Langsam und auf Zehenspitzen schleiche ich durch den Wald, immer darauf bedacht auf keinen der vielen am Boden liegenden Äste zu treten. Der Wind fährt durch meine kleinen schwarzen Flechtzöpfe, die wild vom Kopf abstehen. In meiner rechten Hand befindet sich eine hölzerne Armbrust, die ich sich, schon seit ich klein bin, in meinem Besitz befindet. Auf der dünnen Sehne liegt ein dünner Pfeil mit einer eisernen Spitze fest eingespannt. Das Holz ist schwarz und einige Zentimeter von den dem Eisen entfernt, habe ich meinen Namen mit einem kleinen Messer so sauer wie möglich eingraviert. Mich selbst habe ich in einen schwarzen Anzug einhüllt. Den Mantel, den ich sonst immer getragen habe, habe ich heute weggelassen, da ich sonst zu oft darüber gestolpert bin. Aus Fehlern lernt man eben. Plötzlich nehme ich ein Geräusch nur wenige Meter von mir entfernt wahr. Zweifellos ist es ein Islar. Das ist ein fuchsartiges Wesen mit weißem seidigem Fell. Dieser Pelz wird oft zum Weben von besonders wertvollen Mänteln genutzt. Das wird mir viel Geld bringen! Ich muss ihn erwischen. So eine Chance bekomme ich in den nächsten Tagen vielleicht nicht nochmal. Vielleicht nicht einmal in den nächsten Wochen oder Monaten. Das Herz schlägt mir bis zum Hals und das Blut rauscht durch meine Adern. Ich liebe diesen Adrenalinstoß, der mich jedes Mal mit Energie vollpumpt, wenn ich auf der Jagd bin. Dieser Nervenkitzel ist einfach nur grandios.
Plötzlich packt mich jemand feste und zieht mich zu sich. Mit der anderen Hand hält die Person mir den Mund zu. Es ist mein bester Freund Blake, doch er ist mehr als das. Erst ist auch mein Partner, mit dem ich mich so oft es geht, auf die Jagd begebe, um meiner Familie bei der Ernährung zu helfen und nebenbei selbst ein wenig Spaß zu haben. Das Gefühl des Holzes in meiner Hand ist atemberaubend und ich will es nie mehr aus der Hand legen.
"Nicht so schnell, Schätzchen", flüstert der braunhaarige Junge mir ins Ohr. Seine Stimme jagt mir einen wohligen Schauer über den Rücken und zaubert mir ein Lächeln auf die Lippen: "Ich soll also warten, bis er weg ist?" "Nein, du sollst einfach warten, bis es sich in der richtigen Position befindet", mahnt er. "Vergiss es, ich warte nicht mehr", ich reiße mich von ihr los und laufe still und heimlich durch den Wald auf das Tier vor uns zu. Als ich mich jedoch fast in der perfekten Position befinde, um zu schießen, werde ich plötzlich in die Luft gerissen und baumele kopfüber in der Luft. Ich schreie laut auf, woraufhin der Islar verschwindet, was in diesem Moment aber mein kleines Problem ist. Verzweifelt versuche ich mich zu während, doch nichts geschieht. Das Metall schlingt sich nur noch fester um meinen Knöchel und schneidet in das Fleisch ein. Das rote Blut tropft mein Bein hinunter und fällt langsam auf den Boden. "Blake!", rufe ich feste zappelnd. Schweiß läuft mir die Stirn hinunter. Ich bin darüber verwundert, wie es dazu gekommen ist. Meine Brust hebt und senkt sich nun schneller: "Blake, bitte komm und hilf mir!" "Alles gut", versucht Blake mir gut zuzureden und rennt zu mir herüber, doch das ist leichter gesagt als getan.
Wie von Zauberhand beginnt die Erde von der einen auf die andere Sekunde zu beben. Die Bäume schütteln ihre Äste noch wilder als der Wind es je tun könnte. Die Kiesel und Äste auf dem Boden hüpfen im Sekundentakt auf und ab als würden sie einem Rhythmus folgen. Nun läuft das Blut nur noch mehr und ich bin kurz davor ohnmächtig zu werden, wodurch die Erde nur noch mehr zu beben scheint. Was ist hier los?
