》Gespielte Karten vom Stapel: Kreuz, Frater 7; // Hand, Meisterdieb《
~~~ BIZ ~~~
Diese Nacht gehört mir. Ich hab lange den perfekten Zeitpunkt abgewartet und meine Nachforschungen sind erfolgreich verlaufen. Mal sehen wie fromm die ollen Kuttenträger wirklich sind.
Ich blicke zum Kirchenturm. Warum läuten die Glocken des Klosters noch nicht? Meinem Gefühl nach, muss es jetzt zur zehnten Stunde schlagen, und jenes hat mich noch nie betrogen. Schon gar nicht, weil ich jahrelang mit der Orientierung des Nachts in Übung bin.
Ich beschließe noch fünf Minuten zu warten.
Still zähle ich Sekunde für Sekunde im gleichbleibenden Takt.
Aus einer Gasse in der Unterstadt dringt der Lärm betrunkener Tölpel zur Klosterstraße herauf. Hoffentlich kommt keiner auf die Idee, hier Unruhe stiften zu müssen.
Drei Minuten sind um, die Vierte beginnt.
Ich fummle nervös in meiner schmuddeligen Hosentasche rum und bekomme die filigrane aber abgerissene Kette meiner Taschenuhr zu fassen.
Ich greife ein zweites Mal hinein und zaubere ein Feuerzeug hervor. Wie das Uhrenstück habe ich es mir von einem der Aufträge des Alten abgezweigt. Der Kuckuck soll mich holen, wenn der mir mal auf die Schliche kommt, aber des Ding fasziniert mich nun mal. Das Risiko ist's wert.
Eine kurze Bewegung mit dem Daumen und schon züngelt eine kleine Flamme hervor. Ein bisschen wie die Tricks der Wahrsager am Brukenplatz oder in der Senkelgasse.
Der Feuerschein zeigt Zehn nach Zehn und die Glocken haben noch immer nicht geläutet. Selbst die Patroillie der Nachtwächter hat sich verspätet.
Wenn man vom Teufel spricht! In der Ferne erblicke ich die wankenden Laternen der Soldaten.
Instinktiv drücke ich mich noch flacher an die bröckelnde Hausmauer. Ich wage es nichtmal zu atmen. Es ist immer wieder aufs Neue ein Risiko für Diebe wie mich, wenn sie sich so offen am Präsentierteller zeigen. Doch die sechs Musketenträger marschieren im Gleichschritt an der Nische vorbei und ein weiteres Mal forme ich meine Lippen zu einem stummen Danke in den Himmel für dieses Glück.
Mit einem tosenden Gelärme fahren die Glockenklänge in das ruhende Stadtviertel ein. Mein Herz ist beinahe in die Hose gerutscht bei diesem derben Gebimmel.
Von einem der Häuser klingt das Geschrei eines Kleinkindes herab und kaum bin ich wieder auf der matschigen Straße, wird an Ort und Stelle meines Versteckes der Nachttopf entleert.
Angeekelt rümpfe ich die Nase. Das Glück ist mir heute hold. Oder das Pech, denn wenn es zur rechten Zeit geläutet hätte, wär ich nicht mal annähernd in die Gefahr eines Exkrementeregens gekommen.
Geschwind husche ich im Schatten der Nacht auf die andere Straßenseite. Dann schleiche ich an der Klostermauer entlang, bis ich eine Stelle finde, von der ich möglichst unbemerkt übersteigen konnte.
Meine Fingern tasten über die Fugen bis sie eine Ritze finden, bei der ich genug Halt hab um den Fuß nachzuziehen. So klettere ich weiter und lande bald darauf auf dem Hof des Gebäudes.
Instinktiv gehe ich hinter einem mit Brennholz beladenem Leiterwagen in Deckung. Mit viel Aufmerksamkeit inspiziere ich den Platz.
