Iiiiiiiiiiiiiiiiiiihhhhhhhhhh – iiiiiiiiiihhhhhhhhhhhhh – iiiiiiiiihhhhhhhhhhhh!
Sie wollten wieder nicht abreißen. Wie gestern. Und vorgestern. Selbst eine Hundepfeife konnte nicht mithalten, sollte jemals ein Wettbewerb veransteltet werden, bei dem es um präzises Zerschneiden von Luft geht, wird sie es sein, und nicht etwa ein Laserschwert, das zielsicher nach der Goldmedaille greift.
Herr Fipps ließ resigniert den Kopf baumeln und schüttelte sich. Am liebsten hätte er jetzt ein Laserschwert gehabt, um dem Terror ein Ende zu bereiten.
Aber Filme sind Filme und Herr Fipps war Herr Fipps und kein Filmheld. Und außerdem gibt es keine Laserschwerter und wird es auch nie geben. Das hatte ihm mal jemand erklärt. Vor unendlichen Zeiten, damals, als er noch nicht diesen Jammer gehabt hatte. In einer anderen Welt, weit weit weg.
Iiiiiiiiiiiihhhhhhhh! Iiiiiiiiiiiiiiiiiiiihhhhhhhhhhhhh!
„Womit hab ich das verdient? Womit hab ich das bloß verdient?“ Er griff zur Schnapsflasche und versuchte, noch einen Tropfen aus ihr heraus zu schütteln, obwohl er schon vor fünf Stunden bemerkt hatte, dass sie leer war. Leider war Monatsanfang und er musste noch über zehn Tage warten, bis wieder Geld auf dem Konto war. Sonst wäre er am liebsten sofort losgelaufen, zur Tanke, und hätte eine neue besorgt. Oder Vodka. Schmeckt nicht, geht aber schneller.
Iiiiiiiiiiihhhhhhhhhh – iiiiiiiiihhhhhhhhhhhh!
Er steckte seine Daumen in die Ohren. Oje, womit hatte er das verdient? Naja, vermutlich wäre er doch nicht so schnell losgelaufen. Oh Gott, oh Gott!
Iiiiiiiiiiihhhhhhhhhh!
Dabei hatte die Kleine ganz niedlich ausgesehen, als sie vor fünf Monaten zum ersten Mal vor seiner Tür gestanden hatte. Wer hatte auch damit rechnen können, das daraus so ein Schmerzlos werden würde? Ojeoje!
Iiiiiiiiiiihhhhhhhhhh!
Schatzi hier, Schatzi da. Ununterbrochen hatte sie von Schatzi geschwelgt. In den höchsten Tönen. Schatz, Schatzi. Jemand muss sich kümmern. „Ja, nicht wahr?“
„Oh, gewiss, verstehe.“
Augenaufschlag. Lange, lange Wimpern. „Oh, Herr Fipps, Herr Fipps, ich danke Ihnen! Sie sind der allerbeste!“
Geschmeichelt hatte er zurück gelächelt. „Kaffee? Wo wir doch nun Nachbarn sind?“
Klimpern.
Oh, was für lange Wimpern! Und so tief, tief schwarz! „Ähem, also...“
„Ein andermal, sicher, gewiss.“ Schatzi wartet. Schatzi wartet nicht gern.
Iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiihhhhhhhhhhhhhh!
Oh, nein, wirklich nicht. Das hatte er nun zur Genüge erfahren.
Iiiiiiiiiiiihhhhhhhh!
Langer Blick. „Sie verstehen schon, nicht wahr?“
„Ähem, also....“
„Oh, ich wusste, dass sie mich verstehen würden, ein anderes Mal, ein anderes Mal. Gerne, wirklich, ganz bestimmt. Oh, ich bin Ihnen ja so daaaaaaaaaaaankbar!“
Iiiiiiiiiiihhhhhhhhhh!
Oh, diese Augen, diese verfluchten Augen! Natürlich hatte er auch vorher schon gerne mal tiefer in eine Flasche geschaut. Aber seit sie mit ihren großen Augen vor seiner Tür gestanden hatte, war es um ihn geschehen. Ohne kam er nicht mehr aus. Das stand jetzt einmal fest. Wer hätte es auch ahnen können.
Iiiiiiiiiihhhhhhhhhhhhh!
Klar, hatte er damals gesagt, kein Problem nicht. Hatte auch zu niedlich ausgesehen die Kleine mit ihren großen Augen. Hätte er bloß nicht ja gesagt! Das hatte er nun davon.
Iiiiiiiiiihhhhhhhhhhh! Iiiiiiiiiiiihhhhhhhh!
