Der Umschlag reißt unter meinen Fingern in zwei Hälften und der Inhalt landet auf dem Boden. Achtlos werfe ich die Stücke weg und betrachte den Inhalt genauer. Es ist lediglich ein Zettel, der mit vielen schwarzen Buchstaben bestückt ist. Unter Geschriebenen befindet sich etwas, was mich sehr stutzig macht. Langsam lasse ich mich an meiner Zimmertür hinunter auf den Boden sinken, um morgendlichen Eindringlingen keinen Einlass zu gewähren. Bald wird Hilley uns wohl zum Frühstück rufen und bis dahin muss ich hiermit durch sein. Allem Anschein nach wurde der Brief am Ende mit einem besonderen Symbol unterzeichnet. In einem beißenden Giftgrün wurde es auf das Papier aufgetragen und scheint es wie eine Schlange zu vergiften. So ein Zeichen habe ich noch nie gesehen. Langsam befeuchte ich meinen Finger mit etwas Spucke und reibe damit über das Papier, doch das Symbol weigert sich zu verwischen. Wann hatte Sarah das Zeichen aufgetragen? Das hätte ich doch mitbekommen. Als meine Finger die Farbe berühren, zucke ich plötzlich zurück. Ein leichter Schmerz durchzuckt meine Haut und lässt mich zusammen zucken. Oh man, was war das denn jetzt? Ich werfe einen Blick auf die Stellen an der sich die Farbe und mein Körper berührt haben. Die Fingerkuppen sind leuchtend rot und pochen leicht. Auf meiner Stirn bilden sich Sorgenfalten. Der Adressat am Anfang wurde einfach weggelassen und durch eine einfaches “Guten Tag“ ersetzt, was mich wundert. Ich schreibe zwar ziemlich selten wirklich richtige Briefe, da mir der Postweg einfach zu lange dauert, aber soweit ich weiß, beginnt man so keinen Brief. Die nächsten Zeilen zaubern noch mehr Falten auf meine Stirn. Sie schreibt in einer merkwürdigen Sprache, die ich aber merkwürdigerweise zu kennen scheine. Diese besteht aus mehreren Zeichen, die sich in meinem Kopf zu normalen Worten zusammenfügen. Geistesgegenwärtig nehme ich einen roten Stift von meinem Nachttisch und taste nach etwas worauf ich es schreiben kann, während die Worte in meinem Kopf wieder zu verschwimmen beginnen. Mist, was ist denn jetzt los. Schnell öffne ich den Stift und schreibe die Worte, an die ich mich noch erinnere auf den Boden vor mir. Ich kann es ja später irgendwohin sich übertragen. Bis dahin muss das reichen. Es fühlt sich so an, als würde meine Hand von einer magischen Kraft geleitet werden. Jedes gerade aufgeschriebene Wort leuchtet kurz in meinem Geist auf und ist dann verschwunden, während sie die Farbe immer wieder in den Holzboden gräbt und Buchstaben hinlässt. Als ich das letzte Wort auf dem Holz niedergeschrieben habe, leuchten alle Buchstaben kurz auf. Der Stift fällt mir aus der Hand, als jedoch auch das, von mir, Niedergeschriebene verblasst und ganz langsam verschwindet. Ich fahre mit meinen Fingern darüber und will das Wissen, was darin möglicherweise niedergeschrieben wurde zurückholen, doch vergeblich. Der Brief findet den Weg zurück in meine Finger und erneut versuche ich den Inhalt so zu lesen wie ich es zuvor getan habe, doch stattdessen entsteht nur lediglich ein komplettes Durcheinander in meinem Kopf. Ist das irgendeine magische Schrift, die man nur einmal lesen kann? Ratlos lasse werfe ich das Papier in irgendeinen Ecke und stütze mich mit den Händen auf dem Boden ab. Aus Zufall landen diese auf genau dem Stück Boden, auf das ich zuvor geschrieben hatte, und schließe die Augen. Sobald sich der Boden und meine Hände einige Sekunden berührt haben, fühlt es sich plötzlich so an, als würde Storm hindurchfließen. Schnell öffne ich meine Augen wieder und erschrecke. Die verblasste Schrift auf dem Boden leuchtet plötzlich wieder rot auf. Testweise nehme ich die Hände wieder weg und die Schrift verblasst wieder. Scheinbar verblasst sie Schrift immer dann wieder, wenn ich meine Hände wegnehme. Ich weiß zwar nicht wie das passiert ist, aber das kann ich als Vorteil nutzen. Dafür müsste ich nur testen, ob es auch bei anderen oder nur bei mir funktioniert.