An der Einfurt hat ein Mönch Pfortendienst, ist jedoch im Schein der Petroleumlampe eingenickt. Wie im Mausoleum, als auch im Wirtschaftsgebäude ist es finster und ich vernehme nur das Scharren von Hufen an die Stallwand oder ein gelegentliches Grunzen.
Hingegen tritt ein matter Lichtschein aus den kleinen, schmalen Rundbogenfenstern der Kirche. Leise Töne eines Sprechgesanges dringen heraus.
Ich grinse. Das ist die beste Zeit für einen kleinen Einbruch im Zimmer von Bruder Margus. Der Alte hat mich beauftragt, eine Liste von Namen aus dessen Kammer zu entwenden. Welchen Zweck das hat, verheimlicht er, aber das bin ich gewohnt. Er plant wo es leichte oder wichtige Beute gibt und wir Kinder haben diese zu beschaffen.
Beinahe lache ich auf. ... Kinder ... Ich bin beinahe zwanzig. Zumindest behaupte ich das stets, weil es eine schöne Zahl ist.
Die kleineren Strassenjungs - seltener Mädel - stehlen Börsen und Geldbeutel im dichten Gedränge der Markttage und wir Älteren haben heikle Aufträge zu erledigen. Aufträge wie diesen.
Gestern Nachmittag hab ich herausgefunden, dass die Kammern der Frater im Südtrakt des Hauptgebäudes liegen. Demnach orientiere ich mich links des Gotteshauses. Ein klitzekleines Bisschen werde ich nervös, als ich feststelle, dass die Tür verschlossen ist.
Ich versuche es bei der nächsten Pforte. Wieder verschlossen. Grummelnd rutscht mir ein Fluch über die Lippen. Dann bleibt mir also nur die Höhle des Löwen. Oder eher das Messgeschwurbel der Pfaffen.
Zögerlich nähere ich mich dem Kirchentor. Eigentlich bin ich kein Mensch des Glaubens - eher bin ich vom Gegenteil dieser Heilandswunder überzeugt - dennoch mischt sich ein ähnliches Gefühl wie Ehrfurcht in mein Gewissen. Das Gebäude strahlt eine seltsame Macht aus.
Ist es nicht Heilandsschändung, wenn ich den Orden vor ihrer Nase bestehle?
Schnell verwerfe ich wieder diesen irrsinnigen Gewissensbissen. Ich habe eine Mission, das heilige Kreuz kann mir mal den Buckel runterrutschen.
Gefasst ergreife ich die Torringe und ziehe sie auf. Das ist schwerer als gedacht, aber dafür geht es nahezu lautlos, sodass die Ordensbrüder in ihrem Meditationsgesang nicht gestört werden. Der intensive Geruch von Weihrauch zwingt mich fast zum husten und ich halte mir schnell die Nase zu.
Einen Moment überfliege ich die kerzenbeleuchtete Ansammlung der sechs Kuttenträger und tapse zu einer Tür auf der linken Seite.
Diesmal lässt sie sich öffnen und ich husche hinein. Dunkelheit umfängt mich, aber schon bald gewöhnen sich meine Augen an die Schwärze und ich kann Schemen erkennen.
Der Gang macht eine Wendung und ich lande schnurstracks in einem von Fackeln erhellten Kreuzgang. Einen Augenblick orientiere ich mich der neuen Lage.
Dann finde ich mich auch schon im nächsten Gang wieder und taste mich eine Treppe hinauf. Nun soll hier irgendwo besagte Kammer sein.
Ein schwacher Mondschimmer fällt durch die offene Terasse am Traktende herein und leuchtet matt die abgetretenen Fliesen aus.
Gefühlsmäßig wende ich mich der erstbesten Holztür zu.
Ein schlecht lesbarer Name ist in den Türstock geschnitzt. Ich besinne mich der Form des Namens, welchen mir der Alte zum lernen gab.
Ich wandere weiter, es ist die falsche Kammer gewesen. Auch bei der Nächsten und Übernächsten hab ich kein Glück.
