3. Kapitel
Sie schaute an dem mächtigen Tier empor und machte unbewusst ein paar Schritte zurück. Sie wusste nicht recht, ob sie sich nun fürchten sollte, oder einfach nur staunen. Der Drache war wahrlich herrlich anzusehn. Der Name Mondtänzer, passte sehr gut zu ihm. Er schien aus Mondlicht geschaffen, welches sich auf tiefblauem Wasser brach und wenn er sich bewegte, glommen seine Schuppen auf, wie funkelnde Diamanten. Er besass einen eleganten, eher zierlichen Kopf und ein Paar schmale, gerade gewachsene Hörner.
«Du bist… wunderschön!» stotterte sie atemlos, «du warst zwar schon in Menschengestalt sehr ansehnlich, aber jetzt… das hätte ich nie für möglich gehalten! Ich glaube, ich träume.»
«Dein ganzes Leben ist oftmals ein Traum,» erwiderte der Drache mit einer tiefen Stimme, die etwas anders klang, als jene die er in der Menschengestalt besessen hatte. «Du träumst die ganze Zeit, doch nun bist du langsam daran, aufzuwachen.» «Was meinst du damit?» «Das gilt es eben nach und nach herauszufinden. Ich bin hier, um dir mit meiner Kraft zur Seite zu stehen.» «Auch wenn es wundervoll klingt, dass so ein wunderschönes Wesen wie du mir beisteht, habe ich ehrlich gesagt etwas Mühe, dir zu vertrauen. Du hast schon meinen Unfall verursacht, ich weiss nicht, ob du mir wirklich gut gesinnt bist.»
«Ich bin dir gut gesinnt, aber ich werde dich auch nicht schonen. Ich bin hier, um all das aufzudecken, was du noch nicht zu erkennen bereit bist. Und genaugenommen, hast du deinen Unfall selbst verursacht.»
Alena rief: «Das stimmt nicht, du warst es doch, der mitten auf der Strasse stand.» «Wenn du nicht kurz eingenickt wärst, dann hätte ich nicht zu so drastischen Massnahmen greifen müssen. Du warst nämlich drauf und dran, einen noch viel schlimmeren Unfall zu machen, der vermutlich tödlich für dich ausgegangen wäre. Obwohl eigentlich bist du schon länger mehr tot als lebendig.» Alena wurde erneut wütend, dass dieser Drache so etwas behauptete. «Das stimmt nicht, ich lebe wohl und das ganz gut.»
Die tiefblauen, ausdrucksvollen Augen des Drachen, blickten leicht spöttisch. «Tatsächlich? Was machst du denn so ausser… arbeiten?» Alena dachte nach und ärgerte sich noch mehr, dass dieser Mondtänzer ihr das Gefühl vermittelte, das was sie tue, sei nicht wertvoll und auch noch behauptete, dass sie eingenickt war, obwohl sie das ganz anderes in Erinnerung hatte. So sprach sie: «Okay, ich arbeite viel, das stimmt, aber ich tue ja auch etwas Wertvolle für die Menschen. Ausserdem, dass ich eingenickt sein soll, das ist nicht wahr. Ich habe dich gesehen und dann machte ich den Unfall, weil du blöd in der Gegend rumgestanden bist.» «Dein Kurzschlaf, dauerte nur ein Sekundenbruchteil, ich sah es kommen und ich wusste, dass du ohne mein Eingreifen, mit dem Lastwagen zusammen geprallt wärst, der dir entgegenkam.» Alena versuchte sich zu erinnern, ob da wirklich ein Lastwagen gewesen war und tatsächlich sprach der Drache, in dieser Hinsicht, die Wahrheit. «Der Lastwagenfahrer, hat dann auch angehalten und den Krankenwagen gerufen,» meinte Mondtänzer weiter. «Doch da warst du schon ohnmächtig.» «Nun gut, das mag so sein, aber ich bin noch immer überzeugt, dass du meinen Unfall verursacht hast, nicht ich selbst. Ich habe nicht geschlafen…» Oder doch? Alena war nun auf einmal unsicher. Sie versuchte sich zurück zu besinnen und… tatsächlich, wenn sie näher darüber nachdachte, erinnerte sie sich, dass sie über diese Landstrasse, durch ein kleines Waldstück gefahren war. Dort wo sie Mondtänzer mitten auf der Strasse erblickt hatte , befand sich das Waldstück bereits hinter ihr. Die Zeit dazwischen war tatsächlich irgendwie weg.
