Fortsetztung von "Das närrische Schlüsselbein"
Ein unsagbarer Lärm malträtierte Leonards sensiblen Gehörgänge. Sein Schädel schien förmlich zu zerspringen. Dann mischte sich auch noch ein gut gelauntes Pfeifen in das allgemeine Chaos. Es verstärkte den ungeheuren Krach und McCoys unsagbares Schädelbrummen.
„Was in drei Teufels Namen machst du verdammt noch mal?“, schrie er wütend.
„Frühstück“, zwitscherte es fröhlich zurück.
„Um gottverdammte 8 Uhr morgens?“, entrüstete McCoy sich erneut.
„Was kann ich dafür, dass du so eine Schlafmütze bist?“
„Herr erbarme dich meiner - was habe ich nur falsch gemacht?“
Bones zog sich das Kissen über die Ohren, aber es half nichts.
Seit ihrer ersten Begegnung waren Monate vergangen. In dieser Zeit war viel und zeitgleich wenig passiert. Auf ihrem Weg zum Restaurant war McCoy abgefangen worden. Man wollte ihn sprechen. Es sei sehr dringend. So kam ihr Date nie zustande. Sie hatten sich nie richtig kennengelernt, hatten sich seitdem nicht wieder gesehen.
Kurz gesagt, sie hatten sich aus den Augen verloren, bis zu jenem Tag, als Bones sich in einem Transportshuttle der Academy, der sie zu einem Übungsplatz bringen sollte, neben ihn setzte. Ohne Jim zu erkennen, hatte McCoy ihn zugetextet, über irgendeinen Kadetten, der gerade überall seine Bazillen verteilte, andere ansteckte und McCoy damit mehr Arbeit aufhalste, als nötig gewesen wäre.
Entrüstet hatte er in das grinsende Gesicht seines Gegenübers gesehen und ein Gefühl von Déjà-vu erlebt. Während der junge Mann ihn amüsiert anlächelte, waren McCoys Augen über sein offen liegendes Schlüsselbein und dann wieder in die leuchtend blauen Augen geglitten. Als der Doktor realisierte, wer er war, hatte er sich stocksteif hingesetzt und stur geradeaus geblickt. Wie ein absoluter Idiot war er sich vorgekommen. Schon wieder. Was hatte dieser Mann nur an sich, dass Bones sich ständig zum Affen machte?
„Du schuldest mir noch ein Date“, hatte Jim sagt.
Das war der Anfang einer langen Freundschaft. Seitdem waren sie oft miteinander essen. Wenn Leonard nachdachte, dann aßen sie fast immer zusammen. Jim tauchte sogar mitten in seiner Schicht auf, zerrte ihn von Patienten weg oder stopfte ihm einen fettigen Bagel in den Kittel.
Bones wusste nicht, ob Jim lediglich ein notorischer Flirter, oder ob er tatsächlich an ihm interessiert war, sich aber nicht traute den nächsten Schritt zu tun. Allerdings wäre das feige und feige passte nicht zu James T. Kirk. Dessen Selbstvertrauen kaum ein Planet tragen konnte.
McCoy musste zugeben, dass ihn Zweifel plagten. Vielleicht war er der Grund, warum Jim nie weiterging? Hatte er ihn bisher immer unterbewusst abgeblockt? Das konnte durchaus sein. Alle behaupteten, sie seien wie ein altes Ehepaar. Verbale Auseinandersetzungen waren die Tagesordnung. Doch darüber hinaus passierte nichts weiter. Das war frustrierend. Und diesen Frust zeigte McCoy gerne und immer offen heraus. Vielleicht war es das? Vielleicht ärgerte Jim in einfach nur all zu gern. Er war sich schließlich sehr bewusst, dass er Bones damit verrückt machte, oder?
Bones schnaubte wie ein Stier in die Bettlacken seines Bettes, das Kopfkissen noch immer über seinem Kopf, fest auf die Ohren gedrückt. Dieser Typ war so anstrengend.
Manchmal war Bones insgeheim froh, dass nichts zwischen ihnen lief. Schließlich spielte Jim in einer anderen Liga. Es war, als würde eine Hauskatze versuchen eine Beziehung mit einem Tiger zu führen. Es verstand sich von selbst, wer der wilde Tiger und wer der unausstehliche, quenglige Stubentiger war.
Bones seufzte. Es machte ihn fertig. Er war erleichtert und frustriert in gleichen Maßen. Je nachdem welches Gefühl überhand nahm. Es war nicht außergewöhnlich, dass Jim bei ihm war, schließlich hatte Bones freiwillig seinem Freund den Code zu seiner Wohnung gegeben. Allerdings verbrachte Jim jede freie Minute hier, obwohl seine eigene Wohnung nur eine Etage darunter war. Hätte er das, was auch immer er da tat, nicht in seiner Wohnung tun können? Nein, er musste es hier machen. Um verdammte 8 Uhr morgens.