Er machte ein paar Bewegungen, als wollte er seinen Schädel auf die Tischplatte hämmern, aber dann bremste er doch jedes Mal feige ab. Schade eigentlich, es wäre kein Jammer mehr zu ertragen. Sein Leben war völlig vor die Hunde gegangen.
Iiiiiihhhhhhhh!
Er schleuderte die Flasche an die Wand. „Verdammich noch mal, nu halt endlich die Klappe!“
Aber das Jaulen wurde nur noch lauter.
„Schatzi!“
Grrrrrrrrrrrrrrrrrrrrriiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiihhhhhhhh!
Er stand auf und hämmerte mit den Fäusten gegen die Wand. „Halt endlich die Klappe, du elender Jammerlappen! Halt die Klappe!“ Nur gut, dass die Tür zu war. Er schüttelte sich und zitterte.
Iiiiiiiiiiiihhhhhhhh!
Und ein Glück, dass sie die beiden einzigen waren im Haus. Sonst würde einer noch die Polizei holen. Ihretwegen oder seinetwegen, das wäre die einzige Frage.
Iiiiiiiiiiihhhhhhhhhh!
Vielleicht wär's nicht mal das Schlechteste. Und wenn schon, schlimmer konnte es nimmer kommen. Wenn sie ihn mitnähmen, könnte er wenigstens seinen Rausch ausschlafen und dieses Elendsviech vergessen. Wie sie ihn angesehen hatte, damals, vor fünf Monaten oder so! Jesses, Herr Gott noch mal. Diese Augen!
Iiiiiiiiiiiihhhhhhhh!
Wenn sie bloß endlich die Klappe hielte.
Iiiiiihhh, iiiihh....
Was für eine süße Kleine, hatte er damals gedacht. Und „klar, kein Problem, wir kommen schon zurecht“, hatte er gesagt. So ein Mist, wie konnte er nur? Aber er hatte ja auch nichts gewusst, als er das sagte. Meine Güte! Wie naiv!
Sie sei neu hier.
Da war ihm ganz warm geworden ums Herz.
Und sie bräuchte mal Hilfe, weil sie allein war. Jemand müsste sich um ihren Schatz kümmern, wenn sie zum Kindergarten ginge.
Oh, Mann! Diese Augen. Er hatte sofort eifrig genickt. Ohoh. Niemals sollst du den Abend loben vor Beginn des Tages. Oder so ähnlich. Jedenfalls war es ein Fehler gewesen. Was hatte sie schöne Augen gehabt. Klar würde er aufpassen, gerne doch, wenn es mehr nicht war. Vielleicht könnten sie ja mal zusammen Kaffee trinken?
Sie hatte ihn angeschaut und gelächelt. Ob es recht wäre, wenn sie morgen käme, ganz früh?
Klar doch, hatte er gesagt und lässig abgewunken. Oh, hätte er bloß nicht diesen Fehler gemacht. Aber dann hatte er ihr sogar den Schlüssel gegeben. Früh aufstehen sei nicht so sein Ding. Sie dürfe sich gerne selbst in die Wohnung einlassen...
Als sie den Schlüssel nahm, hatten sich ihre Hände berührt. Wie weich und zart sich ihre Hand anfühlte! Er wusste es noch, als wäre es gestern gewesen.
Iiiihhhhh!
Aber es war nicht gestern gewesen. Sondern vor fünf Monaten und damit hatte alles begonnen.
Iiiiiiihhhhh!
Anfangs hatte er sich eingeredet, es werde bald besser.
Iiiiiihhhhhh!
Dann hatte er gehofft, dass sie ihm das Martyrium wieder abnehmen werde, von sich aus.
Iiiiiiiiihhhhh!
Oder wenigstens dieses unausgesprochene Versprechen einlösen.
Iiiiiiiihhhh! Iiihhhh!
Aber weder noch war geschehen.
Iiiiiiiihhhhhh!
Er stemmte sich mühsam hoch und torkelte zum Waschbecken, ließ kaltes Wasser in die Hände laufen und wischte sich übers Gesicht. Kraftlos drehte er den Wasserhahn wieder zu und ließ sich zurück auf seinen Stuhl plumpsen.
Iiiiiiiihhhhhhh!
Er stützte den Kopf in die Hände und ließ seinen Tränen ungehemmten Lauf. Wie beschissen dumm und hilflos er doch war! Ein Glück nur, dass ihn sein Vater nicht so sehen konnte. Der war schon über zehn Jahre tot. Wäre er damals nicht gestorben, die Scham über den Sohn hätte ihn heute in die Kiste gebracht.