Ach du meine Güte! Etwas stimmte mit ihr wohl wirklich nicht mehr! Ihre Realität verschob sich, begann sie verrückt zu werden? «Tatsächlich bist du nicht mehr weit vom Wahnsinn entfern Alena,» fuhr der Drache nun ernst fort. «Das hat mit deinem Mangel an Schlaf zu tun.» «Aber… im Krankenhaus sagtest du mir doch, du hättest das getan, damit ich mir endlich mal eine Auszeit nehme.» «Es ist ein Teil davon ja, aber dass du kurz eingeschlafen bist, stimmt dennoch und dass es ohne meine Eingreifen schlimmer gekommen wäre, das stimmt auch. Du spielst mit deinem Leben Alena…» Mondtänzer legte ihr nun leicht seine Pranke auf die Schulter und in seinen Augen lag Aufrichtigkeit und Mitgefühl. «Und sei ehrlich, du hast in deinem Leben keine wirkliche Freude, keine wirkliche Magie.» «Von Magie kann man sich leider kein Essen und Kleider kaufen. Ich bin nun mal alleinstehend und muss deshalb so viel arbeiten.» «Musst du das auch wirklich und… was gäbe es sonst noch für Möglichkeiten?» Alena überlegte, doch es kam ihr gerade auch nichts dazu in den Sinn. Verzweifelte Wut überkam sie: «Ich kann nun mal nicht aus dieser ganzen Scheisse raus! Ich bin schon 40, da hat man nicht mehr so viele Möglichkeiten. Für mich ist die beste Zeit eindeutig vorbei und Kinder werde ich eh niemals haben können.»
«Aber das Leben kann so viel mehr bieten. Wie willst du den Blick für die magischen Momente jemals wiederfinden, wenn du nichts anderes mehr tust als arbeiten und… ich kann nicht mal mehr sagen… schlafen, weil du das auch nicht mehr tust.» «Es ist nun mal so, ich kann es nicht ändern,» erwiderte Alena resigniert. «Kannst du nicht, oder willst du nicht?» «Ach, ist doch auch egal. Was weiss ein Drache schon davon? Du lebst hier in dieser wunderschönen Welt und brauchst nichts weiter zu tun, als ein wenig herum zu flattern und vielleicht mal etwas zu fressen.» «Und dennoch stirbt diese Welt und dagegen kann ich nichts tun,» gab Mondtänzer zur Antwort und tiefe Trauer lag in seinem Blick. Eine silbern glitzernde Träne, erschien auf einmal in seinem Augenwinkel und rollte über seine schuppige Wange hinab. Jede Schuppe, über die sie hinabfloss, leuchte kurz in bläulichem Licht auf. Alena beobachtete dieses Schauspiel fasziniert. Deine Tränen, sie werden… zu Licht,» sprach sie bewegt.
Der Drache fing die Träne nun, mit seiner krallenbewehrten Tatze, auf und dort wo sie auftraf, leuchtete der blaue Schein ebenfalls auf. Eine Anmut und Sanftheit, lag in dieser Bewegung, die man einem solch mächtigen Tier, kaum zugetraut hätte. «Diese Welt hier, sie besteht zum grössten Teil aus meinen und den Tränen meiner Geschwister. Manchmal sind es Freudentränen gewesen, manchmal Tränen der Trauer, wie jetzt gerade. Doch sie schaffen dennoch immer wieder Neues.» Er betrachtete die Träne, welche nun zu einer glitzernden Perle geworden war und liess sie dann zu Boden fallen. Sogleich entstand dadurch ein kleiner See, der dem gläsernen See, den Alena gerade überquert hatte, glich. Ungläubig streckte sie ihre Hand aus und berührte das leuchtende Nass, dass nun von ihren Fingern tropfte. «Das ist einfach nur wunderschön!» hauchte sie «dann sind du und deine Geschwister also die Schöpfer dieser Welt?» «Man könnte es so sagen ja, wenn auch nicht alles bei uns liegt. Würde es das, dann müssten wir nicht um unser Reich bangen.» «Was genau ist denn dieses Reich?» «Sein wahrer Name wäre zu kompliziert für dich, um ihn auszusprechen. Doch es gehört zu einem der vielen Wasser- Reiche. Deine Verbindung zum Wasser ist stark und darum konntest du auch hierherkommen.» «Aber… was soll ich hier?» Mondtänzer schaute die Frau nun mit eindringlichem Ernst an und sprach: «Du sollst uns helfen, unsere Welt zu retten.»