Aber bei der vierten Tür kommt mir der Anfangsbuchstabe bekannt vor. Das muss ein M sein. Doch der Zweite ist kein a sondern ein e. Verzweiflung beginnt mich zu befallen.
Warum muss mich das so sehr verwirren?
Wenn ich doch nur das Lesen gelernt hätte. Jedoch ist mir das als Straßenkind enthalten geblieben. Ich bereue es. Frustriert hämmere ich gegen das glatte Holz. Mir doch scheißegal was der Alte sagen mochte, wenn ich ohne Beute zurückkomme. Der soll sich selbst den Wisch holen.
Ein hämisches Kichern unterbreitet meinen Vorschlag mit einer guten Portion Jux. Hat ja keine Füße der Alte, wie soll er da herkommen können. Da lache ich mir eins ins Fäustchen, wenn er das probiert.
Trotz meines Unmutes bin ich zur letzen Tür getreten. Ich reisse meine Augen auf. Da steht tatsächlich Ma! Und die Buchstaben dahinter bedeuten mit Sicherheit rgus.
Meinen Erfolg nicht mal genießend, trete ich in den unverschlossenen Raum. Kurz lasse ich meinen geschärften Blick über die karge Einrichtung schweifen und wende mich schließlich dem einzigen Mobiliar zu, welches mir lohnenswert erscheint - das Bücherregal.
Zu meinem Nachteil liegen hier dutzende Papierseiten und Dokumente ungeordnet rum. Eine solche habe ich bei einem Kuttenträger nicht erwartet.
Letztendlich fasse ich den Entschluss, einfach jeden Zettel mitzunehmen. Wenn das gesuchte Papier von Bedeutung ist, so fällt ein Diebstahl so oder so auf. Es wäre nur eine Frage der Zeit.
Schnell sammle ich Blätter ein und stecke sie in meine Manteltasche wo Feuerzeug und Uhr sind.
Zufrieden drehe ich mich um und stolpere geradewegs in die Fratze eines Mönches. Ein Aufschrei bleibt mir im Hals stecken. Unter meiner Haut beginnt es zu kochen, ich fange zu schwitzen an und kann den Schreck nicht überwinden.
Der Mann ist wie aus dem Nichts aufgetaucht. Ich habe weder Schritte vernommen, noch die Tür ins Schloss fallen hören. Das ist ein Ding der Unmöglichkeit und ... unheimlich.
Panisch stoße ich ihn zur Seite, spüre jedoch nur kalte Luft wo sein Körper sein soll und flüchte aus der Kammer. Dann renne ich was das Zeug hält den Gang zurück, die Angst scheint mir dabei Flügel zu verleihen.
Mein Puls rast und ich mache mir ernsthafte Sorgen, ob es vor Aufregung aussetzen würde, ich rechne nicht mit Stresssituationen wie dieser. In meinen Plan hat sich ein gravierender Fehler geschlichen.
Noch im laufen blicke ich gehetzt rückwärts. Der Mann ist verschwunden, oder er folgt mir nicht weiter.
Ich atme erleichtert aber mit flachem Atem auf und stolpere plötzlich über etwas. Überrascht kreische ich auf, ehe ich mit voller Gewalt und mit dem Gesicht voran, gegen den Boden sause.
Ein Pochen als hätte ich mich unter hundert läutende Glocken gestellt dröhnt in meinem Kopf, als zerplatze er gleich, und wenn eine Horde Ochsen über mich getrammpelt wäre, würde ich bestimmt die selben Schmerzen leiden.
Ich stöhne auf. Vor meinen Augen ist alles zu unförmigen Flecken verschwommen.
"Was hat ein verlauster Bengel wie du in meiner Unterkunft zu suchen?", zischt eine wütende Stimme auf mich herunter.
Also hat er meine Flucht vehindert, der Bestohlene selbst, realisiere ich.
Mit höchster Anstrengung gelingt es mir einen klaren Umfang der Lage zu verschaffen und starre geradewegs in ein Paar gut eingefetteter Lederstiefel. Die Kutte des Mönches berührt den Boden aber nicht.