Iiiiiihhh – iiiihhhh!
Oder gestern....
Iiiiiiiiihhhh!
Herr Fipps brach auf dem Tisch zusammen und schluchzte noch heftiger.
Iiiiiiiiiiiiiiihhhhh, iiiiiiihhhhh!
Sein Alter hätte ihn definitiv verächtlich auf den Hinterkopf geschlagen und was Abfälliges gebrummt. Schlappschwanz oder so, wenn er gerade nüchtern und gut gelaunt gewesen wäre.
Iiiiiiiiihhhhh!
Schlappschwanz, das hatte sein Vater oft gesagt. Langsam dämmerte Herrn Fipps, wie Recht sein Alter gehabt haben musste...
Iiiiiiihhhhh! Iiiiihhhhhh!
Müde schaute er aus dem Fenster auf den Qualm der Schornsteine. Kaum zu unterscheiden vom Dunst des Sonnenuntergangs. Fahles Gelb und wenig Rot. Ein Hoffnungsschimmer. Auch heute würde es dunkel werden. Seufzen. Tief ausatmen. Hoffentlich bald!
Iiiiiiiiiihhhhh! Iiiiiiiih!
Ob er einfach das Messer nehmen sollte? Der Gedanke kam ihm nicht zum ersten Mal. Er war so etwas wie sein letztes Rückzugsgefecht geworden. Zuverlässig da, wenn die Schatten, die über die Küchenwand krochen, länger wurden. Er tastete nach dem Griff der Schublade, in dem es lag. Auch dieses Mal ließ er sie geschlossen. Was, wenn er nicht schnell genug wäre? Er seufzte und angelte nach dem Feuerzeug. Fischte nach einer Kippe im Ascher, die noch etwas länger war als ihr plattgedrückter Filter. Mühsam putzte er die Asche davon ab und versuchte, den Filter wieder zurecht zu drücken.
Iiiiiiiiiihhhhhh!
Ob es jemals vorbei wäre, bevor er wahnsinnig würde oder tot? Er hatte nicht einmal ihre Telefonnummer. Sie hatten keine weiteren Worte gewechselt und der Kaffee war niemals getrunken worden. Er seufzte. Darauf hatte er ganz schön lange gewartet. Endlose Tage, Wochen und dann... Wie blöd von ihm! Dass sie niemals vor hatte, das Versprechen in ihrem Lächeln einzulösen, das hätte er eigentlich voraus sehen müssen. Aber dass es so schlimm werden würde...
Iiiiiiiiihhhhhhhhhhhh, wuwuwuwuiiiiiiiiii, wuwuwuuwuu!
Der Schlüssel im Schloss.
Iiiiiiiwuwuwuwwuiiiiiiiiiiiiiiiii!
Absätze klackernd auf dem Linoleum im Hausflur.
Hähähäuuuuuuuuuwuwiwuwiwuwuwuiiiiii!
„Jajaja, bist ja mein Lieber!“
Endlich.
Herr Fipps atmete tief ein. Wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn. Erhob sich zögernd vom Küchenstuhl, schleppte sich zum Fenster und zurück zum Tisch.
Iiiiihhhhwuwuwu!
Die Töne überschlugen sich. Trappeln und hecheln. Kratzen an der Wohnungstür. Leicht quietschend öffnete sie sich.
Er wischte sich den Schweiß von der Stirn.
Die Tür wurde geöffnet. Ja!
Wuwuwuwuiiiwuwu!
„Herr Fipps, ich bin's, ich nehm Schatzimausi jetzt mit!“ Frau Meise säuselte durch die geschlossene Küchentür.
Er antwortete nicht. Stieß die angehaltene Luft langsam aus. Schaute den Rauchringen nach, die zum Fenster strebten. Senkte den Blick auf den Gipps an seinem linken Arm. Das war das letzte Mal passiert, als er die Tür zu seinem Flur geöffnet hatte. Zu früh. Schatzi hatte nicht lange gefackelt. Schatzi! Er stöhnte. Erst, als er hörte, dass die Wohnungstür ins Schloss fiel und er die klackernden Absätze ihrer Stilettos mit dem dumpfen Tapptapp vereint hörte, sprang er auf und rannte ins Badezimmer. Erleichtert ließ er die Hose runter und nahm auf der Toilette Platz. Wie lange noch, dachte er, wie lange noch? Er seufzte, wenigstens würde er bis morgen früh schlafen können. Bis sie ihm wieder den Rottweiler brächte. Und er in seinem Flur auf Frauchens Rückkehr warten würde.
Herr Fipps seufzte. Dann ließ er den Kopf hängen und schlief erschöpft ein.