Jetzt ist Blake endlich bei mir und nimmt mein Gesicht in seine Hände: "Versuch dich bitte nicht zu bewegen. Ich regel das." Der Grauäugige zieht einen seiner eigenen Pfeile aus seinem Köcher und rammt ihn in das kleine Loch, was wohl wie ein Schloss funktioniert. Dadurch schließt es sich jedoch nur noch enger um mich und hält mich wie eine Würgeschlange fest in seinem Griff. Nun wird mir immer wieder schwarz vor Augen, doch ich versuche mich weiter zu konzentrieren, was in Anbetracht der Situation gar nicht so leicht ist. "Bitte beeil dich, Blake", flüstere ich. Bei den letzten Worten versagt meine Stimme beinahe komplett.
Die Erde bebt noch stärker und auf einmal teilt der Boden sich an einigen Stellen. Die Erde wirkt nun wie Stoff, der einer zu hohen Belastung ausgesetzt wird, sodass er einfach zerreißt. Was zum Teufel geht hier vor sich?
Plötzlich wackelt auch der Stein, auf den sich Blake gestellt hat und er fällt hinab auf den Boden. Zu meinem Schrecken muss ich tatenlos mit ansehen, wie er unkontrolliert mit dem Kopf voran auf einem großen Felsen ankommt. Es knallt laut und eine helle Blutlache ergießt sich auf der Kante, auf die seine Stirn getroffen ist. Obwohl der Boden noch bebt, interessiert mich das nicht mehr wirklich. Meine ganze Aufmerksamkeit ist auf meinen Partner gerichtet, der dort liegt und keine einzige Regung mehr zeigt. Nun beginnt auch das Metall an der Falle zu zittern und auseinander zu springen, sodass ich mich selbst nun wieder befreien kann. Mit zitternden Händen öffne ich die Falle und stürze zu Boden, doch auch das stört mich nicht, da mein Partner in dieser Situation vorgeht. Erst als ich bei Blake ankomme, merke ich, dass ich weine. Meine salzigen Tränen rinnen meine Wangen hinunter und tropfen auf seine helle Haut, die so einen wunderschönen Gegensatz zu seinen dunklen Haaren und Augen bilden. Schnell reiße ich ein Stück meines Oberteils ab und verbinde damit die Wunde am Hinterkopf des Jungen. Seine Augen hat er geschlossen und sein Atem geht flach. Für einen Moment denke ich, dass er gar nicht mehr atmet. Mein ganzer Körper zittert und die Angst sitzt mir tief in den Knochen. Das Beben ist nun stärker geworden und rüttelt mich durch. Schwach legt er seine Hand an meine Wange und versucht mir die Tränen wegzuwischen. Dann öffnet er seinen Mund langsam und versucht etwas von sich zu geben, doch es ist nur ein leises Flüstern: "Ich liebe dich, Schätzchen." Der Spitzname, den er immer für mich verwendet, bringt mich nur noch mehr zum Weinen. Bei unserem ersten Treffen hat er mich so genannt und seitdem hat er diese Gewohnheit nicht mehr abgelegt. Nun laufen auch ihm die Tränen hinunter. Meine Stimme klingt kratzig, als ich erwidere: "Ich liebe dich auch." Sanft lächelt er sein typisches Lächeln, was mich jedes Mal zum dahin schmelzen bringt. Als auch ich seine romantischen Worte wiederholt habe, schließt er seine Augen und sein Kopf rollt auf die Seite. Mein fester Griff schließt sich um seine Arme und so fest ich kann, beginne ich ihn verzweifelt zu schütteln: "Nein, bitte geht nicht, Blake! Bleib bei mir!" Doch er kommt meiner Bitte nicht nach, sondern zeigt keine Regung mehr. Ich lasse meinen Kopf auf seine Brust sinken und weine bitterlich. Das kann er mir doch nicht antun. Ein Baum bricht um mich herum zusammen und löst eine Kettenreaktion aus. Ich ziehe Blake in meine Arme und will ihn nie wieder loslassen. Wieso geht er einfach und lässt mich hier zurück?