Es war Winter. Es war dunkel und kalt. Außerdem hatte er eine zermürbende Nachtschicht hinter sich, die sogar nicht eingeplant war. Prüfungen standen bevor und dann musste sein persönlicher kleiner Quälgeist morgens mit jedem Küchengerät, das er greifen konnte, immensen Lärm erzeugen.
„Hör auf, Jim, verdammt, hör auf!“
Bones warf sein Kissen in Kirks Richtung und verfehlte ihn weit. Das Kissen kam nur bis zum Wohnzimmer, das nahtlos ohne Abgrenzungen von einer Seite in die Küche und von der andern ins Schlafzimmer überging.
„Ich mache doch überhaupt nichts.“
„Richtig, du machst nichts, um das ich dich je gebeten habe.“
Bones zog die Decke über den Kopf, was auch nicht half, den lauten Geräuschpegel zu senken. Er griff nach dem zweiten Kissen und drückte es an seine Ohren.
„Komm schon, Bones, steh auf. Ich dachte wir gehen heute vielleicht Schlittschuh laufen, die haben da so eine richtig coole Bahn-.“
Entrüstet riss Angesprochener die Decke zur Seite. Das Kissen purzelte vom Bett. Auf der Uhr blinkten die Ziffern 8:13. Zum Haare raufen war das.
„Ich hasse Eis, ich hasse Kälte und ich hasse gute Laune am Morgen, also hör auf damit!“
Kirk lachte nur darüber. „Ich weiß, aber du musst raus und auf andere Gedanken kommen. Die Prüfungen machen dich richtig miesepetrig.“
„Woran mag das wohl liegen, Jim?“, entrüstete sich der Brünette. „Vor allem müssen wir auch mal für die Prüfungen lernen, du Trottel. Nicht immer nur Spaß haben, Himmelherrgott.“
„Steh auf, Brummbär“, flötete Jim gut gelaunt, als fühlte er sich von Bones Worten nicht im geringsten angesprochen.
Bones seufzte schwer und verdrehte die Augen. Er strampelte die Decke zur Seite und setzte sich an die Bettkante. Den Kopf in den Händen, rieb er sich den Schlaf aus den Augen. Warum hatte er nur Kirk den Code zu seiner Wohnung gegeben? Das konnte nur eine ausgefuchste Manipulation seitens Kirk gewesen sein, dafür hatte das blonde Schlitzohr ein wahres Talent. Gewiss hatte ihn dieser Satansbraten irgendwie bezirzt oder verhext. Verhext klang ganz nach Kirk. Er verzauberte einfach alle um ihn herum, was mit seinen großen babyblauen Augen, den vollen Lippen und dem charmanten Lächeln auch keine Herausforderung war.
„Wenn du dich nicht beeilst, wird dein Kaffee ka-.“ Krachend fiel die Badezimmertür ins Schloss und unterbrach Jim.
Im Spiegel sah McCoy ein müdes Gesicht entgegen. Er war zu alt, um hier auf dem Campus zu leben und zur Academy zu gehen, auch wenn es die Sternenflotte war. Ein Arzt mit seinen Erfahrungen hatte hier nichts verloren. Doch dank seiner Frau interessierte das niemanden.
Nach einigen Minuten verließ Bones angezogen das Bad. Auf dem Weg zur Küche setzt er seine Brille auf, die am Nachttisch lag. Er schlurft zum Tisch und ließ sich auf einen Stuhl fallen.
„Mein Gott, Bones, in diesem dicken braunen Pulli, dem Schlafhaarlook und dieser sexy Brille siehst du aus wie ein muffiger alter Braunbär.“ Jim wackelte mit seinen Augenbrauen. Es wäre witzig, besäße Leonard nur einen Funken Humor.
„Den hat Granny mir gestrickt, bitte beleidige nicht ihr Andenken.“
„Das würde mir niemals in den Kopf kommen.“
Bones nahm seinen Kaffee und trank die ganze Tasse in einem Zug leer, worauf Jim sie wieder nachfüllte.
„Ich sollte weniger Kaffe trinken“, murmelte Bones.
„Ich fürchte, das ist ein Laster, das du nie loswerden wirst“, lachte Jim, worauf Bones irgendwas Unverständliches brummte. „Genau wie Scotch. Und frischen Pfirsichkuchen und-.“
„Reden wir noch über mich oder schon über dich?“
„Also, gehen wir heute aus?“
„Ich sagte nein“, knurrte Bones, als er nach einem Brötchen griff.
Knapp eine Stunde später stand Bones breitbeinig auf dem Eis. Er konnte sich kaum auf den Füßen halten, was seiner guten Laune nicht gerade zuträglich war. Warum hatte er nachgegeben verdammt? Hatte er überhaupt nachgegeben? Niemals hätte er in diesen Irrsinn freiwillig zugestimmt. Jim hätte ihn schon fesseln müssen. Doch hier stand er nun. Auf diesem verfluchten Eis. Ganz freiwillig.