"Wer hat dich geschickt?", keift er mich an, doch ich bin nicht fähig zu einer Antwort.
Das ist mein Ende. Mein Leben ist verwirkt. Der Ordensmann wird jetzt nach den Nachtwächtern rufen und die werden mich ins städtische Verlies sperren wo ich dann verotten kann... Verdammt nochmal!
Ein kräftiger Arm packt mich am Kragen und zerrt mich auf die Beine.
"Antworte!", bläfft der Mann mich weiter an und bei seinem fauligen Mundgeruch rebelliert mein Magen und Sodbrennen frisst sich meinen Rachen hinauf.
"Du hast etwas gesucht, hab ich Recht?"
Margus lächelt mich falsch an, doch seine Ausstrahlung bleibt eiskalt.
"Ein Punkt für mich. Die Frage ist, ob du fündig geworden bist."
Meinem Instinkt folgend, greife ich an meine Brust, wo sich die Dokumente verbergen. Grob reißt der Mönch an meinem Mantel, aber ich fasse mich und vergrabe blitzschnell meine Zähne tief in seinem Handgelenk.
Mit einem schrecklichen Aufheulen lässt er mich los und ich nutzte den Moment und sprinte in die entgegengesetzte Richtung davon. Direkt auf den Balkon zu. Zu spät realisiere ich, dass es eine Sackgasse ist.
Hinter mir höre ich ein hässliches Lachen. Der Kuttenträger hat verdammt gute Karten heute Nacht.
Langsam, mit dem Rücken ins Freie trete ich nach Hinten, bis ich bei der aus Granit gemeisselten Brüstung anstehe. Die Furcht hat mich in ihren Fängen, es läuft mir eiskalt den Rücken hinunter, als der Mann ein Messer zückt.
Der blanke Stahl glitzert bedrohlich im Mondlicht. Eine frische Brise kommt auf und lässt mich bibbernd frösteln. Ich ringe um Atem und gestikuliere kläglich mit den Händen um Erbarmen.
"Bitte... Ich-", stammle ich und schäme mich für das miese Zittern meiner Stimme. Ich verliere die Beherrschung. Eine einzelne, einsame Träne rinnt meine gerötete Wange hinab und ich winsle um Gnade. Nicht heute, nicht jetzt. Ich will nicht sterben.
Oh, ich flehe dich an, Heiland! Wenn du auch nur einen Funken meiner Seele retten kannst, so bitte ich um Barmherzigkeit!
Ein markerschütterndes Kreischen dringt plötzlich von der Richtung des Mausoleums herauf. Ein fetter Mann in der Kluft des Ordens wuselt unter dutzenden Bekreuzigungen zur Kirche hin.
"Er ist auferstanden! Der Heiland hat ihn geholt! Abt Abelard! Brüder! Kommt und sehr das Wunder! Der Leichnahm Bruder Margus' ist verschwunden!", rief er und seine Euphorie überschlägt sich in Fassungslosigkeit.
Mit offenem Mund schwirrt mein Kopf zurück zu der Stelle wo ich den verstorbenen Margus gesehen hab. Und er ist noch da! Er ist nicht tot!
"Aber wie...", stammelte ich. "Heißt das- Ich verstehe nicht."
"Du brauchst auch nichts mehr zu verstehen.", knurrt der Mann und springt in einem Satz auf mich zu.
Überwältigt von dem Angriff verliere ich den Halt an der Brüstung und eine schwere Hand legt sich auf meinen Mund. Durch den Schwung mitgenommen verliere ich das Gleichgewicht.
Ein stechender Schlag gegen meine Brust hievt mich in die freie Luft und ich höre das Blut in meinen Ohren rauschen, und den Wind durch meine Haare streichen, während ich im freien Fall auf das Pflaster des Klosterhofes zusegle.
Das Brechen von Knochen durch einen brutalen Aufschlag ist das letzte Gefühl, das ich spüre.