Alena blickte Mondtänzer entgeistert an. «Ich soll diese Welt retten können? Wie kommst du denn darauf? Das ist doch Blödsinn! Ich bin nicht zur Retterin gemacht. Ich muss schon schauen, dass ich meine Probleme in den Griff kriege, da kann ich mich nicht auch noch euren widmen!» «Dennoch bist du die einzige, die wirklich die nötigen Fähigkeiten besitzt, denn du bist enger mit dieser Welt verknüpft, als du denkst. Du und wir, wir sind auf besondere Weise verbunden.» «Das verstehe ich nicht. Was meinst du damit?» «Dass unsere Welt von dir abhängig ist, ebenso wie du auch abhängig von dieser Welt bist. Sie ist der Ort, der dir schlussendlich Heilung bringen kann. Wenn du uns nicht hilfst, dann wird diese Welt zerstört und das wird sich auch auf dich auswirken. Die Dunkelheit hat dann viel mehr Macht über dich. So wie Tenebris mit seinen schwarzen, unheilbringenden Schwingen, dann immer mehr Macht über diese Welt erhalten wird.» «Du bist ja wirklich Meister darin, einem Mut zu machen!» «Es tut mir leid, ich würde dir gerne bessere Kunde bringen.» «Also, das ist mir alles jetzt irgendwie zuviel. Ich kann euch wirklich nicht helfen! Bring mich jetzt bitte wieder zurück ins Spital, ich will die Gelegenheit, mal etwas auszuruhen nutzen, so lange es noch geht.»
Die Augen von Mondtänzer blickten bekümmert. «Wenn du das ausdrücklich wünscht, dann bringe ich dich natürlich zurück, aber bitte denk darüber nach, was ich dir gesagt habe! Wir brauchen dich hier wirklich dringend!» «Aber was kann ich denn schon tun?» «Du kannst dich Tenebris entgegenstellen!» «Tenebris…?» Alenas Augen weiteten sich vor Entsetzen «ich soll also diesen… schrecklichen, furchterregenden, schwarzen Drachen herausfordern? Bist du von Sinnen? Das ist doch völlig aussichtslos! Das kannst du nicht ernsthaft von mir erwarten!» «Ich weiss es ist schwer zu begreifen, aber wir brauchen deine Hilfe wirklich dringend. Tenebris Kälte hat sich schon weiter ausgebreitet, als ich und meine Geschwister es vorausahnen konnten. Unsere Schöpfung stirbt, die Seen erstarren zu Eis und unsere Kräfte versiegen täglich mehr. Bald wird diese schöne Welt, die du hier um dich siehst, nicht mehr sein, es wird nur noch eine eisige Wüste, ohne Leben zurückbleiben. Bisher hat unsere Welt auch dich gestärkt, dir Freude und Inspiration verliehen, doch nun kristallisiert alles mehr und mehr, bis auch wir alles schliesslich nur noch Eisskulpturen in dieser Welt der Dunkelheit sein werden. Unsere Lebenskraft… sie schwindet und wir… blicken unserem unvermeidbaren Ende entgegen. Auch du wirst davon nicht unberührt bleiben! Die restliche Freude die restliche Inspiration, die dir noch geblieben ist, wird ebenso erstarren wie die Seen unserer Heimat und Kälte wird dein Herz immer mehr zu Eis erstarren lassen. Sieh nur, es hat schon begonnen, durch deine Energielosigkeit, bist du nicht mehr fähig, wahrlich für andere da zu sein. Spürst du es nicht? Merkst du nicht, auf welchen Pfad du dich begeben hast Alena? Bitte denk darüber nach! Ich bring dich jetzt zurück, geniesse deine Auszeit, bevor du dich wieder in die Arbeit stürzt!» Auf einmal fühlte Alena sich doch irgendwie schuldig und sie sprach: «Es tut mir wirklich leid, aber… ich bin nicht so stark wie du vielleicht denkst. Ich… habe keine Chance gegen diesen grossen, schwarzen Drachen. Vielleicht können du und dein Volk sich ja zusammentun und miteinander gegen Tenebris kämpfen.» «Leider… ist das nicht so einfach,» erwiderte Mondtänzer und Enttäuschung und Trauer schwang in seiner Stimme mit. «Dann bringe ich dich jetzt also zurück. Der anmutige Drachen hob seine Klaue und das Gewässer, das gerade aus seiner Träne entstanden war, wurde zu einem weiteren Strudel. Dieser Strudel trug Alena wieder zurück in ihr Spitalbett. Eine seltsame Schwermütigkeit ergriff von der Frau Besitz und sie dachte noch lange über das nach, was sie gesehen und erfahren hatte. Erst nach mehreren Stunden dann, fand sie wieder in den Schlaf.
