Grinsen huscht über sein Gesicht, ehe er in der Finsternis der Gosse untertaucht.