Plötzlich klopft es an der Tür: “Stella? Bist du wach? Es gibt Frühstück.“ Arias Stimme weckt in mir die Erinnerungen an die letzte Nacht auf dem Dach. Hoffentlich hasst sie mich jetzt nicht. “Ah, ja ich bin wach. Ich komme gleich runter“, schnell halte ich meine Hände wieder auf dem Boden und beginne zu lesen, was im Brief steht. Der Inhalt macht mich stutzig. Sie schreibt etwas darüber, dass alles bisher gut läuft und dass sie sich weiter unauffällig verhält. Jetzt wäre es vorteilhaft, wenn es einen Absender gäbe. Wenn Sarah weiterhin so tun will, als hätte sie nichts zu verbergen, wird sie sicher nichts dagegen haben mir Fragen zu beantworten. Schnell husche ich die Treppe hinunter, ohne mich umzuziehen.
Unten angekommen sehe ich schon, dass alle anderen bereits am Tisch sitzen. Habe ich etwa so lange gebraucht? Schnell setze ich mich dazu und nehme mir eine Scheibe weiß Brot, die frisch gebacken zu sein scheint. Der Geruch von frischem Früchtetee steigt mir in die Nase und mein Blick wandert zur Teekanne: “Darf ich mich ein wenig Tee eingießen?“ Hilley nickt und Ruby reicht mir die Kanne. Als ich sie dann entgegennehme, lasse ich sie aber fast fallen. Das ist ja kochend heiß. Wieso hat sie mich nicht vorgewarnt? Mein wütender Blick trifft auf ihren Belustigten. Obwohl ich ihr gerne meine Meinung gegeigt hätte, nehme ich einfach nur erneut die Kanne in die Hand und gieße mir konsequent Tee ein. Der helle Dampf steigt auf und erzeugt ein Bild von einem Weihnachtsabend vor dem Kamin mit Tee in der Hand in meinem Kopf. Ohne irgendwelche Skrupel und ohne den Blick von meiner Tasse zu heben, frage ich Sarah: “An wen war der Brief, den du gestern geschrieben hast, eigentlich?“ Aus dem Augenwinkel sehe ich wie alle Leute am Tisch den Kopf heben und mich ansehen. “An die Familie, die mich bei sich aufgenommen hat, nachdem unsere Eltern gestorben sind“, antwortet Sarah sofort und nimmt einen Bissen von ihrem Brot. Ich ziehe eine Augenbraue hoch: “Und …hast du vor den Brief per Post zu verschicken?“ “Wieso willst du das wissen?“, fragt sie misstrauisch. Schnell überlege ich mir eine Ausrede und spiele meinen miesen Trumpf aus: “Darf ich mich für meine Schwester etwa nicht interessieren?“ Sie schluckt: “Nein, ich verschicke den Brief nicht mit der Post, sondern bringe ihn nachher selbst weg.“ Ich runzele die Stirn. Glücklicherweise bin ich da nicht die Einzige. Alles anderen, abgesehen von Ruby, geht es auch so. “Eigentlich wollte ich fragen, ob du mit mir und Hilley heute trainierst. Du hängst sicher ziemlich hinter uns her“, sagt Aria schnell und Hilley nickt zustimmend. Fragend sehe ich die Frau an. Wieso ist sie eingesprungen? Sarah zuckt gleichgültig mit den Schultern, was mit ziemlich stutzig macht: “Dann frage ich eben jemand anderen, ob er ihn für mich wegbringen kann.“ Ihr Blick wandert durch die Rund: “Ruby? Würdest du das bitte machen?“ “Klar“, erwidert Ruby genauso gleichgültig: “Kann ich Miles mitnehmen?“ Diese Konversation macht mich so stutzig, dass ich den Kopf fragend schief lege. “Meinte wegen.“ Auf Miles Lippen erscheint ein zufriedenes Lächeln. Will er das etwa? Ich hatte mich schon eher gefragt, ob er etwas von ihr will. “Kann ich das nicht machen?“, frage ich verwundert: “Oder vertraust du deiner Schwester nicht?“ “Doch klar, aber du hast doch sicher noch was Besseres zu tun, als meine Sachen zu erledigen“, erklärt meine Schwester. Ich knirsche mit den Zähnen, kneife meine Augen zusammen und sage dann langsam: “Ja, das stimmt wohl.“ Mittlerweile ziemlich mies gelaunt kaue ich an meine Brotscheibe herum und überlege mir, wie ich jetzt weiter vorgehen soll. So leicht wird man mich nicht los. Ich brauche einen Plan!