4. Kapitel
Sie musste lange geschlafen haben, denn sie hatte nicht bemerkt, dass die Nachtschwester noch einen letzten Besuch bei ihr gemacht hatte. Auch der Frühdienst schaute nur kurz vorbei, liess sie aber schlafen. Als Alena dann erwachte, fühlte sie sich so ausgeruht, wie schon lange nicht mehr. Erst langsam begannen ihre Erinnerungen an die seltsamen Ereignisse von letzter Nacht, wieder zurück zu kehren. Irgendwie erschien ihr alles wie ein seltsamer Traum und trotzdem… das was Mondtänzer zu ihr gesagt hatte, klangt noch immer in ihr nach und sie fühlte sich nach wie vor etwas schuldig, weil sie die Drachen im Stich gelassen hatte. Doch dann schalt sie sich selbst: «Ach was! Das Ganze war vermutlich sowieso nicht real, bestimmt hat mir meine, von der langandauernden Schlaflosigkeit vernebelte Psyche, nur einen Streich gespielt. Wie sollte ich dazu fähig sein so einen grossen furchterregenden Drachen zu besiegen? Das ist doch völliger Schwachsinn!» Eines aber, liess Alena dennoch nicht los. Die Worte von Mondtänzer darüber, dass sie etwas an ihrem Leben ändern musste, damit ihr Herz nicht zu Eis erstarrte. War sie wirklich schon so kalt und gleichgültig geworden? Wenn sie genauer darüber nachdachte, dann musste sie sich eingestehen, dass sie wirklich nicht mehr dieselbe Liebe für andere aufbringen konnte, wie einstmals. Sie machte auch ihren Job schon lange nicht mehr mit Liebe und da sie immer allein war, war sie vermutlich auch etwas wunderlich geworden.
Aber sie wollte jetzt nicht weiter darüber nachdenken, ausserdem begannen ihre Glieder und ihr Kopf wieder zu schmerzen, vermutlich verloren die Medikamente langsam ihre Wirkung… Sie wollte gerade klingeln, um die Schwester zu bitten ihr etwas zu geben, als diese gerade zu Tür hereinkam. «Ach sie sind wach Frau Wagner! Das ist gut! Sie haben nämlich Besuch!» «Besuch?» Alena überlegte wer das sein konnte, denn ihre Familie hatte sie bisher noch nicht über ihren Unfall informiert. «Es ist der Lastwagenfahrer, der sie nach ihrem Unfall ins Krankenhaus einliefern liess. Er wollte wissen, wie es ihnen geht. Fühlen sie sich schon kräftig genug, um Besuch zu empfangen?» «Ja, eigentlich schon, nur könnte ich noch ein paar Schmerzmittel gebrauchen. «Die wollte ich ihnen sowieso gleich geben. Sie wirken schnell!» Die Schwester nahm eine Spritze und gab Alena eine Infusion, gleich darauf verschwanden die Schmerzen mehr und mehr und Alena machte sich so gut es ging zurecht, bevor der Besucher eintrat.
Es handelte sich bei ihm um einen kräftigen, nicht allzu grossen Mann, mit kurzem, bereits etwas schütter gewordenem, dunkelblonden Haar, einem sympathischen Gesicht und strahlendblauen Augen. Er mochte etwa im selben Alter wie Alena sein und lächelte diese nun freundlich an, während er ihr einen Blumenstrauss aus orangen und gelben Blumen überreichte. «Ich werde die Blumen gleich ins Wasser stellen,» sprach die Schwester und verliess den Raum, um eine Vase zu holen. «Guten Morgen!» sprach der Mann nun «Ich hoffe, ich störe sie nicht. Mein Name ist Stefan Hofer. Ich war der Fahrer, der ihren Unfall gemeldet hat.»