Mit zitternden Gliedern bewege ich mich durch die Halle. Mehrere lange Röhrenlampen erhellen meine Umgebung flackernd und erleichtern mir die Sicht. Die Wände sind in hellgrün und die Möbel weiß. Als ich den großen, metallenen Operationstisch entdecke, habe ich große Mühe den Kloß in meinem Hals hinunterzuschlucken. Vorsichtig komme ich näher und schlage die Hände vor den Mund, um nicht laut aufzuschreien. Auf dem Tisch liegt ein Mann. Seine blauen Augen hat er weit aufgesperrt und die roten Haare hängen ihm schlaff vom Kopf herab. Die Haut ist fast so weiß wie das Laken, mit dem der Leib zugedeckt wurde. Tief im Schädel steckt ein glänzendes Messer, welches wohl für kurze Zeit zurückgelassen wurde. Wahrscheinlich kommen die Ärzte bald wieder und werden mich entdecken, wenn ich mich nicht beeile. Mir dreht sich bei dem Anblick der Magen um, weshalb ich mich schnell abwende. Mein Blick wandert an der Wand weiter und bleibt an einem Schreibtisch hängen. Schnell husche ich herüber und lasse meinen Blick darüber wandern. Auf dem hölzernen Tisch liegen mehrere dicke Papierakten, die in mehrere braune Ordner gepackt wurden. Jeder der Ordner ist mit einem Namen beschriftet und ich beginne zu lesen. Zu meiner Enttäuschung ist nirgendwo mein Nachname zu lesen. Ein beklemmendes Gefühl macht sich in mir breit und sorgt dafür, dass meine Hände zu zittern beginnen. Als ich alle Akten durchgegangen bin, lehne ich mich resigniert gegen die Wand. Mit dem Gedanken aufgeben zu wollen im Hinterkopf, springt mir ein weiteres Schild mit der Aufschrift “Unbearbeitet“ ins Auge. Es hängt über dem Schreibtisch und ich wundere mich, dass es mir nicht sofort aufgefallen ist. Das heißt also, dass die Akten meiner Familie hier nicht sind. Schließlich sind sie schon seit Jahren tot und wenn das Krankenhaus nicht komplett mit der Arbeit hinterher hängt, werden die Akten, die ich suche, sicher nicht hierbei sein. Aus genau diesem Grund lasse ich vom Schreibtisch ab und schaue weiter umher. Wo können diese verdammten Akten nur sein? Langsam packt mich eine leichte Verzweiflung. Es könnten jederzeit irgendwelche Leute kommen und mich entdecken. Dann wäre ich komplett erledigt. Dann erblicke ich ein anderes interessantes Möbelstück. Es ist ein großer Schrank, der ebenfalls aus weißem Holz besteht. Nun kommt es ganz auf mein Glück an! Entweder sind die Akten, die ich so sehr brauche, hier oder in einem ganz anderen, wahrscheinlich Stockwerke entfernten, Raum. Beim Schrank angekommen versuche ich die beiden großen Türen zu öffnen, doch leider sind die mit einem Schloss verriegelt, welches ich mit meinen Händen nicht zu öffnen vermag. Meine Zähne mahlen angestrengt. Dann kommt mir eine eher schlechte Idee und meine Hände wandern wie automatisch zu einem kleinen Tischchen neben dem OP-Tisch, auf dem eine Packung mit Handschuhen liegt. Schnell streife ich diese über meine weiche Haut, um mir die Hände nicht schmutzig zu machen. Dann nehme ich all meinen Mut zusammen und versuche einen Brechreiz zurückzuhalten. Dann strecke ich meine behandschuhte Hand aus und greife nach dem Skalpell, welches im Kopf der Leiche steckt. Meine Finger schließen sich um den Griff und ein lautes Flutschen ist zu hören, als ich es herausziehe. Mich beschleicht das Gefühl, dass ich mich gleich übergeben werde. Mit spitzen Fingern strecke ich das Messer von mir weg und laufe damit zur Schloss, welches beide Schranktüren zusammenhält. Bedächtig stecke ich das Messer in das große Schloss. Glücklicherweise passt es. Mit einer lockeren Bewegung drehe ich das scharfe Werkzeug herum, bis es aufspringt. Zum Glück hatte ich im Waisenhaus genug Übung, um das hier zu üben. Mit einem lauten ‘Klick‘ springt das Schloss auseinander und die Türen schwingen auseinander. Nun muss ich mich wirklich beeilen, da es nicht mehr lange dauern kann, bis irgendwer hier runter kommt, um an der Leiche weiter zu arbeiten. Bevor ich damit beginne den Schrank zu durchsuchen, lege ich das Skalpell weg und schaue dann in das Möbelstück hinein. Dort liegen, genau wie auf den Schreibtisch, ganz Aktenstapel, die ebenfalls beschriftet wurden. Schnell gehe ich einige von ihnen durch, bis ich ein System entdecke. Die Unterlagen wurden nach den Anfangsbuchstaben der Vornamen geordnet, sodass “Valerios“ nun weit hinten zu finden ist.
Als ich die Akten gerade herausziehen will, sind von draußen stimmen zu hören. Die Angst packt mich. Kurzerhand greife ich nach der Akte, die mit dem Namen meiner Schwester beschriftet wurde und will sie unter meinem Oberteil verstecken, was zugegebenermaßen kein gutes Versteck ist. Dann sehe ich jedoch etwas noch interessanteres und verwerfe meinen Plan wieder. Unter dem Namen “Valerios“ sind nicht nur die Untersuchungen, sondern auch die von zwei weiteren Familienmitgliedern zu finden. Innerhalb von wenigen Sekunden baut sich in meinem Kopf ein neuer Plan zusammen, der mich dazu verleitet selbst in den Schrank zu steigen und die Türen zu schließen. Mein Herz pocht schmerzhaft gegen meine Brust, doch ich versuche mich einfach zu beruhigen und ruhig durchzuatmen, als sich die Tür öffnet. Meine Hände zittern und ein wenig Schweiß bildet sich auf meiner Stirn. Hoffentlich entdeckt mich keiner!